Stellungnahme zum Antrag SPD betr. Medizinische Versorgung - Grundversorgung bei der Genehmigung von MVZ garantieren
"Avi Medical Im Fischbeker Heidbrook bleibt ab dem 01.02.2023 vorübergehend geschlossen. Wir informieren Sie, sobald die Praxis wiedereröffnet. Bis dahin heißen wir Sie in unseren weiteren zentralen Praxen in Hamburg willkommen. Wir bitten um Ihr Verständnis."
Es schien wie das Licht am Ende des Tunnels, als die Menschen in der Region Süderelbe erfuhren, dass ein Medizinisches Versorgungszentrum im Fischbeker Heidbrook eröffnet. Die meisten Ärzt:innen vor Ort nehmen schon seit langem keine neuen Patient:innen auf, Wartezeiten sind üblich, freiwerdende Ärzt:innen-Sitze werden oftmals nicht neu vergeben und wandern still und leise in andere - zumeist lukrativere - Stadtteile Hamburgs ab. Erleichtert wird dies dadurch, dass die Kassenärztliche Vereinigung Hamburg (KVHH) ganz Hamburg als ein einziges Versorgungsgebiet versteht, also eine Arztpraxis in Duvenstedt genauso als potenzielle Versorgungspraxis für Menschen in Fischbek gewertet wird.
Zuletzt meinte der Sprecher der KVHH, es sei 'unsachgemäß' von über- oder unterversorgten Stadtteilen zu sprechen. Das ist etwas nach dem Motto: "Kopf im Backofen, Füße im Kühlschrank: im Mittel eine angenehme Temperatur".
Nun sinkt die Temperatur in Süderelbe durch die (temporäre) Schließung des MVZ wieder deutlich ab. Der Euphorie folgt die Enttäuschung und die Menschen vor Ort richten sich wieder auf lange Wartezeiten ein.
Doch so eitel Sonnenschein war es auch während der kurzen Öffnungsphase des MVZ nicht. Telefonische Terminvereinbarungen: Fehlanzeige? Termine per Internet oder App. Schon alleine das schließt viele Menschen aus. Gerade die, die auf eine medizinische Versorgung, z.B. wegen ihres Alters, stärker angewiesen sind. Oder ist das auch Methode? Gesunde, junge Menschen, die zwar auch die Praxis aufsuchen, aber mit geringem Aufwand durchzuschleusen sind? Apps, die dann noch auf die besondere und individuelle Gesundheitsleistung hinweisen, die selbstverständlich aus eigener Tasche zu bezahlen ist oder von der privaten Krankenversicherung übernommen wird?
Investor:innengeführte MVZ müssen nicht per se von Nachteil sein, doch sie neigen dazu, die Renditen der Investoren mehr im Blick zu haben, als die grundlegende medizinische Daseinsvorsorge. Die Schließung im Heidbrook und der Verweis auf 'zentral' gelegene Praxen, spricht Bände.
Die KVHH hat als standesrechtliche Vertretung der hamburgischen Ärzt:innenschaft einen klaren Auftrag zur Vertretung ihrer Mitglieder, darf dabei jedoch das Patient:innenwohl nicht außer acht lassen. Daher muss bei der Zulassung von MVZ auch die Grundversorgung durch das MVZ gesichert sein. Sollte das nicht geschehen, so wird die KVHH ihren gesellschaftlichen Aufgaben nicht gerecht und gefährdet ihren eigenen Status in der gemeinsamen Selbstverwaltung. Die Rechte der Kassenärztlichen Vereinigungen, wie Selbstverwaltung, Kollektivverträge, Aushandlung von Honorarvereinbarungen und Zulassungsbestimmungen gehen einher mit dem Sicherstellungsauftrag, der mehr und mehr gefährdet erscheint.
Das vorsitzende Mitglied der Bezirksversammlung wird gebeten, die Kassenärztliche Vereinigung aufzufordern, die Genehmigung von Medizinischen Versorgungszentren an eine Garantie zur Sicherstellung der Versorgung vor Ort zu knüpfen, eine Verlegung von Ärzt:innensitzen aus Regionen wie Süderelbe oder Harburg (und auch weitere in Hamburg) nicht zuzulassen, wenn in Bezug auf die Region eine rechnerische Unterversorgung entstehen würde (sofern diese als eigenständiges Versorgungsgebiet betrachtet würden) und Anreize zu schaffen, Niederlassungen in diesen Regionen zu fördern. Ebenso wird die KVHH aufgefordert, eigene MVZ zu initiieren, sofern ihr die Sicherstellung der Versorgung auf anderem Wege nicht gelingt.
