21-3281

Sichere Schulwege – Vision ZERO Hamburg Auskunftsersuchen von Stephanie Faust-Weik-Roßnagel, Benjamin Harders, Rolf Stünitz, Dana Vornhagen (Fraktion GRÜNE), Karsten Strasser und Cornelia Templin (Fraktion DIE LINKE)

Auskunftsersuchen

Bera­tungs­reihen­folge
Gremium
TOP
17.10.2022
29.09.2022
Ö 7.2
29.09.2022
26.09.2022
Ö 11.3
26.09.2022
Sachverhalt

Am 28. April 2020 ist mit der Vierundfünfzigsten Verordnung zur Änderung straßenverkehrs­rechtlicher Vorschriften eine Änderung der Straßenverkehrs-Ordnung in Kraft getreten. Einige der Neuerungen sind Haifischzähne, Radschnellwege, Grünpfeile für den Radverkehr, Fahrradzonen, Mindestüberholabstand von 1,5 m bzw. 2,0 m für Kfz Führende beim Überholen Radfahrender, das Verbot des Überholens von einspurigen Fahrzeugen für mehrspurige Kraftfahrzeuge und Krafträdern mit Beiwagen sowie Gemeinsame Geh- und Radwege ohne Benutzungspflicht. Am 11. Mai 2021 hat die Behörde für Inneres und Sport mitgeteilt, dass für eine bundesweit einheitliche Umsetzung der Neuregelungen allerdings noch eine die Neuerungen begleitende Anpassung der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zur Straßenverkehrs-Ordnung (VwV-StVO) durch das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur erfolgen müsse (DRS 21-1985). Mit Wirkung zum 15. November 2021 ist die geänderte VwV-StVO in Kraft getreten, welche die Neuerungen berücksichtigt und die Vision Zero als Grundlage aller verkehrlichen Maßnahmen festschreibt.

 

Der Senat räumt der Sicherheit von Schulwegen besondere Priorität ein. In der Einigung mit dem Radentscheid Hamburg vom 6. Mai 2020 heißt es: „Im Rahmen des Bündnisses für den Radverkehr sind bei Planung und Bau der Bezirksnetze als erstes und solche Wege mit Priorität zu finanzieren, die Schulen und Wohnquartiere bzw. Schulen mit Schulen verbinden“ (DRS 22/106). In dem am 17. Mai 2022 vereinbarten Bündnis für den Rad- und Fußverkehr heißt es: „Verkehrssicherheit ist oberstes Gebot der Verkehrspolitik. Hamburg verfolgt daher das Ziel der Vision Zero, also [das] Ziel von null Verkehrstoten und keinen Schwerverletzen. Die Ursachen für schwere Verkehrsunfälle sollen weiterhin systematisch untersucht und konsequent reduziert werden. Besondere Priorität haben dabei Rad- und Fußwege im Umfeld von Schulen.“

 

Immer wieder wenden sich Bürger:innen an Politik und Verwaltung in der Hoffnung, die Verkehrssicherheit in den Wohnquartieren zu erhöhen und hierfür insbesondere die Sichtbarkeit und Wahrnehmbarkeit der Verkehrszeichen zu erhöhen. Mit den Hamburger Richtlinien zur Anordnung von Verkehrszeichen und Verkehrseinrichtungen HRVV - Kapitel Verkehrsberuhigung hat die Behörde für Inneres und Sport Abweichungen von der bundeseinheitlichen Verwaltungsvorschrift beschlossen, die sich negativ auf die Verkehrssicherheit in Tempo 30 km/h-Zonen auswirken können. In Abschnitt 5.5.5 heißt es:

 

„Der Beginn einer Tempo 30-Zone wird mit Zeichen 274.1 StVO und das Ende mit Zeichen 274.2 StVO gekennzeichnet. Die Schilder für den einfahrenden Verkehr sind in der Regel einseitig ausreichend weit von der Kreuzung oder Einmündung entfernt aufzustellen. Im Sinne einer sparsamen Beschilderung sind die Zeichen 274.1-40 (doppelseitig (Rückseite Zeichen 274.2)) zu verwenden (VwV-StVO zu den Zeichen 274,1 und 274.2 II.).

 

Die Zonenzeichen sind in der nächstgrößeren Größe als nach der VwV-StVO vorgesehen anzuordnen (siehe Katalog der Verkehrszeichen, Teil 1 – Allgemeines und VwV-StVO zu §§ 39 bis 43 III. Ziffer 3. g) Rn. 17a). Die Fortdauer der Zonen-Anordnung kann in großen Zonen durch die Aufbringung von 30 auf der Fahrbahn verdeutlicht werden. Dies empfiehlt sich auch dort, wo (im Ausnahmefell) durch Zeichen 301 Vorfahrt an einer Kreuzung oder Einmündung angeordnet ist (VwV-StVO zu § 45 Absatz I bis le XI. Ziffer 3. c)).

