22-3021.2

Verkehrssituation im Karolinenviertel; hier: Beiratsempfehlung des Quartiersbeirates Karolinenviertel vom 17. Mai 2022

Vorlage öffentlich

Bera­tungs­reihen­folge
Gremium
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09.04.2024
14.11.2023
Sachverhalt

Der Cityausschuss hat sich in seiner Sitzung am 08.11.2022 mit der nachfolgend aufgeführten Vorlage / Beiratsempfehlung Drs. Nr. 22-3021 befasst und von einer Beschlussfassung über die Beiratsempfehlung zunächst abgesehen. Der Cityausschuss hat stattdessen einstimmig beschlossen, dass die Fachbehörde um eine fachliche Einschätzung / Stellungnahme zu den in der Empfehlung aufgeführten Punkten gebeten wird.

 

Der Quartiersbeirat Karolinenviertel hat in seiner Sitzung am 17. Mai 2022 folgende Beiratsempfehlung verabschiedet:

 

Die Zukunftswerkstätten „Karolinenviertel 2030“ haben sich verschiedenen Schwerpunktthemen wie Verkehr, Grünflächen und nachbarschaftliches Miteinander gewidmet. Aus den Werkstätten sind zahlreiche erste Ideen entwickelt worden, die nun in kleinen Arbeitsgruppen weiter ausgearbeitet wurden.

 

Ergebnisse aus der AG Verkehr

Als mehrheitlicher Wunsch wurde im Rahmen des Workshops der Wunsch geäert, die verkehrliche Situation innerhalb des Karolinenviertels zu ändern. Demnach besteht ein Wunsch nach mehr Fläche für Fußnger:innen und Radfahrer:innen und eine limitierte Fläche für den ruhenden Verkehr. Ebenfalls soll über eine begrenzte Zufahrt in das Viertel nachgedacht werden. Sollte ein neues Verkehrskonzept für das Karolinenviertel entworfen werden, ist angedacht, dieses zunächst innerhalb einer Testphase auszuprobieren.

 

Bezüglich der Parksituation ist angedacht eine Prüfung zu veranschlagen, inwiefern der Bau einer Quartiersgarage möglich sei, bzw. ob die Anwohner:innenparkplätze in die angrenzenden Parkhäuser verlagert werden könnten.

Bereits 2006 fand eine Prüfung zur Parksituation im Karolinenviertel statt, welche zu dem Ergebnis kam, dass eine Überbelegung der Anwohner:innenparkplätze vorliegt. Demnach seien 110% der Stellplätze im Viertel belegt. Die Schlussfolgerung dieser Untersuchung war, dass das Bewohner:innenparken im öffentlichen Raum keine angemessene Maßnahme sei. Vielmehr sollten die Parkflächen in den angrenzenden Parkhäusern genutzt werden, welche insbesondere nachts in Anspruch genommen werden könnten.

 

Eine Feststellung im Rahmen des Workshops war ebenfalls, dass der Verkehrsraum des Karolinenviertels stark unterschiedlich genutzt wird. Demnach seien ein Teil der Straßenzüge von einer starken Belegung des ruhenden Verkehrs belastet, was zu einer Einschränkung der Gehwege führe. Andrerseits existierten auch Straßenzüge, welche weitestgehend unberührt vom ruhenden Verkehr seien und freie Bürgersteige aufweisen würden.

 

Im Bereich des Feldecks würde es insbesondere zu Domzeiten zu einem Verkehrschaos und Rückstau bis zur U-Bahnhaltestelle Feldstraße kommen. Eine Situation, welche sich insbesondere daraus ergibt, dass freie Parkplätze in den Parkhäusern Messe-Ost und Messe-Mitte ungenutzt bleiben würden.  

 

Im Zuge des Workshops wird zugleich ersichtlich, welche Handlungsmöglichkeiten bezüglich einer Umgestaltung von Verkehrsflächen besteht. So existieren bspw. Verkehrsversuche am Jungfernstieg oder im Rathausquartier. Weiterhin konnte in der Vergangenheit die Verkehrsfläche am heutigen Karolinenplatz in eine Platzfläche um-gewandelt werden.

