21-2132

Gemeinsamer Antrag SPD - GRÜNE betr. Seelische Gesundheit - Therapiebedarfe decken

Gemeinsamer Antrag

Bera­tungs­reihen­folge
Gremium
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11.03.2024
26.04.2022
Sachverhalt


 

Aus der Senatsantwort zur Bürgerschaftsdrucksache 22/5558 geht hervor, dass im Bezirk Harburg mit Stand 01.01.2021 insgesamt 54 Psychotherapeut:innen (einschließlich Kinder- und Jugendpsychiater:innen) niedergelassen sind. Die höchste Konzentration weist Harburg mit 26 auf. Weitere 8 in Neugraben-Fischbek, 7 in Heimfeld, 6 in Eißendorf, 3 in Sinstorf, 2 in Wilstorf und je 1 in Marmstorf und Hausbruch (Drs.22/5558, Anlage 6, S. 23). Bei genauerer Betrachtung stellt sich heraus, dass darunter jedoch keine Kinder- und Jugendpsychiater:innen zu finden sind (a.a.O. S., Anlage 5, S. 21). Da nicht alle in Vollzeit arbeiten, reduziert sich das Angebot auf 39,2 Vollzeitäquivalente.

Mag die Versorgungslage in Hamburg im Vergleich mit ländlichen Regionen noch nahezu entspannt wirken, so ist doch die Verteilung innerhalb der Stadt – wie auch bei der hausärztlichen Versorgung – sehr ungleich und spiegelt nicht den realen Bedarf wider.

Laut Bedarfsplan liegt die Verhältniszahl für Kinder- und Jugendpsychiater:innen bei 16.895 und bezieht sich auf die minderjährige Bevölkerung. (Bedarfsplanungs-Richtlinie §13 Absatz 4). Bei 31.134 minderjährigen Menschen im Bezirk (Statistik-Nord) besteht somit ein rechnerischer Bedarf von knapp 2 Kinder- und Jugendpsychiater:innen.

Bei der Betrachtung der Regionalen Verhältniszahlen für Psychotherapeut:innen (Einwohner je Psychotherapeut:in) von 3.152 Menschen (KVHH, Planungsblatt zur Feststellung des Psychotherapeuten-Versorgungsgrades zum Stichtag 01.01.2021) ergibt sich für Harburg ein rechnerischer Bedarf von fast 53,7 VZÄ und somit ein Versorgungsgrad von lediglich 73%.

Dieser auf den gesamtstädtischen Daten basierende Wert überschätzt jedoch den realen Versorgungsgrad erheblich, da er weitere Deprivationen, wie sozioökonomische Faktoren, nicht ausreichend erfasst. So haben zum Beispiel Menschen ohne Schulabschluss eine 2,6fach erhöhtes Risiko, an einer psychischen Störung zu erkranken, als Menschen mit Hochschulabschluss (Bertelsmann Stiftung Hrsg., Daten, Analysen, Perspektiven  |  Nr. 4, 2017 Psychotherapeuten Bedarf, Nachfrage, Angebot –  Maßnahmen für eine bedarfsgerechte Verteilung, S. 4).

Zudem steigt der Therapiebedarf bei Kindern und Jugendlichen. Jeder siebte junge Mensch im Alter zwischen zehn und 19 Jahren leidet nach Angaben der UN-Kinderhilfsorganisation Unicef unter einer diagnostizierten psychischen Störung. Durch die Einschränkungen der Corona-Pandemie kämen nun noch gravierende Auswirkungen hinzu, so ein Unicef-Bericht.

Michael Schulte-Markwort ist Kinder- und Jugendpsychiater und ärztlicher Direktor der Oberberg Fachklinik Marzipanfabrik in Hamburg. Die Corona-Pandemie habe die Aufmerksamkeit stärker auf die seelische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen gelenkt, bestätigte der Psychiater im Deutschlandfunk. Schulte-Markwort wies auf extreme Versorgungsengpässe hierzulande hin: „50 Prozent aller diagnostizierten Kinder in Deutschland waren nicht in Behandlung“. 

Ein großer Risikofaktor für psychische wie auch körperliche Erkrankungen sei Armut: „Arme Kinder sind schlechter beispielsweise ernährt, in solchen Familien kommt gehäuft Gewalt und Alkoholmissbrauch vor.“

Zudem verschärft sich die Nachfragesituation durch traumatisierte Menschen mit Kriegs- und Fluchterfahrungen erheblich. So sind Stand 28.03.2022 schon 14.147 Menschen aus der Ukraine in Hamburg registriert worden. Rund ein Viertel davon sind Kinder. Weitere noch nicht registrierte Menschen bilden eine kaum abschätzbare Dunkelziffer.

Hier ist eine Ansatzmöglichkeit, auf die Qualifikationen der erwachsenen Flüchtenden aufzusetzen. Darunter sind auch Psycholog:innen, Psychotherapeut:innen, Kinder- und Jugendpsychiater:innen und vergleichbare Professionen mit entsprechenden Sprachkenntnissen. Diese können eventuell in einem von der Behörde für Arbeit, Gesundheit, Soziales, Familie und Integration begleiteten Verfahren akkreditiert werden und zur therapeutischen Betreuung ukrainischer Kinder herangezogen werden.

 

 

Petitum/Beschluss


 

1. Das vorsitzende Mitglied der Bezirksversammlung wird gebeten Referent:innen der Behörde für Arbeit, Gesundheit, Soziales, Familie und Integration, der Kassenärztlichen Vereinigung Hamburg, der Psychotherapeutenkammer Hamburg in den Ausschuss für Soziales, Integration, Gesundheit und Inklusion einzuladen, um über die Versorgung und Bedarfsplanung in Hamburg und insbesondere im Bezirk Harburg zu berichten.

2. Die Behörde für Arbeit, Gesundheit, Soziales, Familie und Integration wird gebeten, ein Verfahren zur Akkreditierung zu entwickeln und kurzfristig umzusetzen, das die Einbeziehung von qualifizierten Fachkräften unter den bei uns Schutz suchenden Menschen ermöglicht, um zusätzliche Therapiebedarfe möglichst kurzfristig abdecken zu können und dies im Ausschuss für Soziales, Integration, Gesundheit und Inklusion zu berichten.