 

Für die Anordnung von 30-Piktogrammen auf der Fahrbahn kommen nur Zonen in Betracht, die trotz rechtskonformer Verkehrszeichenregelung ein überdurchschnittlich hohes Maß an

  • Geschwindigkeitsüberschreitungen (Überschreitensquote von mindestens 15 % gemessener Fahrzeuge ab 40 km/h) oder
  • Geschwindigkeits-Unfällen oder Rechts-vor-Links-Unfällen (Unfallhäufungsstellen) oder
  • Fahrbahnquerungen durch Fußgängerinnen und Fußgänger, insbesondere durch Kinder und mobilitätseingeschränkte Personen an bestimmten Örtlichkeiten

aufweisen. Vor der Anordnung von Piktogrammen ist zunächst zu prüfen, ob sämtliche baulichen, sowie straßenverkehrsbehördlichen Maßnahmen zur Einengung der Fahrgasse ausgeschöpft worden sind. Ggf. ist der ruhende Verkehr gesondert zu regeln.“

 

In den Stadtteilen Bahrenfeld und Ottensen fährt nach einem Vorbild aus Barcelona an jedem Schul-Freitag um 7:30 Uhr der Bicibus in Form einer Fahrraddemonstration mit Eltern und Kindern von der Paul-Gerhardt-Kirche zur Schule Rothestraße, um die Kinder sicher zur Schule zu bringen.

 

Zur Erhöhung der Verkehrssicherheit im unmittelbaren Schulumfeld gibt es seit vielen Jahren in Hamburg Bemühungen den Anteil der Kinder, die mit dem Auto bis zum Schuleingang gebracht werden, zu reduzieren. Oftmals sind es gerade die Fahrzeugführenden sogenannter Elterntaxis, die im morgigen Berufsverkehr gefährliche Situationen im unmittelbaren Schulumfeld verursachen.

 

Vor diesem Hintergrund ersuchen wir die Behörde für Inneres und Sport gemäß § 27 BezVG bezogen auf den Bezirk Altona um Auskunft:

 

  1. Tabellarische Auflistung der seit 15. November 2021 angeordneten Verkehrszeichen 244.3, 277.1, 342, 350.1, 721 sowie der Sinnbilder „Fußgänger“ und „Radverkehr“ (Gemeinsame Geh- und Radwege ohne Benutzungspflicht) (Anlage 1) mit Angaben zu Ort und Datum

 

  1. Welche weiteren Anordnungen der vorgenannten Zeichen zur Erhöhung der Verkehrssicherheit sind bereits geplant, wann ist hiermit zu rechnen und wie gehen die Straßenverkehrsbehörden hierbei vor?

 

  1. Mit welchen Anordnungen können die mit dem Radentscheid vereinbarten „möglichst MIV-verkehrsarme Tempo 30-Zonen“ im Schulumfeld erreicht werden?

 

  1. An welchen Kreuzungen wurden „Rundum-Grün“-Schaltungen für den Fuß- oder Radverkehr angeordnet?

 

  1. Wie bewertet die Behörde für Inneres und Sport die Einhaltung des Mindestüberholabstands beim Überholen Radfahrender durch Kfz Führende in der Klausstraße im Bereich eines neu eingerichteten Fahrrad-Schutzstreifens, wie können/müssen sich Fahrzeugführende dort regelkonform verhalten (Anlage 2)?

 

  1. Wann hat die Behörde für Inneres und Sport entschieden, dass neu aufgestellte Zeichen für 30 km/h-Zonen in Hamburg statt in der Größe der Ronde von 600 mm (Größe des Schilds 840 mm x 840 mm) mit einem Durchmesser von nur 420 mm (Größe des Schilds 600 mm x 600 mm) ausgeführt werden sollen?

 

  1. Welche Entscheidungsgründe haben die Behörde für Inneres und Sport nach sorgfältiger Abwägung (RN 13 VwV-StVO zu §§ 39 bis 43 III. Ziffer 3. b) dazu veranlasst, die unter Ziffer 6 festgestellte Abweichung von der VWV-StVO zu beschließen?

