Schulische Versorgung von Kindern an Notstandorten ab ersten Tag gewährleisten Mitteilungsdrucksache zum Beschluss der Bezirksversammlung vom 23.02.2023
Die Bezirksversammlung Altona hat in ihrer Sitzung vom 23.02.2023 anliegende Drucksache 21-3825B beschlossen.
Die Behörde für Schule und Berufsbildung (BSB) hat unter Beteiligung der Behörde für Arbeit, Gesundheit, Soziales, Familie und Integration (Sozialbehörde) mit Schreiben vom 03.05.2023 wie folgt Stellung genommen:
Zugangssituation
Die Zugänge von Schutzsuchenden nach Deutschland und Hamburg sind seit einiger Zeit außerordentlich hoch. Bereits im zweiten Halbjahr 2021 konnten in Hamburg steigende Zugangszahlen von Asyl- und Schutzsuchenden beobachtet werden. Zum Jahreswechsel 2021/2022 lagen die Zugangszahlen in Hamburg so hoch wie zuletzt Mitte 2016. Dieser Trend setzte sich über das gesamte Jahr 2022 fort. Mit insgesamt 53.965 Registrierungen von Schutzsuchenden aus der Ukraine sowie sonstigen Asyl- und Schutzsuchenden lagen die Zugänge im Jahr 2022 damit deutlich über dem bislang zugangsstärksten Jahr 2015 (2015: 43.103/ 2016: 16.167).
Auch für das laufenden Jahr werden hohe Zugangszahlen erwartet. Seit dem 1. Januar 2023 wurden mit Stand 21. März 2023 bereits 5.784 Asyl- und Schutzsuchende in Hamburg registriert.
Im Jahr 2022 wurden allein 11.754 sonstige Asyl- und Schutzsuchende (ohne Ukraine) in Hamburg registriert; nach Verteilung gemäß des Königsteiner Schlüssels verblieben 7.869 Personen in Hamburg, 3.885 Personen wurden in andere Bundesländer verteilt. 5.801 Personen wurden öffentlich-rechtlich untergebracht. Mit Stand 21. März 2023 wurden in diesem Jahr bereits wieder 2.751 Asyl- und Schutzsuchende registriert, davon wurden 894 Personen in andere Bundesländer verteilt. Es verblieben demnach 1.857 Personen in Hamburg, von denen 1.263 Personen einen öffentlich-rechtlichen Unterbringungsbedarf hatten.
Durch den Angriff Russlands auf die Ukraine am 24. Februar 2022 hat sich die ohnehin angespannte Situation nochmal sehr deutlich verschärft. Bis zum 14. März 2023 wurden rd. 8,1 Mio. Menschen aus der Ukraine in Europa registriert, allein mehr als eine Million Menschen davon in Deutschland. Mit den andauernden Kriegshandlungen stieg neben den regulären Zugängen die Zahl der Schutzbedürftigen aus der Ukraine auch in Hamburg an. Seit dem 24. Februar 2022 wurden bis zum Jahresende 42.211 Personen aus der Ukraine, die im Zuge der Kriegshandlungen nach Hamburg geflüchtet sind, in Hamburg registriert. Davon sind 4.678 Personen in andere Bundesländer verteilt worden. 37.533 Personen sind in Hamburg verblieben. Etwa die Hälfte der in Hamburg verbliebenen Schutzsuchenden hatte seit Beginn des russischen Angriffskrieges einen Unterbringungsbedarf in der öffentlich-rechtlichen Unterbringung angemeldet.
Im Jahr 2023 wurden mit Stand 21. März 2023 erneut 3.033 Schutzsuchende aus der Ukraine registriert, von denen lediglich 687 Personen in andere Bundesländer verteilt werden konnten, sodass 2.346 Personen in Hamburg verblieben.
Wenngleich die Zugangszahlen der Schutzsuchenden aus der Ukraine und auch der sonstigen Asyl- und Schutzsuchenden in den Monaten Dezember bis Anfang März etwas rückläufig waren, liegen diese dennoch deutlich über dem Niveau der Vorjahre. Seitdem steigen die Zugangszahlen beider Gruppen wieder leicht an, so dass davon auszugehen ist, dass sich hier u. a. der übliche saisonale Rückgang abgebildet hat und in den nächsten Monaten auch wieder mit einem deutlichen Anstieg der Zahlen zu rechnen ist. Die Unterbringungsbedarfe insgesamt lagen im Februar 2023 mit 810 Personen mehr als doppelt so hoch, wie ursprünglich mit Zugangsprognose für 2021/ 2022 angenommen (400 Personen pro Monat).