 

Ein Ideal für die Veränderung der Verkehrssituation im Karolinenviertel, stellt die Planung aus Sicht der Fußnger:innen dar. Angelehnt an das Prinzip der 15-Minuten-Stadt (auch „Stadt der kurzen Wege“) soll die Fußufigkeit im Alltag erhöht werden, sodass zugleich eine intensivere Nutzung des öffentlichen Raums zugunsten der Bewohner:innen und Besucher:innen des Karolinenviertels möglich sei.

 

Weiterhin ergibt die Untersuchung des Workshops, dass etwa 71% der Haushalte in St. Pauli kein Auto besitzen und die verkehrliche Situation über die drei U-Bahnanschlüsse und eine S-Bahnstation gesichert und als sehr günstig eingestuft werden kann.

 

Im Zuge der Untersuchung der Parkhäuser Messe-Mitte, Messe-Ost und Karostar ergibt sich, dass etwa 564 Stellplätze in diesen angrenzenden Parkhäusern untergebracht werden könnten. Derzeit liege ebenfalls ein Bewirtschaftungsdefizit im Bewohner:innenparken vor. Demnach sei der Bewohnerparkausweis sehr günstig, im Vergleich zum Messeparken. Hierdurch würde ein falscher Anreiz zum Halten eines Autos gesetzt werden. Um die Autos aus dem öffentlichen Raum des Karolinenviertels zu beseitigen und die angrenzenden Kapazitäten der Parkhäuser zu nutzen, sodass eine Verbesserung der Situation für Fußnger:innen und Radfahrer:innen erzeugt wird.

 

Beiratsempfehlung

Vor diesem Hintergrund wird folgende Beiratsempfehlung gefasst: Der Quartiersbeirat Karolinenviertel bittet den Cityausschuss darum, sich für eine zeitnahe Umsetzung eines Verkehrsversuchs im Karolinenviertel unter Berücksichtigung folgender Aspekte bei der Verwaltung einzusetzen:

 

  • Eine temporäre Sperrung der Verkehrsflächen für Autos, welche eine kurzfristige Wirkung erzielt. Eine solche Sperrung könnte durch Einfahrsperren realisiert werden. Hierzu ist lediglich eine Zufahrt in das Karolinenviertel vorgesehen. Eine Zufahrt soll zugleich lediglich innerhalb eines tageszeitlich festgelegten Zeitraums möglich sein.
  • Weiterhin könnte ein Logistik-Hub am Karolinenplatz eingerichtet werden.
  • Auf der Karolinenstraße könnte ein Einrichtungsverkehr initiiert werden, sodass die zweite Fahrbahn zu einer neuen Veloroute umfunktioniert werden könnte.
  • Die Bewohner:innenparkplätze könnten in die angrenzenden Parkhäuser ausgelagert werden. Zugleich könnten die Parkhäuser zu einem kreativen Ort umgestaltet werden, als Art Room. Eine Kooperation mit KreaStart ist hierfür denkbar.

 

Im Rahmen des Vorhabens müssten sowohl Gewerbetreibende, fachliche gemeinnützige Organisationen, politische Parteien des Bezirksamts Mitte sowie die Verwaltung des Bezirksamts Mitte und der Landesbetrieb Verkehr sowie die Polizei beteiligt und zu einer Mitwirkung aufgefordert werden.

 

Abstimmungsergebnis:

 

Insgesamt

Stimmberechtigte Mitglieder

Politik

Dafür

18

14

2

Dagegen

0

0

0

Enthaltung

2

1

1

 

 

 

Die Behörde für Verkehr und Mobilitätswende (BVM) gibt mit Schreiben vom 23.10.2023 folgende Stellungnahme ab:

 

 

1. Vorbemerkung

Die Behörde für Verkehr und Mobilitätswende (BVM) begrüßt im Grundsatz den Vorschlag des Quartiersbeirates Karolinenviertel, das Karolinenviertel autoarm umzugestalten. Das entspricht dem Hamburger Ziel, eine Mobilitätswende herbeizuführen und den Anteil des Umweltverbunds an allen in Hamburg zurückgelegten Wegen auf 80 % anzuheben (80:20-Ziel). Durch die zentrale Lage, die hohe Dichte und die hervorragende Anbindung an den ÖPNV (U-Bahn, Busse) ist das Gebiet sehr gut geeignet, um eine neue Nutzung zu erproben. Aufgrund der Lage und der seit mehreren Jahrzehnten bestehenden Verkehrsberuhigung kann schon heute davon ausgegangen werden, dass kein Durchgangsverkehr im Karolinenviertel vorhanden ist, sodass durch eine Umgestaltung keine großumigen Einflüsse auf den Busverkehr oder auf den motorisierten Individualverkehr zu erwarten sind. Aus diesem Grund ist auch davon auszugehen, dass die im Antrag vorgeschlagene Neuordnung des Parkens unter Einbeziehung der in der näheren Umgebung vorhandenen Parkhäuser zu den erwünschten positiven Ergebnissen für die Aufenthaltsqualität im Quartier führen kann.