 

  1. Welche Gründe haben die Behörde für Inneres und Sport dazu veranlasst, die Aufbringung von 30-Piktogrammen in 30 km/h-Zonen mit den Hamburger Richtlinien zur Anordnung von Verkehrszeichen und Verkehrseinrichtungen HRVV - Kapitel Verkehrsberuhigung in der aktuellen Fassung vom 23.11.2021 durch eine Vielzahl an Voraussetzungen abweichend zur bundeseinheitlichen Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zur Straßenverkehrs-Ordnung (VWV-StVO) derart zu erschweren, dass diese Piktogramme auch ausnahmsweise so gut wie nie aufgebracht werden können?

 

  1. Wie stellt die Behörde für Inneres und Sport sicher, dass alle Abweichungen von der bundeseinheitlichen Verwaltungsvorschrift VWV-StVO in den HRVV stets unter besonderer Berücksichtigung der Vision Zero erfolgen? Randnummer 1 VWV-StVO zu § 1 StVO sieht vor: „Oberstes Ziel ist dabei die Verkehrssicherheit. Hierbei ist die „Vision Zero“ (keine Verkehrsunfälle mit Todesfolge oder schweren Personenschäden) Grundlage aller verkehrlichen Maßnahmen.“ Mit welchen Werkzeugen (z.B. Bewertungsmatrix) und Gewichtung der Entscheidungsfaktoren wird sichergestellt, dass die von der obersten Straßenverkehrsbehörde (Behörde für Inneres und Sport) beschlossenen Abweichungen ermessensfehlerfrei unter Berücksichtigung aller relevanten Auswirkungen dieser Abweichungen auf die Verkehrssicherheit erfolgen?

 

  1. Wie können Eltern einen Bicibus an ihrer Schule einrichten, gibt es hierfür Voraussetzungen?

 

  1. Welche Möglichkeiten zur Reduzierung der sogenannten Elterntaxis im unmittelbaren Schulumfeld nutzt die Behörde für Inneres und Sport in 2022, welche Erkenntnisse oder Erfolge sind bereits feststellbar?

 

 

Die Behörde für Inneres und Sport beantwortet die Fragen wie folgt:

 

Zu 1.

Es erfolgt keine zentrale Erfassung zur Anordnung einzelner Verkehrszeichen. Eine tabellarische Auflistung der seit 15. November 2021 angeordneten Verkehrszeichen 244.3, 277.1, 342, 350.1, 721 sowie der Sinnbilder „Fußgänger“ und „Radverkehr“ (Gemeinsame Geh- und Radwege ohne Benutzungspflicht, Anlage 1 i.S. der Anfrage) mit Angaben zu Ort und Datum ist daher nicht möglich.

 

Zu 2.

Die Planung des Verkehrsraums fällt in die Zuständigkeit des Straßenbaulastträgers. Im Rahmen der Beteiligung am Planungsverfahren wird seitens der Straßenverkehrsbehörde die Verkehrssicherheit bewertet. Ebenso erfolgt die Prüfung der rechtlichen Voraussetzungen zur Anordnung von Verkehrszeichen (VZ). Die VZ werden im Rahmen der Umsetzung von Lageplänen straßenverkehrsbehördlich angeordnet. Dabei wird nach Maßgabe der vorbezeichneten Prüfung nachvollzogen und gekennzeichnet, was die planende Behörde vorgegeben hat.

Im Übrigen richtet sich die Anordnung von VZ nach deren Erfordernis im Sinne des § 45 (9) der Straßenverkehrs-Ordnung (StVO).

 

 

Zu 3.

Siehe Antwort zu 2.

 

Zu 4.

Rundum-Grün im Sinne der Anfrage wurde im Bereich Sülldorfer Landstraße / Sülldorfer Kirchenweg angeordnet.

 

Zu 5.

In der Klausstraße ist bei günstigsten Umständen aufgrund des Straßenquerschnitts Überholen grundsätzlich möglich.

In allen Fällen, in dem der Mindestabstand nicht eingehalten werden kann, ist ein Überholen durch Kraftfahrzeuge verboten.

 

Zu 6.

Die BIS hat hier keine Entscheidung getroffen, sondern die aktuellen bundeseinheitlichen Vorgaben der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zur Straßenverkehrs-Ordnung (VwV-StVO) und des Verkehrszeichenkatalogs (VzKat) berücksichtigt und in den Hamburger Richtlinien zur Anordnung von Verkehrszeichen und Verkehrseinrichtungen (HRVV) Kapitel: Verkehrsberuhigung, (Stand 23.11.2021) auf die geltende Rechtslage hingewiesen. Der VzKat ist als Anlage zur VwV-StVO Bestandteil der VwV-StVO:

„Die Zonenzeichen sind in der nächstgrößeren Größe als nach der VwV-StVO vorgesehen anzuordnen (siehe Katalog der Verkehrszeichen, Teil 1 – Allgemeines und VwV-StVO zu §§ 39 bis 43 III. Ziffer 3. g) Rn. 17a)“.

