Stellungnahme zum gemeinsamen Antrag SPD - GRÜNE betr. Mahnmal zum kolonialen Erbe der Stadt Harburg
Die Stadt Harburg nahm nach der Reichsgründung 1871 eine besondere Rolle im neu gegründeten Staat ein: Nicht zuletzt, da das benachbarte Hamburg zwar dem Reiche zugehörig war, dem Zollverein aber zunächst nicht beitrat, erlebten Harburg, sein Hafen und seine Industrie einen ungeahnten Aufschwung, der den heutigen Bezirk bis heute entscheidend mitprägt.
Von besonderer Bedeutung waren hierbei die Kautschukverarbeitung und Ölmühlen. So wurde Harburg Ende des 19. Jahrhunderts zum einem der europaweit wichtigsten Umschlagplätze für Palmkerne und Kautschuk. Beides explizite „Kolonialwaren“, die indes nicht zwangsläufig aus den eigenen sogenannten Schutzgebieten stammten, sondern auch aus anderen Kolonien als Teil des weltweiten transimperialen Handelsnetzes.
Kolonialer Handel ist rassistisch begründeter, unfairer Ausbeutungs-Handel, der im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert zwar nicht mehr auf Sklaverei basierte, aber weiterhin auf Zwangsarbeit und immer wieder brutaler Unterdrückung. Die Vorstellung, dass in Harburg gewiss auch Kautschuk aus dem sogenannten Freistaat Kongo verarbeitet wurde, in dem zwischen 1888 und 1908 schätzungsweise 10-15 Millionen Kongoles:innen direkt oder indirekt durch die Folgen des Kautschukhandels zu Tode kamen, ist kaum erträglich. Sie muss indes ertragen werden; die Aufarbeitung der kolonialen Geschichte und ihrer Folgen gehören zu den zentralen erinnerungspolitischen Aufgaben unserer Tage.
In Hamburg ist dieser Aufarbeitungsprozess bereits weit fortgeschritten. Harburgs spezifische Rolle im Zeitalter des europäischen Kolonialismus ist bislang indes nur wenig ins Bewusstsein der Harburger:innen vorgedrungen. Es gilt, ein Mahnmal zu schaffen, das der Auseinandersetzung mit diesem Teil der Harburger Vergangenheit, dekolonisiertem Erinnern und Gedenken dient. Im multiethnischen Harburg ist darüber hinaus die Auseinandersetzung mit der rassistischen Begründung des Kolonialwesens von besonderer Bedeutung.
Praktisch der gesamte koloniale und transimperiale Handel des 19. Und frühen 20. Jahrhunderts lief über den Seeweg. Das heißt, dass Palmkerne, Kautschuk, Elfenbein etc. alle im Binnenhafen anlandeten. Hier fokussiert sich somit das Geschehen wie durch ein Brennglas an einem Punkt: Denn was immer nach Harburg importiert werden sollte, musste erstmal durch die Schleuse im Binnenhafen. Dieser Ort bietet sich somit als Gedenkstätte an.
Die Bezirksverwaltung wird gebeten:
1. in Zusammenarbeit mit dafür geeigneten Stellen und Institutionen wie z.B. der Forschungsstelle „Hamburgs (post-)koloniales Erbe“ ein Konzept für eine würdige Form des dekolonisierenden Erinnerns und Gedenkens in Harburg zu entwickeln mit besonderem Fokus auf die Binnenhafenschleuse, die sich als Kulminationspunkt in dieser Hinsicht besonders eignet.
2. zu prüfen, ob hierzu eine Namensgebung für die bislang de facto namenlose Schleuse vorzunehmen sei.
3. ggf. Vorschläge für eine solche Namensgebung in Zusammenarbeit mit den hinzugezogenen externen Akteuren zu erarbeiten.
Ferner wird die Bezirksverwaltung ersucht, über die Ergebnisse dieser Arbeiten im Kulturausschuss zu berichten und hierzu Vertreter:innen der hinzugezogenen externen Stellen in den Ausschuss mit einzuladen.
Bezirksamt Harburg 22. Februar 2022
Dezernat Soziales, Jugend und Gesundheit
Stellungnahme der Verwaltung
Betr: Gemeinsamer Antrag SPD - GRÜNE betr. Mahnmal zum kolonialen Erbe der Stadt (Drucksachen-Nr. 21-1345)
Darstellung Sachverhalt
Die Verwaltung soll ein Konzept für eine würdige Form des dekolonisierenden Erinnerns und Gedenkens in Harburg entwickeln.
