Partnerschaftsgewalt, häusliche Gewalt und Hilfsangebote in Bergedorf
Letzte Beratung: 30.04.2019 Jugendhilfeausschuss Ö 4.1
Auskunftsersuchen der BAbg. Krönker, Lühr, Rüssau und Fraktion GRÜNE Bergedorf
„Jede vierte Frau hat mindestens einmal in ihrem Leben körperliche oder sexuelle Partnerschaftsgewalt erlebt. Betroffen sind Frauen aller sozialen Schichten. Um häusliche Gewalt wirksam zu bekämpfen, ist die Zusammenarbeit aller Verantwortlichen in staatlichen und nichtstaatlichen Institutionen erforderlich.
Opfer von Partnerschaftsgewalt sind zu über 82 Prozent Frauen. Fast die Hälfte von ihnen hat in einem gemeinsamen Haushalt mit dem Tatverdächtigen gelebt. Das zeigt die aktuelle Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS). Demnach wurden 2017 insgesamt 138.893 Personen erfasst, die Opfer von Partnerschaftsgewalt wurden. Knapp 113.965 Opfer waren weiblich.“ (Hintergrundmeldung des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend vom 21.11.2018: "Frauen vor Gewalt schützen - Häusliche Gewalt")
Die Vorlage dieser Statistik hat in der politischen Öffentlichkeit großes Interesse und große Sorge ausgelöst. Im Interesse des Kinder- und des Opferschutzes muss ein breites öffentliches Bewusstsein für den Straftatbestand der häuslichen Gewalt geschaffen werden. Es bedarf einer gründlichen Analyse um dann gezielt Hilfsmaßnahmen zu ergreifen.
Vor diesem Hintergrund fragen wir:
Die Behörde für Inneres beantwortet die Fragen 1-5, die Behörde für Arbeit, Soziales, Familie und Integration die Frage 5.2, das Bezirksamt die Frage 5 des Auskunftsersuchens vom 29.11.2018 wie folgt:
1. Wie viele angezeigte und statistisch erfasste Delikte im Bereich der Partnerschaftsgewalt im
Bezirk Bergedorf hat es in den Jahren 2016 und 2017 jeweils gegeben:
1.1. Bedrohung, Stalking, Nötigung?
1.2. Vergewaltigung, sexuelle Nötigung?
1.3. vorsätzliche einfache Körperverletzung?
1.4. gefährliche Körperverletzung?
1.5. Freiheitsberaubung?
1.6. Mord und Totschlag?
Die Polizei erfasst Straftaten gemäß dem Straftatenkatalog der Richtlinien für die Erfassung und Verarbeitung der Daten in der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS), die Erfassung der Straftaten erfolgt unabhängig von der Tatzeit nach Abschluss aller polizeilichen Ermittlungen bei Abgabe eines Vorganges an die Staatsanwaltschaft. Eine gesonderte Erfassung von an-gezeigten Straftaten erfolgt in der PKS nicht.
Für die Beantwortung ist eine Auswertung der in der PKS erfassten Opfer notwendig. Im Gegensatz zur "Echttäterzählung" der Tatverdächtigen in der PKS handelt es sich bei der Opfererfassung um sogenannte "Opferwerdungen", d.h. wenn eine Person im Laufe eines Jahres mehrfach Opfer von Straftaten geworden ist, wird sie auch mehrfach in der PKS erfasst. Opferdaten werden nicht auf Basis der Fälle, sondern auf Basis der Erfassungen der Opferwerdungen ausgewertet, so dass ein Fall mit mehreren Opfern in der PKS mehrere Treffer generiert. Eine Verknüpfung mit Fallzahlen ist nicht möglich.
Für die vorliegende Anfrage bedarf es einer Sonderauswertung, welche lediglich für ein Jahr rückwirkend durchgeführt werden kann.
