Pastor Mletzko, Vorstandsvorsitzender der Evangelischen Stiftung Alsterdorf, erwähnt einleitend, dass die umgebaute Kirche St. Nicolaus zukünftig ein Ort für inklusive Gottesdienste und Andachten sowie Veranstaltungen und Begegnungen sein soll.
Die Kirche St. Nicolaus bildet den historischen Kern der heutigen Evangelischen Stiftung Alsterdorf. Sie wurde 1889 erbaut und ist das letzte Gebäude, das Pastor Heinrich Matthias Sengelmann, der Gründer der Stiftung, noch selbst bauen ließ. In diesem Gebäude zeigt sich deutlich die Geschichte der Stiftung: Vergangenheit und Gegenwart werden spür- und erlebbar. Anhand der Kirche St. Nicolaus wird deutlich, wie sich das Verständnis in Bezug auf den Umgang mit Menschen mit Behinderung im Laufe der Geschichte gewandelt hat: Bis heute sind noch Reste der Blumenbemalung an einer Stelle im Innenraum zu sehen, die Pastor Sengelmanns Verständnis von Menschen mit Behinderung und deren gleichwertigen Platz in der Gesellschaft ausdrücken.
Das 1938 entstandene Altarbild in der Kirche St. Nicolaus ist eines der wenigen erhaltenen Zeugnisse kirchlicher Kunst aus der Zeit des Nationalsozialismus in Hamburg. Die Botschaft dieses Bildes steht im Widerspruch zu den Ideen Heinrich Sengelmanns und vor allem zu dem heutigen Verständnis von Inklusion, dass alle Menschen gleiche Rechte haben und ein wertvoller Teil der Gesellschaft sind.
Die Einrichtung sogenannter „Krampflogen“, ein abgetrennter Bereich der Kirche, entsprach durchaus auch dem Anliegen Sengelmanns. Es sollte ein Schutzraum geschaffen werden und bedeutete aber trotzdem eine erneute Ausgrenzung der betroffenen Menschen im Gottesdienst. Eine dieser Logen wurde bewusst nach dem Umbau erhalten.
Das umstrittene Altarbild auf der Wand stammte aus dem Jahr 1938 und zeigt den gekreuzigten Jesus umgeben von zwölf Menschen mit Heiligenschein und drei offenbar behinderten Menschen ohne Heiligenschein. Es ist als Sgraffito direkt auf den Putz gemalt. Gedeutet wird es, dass behinderte Menschen keine direkte Nähe zu Gott haben, sondern dafür Helfer benötigen. Der Anblick des Bildes sei für viele Bewohner der Stiftung „unerträglich“ gewesen.
Im Zuge der Baumaßnahme wurde die 53 Tonnen schwere Altarwand mit dem Altarbild der Kirche entnommen. Die zwölf Meter hohe Wand wurde im Außenbereich der Kirche als Mittelpunkt eines Lern- und Gedenkortes, der sich mit der Geschichte der ehemaligen Alsterdorfer Anstalten in der NS-Zeit auseinandersetzt, platziert. Auf der Rückseite der Wand sind noch die Namen der 513 Bewohnerinnen und Bewohner, die während der NS-Zeit, unter dem NS-nahen Direktor Karl Friedrich Lensch, ermordet wurden, eingraviert.
Nach der baulichen Versetzung des Altarbildes ist wieder ein Fenster eingesetzt worden, das die Kirche räumlich öffnet.
In St. Nicolaus findet jeden Sonntag Gottesdienst statt. Die Kirche verfügt nicht über eine eigene Pfarrstelle, sondern gehört zur Martin-Luther-Gemeinde zu Hamburg Alsterdorf.
Die Evangelische Stiftung Alsterdorf ist mit rund 7.000 Mitarbeitenden in Hamburg, Schleswig-Holstein und Niedersachsen eine der bundesweit größten Einrichtungen für behinderte Menschen, mit Eingliederungshilfe, Wohnen und Krankenhäusern.
Das Evangelische Krankenhaus Alsterdorf ist Akademisches Lehrkrankenhaus des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf und hat einen besonderen Auftrag für die fachmedizinische und pflegerische Versorgung von Menschen mit Behinderungen.
An der Bugenhagenschule in Alsterdorf werden Schüler*innen mit allen Förderbedarfen unterrichtet. Der inklusive Gedanke kann weitestgehend umgesetzt werden.
Mittlerweile sind alle Restflächen auf dem Gelände aufgebraucht, aber an der Gestaltung bzw. im Bestand können bei Bedarf Änderungen/Anpassungen vorgenommen werden.
Die Strategie der Stiftung Alsterdorf für die nächsten 5 Jahre setzt verstärkt auf den Ausbau von Arbeitsplätzen und die Gewinnung von Fachkräften. Insbesondere wird der Fokus auf Menschen mit psychischen Erkrankungen ausgerichtet, weil in dem Bereich nur sehr begrenzte Betreuungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen. Weitere Herausforderungen sind die Digitalisierung sowie die Schaffung von Wohnungen für Auszubildende und Mitarbeitende auf dem Gelände.
