21-3830.01

Stellungnahme zum gem. Antrag der GRÜNE - SPD - CDU - FDP und DIE LINKE-Fraktion betr. Neuenfelde und Cranz als RISE-Gebiet ausweisen

Antwort / Stellungnahme des Bezirksamtes

Bera­tungs­reihen­folge
Gremium
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10.09.2024
Sachverhalt

Die Elbdörfer Neuenfelde und Cranz zeichnen sich durch sehr unterschiedliche Siedlungsstrukturen aus. Prägend sind die vielen Obsthöfe mit den auch touristisch beliebten Obstbaumplantagen, die an den Deichen und Straßen die für das Alte Land typische Straßendorfstruktur bilden. Hier leben viele Familien in Einfamilien-, Doppel- und Reihenhäusern. Weitere Grundstücke werden am Nincoper Deich Ost erschlossen (Bebauungsplan Neuenfelde 17). Auch die frühere Sietas-Werft ist ein prägendes Element des Gebietes. Für das ehemalige Werft-Gelände sollte eine geeignete Nachnutzung gefunden werden, die zum Ort passt und durch die Arbeitsplätze entstehen können. In der einst als Werksiedlung dieser Werft angelegten Seehofsiedlung und am Estebogen in Cranz leben heute noch die Familien vieler ehemaliger Gastarbeiter, die hier in Neuenfelde und Cranz vor vielen Jahrzehnten eine neue Heimat gefunden. Die Gebäude wurden als Geschosswohnungen gebaut.  2016/17 wurde die öffentlich-rechtliche Wohnunterkunft für Geflüchtete am Neuenfelder Fährdeich für rund 350 bis 400 Menschen errichtet. Sie wurde zunächst nur als provisorische Einrichtung unmittelbar neben der ehemaligen Sietas-Werft als Containerbau ohne Anbindung an Neuenfelde und Cranz errichtet, ist aber seither eine dauerhafte Einrichtung.

Die Menschen in Neuenfelde und Cranz haben ganz unterschiedliche Hintergründe und Lebensläufe, allerdings auch gemeinsame Herausforderungen. Die Sozialstrukturdaten weisen einen höheren Anteil an Leistungsempfängern nach SGB II von 16,4 % in Neuenfelde und 11,9 % in Cranz im Vergleich zu Hamburg mit 10 % aus. Besonders hoch ist der Anteil der unter-15-Jährigen mit Mindestsicherung mit 31,4 % in Neuenfelde und 30 % in Cranz (Hamburg 20 %). Das Gebiet stand in den letzten Jahren nicht im Fokus der städtischen Entwicklung. Der Bezirk Harburg und auch die Stadt Hamburg kann es sich aber nicht leisten, ganze Gebiete aus dem Fokus zu lassen. Nicht nur, weil sich damit soziale Brennpunkte unter dem Radar der Aufmerksamkeit entwickeln können, sondern auch weil im Bezirk jede Form von Wohnraum benötigt wird.

 So fehlt es in Neuenfelde und Cranz an ausreichender sozialer Infrastruktur, an ausreichenden Angeboten und Flächen für Kinder und Jugendliche und an Begegnungsmöglichkeiten für alle, die für Integration und ein gemeinschaftliches Zusammenleben grundlegend sind. Es gibt mittlerweile soziale Konflikte in und zwischen den Quartieren, insbesondere unter Jugendlichen. Eine aktive Nachbarschafts- und Quartiersarbeit findet derzeit kaum statt. Hier braucht es Impulse und Identifikation, um das Miteinander wieder zu fördern.

Infrastrukturbereiche wie Kitas, Schulen, Einkaufsmöglichkeiten sind ausbaufähig und sollten vor Ort verbessert werden. Die ambulante medizinische Versorgung hat sich verschlechtert. Von ehemals drei Hausarztpraxen sind inzwischen zwei geschlossen.

Auch im Bereich der Mobilität gibt es Verbesserungspotentiale. Die Dörfer sind heute sehr stark durch Berufspendel- und Schwerlastverkehre belastet, auf Straßen, die für diese Verkehre nicht geeignet sind.  Das Ziel sollte eine Verringerung der Durchgangsverkehre sein. Um dies zu erreichen, sollte eine enge Kooperation mit den Arbeitgebern vor Ort gesucht werden, da diese viele Verkehre entweder durch Pendelverkehre der Mitarbeitenden oder Lieferverkehre verursachen. Dass dies funktionieren kann, zeigte kürzlich das Beispiel von Airbus. Solche Zusammenarbeiten müssen ausgebaut werden.