 

2. Hauptverkehrsstraßen

Die Karolinenstraße ist die einzige von dem Beschluss berührte Hauptverkehrsstraße. Sie liegt damit in der Zuständigkeit der BVM.

Die Karolinenstraße hat zwei Fahrstreifen je Richtung für den MIV. Die Bestandsradwege weisen auf den meisten Abschnitten eine Breite von 1,50 m auf und entsprechen somit nicht den aktuellen Regelbreiten. Im Hinblick auf die übergeordnete Bedeutung des Straßenzugs für den Radverkehr, die sich aus Daten zum Radverkehrsaufkommen ergeben, ist eine Optimierung der Radverkehrsinfrastruktur anzustreben. Wie und ob die Karolinenstraße umgestaltet werden könnte, kann jedoch nicht ohne weitere Untersuchungen beantwortet werden, da hier Eingriffe in die betroffenen Knotenpunkte und auch in die entsprechenden Lichtsignalanlagen notwendig wären. Des Weiteren kann die Verbesserung der Radverkehrsinfrastruktur auf der Karolinenstraße nicht losgelöst von den Anschlussstrecken betrachtet werden, die ebenfalls mit untersucht werden müssten. Eine teilräumliche Untersuchung dieses Bereiches ist derzeit nicht vorgesehen. Aufgrund der zahlreichen laufenden Untersuchungen und vor dem Hintergrund begrenzter Ressourcen kann diese auch nicht kurzfristig umgesetzt werden.

 

3. Quartiersstraßen

Bei allen weiteren Straßen handelt es sich um Quartiersstraßen, die sich in der Zuständigkeit des Bezirksamts Hamburg-Mitte befinden. Vor dem Hintergrund der Vorbemerkung gibt die Behörde für Verkehr und Mobilitätswende hierzu die folgende Einschätzung ab:

Die derzeitige Gestaltung stammt überwiegend aus den 90-er Jahren. Sie entspricht dem damaligen Stand der Technik und setzt verschiedene Mittel zur Verkehrsberuhigung von Quartieren effizient ein (Zone 20 mit Diagonalsperre, Verschwenkungen, Neuordnung des Parkens u. a.). Die Gestaltung ist jedoch in die Jahre gekommen, im Laufe der Zeit kamen unterschiedliche Hindernisse auf Gehwegen z. B. durch Ladesäulen hinzu. Die Breiten der für den Fußverkehr bereitgestellten Flächen entsprechen heute nicht mehr den Ansprüchen an die Qualität und Barrierefreiheit von Fußverkehrsanlagen. Die vorgeschlagene Neugestaltung kann daher zu einer erheblichen Aufwertung führen. Hierbei sollte aber nicht alleine die verkehrliche Dimension im Vordergrund stehen. Vielmehr sollte auch die Aufenthalts- und Grünqualität verbessert werden. Dadurch ergeben sich auch deutliche Vorteile bei Luft- und Lärmemissionen.

Dazu passt auch der in dem Beschluss der Bezirksversammlung genannte Wunsch der Anwohnenden, mehr Fläche für den Fuß- und Radverkehr bereitzustellen und die Flächen zum Parken zu reduzieren und parkende Fahrzeuge in nahegelegene Parkhäuser zu verlagern.

Positiv ist ebenfalls hervorzuheben, dass es im Quartier bereits wie im Antrag erwähnt viel Unterstützung für eine derartige Gestaltung gibt (Befassung durch den Quartiersbeirat, Durchführung von Zukunftswerkstätten „Karolinenviertel 2030“) und diese aus dem Quartier selbst vorgeschlagen wird.