Aufgrund ungelöster Krisen und Konflikte in den Hauptherkunftsländern (bspw. Afghanistan, Syrien, Iran, Irak, Türkei) ist der Migrationsdruck auf den Hauptmigrationsrouten unverändert hoch. Es muss daher damit gerechnet werden, dass die Zugangszahlen der Asyl- und Schutzsuchenden in Hamburg auch in den nächsten Monaten auf einem hohen Niveau bleiben und angesichts der sehr stark angestiegenen Zahlen auf den Hauptmigrationsrouten im östlichen Mittelmeer (Griechenland, Türkei, Balkan) und zentralen Mittelmeer (Nordafrika nach Italien) vermutlich auch weiter ansteigen werden. Zudem ist ein Ende des Krieges in der Ukraine noch nicht absehbar und die Entwicklung der Zugänge Schutzsuchender aus der Ukraine schwer kalkulierbar. Insofern werden auch weiterhin Menschen in Deutschland und Hamburg Schutz suchen und einen Unterbringungsbedarf haben.
Im Übrigen siehe auch https://www.hamburg.de/sfa-lagebild.
Unterbringungssituation und Kapazitätsentwicklung
Das Ankunftszentrum, die Erstaufnahmen und auch die regulären Standorte der öffentlich-rechtlichen Unterbringung sind derzeit nahezu voll ausgelastet. Dies gilt auch für den derzeit als Überlauf des Ankunftszentrums genutzten Standort FEGRO-Halle im Bezirk Harburg. In den Erstaufnahmen halten sich derzeit über 1.500 Menschen mit einer Umzugsberechtigung in Folgeunterkünfte auf. Aufgrund der sehr hohen Auslastung der Kapazitäten ist es jedoch nicht möglich, diese Menschen zu verlegen und der sehr dringliche Abfluss aus dem Ankunftszentrum und den Erstaufnahmen kann nicht in dem erforderlichen Maß umgesetzt werden. Aus diesem Grund werden nunmehr auch Interimsstandorte teilweise in öffentlich-rechtliche Unterkünfte umgewandelt, sofern die baulichen und strukturellen Bedingungen der Standorte dies zulassen. Die weiteren bis dato bereits in der Umsetzung befindlichen Standortentwicklungen und auch die Maßgabe zur Schaffung von weiteren 10.000 Unterbringungsplätzen in diesem Jahr erfordern eine sorgfältige und vorausschauende Belegungsplanung der Unterbringungskapazitäten.
Um die große Zahl an Schutzsuchenden in Hamburg unterzubringen, prüfen die zuständigen Behörden fortlaufend alle Möglichkeiten, Unterkünfte und Unterkunftsplätze neu zu errichten beziehungsweise zu erhalten. Der Kapazitätsaufbau schließt hierbei sowohl die Schaffung kurzfristiger Notfall- und Interimskapazitäten (Anmietung von Hotels, Herrichtung von Gewerbeobjekten, Vorbereitung von Hallen) auch auf Basis des Gesetzes zum Schutz der Sicherheit und öffentlichen Ordnung (SOG), als auch die Neuentwicklung von Standorten im Regelsystem ein. Hierfür müssen grundsätzlich alle geeigneten Flächen und Objekte in Anspruch genommen werden. Weil geeignete Flächen und Objekte nur begrenzt zur Verfügung stehen und die Entwicklung bzw. Ertüchtigung entsprechend geeigneter Immobilien Zeit in Anspruch nimmt, muss die Priorität auf der schnellstmöglichen Schaffung von Plätzen und die Inanspruchnahme aller geeigneten Objekte liegen, um die fortlaufende Auskömmlichkeit der Unterbringungskapazitäten sicherzustellen. Eine gleichmäßige Verteilung der Unterkünfte über die Stadt wird angestrebt, kann angesichts der aktuellen dringlichen Kapazitätsbedarfe und geeigneter Immobilien derzeit aber nicht gewährleistet werden. Die umliegende Infrastruktur wird dabei im Rahmen der Standortplanungen berücksichtigt und notfalls ergänzt oder gestärkt.