Die in der PKS für 2017 im Sinne der Fragestellungen im Bezirk Bergedorf erfasste Anzahl von Opferwerdungen innerhalb von Partnerschaften (inklusive ehemaliger Partnerschaften) sind in der nachstehenden Tabelle dargestellt:
Bezirk Bergedorf Opfer-Tatverdächtigen-Beziehung -formal- , Partnerschaften insgesamt (inklusive ehemalige Partnerschaften) für 2017 | |||
Frage |
PKS-Schlüsselzahl |
Delikt |
Anzahl |
1.1 |
232300 |
Bedrohung gemäß § 241 Strafgesetzbuch (StGB) |
60 |
1.1 |
232400 |
Nachstellung (Stalking) gemäß § 238 StGB |
11 |
1.1 |
232200 |
Nötigung gemäß § 240 StGB |
10 |
1.2 |
111000 |
Vergewaltigung und sexuelle Nötigung/Übergriffe gemäß §§ 177 Abs. 1 bis 4, 6 bis 8, 178 StGB |
3 |
1.3 |
224000 |
Körperverletzung gemäß § 223 StGB |
196 |
1.4 |
222000 |
Gefährliche und schwere Körperverletzung, Verstümmelung weiblicher Genitalien gemäß §§ 224, 226, 226a, 231 StGB |
50 |
1.5 |
232100 |
Freiheitsberaubung gemäß § 239 StGB |
2 |
1.6 |
010000 |
Mord gemäß 211 StGB |
- |
1.6 |
020000 |
Totschlag gemäß § 212 StGB |
1 |
Darüber hinaus wäre eine Durchsicht aller in Frage kommenden Hand- und Ermittlungsakten des erfragten Zeitraums beim Landeskriminalamt erforderlich. Die Auswertung von mehreren zehnttausend Akten ist mit vertretbarem Verwaltungsaufwand nicht möglich.
2. Geschädigte Personen nach Geschlecht und Beziehungsstatus
Im Bereich der häuslichen Gewalt ist der Anteil der geschädigten Frauen viel größer als der der geschädigten Männer. Im Jahr 2017 machten Frauen 73% aller polizeilich registrierten geschädigten Personen häuslicher Gewalt aus. Die ungleiche Verteilung der geschädigten Frauen und Männer ist besonders in Beziehungen im Status der Ehe/Partnerschaft sowie der ehemaligen Beziehung/Partnerschaft ausgeprägt.
2.1. Wie sieht die geschlechtsspezifische Verteilung im Bezirk Bergedorf aus?
2.2. Wie stellt sich die Verteilung in Bezug auf den Beziehungsstatus dar:
2.2.1. Gewalt in der Ehe/Partnerschaft?
2.2.2. Gewalt in ehemaliger Beziehung/Partnerschaft?
2.2.3. Gewalt in Nachbarschafts- und Verwandschaftsbeziehungen?
Der Begriff „häusliche Gewalt“ wird in der PKS nicht gesondert erfasst, für die Beantwortung der Frage wurde der PKS-Summenschlüssel 892000 Gewaltkriminalität angewandt. Die Auswertung von PKS-Daten in Tabellenform als standardisierte Ergebnistabellen unterliegt einem bundesweit abgestimmten Prozess. Darin wird fachlich beschrieben, wie die PKS-Daten zu erheben sind und wie sie in den jeweiligen Ergebnistabellen ausgewertet werden. Eine Auswertung zur Opferwerdungen in „Nachbarschaftsbeziehungen“ ist hierbei nicht vor-gesehen.
Die in der PKS für 2017 im Sinne der Fragestellungen im Bezirk Bergedorf erfasste Anzahl von Opferwerdungen in Fällen der Gewaltkriminalität ist der Anlage zu entnehmen.
Im Übrigen siehe Antwort zu 1.1. bis 1.6.
3. Tatverdächtige bei Straftaten nach § 4 Gewaltschutzgesetz
Am 1. Januar 2002 ist das Gesetz zur Verbesserung des zivilgerichtlichen Schutzes bei Gewalttaten und Nachstellungen sowie zur Erleichterung der Überlassung der Ehewohnung bei Trennung in Kraft getreten. Das darin enthaltene Gewaltschutzgesetz schafft eine klare Rechtsgrundlage für Schutzanordnungen des Zivilgerichts. Diese umfassen insbesondere Kontakt-, Näherungs- und Belästigungsverbote bei vorsätzlichen und widerrechtlichen Verletzungen von Körper, Gesundheit oder Freiheit einer Person einschließlich der Drohung mit solchen Verletzungen.