Die Menschen, die in Neuenfelde und Cranz leben sind heute wegen der schlechten ÖPNV Anbindung aber auch selbst häufig auf ihr Auto angewiesen. Viel Verbesserungspotential besteht beim Bus- und Fährverkehr und bei On-Demand- und Sharing-Angeboten. Die Infrastruktur für den Fuß- und Radverkehr ist in weiten Teilen schlecht oder nicht vorhanden.  

Mit dem Rahmenprogramm integrierte Stadtteilentwicklung (RISE) wollen wir die Bedürfnisse der Menschen in Cranz und Neuenfelde detailliert erfassen und Lösungen, Orte und Angebote dafür entwickeln. Dabei wäre auch eine behutsame Nachverdichtung möglich, zum Beispiel indem bislang untergenutzte Flächen hochwertiger und multifunktionaler gestaltet werden sowie Verdichtungspotentiale geprüft werden.

Ein Erfolgsfaktor der RISE-Projekte ist die Einbindung der Menschen vor Ort. Die Menschen aus Neuenfelde und Cranz kennen ihre Dörfer, sie sind die Expert:innen vor Ort. Sie haben Ideen, Wünsche, Sorgen und kennen die Potentiale ihrer Quartiere, die als Grundlage für eine integrierte Stadtteilentwicklung unverzichtbar sind.

 

Petitum/Beschluss


 

Das Bezirksamt wird nach §19 BezVG gebeten, eine Voruntersuchung mit Gebietszuschnitt für das Rahmenprogramm Integrierte Stadtteilentwicklung (RISE) für Neuenfelde und Cranz anzufertigen. Im weiteren Schritt werden die konkreten Förderbedarfe des Gebietes im Rahmen einer Problem- und Potentialanalyse identifiziert. Der Gebietszuschnitt mit den ersten Erkenntnissen soll zunächst dem Regionalausschuss Süderelbe vorgestellt werden.

Bei der Voruntersuchung sind folgende Themenbereiche zu berücksichtigen:

-        Soziale Infrastruktur für verschiedene Personengruppen

-        Sonstige Infrastruktur wie Kitas, Schulen, Einkaufsmöglichkeiten und medizinische Versorgung

-        Integration, Inklusion, Kultur und nachbarschaftliches Zusammenleben

-        Erweiterungsmöglichkeiten des Kinder- und Jugendarbeit Freizeitzentrum Rote Hütte“ und Schaffung weiterer Orte für Kinder und Jugendliche

-        Integration der neuen Nutzung des Sietas-Geländes in die dörflichen Strukturen

-        Verbesserungsmöglichkeiten der Wohnsituation der öffentlich-rechtlichen Wohnunterkunft am Neuenfelder Fährdeich und der sozialen Integration der dort lebenden Menschen, insbesondere der Kinder und Jugendlichen  

-        Wohnumfeldverbesserungen in der Seehofsiedlung in Neuenfelde und in der Siedlung am Estebogen in Cranz in Kooperation mit der Immobiliengesellschaft Heimstaden und der SAGA bei Bedarf in weiteren Quartieren, etwa durch Schaffung oder Aufwertung von Spielplätzen, Sportflächen und Grünanlagen

-        Behutsame Nachverdichtung, z. B. durch verbesserte Nutzung bisher untergenutzer Flächen oder durch andere geeignete Maßnahmen

-        glichkeiten, die Mobilität im Umweltverbund in Cranz und Neuenfelde zu verbessern, sowohl beim ÖPNV und durch On-Demand-Angeboten wie hvv hop oder MOIA, als auch durch Carsharing wie hvv switch oder Dorfstromer sowie durch Verbesserungen in der Infrastruktur für den Fuß- und Radverkehr

-        glichkeiten, die Belastungen durch den Berufspendel- und Schwerverkehr zu reduzieren

Die Einrichtung eines neuen RISE-Gebietes in Neuenfelde und Cranz soll bei der Stadtentwicklungsbehörde beantragt werden.

Die Behörde für Stadtentwicklung und Wohnen wird gemäß §27 BezVG gebeten, die Einrichtung eines RISE-Gebietes in Neuenfelde und Cranz zu unterstützen.