Der konkrete weitere Prozess sollte unter Beachtung der örtlichen Belange durch das Bezirksamt geplant und durchgeführt werden. Die BVM empfiehlt, dafür auskömmliche finanzielle und personelle Mittel zur Verfügung zu stellen, um den Erfolg des Projekts nicht zu gefährden. Bei der Berechnung der erforderlichen Bedarfe sollte auf die Erfahrungen aus ähnlichen Projekten (bspw. Ottensen macht Platz) zurückgegriffen werden. Dies zeigt nach Kenntnis der BVM, dass ca. zwei Vollzeitstellen zur Bearbeitung benötigt werden. Eine intensive Beteiligung ist bei diesen Prozessen wichtig. Diese Stellen müssten zusätzlich zum Bestand generiert werden, um die Umsetzung von Maßnahmen gemäßndnis für den Rad- und Fußverkehr nicht zu gefährden.

 

4. Logistik-Hub

Die Etablierung von Logistik-Hubs in Form von (möglichst anbieterübergreifenden) Micro Hubs entspricht der Zielsetzung des Senats (vgl. Drs. 22/5939 „Urbane Logistik Hamburg Strategie für die Letzte Meile“). Von einem Micro Hub auf dem Karolinenplatz könnte grundsätzlich lokal emissionsfrei mit alternativen Transportmitteln wie Lastenfahrrädern im Quartier zugestellt werden. Die Umsetzbarkeit eines Logistik-Hubs in Form eines Micro Hubs für den konkreten Standort Karolinenplatz sollte in Kenntnis aller örtlichen Faktoren und damit auf Bezirksebene beurteilt werden.

 

5. Temporäre Umgestaltung

Die BVM begrüßt ausdrücklich, dass einer Umgestaltung eine Testphase vorausgehen soll.

Im Bündnis für den Rad- und Fußverkehr, das im Mai 2022 von 28 Bündnispartnern darunter der Erste Bürgermeister und die Präsides der zuständigen Fachbehörden unterzeichnet wurde, legt dies in Abschnitt 4.7 „Pilotprojekte“ fest: „Um neue Impulse der nachhaltigen Mobilitätsgestaltung zu geben, sollen auch neue Wege beschritten und innovative Pilotprojekte mit wegweisendem Charakter umgesetzt werden. Dabei handelt es sich zunächst um temporäre Maßnahmen, die dazu dienen, Neues auszuprobieren, zu bewerten und ggf. zu evaluieren. Für die Umsetzung von Pilotprojekten begrüßt der Senat ausdrücklich das Prinzip „erst ausprobieren, dann umbauen“. Die u. a. mit dem Projekt „Ottensen macht Platz“ gesammelten Erfahrungen sollen dabei berücksichtigt werden. Die Bezirke können Pilotprojekte vorschlagen und umsetzen. Dies kann z. B. in Form temporärer Fußngerzonen erfolgen. Als rechtliches Instrument ist im jeweiligen Einzelfall zu prüfen, ob die Voraussetzungen der sogenannte Erprobungsklausel (§ 45 StVO Abs. 1, Satz 2, Nr. 6 „Verkehrsversuch“) vorliegen und die Örtlichkeit geeignet ist. Die Projekte werden auf übliche Weise von den betroffenen Fachbehörden begleitet.“ Daraus folgt auch, dass zur Umsetzung von temporären Maßnahmen auch andere rechtliche Instrumente herangezogen werden können. Welches Instrument in diesem Fall geeignet ist, ist durch das Bezirksamt zu prüfen.

 

Insgesamt sieht die BVM keine fachlichen Gründe, die gegen eine testweise Veränderung des öffentlichen Raumes, die vom Quartiersbeirat angeregt und gefordert wird, sprechen. Im Gegenteil: Das Bündnis für den Fuß- und Radverkehr sieht diese Möglichkeit vor. Zur Unterstützung kann der Bezirk diese Maßnahme in den jährlichen Vereinbarungen im Bündnis für den Fuß- und Radverkehr anmelden. Eine Einbeziehung der Karolinenstraße ist jedoch aufgrund des unter 2. genannten Gründe voraussichtlich eher langfristig denkbar. In Bezug auf die Ziele des Bündnisses für den Rad- und Fußverkehr sollte ausgeschlossen werden, dass im geplanten Umsetzungszeitraum im Hinblick auf die zur Verfügung stehenden personellen Ressourcen eine Konkurrenz zu anderen Maßnahmen des Rad- und Fußverkehrs im Bezirk Hamburg-Mitte entsteht.