Ziel ist es, durch die Schaffung weiterer Kapazitäten die Unterbringung an Notfallstandorten weiter zu reduzieren bzw. gar gänzlich zu vermeiden. Eine gänzliche Aufgabe aller Notfallstandorte ist derzeit vor dem Hintergrund der Zugangs- und Unterbringungssituation nicht absehbar, da die Bestandsunterkünfte voll ausgelastet sind und weiterhin auch Notfallkapazitäten benötigt werden, um drohende Obdachlosigkeit zu verhindern.
Soweit baulich und strukturell möglich und angesichts der zeitlichen Verfügbarkeit der Standorte wirtschaftlich und sinnvoll, werden Notfallstandorte zu Interimsstandorten im Regelstandard der öffentlich-rechtlichen Unterbringung umgebaut (z. B. das ehem. Discountergebäude Kieler Straße 555 im Bezirk Eimsbüttel oder die ehem. Schule Vorhornweg im Bezirk Altona). Die Überlegungen und Planungen sind diesbezüglich noch nicht abgeschlossen.
Entscheidungen über neue Standorte sowie Veränderungen an bestehenden Standorten werden – soweit die Situation und die nach wie vor dynamische Entwicklung dies zulässt – frühzeitig von den für die Unterbringung zuständigen Behörden an die BSB kommuniziert.
Belegungsmanagement
Um allen Schutzsuchenden mit einem Unterbringungsbedarf in einer öffentlich-rechtlichen Einrichtung einen Platz bereitstellen zu können, ist es angesichts der oben beschriebenen Zugangssituation leider derzeit auch notwendig, Unterkünfte mit niedrigeren Standards, bspw. in Hallen oder Zelten, als Notfallstandorte zu nutzen.
Hierbei handelt es sich um Notfallmaßnahmen nach dem SOG, die grundsätzlich temporär ausgerichtet sind. Die Asyl- und Schutzsuchenden sollen nach Möglichkeit nur wenige Tage verbleiben, bis sie in einen Interimsstandort (Schutzsuchende aus der Ukraine) bzw. eine Erstaufnahmeeinrichtung (Schutzsuchende aus anderen Herkunftsländern) verlegt werden, sobald in diesen Standorten ein geeigneter Platz zur Verfügung steht. Grundsätzlich gilt bei der Belegung, dass Personen, die zeitlich am längsten an diesem Standort untergebracht wurden, als erstes in Unterkünfte mit höherem Standard als an einem Notfallstandort verlegt werden („first in, first out“).
Neben besonderen Anforderungen für die grundsätzlich adäquate Unterbringung von Frauen und Kindern liegt eine Priorität bei der Belegungssteuerung durch den städtischen Unterkunftsbetreiber F&W Fördern & Wohnen AöR auch auf vulnerablen Personen mit ihren jeweiligen individuellen und spezifischen Unterbringungsbedarfen. D. h., diese Menschen werden grundsätzlich an geeigneten oder eigens für besondere Bedarfe vorgehaltenen Interimsstandorten bzw. Erstaufnahmen untergebracht. Die Unterbringung vulnerabler Personen an Notfallstandorten soll möglichst vermieden werden. Zu den vulnerablen Gruppen gehören u. a. Menschen mit Behinderungen und/ oder gesundheitlichen Einschränkungen, ältere Personen, aber auch Kinder - speziell Kleinstkinder - und schwangere Personen. Im Rahmen der Belegungssteuerung erfolgt eine Abwägung der Schwere der Auswirkungen bei Unterbringung an einem Notfallstandort.
Die Belegungssteuerung wird beeinflusst von freien und geeigneten Kapazitäten, insbesondere hinsichtlich Faktoren wie z. B. Haushaltsgrößen. So ist es grundsätzlich nicht möglich, Haushalte mit Kindern auf freie Plätze für alleinstehende Personen zu verlegen, da Familienmitglieder sonst voneinander getrennt würden. Dies kann in der Konsequenz bedeuten, dass in Fällen fehlender geeigneter Plätze eine alleinstehende Person an einem Interimsstandort oder in Erstaufnahmen untergebracht werden kann, während gleichzeitig eine Familie mit schulpflichtigen Kindern und Jugendlichen übergangsweise an einem der o. g. Notfallstandorte untergebracht werden muss.
Beschulung
Die schnelle und angemessene Beschulung geflüchteter Kinder und Jugendlicher ist in der Freien und Hansestadt Hamburg seit Jahrzehnten geübte Praxis. Aufbauend auf den Erfahrungen der Flüchtlingswelle aus den Jahren 2015/2016 wurde im März 2022 noch während der Schulferien mit dem zügigen und bedarfsgerechten Ausbau der Angebote für geflüchtete Kinder und Jugendliche begonnen.