 

FREIE UND HANSESTADT HAMBURG

Bezirksamt Harburg

 

 

      29. August 2024

 

 

Das Bezirksamt Harburg nimmt zu dem gemeinsamen Antrag, Drs. 21-3830 wie folgt Stellung:

 

Mit dem Beschluss der Drs. 21-3830 neu wurde die Verwaltung des Bezirksamtes Harburg gemäß § 19 BezVG gebeten, eine Voruntersuchung mit Gebietszuschnitt für das Rahmenprogramm Integrierte Stadtteilentwicklung für Neuenfelde und Cranz anzufertigen.

Im gleichen Petitum wurde außerdem die Behörde für Stadtentwicklung und Wohnen gemäß § 27 BezVG gebeten, die Einrichtung eines RISE-Gebietes … zu unterstützen.

Das Fachamt Sozialraummanagement hat daraufhin zunächst anhand der Förderrichtlinien geprüft, ob für den Betrachtungsraum eine Festlegung als RISE-Gebiet in Frage kommt.

Geprüft wurden die (drei) RISE-Programme Wachstum und nachhaltige Erneuerung Lebenswerte Quartiere gestalten“, Sozialer Zusammenhalt Zusammenleben im Quartier gemeinsam gestalten“ sowie "Lebendige Zentren Erhalt und Entwicklung der Orts- und Stadtkerne".

Die Einschätzungen des Fachamtes wurden sodann mit der zuständigen Behörde für Stadtentwicklung und Wohnen (BSW) beraten. Nach einer abschließenden Bewertung durch die BSW kann dem Antrag nicht entsprochen werden, da die Voraussetzungen r die Festlegung eines RISE-Gebiets nicht gegeben sind.

r eine Festlegung im Programm Wachstum und nachhaltige Erneuerung Lebenswerte Quartiere gestalten“ fehlt ein umfassender städtebaulicher Entwicklungsansatz mit hohem Potenzial für den Wohnungsbau, wie es z.B. in den Gebieten Harburger Binnenhafen / Neuland - Nordwest und Neugraben - Fischbek der Fall ist. In beiden Fällen ist mit einem hohem Bevölkerungswachstum zu rechnen, welches durch das Programm flankiert wird.

Bezüglich des Programms Sozialer Zusammenhalt Zusammenleben im Quartier gemeinsam gestalten“ ist vor allem das Sozialmonitoring für eine Gebietsfestlegung ausschlaggebend. Hierbei werden die Indikatoren „Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund“, „Kinder von Alleinerziehenden“, „SGB-II-Empfängerinnen u.
-Empfänger“, „AsylbLG-Empfängerinnen u. -Empfänger“, „Arbeitslose“, „Kinder in Mindestsicherung“, „Mindestsicherung im Alter“ sowie „Schulabschlüsse“ betrachtet. Im Betrachtungsraum weist nur ein Statistisches Gebiet (103 002, Quartier "Seehof-Siedlung") einen niedrigen Statusindex aus. Leider weist in diesem Zusammenhang dieses statistische Gebiet zu wenig Entwicklungsmöglichkeiten und somit Projektportfolio auf, um eine Festlegung zu rechtfertigen. Des Weiteren ist der vorgeschlagene Betrachtungsraum insgesamt zu fragmentiert und räumlich zu weit auseinanderliegend, um ein Zusammenwachsen durch städtebauliche Maßnahmen zu erreichen. Zusammen mit den beschriebenen Charakteristika des Sozialmonitorings führt dies zu der Bewertung, dass eine Gebietsfestlegung nicht gerechtfertigt werden kann.

Eine Festlegung im Programm „Lebendige Zentren“ schließt sich bereits aufgrund der Ausrichtung des Programmfokus aus, da dieser auf Kernbereiche mit hoher Zentrumsfunktion ausgerichtet ist, vergleichbar mit dem Gebiet Harburger Innenstadt / Eißendorf Ost.

 

Die Stadtteile bleiben aber weiterhin unter Beobachtung des Bezirksamtes. Ziel ist es, alternative Lösungsansätze im Hinblick auf die Angebote für Jugendliche sowie die Herbeiführung eines besseren Miteinanders der unterschiedlichen ortsansässigen Bevölkerungsgruppen (gewachsene Dorfgemeinschaften / ehem. Werftarbeiterfamilien / Geflüchtete) zu finden.

 

 

Fredenhagen