 

 

 

Die zentrale Straßenverkehrsbehörde Verkehrsdirektion (VD) 5 nimmt mit Schreiben vom 14.12.2022 wie folgt Stellung:

 

  1. Lagebeschreibung

Das Karolinenviertel ist ein Quartier im Hamburger Stadtteil St. Pauli und bildet in administrativer Hinsicht den Ortsteil 108 des Bezirks Hamburg-Mitte.

 

  1. Bewertung

Die Straßenverkehrsbehörden erreichen zunehmend Anträge zur Durchführung von Verkehrsversuchen. Meist liegen diesen Anträgen bezirkliche Beschlüsse zugrunde. In der Regel sollen durch die Erprobungsmaßnahmen Möglichkeiten zur „Steigerung der Aufenthaltsqualität“, sowie Formen der Verkehrsberuhigung ausgelotet werden.

Hierzu liegt der VD 5 von der obersten Landesbehörde bereitseine ausführliche Stellungnahme unter Berücksichtigung der aktuellen Rechtsprechung vor:

Mit der Änderung der StVO vom 28. April 2020 erfolgte auch eine Änderung des § 45 Absatz 9 Satz 4 StVO durch Anfügung der Nummer 7. Demnach sind Erprobungsmaßnahmen nach § 45 Absatz 1 Satz 2 Nummer 6 zweiter Halbsatz StVO von der Begründung einer erheblichen Gefahr (§ 45 Absatz 9 Satz 3 StVO) ausgenommen.

Beschränkungen des fließenden Verkehrs im Rahmen der Erprobung geplanter verkehrsregelnder oder -sichernder Maßnahmen bedürfen damit nicht mehr des Nachweises und einer aufwändigen Begründung einer besonderen örtlichen Gefahrenlage (nach der Rechtsprechung eine um ca. 2/3 gesteigerte Gefahrenlage) für eines der in § 45 StVO genannten Rechtsgüter. Verkehrsversuche nach § 45 Absatz 1 Satz 2 Nummer 6 zweiter Halbsatz StVO sind trotz dieser Neuregelung auch weiterhin ausschließlich im Rahmen des geltenden Rechts, das heißt, nur mit Mitteln der StVO möglich. Eine weitergehende Öffnung des Straßenverkehrsrechts für zeitlich und örtlich begrenzte Verkehrsversuche bedarf einer Änderung auf Gesetzesebene.

Allerdings dient die Ermächtigung des § 45 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 StVO der Zielrichtung, mehr Sicherheit im Straßenverkehr zu gewinnen. Erfasst werden sollten also solche Fälle, in denen nicht die Frage zweifelhaft ist, ob überhaupt eine Gefahr für die Sicherheit oder Ordnung des Straßenverkehrs vorliegt, sondern solche, in denen noch geklärt werden muss, welche Maßnahmen zur Abwehr dieser Gefahr geeignet und erforderlich sind. Es genügt deshalb nicht, dass die Straßenverkehrsbehörde eine Gefahr nur vermutet und durch den Verkehrsversuch Aufschluss darüber erlangen will, ob diese tatsächlich gegeben ist. Einen Gefahrerforschungseingriff ermöglicht § 45 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 StVO nicht. Ein bloßer Gefahrenverdacht, d.h. eine Sachlage, in der möglicherweise eine Gefahr vorliegt, deren Feststellung (oder Ausschluss) aber weiterer Untersuchungen bedarf, reicht deshalb nicht aus.

Die Durchführung eines Verkehrsversuchs setzt daher vor der straßenverkehrsbehördlichen Anordnung ein folgerichtiges, systematisches Vorgehen der Straßenverkehrsbehörde voraus. Dies erfordert in der Regel eine sorgfältige Bestandsaufnahme und Bewertung derjenigen Umstände, die die als korrekturbedürftig eingeschätzte Situation begründen und diejenigen verkehrsregelnden Maßnahmen aufzeigen, die geeignet und erforderlich sein können, die Situation auf Dauer zu beseitigen oder zu entschärfen. Erst in diesem Stadium der Planung verkehrsrechtlicher Regelungen kommt die Durchführung eines Verkehrsversuchs als Voraussetzung für eine endgültige Regelung unter Berücksichtigung der Folgen der veränderten Situation in Betracht. Das verbietet es, nach dem Prinzip von "Versuch und Irrtum" im Sinne einer freien, voraussetzungslos anwendbaren Experimentierklausel verkehrsregelnde Maßnahmen zur Probe zu treffen. Für die Darlegung einer Gefahrenlage i.S.d. § 45 Abs. 1 Satz 1 StVO ist eine konkrete Ermittlung und Dokumentation erforderlich.