Laut Schuljahresstatistik für das Jahr 2022/23 haben Hamburgs Schulen innerhalb des letzten Jahres 7.490 zusätzliche Schülerinnen und Schüler und damit mehr als je zuvor seit Beginn der Schuljahresstatistik aufgenommen. Bei den zusätzlichen Schülerinnen und Schülern handelt es sich neben einheimischen Schülerinnen und Schülern und neu zugewanderten Schülerinnen und Schülern aus diversen Herkunftsländern vor allem um geflüchtete Kinder und Jugendliche aus der Ukraine. Der Zuwachs entspricht rund 350 zusätzlichen Schulklassen. In den fünf Monaten nach dem Erhebungszeitpunkt der Schuljahresstatistik im Oktober 2022 sind über 1.000 weitere Schülerinnen und Schüler mit Fluchthintergrund dazugekommen. Mit Stand vom 5. April 2023 wurden allein an den allgemeinbildenden Schulen 5.345 Schülerinnen und Schüler in 359 Internationalen Vorbereitungsklassen und Basisklassen an 171 Schulen unterrichtet. Dazu kommen die Schülerinnen und Schüler, die in den Jahrgangsstufen Vorschulklasse (VSK), 1 und 2 und teilweise auch in den höheren Jahrgängen direkt in das Regelsystem aufgenommen werden. Die Leistung der Hamburger Schulen, die diesen bedarfsgerechten Ausbau in einem vergleichsweise kurzen Zeitraum bewerkstelligt haben, kann nicht hoch genug geschätzt werden.
Alle Kinder und Jugendlichen werden regelhaft nach Bezug einer Erstaufnahme, einer öffentlich-rechtlichen Unterkunft oder eines Interimsstandortes im Hamburger Stadtgebiet innerhalb von bis zu vier Wochen einer Schule in zumutbarer Entfernung zugeschult. In der Regel kann deutlich vor dieser maximalen Frist ein Schulplatz gefunden werden. Nur in Ausnahmefällen kann sich dieser Zeitraum verlängern, bis ein freier Schulplatz zur Verfügung steht. In sogenannten Notfallstandorten ist eine Beschulung in der Regel nicht vorgesehen, da die Familien dort nur wenige Tage verbleiben, bevor sie verlegt werden. Eine Beschulung dieser Kinder und Jugendlichen ist aus pädagogischer wie aus psychosozialer Sicht nicht sinnvoll. Gerade nach der Fluchterfahrung ist es wichtig, schulische Kontinuität zu gewährleisten und mehrfache Schulwechsel innerhalb von wenigen Tagen oder Wochen zu vermeiden. Ein Beschulungsangebot in einem Notfallstandort erfolgt daher nur dann, wenn einzelne schulpflichtige Kinder und Jugendliche länger als vier Wochen in dieser Unterkunft untergebracht werden und ein Umzug nicht absehbar ist. Grundsätzlich bleibt es bei der oben dargestellten Zielsetzung, Familien mit schulpflichtigen Kindern und Jugendlichen nicht in Notfallunterkünften unterzubringen und mehrfache Schulwechsel bei Wechsel der Unterkünfte zu vermeiden.
Um diese grundsätzlichen Beschulungsbedarfe in den oben genannten Notfallstandorten zu identifizieren und anzusprechen, sind die Sozialbehörde, Vertreterinnen und Vertreter von F&W Fördern und Wohnen AöR (F&W) als Betreiberin und die BSB im regelmäßigen Austausch. Dies ist notwendig, da die Aufenthaltsdauer der betroffenen Personen in den besagten Einrichtungen unterschiedlich lang ist und die Kenntnis darüber bei der Betreiberin liegt. Ihr obliegt es somit, einen Verbleib von mehr als vier Wochen bei der BSB anzuzeigen, damit entsprechend reagiert und schnellstmöglich ein schulisches Angebot für die betroffenen Kinder und Jugendlichen sichergestellt werden kann. Auf Grundlage dieses Austausches wurden für die Standorte Vorhornweg, An der Twiete und Schlachthofstraße (FEGRO) Unterrichtsangebote durch sog. Lerngruppen für Kinder im Grundschulalter eingerichtet.
:
Die Bezirksversammlung wird um Kenntnisnahme gebeten.