Herr Voß berichtet zu den baulichen Entwicklungen der ESA in den letzten Jahren, beginnend mit der Öffnung des Geländes und dem Bau der Alsterdorfer Gärten, resp. 140 Wohnungen an der Alsterdorfer Straße. In den kommenden Jahren wird sich das Gesicht des 20ha großen ESA-Geländes deutlich verändern. Das Krankenhaus wird einen zweiten Neubau erhalten. Mit dem Koops-Quartier wird die ESA inklusives Wohnen in 90 barrierearmen Wohnungen realisieren. Die Rohbauarbeiten sind bereits beendet, der Innenausbau wird vorangetrieben, Fertigstellung soll im 3.Quartal 2024 sein.
Der Alsterdorfer Markt steht, trotz einiger Neubauten, als Ensemble unter Denkmalschutz, Bescheide und Gelder für die Sanierung von sechs denkmalgeschützten Gebäuden (Straße der Inklusion) stehen noch aus und werden Anfang 2024 erwartet. Die Außenanlagen sind Teil dieser Umgestaltung, so dass eine freiräumliche Anbindung vom Alsterdorfer Markt zum Vorplatz der Kirche baulich gestaltet werden kann.
Außerhalb des ESA-Geländes wurde in Hamburg-Schnelsen ein Neubau mit 40 Wohnungen fertiggestellt, der mittlerweile bezogen wurde, ebenso in Bargfeld-Stegen.
Der Vorsitzende eröffnet die Diskussion.
Frau Lütjens möchte der ESA ihren Dank für die heute zur Verfügung gestellten Räumlichkeiten aussprechen und weist hin auf die Eröffnungsveranstaltung der Woche des Gedenkens zum Thema „Euthanasie und Zwangssterilisation“ am 27.01.2024, ebenfalls in der St. Nicolaus Kirche. Frau Lütjens fragt, ob die ESA sich an der Veranstaltungsreihe beteiligen könne.
Herr Lewin spricht der ESA ebenfalls seinen Dank aus und stellt dar, dass sich der Begriff „Alsterdorfer Anstalten“ langsam aus dem Gedächtnis streiche und sich die Bezeichnung „Stiftung Alsterdorf“ für das Gelände eingeprägt habe. Mit dem Alsterdorfer Marktplatz, den vielen Veranstaltungen auf dem Gelände sei der Stiftung eine prima Stadtteilentwicklung für Alsterdorf gelungen.
Frau Ros möchte sich dem Vorredner anschließen und fragt nach dem Datum für das Richtfestes des Koop-Quartiers.
Herr Voß sagt, ein offizielles Richtfest sei nicht vorgesehen, da es sich um ein komplexes Bauwerk handle und die einzelnen Gebäudeteile in unterschiedlichen Bauphasen fertiggestellt werden. Nach Fertigstellung des Gesamtkomplexes denke man über eine Einweihungsfeierlichkeit nach.
Pastor Mletzko möchte insofern ergänzen, als 90 Wohnungen unterschiedlichen Nutzungen zugeführt werden, d.h. Menschen mit und ohne Behinderungen bzw. mit und ohne Bezug zu Alsterdorf dort einziehen werden.
Frau Schenkewitz möchte wissen, wie mit Patient*innen der Geriatrie, die allein z.B. den Gottesdienst nicht besuchen können, umgegangen werde.
Pastor Mletzko erinnert an die Zeit, als noch über 1000 Menschen mit Behinderung hier gelebt haben und begonnen wurde, diese Menschen in die Stadt / andere Stadtteile zu integrieren. Heutzutage leben hier noch ca. 200 Menschen.
Es sei Teil der Strategie, dass auf dem ESA-Gelände nicht nur stiftungseigene Einrichtungen etabliert sind, so gebe z.B. das Haus der Barrierefreiheit Anregungen für Jedermann wie die eigenen 4-Wände barrierefrei aus- bzw. umgebaut werden können. Des Weiteren seien Ärzte und andere Gewerbeeinheiten nicht Teil der Stiftung.
Insgesamt stehe der sozialräumliche Gedanke im Vordergrund, was bedeute, dass Menschen durch unterschiedliche Unterstützungssysteme geholfen werde, im Stadtteil / im Quartier anzukommen, um dort gut leben zu können. Eines dieser Projekte (Q8 - Leben im Alter) konnte durch die finanzielle Unterstützung von Frau Klatten, BMW, angeschoben werden.
Da es mit mehreren Demenzerkrankten oft unruhig im Gottesdienst sei, werde versucht, direkt auf den Stationen in kleinen Gruppen Gottesdienste und Andachten zu halten, so dass sich die Patient*innen in ihrem Umfeld sicher fühlen.
Im Krankenhaus gebe es auch einen speziellen Andachtsraum.
Mithilfe eines anderen Projekts gehe es über den Aufbau eines demenzsensiblen Krankenhauses hinaus, d.h. der Fokus liege nicht nur darauf, wie das gesamte Krankenhaus demenzsensibel werde, sondern auch wie die Spiritualität von Menschen und ihren Angehörigen, die großen Herausforderungen ausgesetzt seien, gestärkt werden könne.
Frau Clément möchte mehr Details zu dem Neubau wissen (Anzahl der Zimmer, m², Preise).
Herr Voß antwortet, dass die Wohnungen nach dem klassischen IfB-Mix (Hamburgische Investitions- und Förderbank) geplant und gebaut werden: 70% öffentlich gefördert, 30% frei finanziert (ca. 27 frei finanzierte Wohnungen). Es werden 2-Zi-Whg bis hin zu 3,5-Zi-Whg gebaut. Der Mietpreis liege bei ca. 14,00-14,50 €/m².
Herr Noß dankt beiden Referenten für deren Vortrag.