3.1. Wie viele Tatverdächtige bei Straftaten und Zuwiderhandlungen nach § 4 GewSchG hat es im Bezirk gegeben?
Straftaten gemäß § 4 Gesetz zum zivilrechtlichen Schutz vor Gewalttaten und Nachstellungen (GewSchG) werden in der PKS unter der Schlüsselzahl 720011 erfasst. Bei der Berechnung der Tatverdächtigen (TV) wird in der PKS eine echte Tatverdächtigenzählung vorgenommen. Dabei wird ein TV nur einmal gezählt, auch wenn er mehrfach registriert wurde. Dieses Prinzip wird sowohl für die Anzahl der TV insgesamt als auch für die Anzahl der TV für jedes Delikt angewendet. Zur Beantwortung wurde eine Sonderauswertung durchgeführt, die nur noch für das vorangegangene Jahr möglich ist. Im Jahr 2017 wurden insgesamt 22 Tatverdächtige wegen Verstoßes gegen § 4 GewSchG im Bezirk Bergedorf in der PKS erfasst.
Im Übrigen siehe Antwort zu 1.1. bis 1.6.
4. Tatverdächtige bei Straftaten nach § 170 STGB (Verletzung der Unterhaltspflicht)
Das Unterhaltsschutzgesetz ist Rechtsgrundlage für die Sicherung des Lebensbedarfs des Unterhaltsberechtigten. Diese Sicherung des Lebensbedarfs bedeutet für den Berechtigten ein existentielles Recht, das bei Unterlassung ökonomische Gewalt darstellt.
4.1 Wie viele Tatverdächtige bei Straftaten nach § 170 STGB hat es im Bezirk gegeben?
Verletzungen der Unterhaltspflicht gemäß § 170 StGB werden in der PKS unter der Schlüsselzahl 671000 erfasst. Bei diesem Delikt wird in der PKS als Tatort der Wohnort des Opfers erfasst.
Zur Beantwortung wurde eine Sonderauswertung durchgeführt, die nur noch für das voran-gegangene Jahr möglich ist. Im Jahr 2017 wurden insgesamt 14 TV wegen Verstoßes gegen § 170 StGB im Bezirk Bergedorf in der PKS erfasst. Im Übrigen siehe Antworten zu 1.1. bis 1.6. und zu 3.
Die Justizbehörde teilt zu den Fragen 1-4 mit:
Ein örtlicher Bezug zum Bezirk Bergedorf oder der Beziehungsstatus zwischen den Beteiligten, werden im Vorgangsverwaltungs- und Vorgangsbearbeitungssystem MESTA der Hamburger Staatsanwaltschaften nicht zuverlässig erfasst. Allein in den Sonderdezernaten Beziehungsgewalt der Staatsanwaltschaft werden jährlich Verfahren im vierstelligen Bereich bearbeitet. Eine händische Auswertung ist in der für nach § 27 BezVG zur Verfügung stehen-den Zeit nicht möglich.
Entsprechendes gilt für geführte Verfahren wegen Zuwiderhandlungen gegen das Gewalt-schutzgesetz oder Unterhaltspflichtverletzung. Auch unter diesen Tatvorwürfen wurden in den Jahren 2016 und 2017 Verfahren im dreistelligen Bereich erfasst.
5. Hilfemaßnahmen: "Nach den positiven Erfahrungen der Bundesmodellprojekte 'Berliner Interventionsprojekt gegen häusliche Gewalt' (BIG) und 'Koordinations- und Interventionskonzept für Schleswig-Holstein' (KIK Schleswig-Holstein) wurden in vielen Bundesländern Kooperations- und Interventionsprojekte eingerichtet“ (Quelle: Bundesfamilienministerium, s.o.)