Maßnahmen nach § 45 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 zweiter Halbsatz StVO müssen daher von der Absicht getragen sein, verkehrsregelnde oder verkehrssichernde Maßnahmen zum Zwecke der Gefahrenabwehr zu erproben. Unzulässig wäre, nicht zu diesem Zweck zu handeln, sondern das verkehrsrechtliche Instrumentarium für einen außerhalb der Gefahrenabwehr liegenden Zweck in Dienst zu nehmen. Maßnahmen, die z.B. darauf gestützt sind eine Abbindung einer Straße vorzunehmen, "um die Aufenthaltsqualität noch zu erweitern", sind unzulässig, da sie damit gerade nicht zur Erprobung von Maßnahmen zur Abwehr einer konkreten Gefahr erfolgen. [vgl. VG Minden, Beschluss vom 24.09.2021 2 L 450/21, juris m.w.N. und VG Frankfurt, Beschluss vom 31.08.2021 - 12 L 1802/21.F -, juris, Rn. 16].

Es ist nicht die originäre Aufgabe der Straßenverkehrsbehörden, grundlegende Entscheidungen zur städteplanerischen Entwicklung von Gemeinden zu treffen. Dies hat der Gesetzgeber in § 6 Abs. 1 Nr. 15 StVG eindeutig anerkannt. Die dort eingeräumte Verordnungsermächtigung betrifft die Kennzeichnung von Fußngerbereichen und verkehrsberuhigten Bereichen. Durch die Verwendung des Begriffs "Kennzeichnung" hat der Gesetzgeber deutlich gemacht, dass den Straßenverkehrsbehörden nicht die Befugnis eingeräumt werden soll zu entscheiden, ob ein Fußngerbereich oder eine verkehrsberuhigte Wohnzone eingerichtet werden soll, weil dies jeweils eine bedeutende lokale städteplanerische Entscheidung der Gemeinde darstellt (vgl. BTDrs 8/3150 S. 10).

Sofern die Maßnahmenumsetzung zur Unterstzung einer geordneten städtebaulichen Entwicklung (§ 45 Absatz 1b Nr. 5 Alternative 2 StVO) erfolgen soll, ist das städtebauliche Konzept im Einvernehmen mit der Gemeinde im Vorwege zu erstellen. Die Vorschrift des § 45 Absatz 1b Satz 1 Nr. 5 Alternative 2 StVO setzt überdies voraus, dass hinreichend konkrete städtebauliche Zielsetzungen vorhanden sind, in die sich die straßenverkehrsbehördliche Anordnung einfügen kann (Steiner, NJW 1993, 3161, 3163). Zu fordern ist ein städtebauliches Verkehrskonzept, das die verkehrsmäßigen Planungen, die aus Gründen der geordneten städtebaulichen Entwicklung für erforderlich oder zweckmäßig gehalten werden, in einem bestimmten räumlichen Bereich darstellt. Überdies muss dieses Verkehrskonzept von den für die Willensbildung in der Gemeinde zuständigen Organen beschlossen worden sein und, soweit es die Veränderung von Verkehrsstraßen und -strömen zum Gegenstand hat, den Erfordernissen planerischer Abwägung genügen. Insoweit muss dargelegt werden, weshalb bestimmte Straßen(züge) entlastet und welche neuen Straßen(züge) in für dortige Anwohner zumutbarer Weise belastet werden sollen und können (BVerwG, Urt. v. 20.04.1994 - 11 C 17.93, NZV 1994, 493, 494). Hierfür ist mindestens erforderlich, die Verkehrsbelastung insgesamt zu ermitteln und eine belastbare Verkehrszählung mit einer gesonderten Ermittlung des Ziel- und Quellverkehrs vorzulegen (VG Regensburg, Urt. v. 26.05.2015 RN 5 K 15.440, juris, Rn. 55).

