Stellungnahme zum Gemeinsamen Antrag SPD - GRÜNE betr. Adolf Wagner - verdienter Sozialökonom, Antisemit oder beides? (zu 21-0631)
Mit Antrag 21-0631 fordert die CDU-Fraktion in der Bezirksversammlung Harburg eine Ergänzung des Namensschildes der Adolf-Wagner-Straße und biographische Daten des Namensgebers.
Hintergrund ist die Namesgleichheit des Namensgebers mit einem Nazi.
Es ist ausgesprochen wichtig, solche Uneindeutigkeiten zu verhindern. Insofern kann jeder Schritt zu deren Vermeidung nur begrüßt werden.
Allerdings ist es ebenfalls wichtig, die Gesamtbiographie eines Namensgebers zu berücksichtigen, wenn es um die Angemessenheit der Namengsgebung geht.
Bei dem Sozialökonom Wagner ist durchaus eine Ambivalenz im Leben und Wirken erkennbar. Nachfolgende Auszüge sind Hinweise darauf.
https://www1.wdr.de/stichtag/stichtag4584.html
Obwohl er ein konservativer Monarchist bleibt, hat er Sympathie für die aufkommende Sozialdemokratie - und wagt den Spagat in seiner Wirtschaftstheorie, die er als "Staatssozialismus" bezeichnet: "Der Staatssozialismus kommt prinzipiell dem Sozialimus entgegen, weil er dessen Kritik teilweise für berechtigt und dessen Forderungen [...] für erwünscht hält." Das bedeutet: Verstaatlichung bestimmter Bereiche wie Bahn, Banken und Versicherungen. Wagner sucht den "dritten" Weg zwischen Kapitalismus und Kommunismus. Er fordert mehr Staatseingriffe wie etwa besseren Arbeitsschutz und das Verbot von Kinderarbeit.
Wagner will straffe Reformen von oben durch eine starke, parlamentarisch-monarchistische Hand - keine Revolution, die den ganzen Staatsapparat auf den Kopf stellt.
(...)
Obwohl Wagner zwischen allen Stühlen sitzt, macht er Karrierre und wird 1895 Rektor der Berliner Friedrich-Wilhelms-Universität. Er gehört zu den einflussreichsten Ökonomen während der Regierungszeit Otto von Bismarcks. Dass er mittlerweile weitgehend in Vergessenheit geraten ist, dürfte mit den Schattenseiten seiner Biografie zu tun haben. Zum einen unterstützt er die aggressive Flottenpolitik des Deutschen Reiches. Zum anderen ist er Mitglied der Christlich-Sozialen Arbeiterpartei des Hofpredigers Adolf Stoecker, die eine anti-semitische Hetzkampagne auslöste. Wagner selbst schreibt damals von "bedenklichen Seiten des jüdischen Stammescharakters".
Im Wikipedia-Eintrag über ihn findet man die Passage: "Wagner war zudem eine der führenden Personen im 1881 konstituierten Conservativen Central-Comitee (CCC). Das CCC formierte sich bald zur antisemitischen Berliner Bewegung, in der Wagner unter anderem mit Adolf Stoecker zusammenarbeitete."
Stoecker begründete mit den Christlich-Sozialen die so genannte Berliner Bewegung, die rückwärtsgewandte mit modernen Elementen vereinte. Programmatisch trat sie auf einer protestantischen Grundlage antikapitalistisch, antiliberal und antisozialistisch auf, verknüpft durch einen scharfen Antisemitismus, der sich gegen den „verjudeten“ Großkapitalismus wie gegen die „verjudete“ Linke richtete. Das politische Fernziel Stoeckers war ein christlich-deutscher Gottesstaat als Ständestaat. Stoecker repräsentierte eine politische Splittergruppe.
Insofern sollte der Antrag zum Anlass genommen werden, die Namensgebung in Zusammenhang mit der Gesamtbiographie Wagners durch das Staatsarchiv Hamburg prüfen und bewerten zu lassen und in Kenntnis des Ergebnisses dieser Prüfung eine Entscheidung zur Namensgebung bzw. Ergänzung der Beschilderung zu treffen.
Der Vorsitzende der Bezirksversammlung Harburg wird gebeten, das Staatsarchiv Hamburg um Prüfung und Beurteilung der Namensgebung der Adolf-Wagner-Straße im Hinblick auf die Gesamtbiographie des Namensgebers zu bitten und eine Empfehlung zu geben, ob diese Namensgebung angemessen ist, diese unter heutigen Gesichtspunkten ebenso vorgenommen werden würde und ob, beziehungsweise wie, eine Ergänzung der Straßenschilder um welche biographischen Daten angemessen wäre oder eventuell sogar eine Umbenennung vorzunehmen wäre.
Bezirksversammlung Harburg 19.10.2020
Der Vorsitzende
Die Behörde für Kultur und Medien nimmt zu dem Gemeinsamen Antrag SPD/GRÜNE
Drs. 21-0657 wie folgt Stellung:
Zur Prüfung und Beurteilung der Namensgebung:
Grundsätzlich ist es Aufgabe des Bezirksamts, Vorschläge zur Benennung von Verkehrsflächen biographisch zu prüfen bzw. prüfen zu lassen und politisch abzustimmen. Das Staatsarchiv prüft anschließend den Vorschlag ergänzend im Hinblick auf die geltenden Benennungsrichtlinien, bevor es eine Vorlage für die zuständige Senatskommission fertigt.
Zum Umgang mit NS-belasteten Straßennamen:
Der für Kultur und Medien zuständige Senator hat eine Kommission aus Expertinnen und Ex-perten, die sich bereits mit erinnerungspolitischen Fragen befasst haben, beauftragt, einheitliche Entscheidungskriterien für den Umgang mit NS-belasteten Straßennamen in Hamburg zu entwickeln und ggf. grundsätzliche Empfehlungen zu möglichen Neu- und Umbenennungen aussprechen.
Auf dieser Grundlage kann auch die Benennung nach Adolf Wagner überprüft werden.
Zur Anbringung ergänzender Hinweise an Straßenschildern:
Sofern im damaligen Senatsbeschluss zur Benennung der Adolf-Wagner-Straße eine amtliche Erläuterung des Namens vorhanden ist, die nicht geändert werden soll, kann das Bezirksamt nach eigenem Ermessen ein erklärendes Zusatzschild anbringen.
Sofern im damaligen Senatsbeschluss keine Erläuterung des Namens beschlossen wurde oder diese Erläuterung inhaltlich geändert werden soll, reicht das Bezirksamt (Fachamt Management des Öffentlichen Raums) einen abgestimmten Textentwurf mit Anschreiben der Bezirksamtslei-tung beim Staatsarchiv ein.
Das Staatsarchiv prüft diesen Antrag nach den Benennungsrichtlinien und erstellt jeweils zum Stichtag 1. April/ 1. Juli/ 1. Oktober eine Beschlussvorlage für die Senatskommission. Der Se-natsbeschluss wird wie üblich im Amtlichen Anzeiger veröffentlicht, anschließend kann der Be-zirk die beschlossenen Erläuterungen in passender Weise anbringen.
gez. Heimath
f.d.R.
Wyzinski