Antrag DIE LINKE betr.: Harburg für alle! - Eine langfristige Lösung gegen Obdachlosigkeit - Housing First umsetzen
In Hamburg leben mehr als 1.900 obdachlose Menschen auf der Straße und rund 5.300 Wohnungslose in den öffentlich-rechtlichen Unterkünften (Stand 09/2020).
Zum Vergleich: Im Jahr 2009 lebten in Hamburg noch 1.029 obdachlose Menschen. Das ist eine unsägliche Steigerung um 86 Prozent - trotz der bestehenden Hilfsangebote und des gestiegenen Budgets für Hilfsmaßnahmen! Aufgrund der anzunehmenden hohen Dunkelziffer dürfte die tatsächliche Anzahl deutlich darüber liegen. Einer der wichtigsten Gründe für diese starke Zunahme ist der Mangel an erschwinglichem und für obdach- und wohnungslose Menschen zugänglichem Wohnraum. Auch in Harburg ist offensichtliche Obdachlosigkeit zu sehen. Mit dem Antrag „Wohnraumversorgung von Wohnungslosen und vordringlich Wohnungssuchenden weiter fördern“ (Drs. 21/19723) der Regierungsfraktionen hat die Bürgerschaft im Januar 2020 die Einrichtung eines Housing First-Modellprojekts als ergänzenden Ansatz für Wohnraumversorgung von Personen mit mehreren Vermittlungshemmnissen beschlossen. Bisher seien jedoch „Planungen und Überlegungen noch nicht abgeschlossen“ - so die Antwort des Senats auf eine CDU-Anfrage. In Hamburg-Mitte wurde am 11.02.2021 dem interfraktionellen Antrag der Fraktion DIE LINKE, der SPD, GRÜNE, CDU, sowie FDP zur Umsetzung von Housing First angenommen (Drs. 22-1690.1). Zuvor hatte die Fraktion DIE LINKE mit einem Antrag den Vorstoß dazu gegeben. Das aktuelle Konzept zur Reduzierung von Obdachlosigkeit sieht vor, dass wohnungslose Menschen zunächst ihre Wohnfähigkeit nachweisen müssen. Hürden können dabei Suchtprobleme, Sprachbarrieren und Krankheit sein, die obdach- bzw. wohnungslose Menschen überwinden müssen um sich für einen Wohnraum zu qualifizieren. Das tägliche Leben auf der Straße ist dabei sehr aufreibend und nicht ohne Gefahren - insbesondere für Frauen. Sie berichten mitunter, dass sie sich so „unattraktiv“ wie möglich machen würden, sodass sie durch ihr verändertes Erscheinungsbild weniger sexualisierte Übergriffe fürchten müssten. Wohnraum sollte als nicht verhandelbare Basis gelten, der es ehemals obdach-/ wohnungslosen Menschen ermöglicht, zunächst Ruhe zu finden. Anschließend können Krankheiten, Suchtprobleme etc. angegangen werden. Housing First kann dabei als echte Perspektive angesehen werden. Housing First wird seit den 90er Jahren in verschiedenen Ländern und vor allem in großen Städten, wie beispielsweise Wien, erfolgreich zur Bekämpfung von Wohnungslosigkeit eingesetzt. In Finnland, einem der Länder, in dem Housing First flächendeckend eingesetzt ist, reduziert sich die Obdachlosigkeit langfristig. Auch in Deutschland gibt es zwischen 15-20 Projekte. 78-90% der ehemals obdachlosen Menschen, leben nach zwei Jahren weiterhin in der Wohnung und werden auch psychisch stabiler. Aus anderen Ländern ist bekannt, dass die Finanzierung von Housing First Projekten langfristig weniger kostet, als herkömmliche Maßnahmen. Kerngedanke bei Housing First ist demnach das „Recht auf Wohnen“ zu sichern ohne Konditionen daran zu knüpfen. Im Gegensatz zu anderen betreuten Wohnformen entkoppelt Housing First das Mietverhältnis vom Unterstützungsangebot und setzt für den Bezug der eigenen Wohnung keine Bewährung in stufenweisen vorangehenden Hilfemaßnahmen oder die Bereitschaft zu Abstinenz, Therapie, beruflicher (Wieder-)Eingliederung oder anderen vereinbarten Hilfezielen voraus. Die Menschen erhalten unmittelbar eine Wohnung mit einem eigenen Mietvertrag. Gleichzeitig macht ein multiprofessionelles Team ein ständiges, offensives und individuelles Unterstützungsangebot. Die positive Wirkung dieses Ansatzes ist in zahlreichen europaweiten Studien belegt worden. Somit kann und sollte es auch in Hamburg eine sinnvolle Erweiterung und Ergänzung des bestehenden Hilfesystems werden.
Die Bezirksversammlung möge beschließen:
1. Die Bezirksamtsleiterin und die zuständige Fachbehörde werden aufgefordert sich dafür einzusetzen, dass im Bezirk Harburg das Housing First Prinzip umgesetzt wird. Hierfür sollen
a) Gespräche mit vor Ort aktiven Trägern der Obdach- und Wohnungslosenhilfe aufgenommen werden.
b) Gespräche zur Akquise von Wohnungen mit den Wohnungsgenossenschaften und der SAGA aufgenommen werden.
2. Die Bezirksamtsleiterin wird aufgefordert, sich dafür einzusetzen, dass die entsprechenden Mittel im Haushalt 2020/21 eingestellt werden.
3. Das Bezirksamt wird um Prüfung gebeten, welche rechtlichen Regelungen nötig wären, um Housing First Wohneinheiten bei Neubauvorhaben verbindlich und langfristig zu berücksichtigen.
4. Die Bezirksverwaltung wird gebeten - auch vor dem Hintergrund der Pandemie und dem kürzlich veröffentlichten Vorfall in einer Wohnunterkunft in Hamburg Mitte, bei dem 42 Bewohner positiv getestet wurden - sich für eine Einzelunterbringung im Rahmen des Housing First Modellprojekts, sowie perspektivisch im Winternotprogramm einzusetzen.
Dem Ausschuss für Soziales, Integration, Gesundheit und Inklusion ist fortlaufend über den Stand der Umsetzung zu berichten.