Zur Beiratsempfehlung „Auf der Karolinenstraße könnte ein Einrichtungsverkehr initiiert werden, sodass die zweite Fahrbahn zu einer neuen Veloroute umfunktioniert werden könnte.“ weist die Straßenverkehrsbehörde am PK 14 auf die Verkehrsbedeutung der Karolinenstraße hin. Sie ist als Hauptverkehrsstraße ein wichtiger Cityzubringer, der montags bis freitags täglich durchschnittlich 19.000 Fahrzeuge bzw. montags bis sonntags durchschnittlich 17.000 Fahrzeuge täglich trägt.

Die Express-Buslinie (X35) der Hochbahn fährt im 10 Minutentakt durch die Karolinenstraße und befördert hierglich ca. 10.000 Passagiere. Sie sorgt auch für die Anbindung an das UKE, den Hauptbahnhof und den Rathausmarkt. Die Karolinenstraße ist dabei sowohl HVV-Ausweichstrecke, falls in der City baustellen- oder veranstaltungsbedingt bestimmte Linien nicht fahrplanmäßig angefahren werden können, als auch leistungsfähige Ersatzverkehrsstrecke (Strecke-ohne-Halt), die Busse benutzen, um Linienstartpunkte zügig zu erreichen. (Auskunft: Hochbahn vom Oktober 2022)

 

  1. Fazit

Verkehrsversuchessen zur Erprobung von Maßnahmen zur Abwehr einer konkreten Gefahr erfolgen, also einer bereits vorhandenen bzw. als wahrscheinlich erkannten und nicht bloß vermuteten Gefahr. Die Maßnahme muss gemäß § 45 Absatz 9 Satz 1 StVO zwingend erforderlich sein.

Die in der Drucksache geforderten Maßnahmen auf Grundlage eines Verkehrsversuches mit dem Ziel der Erhöhung der Wohnqualität/ Schaffung von mehr Räumen für zu Fuß Gehende und Rad Fahrende ist nicht möglich, da sie von § 45 Absatz 1 Satz 2 Nr. 6 zweiter Halbsatz StVO nicht abgedeckt sind.

Eine Gefahrenlage, die Maßnahmen erfordern, wurden nicht behauptet und durch die zentrale Straßenverkehrsbehörde auch nicht erkannt.

Wenn der Straßenbaulastträger eine detaillierte Planung zu städtebaulichen Entwicklung durchgeführt hat und dieser durch Beschluss der Bezirksversammlung Hamburg-Mitte legitimiert ist, kann die örtlich zuständige Straßenverkehrsbehörde des Polizeikommissariats (PK) 14 die weiteren Planungen konstruktiv begleiten.

 

 

 

Das Bezirksamt nimmt mit Schreiben vom 06.11.2023 ergänzend zum Schreiben der Verkehrsdirektion (VD 51) wie folgt Stellung:

 

Die VD 51 hat in ihrer Stellungnahme vom 14.12.2022 mitgeteilt, dass als Voraussetzung für die Umsetzung ein städtebauliches Verkehrskonzept zu fordern ist, das die verkehrsmäßigen Planungen, die aus Gründen der geordneten städtebaulichen Entwicklung für erforderlich oder zweckmäßig gehalten werden, in einem bestimmten räumlichen Bereich darstellt. Überdies muss dieses Verkehrskonzept von den für die Willensbildung in der Gemeinde zuständigen Organen beschlossen worden sein und, soweit es die Veränderung von Verkehrsstraßen und -strömen zum Gegenstand hat, den Erfordernissen planerischer Abwägung genügen. Das erfordert eine umfassende Planung mit einem Abstimmungsprozess, welches die Bewohnerinnen und Bewohner des Viertels, die Bezirkspolitik und die Straßenverkehrsbehörde inhaltlich mitnimmt und beteiligt.

 

Das Bezirksamt bearbeitet aktuell viele verpflichtende Erschließungsmaßnahmen, so dass im laufenden und kommenden Jahr keine Kapazitäten für die Erstellung eines Konzeptes abbildbar sind.

 

Sollte die Erstellung eines Verkehrskonzeptes als prioritär eingestuft werden, ist dies im Bauprogramm Straßen einzuplanen. Im Gegenzug müssten dann andere Maßnahmen zurückgestellt werden.

 

 

 

Petitum/Beschluss

Um Beschlussfassung / Kenntnisnahme wird gebeten.