BEZIRKSVERSAMMLUNG HARBURG
Der Vorsitzende
23.03.2023
Die Behörde für Arbeit, Gesundheit, Soziales, Familie und Integration (Sozialbehörde) nimmt zu dem o. g. Beschluss unter Beteiligung und auf Grundlage der Stellungnahme der Kassenärztlichen Vereinigung Hamburg (KVH) wie folgt Stellung:
Avi Medical hat die KVH zum Anfang 2023 darüber unterrichtet, dass ihre Ärztin die Stadt verlassen habe und sie sich derzeit um eine Nachfolge bemühen. Üblicherweise gibt es eine Frist binnen derer ein vakanter Sitz nachzubesetzen ist, damit er nicht verfällt. Die Entscheidung hierüber trifft der Zulassungsausschuss. Darüber wurde Avi Medical durch die KVH informiert. Avi Medical sagte gegenüber der KVH zu, sich schnellstmöglich um eine Nachbesetzung zu kümmern.
Die KVH hat weiterhin bestätigt, dass bereits jetzt keine befürwortende Stellungnahme gegenüber dem Zulassungsausschuss abgegeben werde, wenn eine Praxis oder ein Sitz aus einer weniger gut versorgten Region in eine besser versorgte Region verlegt werden soll.
Im Übrigen wird wie folgt ausgeführt:
Nach der Bedarfsplanungsrichtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses (BPRL) ist Hamburg insgesamt ein Planungsbereich. Die Hamburger Bezirke und Stadtteile sind grundsätzlich keine eigenen Zulassungs- und Planungsbereiche, eine entsprechende Untergliederung ist bisher im Hamburger Bedarfsplan nicht erfolgt.
Ärztinnen und Ärzte müssen eine Verlegung ihres Praxissitzes innerhalb des Planungsbereiches beim Zulassungsausschuss beantragen. Die Zulassungsgremien nach §§ 96, 97 SGB V entscheiden unabhängig und nicht weisungsgebunden. Die obersten Landesbehörden haben in den Zulassungsausschüssen nach § 96 SGB V ein Mitberatungsrecht. Nach § 24 Abs. 7 der Zulassungsverordnung für Vertragsärzte (Ärzte-ZV) darf der Zulassungsausschuss die Verlegung nur genehmigen, wenn Gründe der vertragsärztlichen Versorgung dem nicht entgegenstehen. Die Regelung gilt entsprechend für genehmigte Anstellungen z.B. in einem Medizinischen Versorgungszentrum (MVZ). Bei Verlegungen findet auch das Maßnahmenpapier als Anlage zum Hamburger Bedarfsplan Anwendung, wonach im haus- bzw. kinderärztlichen Bereich die lokale Versorgungssituation im Radius von drei bzw. vier Kilometern um den bisherigen und den beantragten Praxissitz untersucht wird. Die Zulassungs- und Berufungsausschüsse entscheiden nach § 103 SGB V auf Antrag auch über die Durchführung eines Nachbesetzungsverfahrens und die Auswahl einer Praxisnachfolge nach pflichtgemäßem Ermessen.
Lokale Versorgungsbedarfe in Hamburg sind auch im Wege der Sonderbedarfszulassung zu berücksichtigen. Hierüber entscheiden die Zulassungs- und Berufungsausschüsse nach §§ 95 ff. SGB V auf Antrag von Zulassungsbewerberinnen und Zulassungsbewerbern in eigener Verantwortung. Sie berücksichtigen dabei neben den rechtlichen Vorgaben auch die Kriterien des Hamburger Maßnahmenpapiers. Die Sonderbedarfszulassung aufgrund eines lokalen oder qualifikationsbezogenen Versorgungsbedarfs ist immer an den Ort der Niederlassung/Praxissitz gebunden (§ 36 Abs. 2 BPRL).
Die KVH ist berechtigt, gegenüber dem Zulassungsausschuss Stellungnahmen abzugeben. Gegen Entscheidungen des Zulassungsausschusses steht der KVH das Recht zu, gegebenenfalls Widerspruch einzulegen und in einem weiteren Verlauf auch Klage beim Sozialgericht einzureichen.
MVZ können nach § 95 Abs. 1a SGB V insbesondere von zugelassenen Ärzten und Krankenhäusern gegründet werden, nicht jedoch von Kassenärztlichen Vereinigungen. Auch der nach § 105 Abs. 1c SGB V mögliche Betrieb von Eigeneinrichtungen ermöglicht es den Kassenärztlichen Vereinigungen bisher nicht, vakante Praxissitze z.B. im Bezirk Harburg zu übernehmen. Zur Förderung der Sicherstellung der vertragsärztlichen Versorgung können die Kassenärztlichen Vereinigungen Mittel des Strukturfonds nach § 105 Abs. 1a SGB V verwenden (u.a. für Zuschüsse zu den Investitionskosten bei der Neuniederlassung, bei Praxisübernahmen oder bei der Gründung von Zweigpraxen).
gez. Heimath
f.d.R.
Riechers
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