In einem ersten Schritt hat die Verwaltung Kontakt sowohl zur Forschungsstelle „Hamburgs (post-)koloniales Erbe“ als auch zur Behörde für Kultur und Medien aufgenommen, um geeignete Ansprechpersonen für einen partizipativen Prozess zu identifizieren und um diese frühzeitig an einer Konzepterarbeitung zu beteiligen.
Bei dieser Recherche ist die Verwaltung auf das Konzept Park Postkolonial in Harburg aus 2008 aufmerksam geworden. Das Konzept verfolgt das Ansinnen, einen Ort des Gedenkens zu schaffen, welcher seinerzeit ebenfalls für die Schlossinsel vorgeschlagen wurde.[1] Ein entsprechender Antrag (Drs. 18/3710) wurde in der Bürgerschaft dazu im Jahr 2006 abgelehnt[2].
Hierzu findet sich auf afrika-hamburg.de park postkolonial folgende Ausführung: […]„ Am 2.12.2008 lud das Bezirksamt Hamburg-Harburg die Öffentlichkeit zur Diskussion ein über die mögliche Realisierung des park postkolonial auf der Harburger Schlossinsel [zu diskutieren]. Die Künstlerin Hannimarie Jokinen stellte das Konzept vor, und der Historiker Gordon Uhlmann gab einen Überblick über die zahlreichen kolonialen Spuren in Harburg. Akteure im Stadtteil waren eingeladen, Statements abzugeben, worauf eine kontroverse Debatte folgte.“
Der neugestellte Antrag zum Mahnmal von 2021 nennt ebenfalls den Binnenhafen als Ort des Gedenkens und die bisher namenlose Schleuse vor Ort. Aufgrund der thematischen Überschneidungen, ist es naheliegend, dass die Akteure:innen von 2008 in den neuen Prozess miteinbezogen werden könnten. Im Gespräch mit der beteiligten Hannimarie Jokinen stellte sich heraus, dass die beiden beteiligten Historiker von damals bereits verstorben sind. Allein Hannimarie Jokinen könnte noch das Konzept und die Bemühungen von damals sowie die Hintergründe vortragen.
Auf dieser Grundlage schlägt die Verwaltung vor, Hannimarie Jokinen in den Kulturausschuss einzuladen, um das Konzept Park Postkolonial vorzustellen.
Zudem wäre ein Austauschtreffen mit Vertretungen der Bezirksversammlung/des Kulturausschusses, Vertretungen aus dem Beirat Hamburg Postkolonial, dem Runden Tisch, insbesondere mit Lokalakteur:innen aus dem Bezirk Harburg, wie dem Eine-Welt Laden Harburgs, des Archäologischen Museums oder der Geschichtswerkstatt, mit Akteur:innen, die bereits zum Bezirk Harburg gearbeitet haben, sowie mit der Forschungsstelle als auch dem Staatsarchiv, welches für die Flächen-Benennung verantwortlich, ist zu initiieren.
Die Verwaltung hat am 28. Januar 2022 am Runden Tisch zur Dekolonialisierung Hamburgs teilgenommen, um auf das Vorhaben aufmerksam zu machen und zu einer unverbindlichen Austauschrunde für eine Konzepterstellung einzuladen. Daraufhin haben sich bisher zwei Personen gemeldet, wovon eine Frau Jokinen ist.
Ein solcher Austausch könnte dazu dienen, dass das Ziel der Politik an die beteiligten Akteur:innen klar und in direktem Dialog mit den zu beteiligten Personen formuliert werden kann. Der Austausch soll in einem schlanken Format online stattfinden.
Mit einem finanziellen Budget ausgestattet, könnte von den entsprechenden Akteur:innen ein Konzept entwickelt werden.
Um ein fundiertes Konzept professionell und partizipativ zu erarbeiten, empfiehl die Verwaltung, einen Experten/eine Expertin für die Prozessbegleitung und -durchführung sowie Konzepterstellung zu beauftragen. Es wird dafür ein Budget in Höhe von 7.500,- € vorgeschlagen.
Hiermit könnten mindestens fünf Arbeitssitzungen, die Akquise der Teilnehmenden, Netzwerkarbeit, Honorare, Aufwandsentschädigungen und Recherchen finanziert werden. Damit wären jedoch die Kosten für eine etwaige Mahnmalerstellung, und die Durchführung entsprechender Wettbewerbe zur Auswahl des Mahnmals etc. noch nicht abgedeckt.
Petitum
Der Ausschuss wird um eine Beschlussfassung zum weiteren Vorgehen gebeten.
Dr. Jobmann