5.1. Gibt es laufende oder geplante Interventionsprojekte gegen häusliche Gewalt im Bezirk?
Die Behörde für Inneres anwortet wie folgt:
Im Rahmen der polizeilichen Intervention bei Beziehungsgewalt werden die Daten der Geschädigten (deren Einverständnis vorausgesetzt) im Rahmen eines proaktiven Ansatzes umgehend an die von der Behörde für Arbeit, Soziales, Familie und Integration (BASFI) geförderte Interventionsstelle intervento weitergeleitet. Aufgaben der Interventionsstelle intervento sind Beratung, Begleitung und Unterstützung von Opfern von Häuslicher Gewalt und Stalking. Insofern hat sie die Funktion eines Bindeglieds zwischen der polizeilichen Intervention bei Beziehungsgewalt - insbesondere nach einer Wegweisung inklusive Rückkehrverbot - und möglichen zivilrechtlichen Anträgen nach dem Gewaltschutzgesetz bei den Hamburger Familiengerichten.
Nach Datenübermittlung durch die Polizei (unabhängig von einer möglicherweise vorausgegangenen Wegweisung) nimmt intervento zeitnah Kontakt mit den Opfern auf, um diesen eine Beratung anzubieten.
Bei einem polizeilichen Einsatz in Zusammenhang mit Beziehungsgewalt in einer Zentralen Erstaufnahmeeinrichtung oder einer sonstigen öffentlich-rechtlichen Unterkunft für Flüchtlinge erfolgt die Datenübermittlung nicht an intervento sondern an die von der BASFI geförderte Interventionsstelle savîa.
Die Frage ist im Übrigen bezirksintern zu beantworten.
5.2. Wie wird der Bedarf an Kapazitäten in Frauenhäusern im Bezirk eingeschätzt? Reichen die vorgehaltenen Plätze in Hamburger Frauenhäusern für misshandelte Frauen aus dem Bezirk aus?
5.3. Wie wird der Bedarf an einem Kinderschutzhaus im Bezirk eingeschätzt?
5.4. Gibt es Angaben über die Inanspruchnahme von Hilfetelefonen durch Einwohner_innen des Bezirks (Hilfetelefon Gewalt gegen Frauen, Kindernotrufnummern, Kindersorgentelefon?)
5.5. Gibt es auf bezirklicher Ebene Vernetzungtreffen zum Thema häusliche Gewalt? Wenn ja, welche Formate?
Erkenntnisse im Sinne der Fragestellung liegen der Polizei nicht vor. Die Fragen sind im Übrigen bezirksintern zu beantworten.
Das Bezirksamt antwortet wie folgt:
Zu 5.1.
Fehlanzeige
Zu 5.2.
Der Bezirksverwaltung liegen hierzu keine belastbaren Daten vor. Träger von Frauenhäusern werden direkt von der BASFI gefördert. Die Einrichtung und Förderung von Frauenhäusern fällt nicht in die Zuständigkeit der Bezirksverwaltung.
Zu 5.3.
Grundsätzlich ist für ausreichende Möglichkeiten zur notwendigen Inobhutnahme von Kindern und Jugendlichen im Bezirk zu sorgen, diese können sowohl in stationären Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe, z. B. einem Kinderschutzhaus, als auch in dafür ausgerichteten Bereitschaftspflegestellen erfolgen. Der Bezirk Bergedorf ist bestrebt die Zahl entsprechender Bereitschaftspflegestellen zu erhöhen.
Zu 5.4.
Fehlanzeige.
Zu 5.5
Fehlanzeige.
Die Behörde für Arbeit, Soziales, Familie und Integration antwortet wie folgt:
Zu 5.2
Die Hamburger Frauenhäuser stehen allen von Gewalt betroffenen Frauen als Schutzorte offen, unabhängig aus welchem Bezirk die Frauen kommen. Aus Sicherheitsaspekten kann eine Unterbringung entfernt vom bisherigen Wohnort sogar angezeigt sein. Um die Platzzahlen in den Hamburger Frauenhäusern zu erhöhen, baut der Senat aktuell die Schutzplätze aus. Über die Zentrale Notaufnahme der Hamburger Frauenhäuser, die 24/7, werden schutzsuchende Frauen rund um die Uhr gesichert aufgenommen. Sofern eine Unterbringung der betroffenen Frau aus der 24/7 in einem Hamburger Frauenhaus wegen Platzmangel, aus Sicherheitsgründen oder sonstigen Gründen nicht angezeigt ist, organisiert die 24/7 die Unterbringung in einem anderen Frauenhaus bundesweit. In Hamburg wird somit keine schutzsuchende Frau abgewiesen.
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