 

Zu 7.

Siehe Antwort zu 6.

 

Zu 8.

Die Fachanweisung Verkehrsberuhigung 1/95 wurde durch die Einführung der Hamburger Richtlinien zur Anordnung von Verkehrszeichen und Verkehrseinrichtungen (HRVV), Kapitel Verkehrsberuhigung, am 23.11.2021 aufgehoben.

In Ziffer 5.5.5 wurde eine Konkretisierung zur Aufbringung von Piktogrammen vorgenommen. Diese steht nicht im Widerspruch zur VwV-StVO zu § 45 XI, 3c und fokussiert insoweit darauf, dass Tempo 30-Zonen in einer Einheit aus „Bau und Betrieb“ herzustellen sind und somit dem Prinzip der selbsterklärenden Straße folgen.

Sofern Fahrzeugführer im Einzelfall die zulässige Höchstgeschwindigkeit überschreiten, ist dies regelmäßig nicht auf eine mangelhafte Kennzeichnung der Tempo 30-Zonen zurück zu führen, die sich durch eine zusätzliche Markierung von 30-Piktogrammen auf der Fahrbahn ggf. verbessern ließe, sondern auf die Missachtung der bestehenden Verkehrsvorschriften. Dies belegen die Äußerungen von Verkehrsteilnehmern bei Geschwindigkeitskontrollen der Polizei. Es mangelt grundsätzlich nicht am „Zonenbewusstsein“, sondern an der Bereitschaft einzelner Verkehrsteilnehmer bzw. Einsicht in die Notwendigkeit, bestehende Geschwindigkeitsbeschränkungen zu befolgen.

Die oberste Landesbehörde hält an ihrer restriktiven Handhabung zur Aufbringung von Piktogrammen fest.

 

Im Übrigen wird davon abgesehen, hypothetische Fragen zu beantworten und Einzelabwägungen, die der Vorbereitung einer straßenverkehrsbehördlichen Entscheidung und deren Ermessensausübung dienen, darzustellen.

 

Zu 9.

Die Vision Zero spiegelt die Verkehrssicherheitsarbeit der Behörde für Inneres und Sport wider. Alle diesbezüglichen Maßnahmen bewegen sich in diesem Rahmen. Alle Maßnahmen werden stets unter dem Gesichtspunkt der Verkehrssicherheit bewertet und dafür auf die Regelwerke, die Unfallauswertungen sowie die polizeilichen Feststellungen zurückgegriffen. .

Im Übrigen siehe Drs. 21-2739.

 

 

Zu 10.

Der sogenannte Bicibus war in Hamburg in den Monaten Mai, Juni und Juli 2022 bei der Versammlungsbehörde als Fahrradaufzug in Hamburg-Altona angemeldet und durchgeführt worden.

Entsprechende Vorhaben außerhalb des Versammlungsrechtes müssten aus hiesiger Sicht seitens der Initiatoren zunächst mit den betroffenen Schulen bzw. Schulleitungen abgestimmt werden.

 

Zu 11.

Wie der sog. Bicibus basieren auch die sog. Elterntaxis auf individuellen Entscheidungen von Eltern schulpflichtiger Kinder und sind Ausdruck der heterogenen Interessenlagen betroffener Gruppen. Zur Reduzierung von Elterntaxis bedarf es daher in erster Linie einer Aufklärung der Betroffenen, damit diese ihre individuellen Entscheidungen überprüfen können.

Seitens der Polizei wird im Rahmen der Präventionsarbeit  daher sowohl an die Eltern als auch an die Schulen herangetreten und Aufklärung zum Thema Verkehrssicherheit betrieben. Durch die Einrichtung von, auch zeitlich beschränkten, Halteverboten wird anlassbezogen an einzelnen Schulen zudem dazu beigetragen, dass gefährdende Situationen vor den Schulen reduziert werden. Zusätzlich werden festgestellte Verstöße konsequent geahndet und die am Verkehr teilnehmenden Personen auf ihr Fehlverhalten angesprochen.

Eine Statistik hierzu wird nicht geführt.

 

 

Petitum/Beschluss

:

Die Bezirksversammlung wird um Kenntnisnahme gebeten.

 

Anhänge

Anlage 1: Neue Verkehrszeichen

Anlage 2: Klausstraße Überholabstände