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Möglichkeiten für Tempo 30 schaffen Stellungnahme der Behörde für Verkehr und Mobilitätswende

Mitteilungsvorlage vorsitzendes Mitglied

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16.06.2021
08.06.2021
Sachverhalt

 

Der Ausschuss für Klimaschutz, Umwelt und Mobilität hat sich in seiner Sitzung am 20.01.2021 mit o.g. Thematik auf der Grundlage eines gemeinsamen Antrages der GRÜNE- und SPD-Fraktion befasst und mehrheitlich, bei Gegenstimmen der CDU-Fraktion und Enthaltung der Fraktion DIE LINKE, folgende Beschlussempfehlung verabschiedet:

 

Das Vorsitzende Mitglied möge sich bei der zuständigen Fachbehörde dafür einsetzen, dass in Hamburg geeignete Grundlagen geschaffen werden, um in mehr Straßen als bislang Tempo 30 anordnen zu können.

 

 

Begründung:

 

Die zulässige Höchstgeschwindigkeit beträgt in Deutschland innerorts 50km/h. Auf vielen Straßen in Hamburg ist tatsächlich auch nichts anderes angeordnet. Dieser Umstand wird von immer mehr Menschen kritisch gesehen. Tempo 30 statt Tempo 50 kann aus einer ganzen Reihe von Gründen Vorteile für viele Bürger*innen bedeuten:

 

  • Reduzierte Lärm-, Stickoxid- und Feinstaubemissionen vermindern Gesundheits-gefahren. Zu diesen Gefahren gehören auch physische und psychische Folgen von Lärm und wenig Nachtruhe. Überdurchschnittlich oft sind Menschen mit geringem Einkommen betroffen, da sie eher an besonders belasteten Straßenabschnitten wohnen.

 

  • Reduzierte CO2-Emissionen tragen zum Klimaschutz bei – gerade auch, weil bei Tempo 30 mehr Menschen den Umweltverbund nutzen.

 

  • Kürzere Bremswege verringern die Zahl der Unfälle und die Schwere der Unfallfolgen.

 

  • Tempo 30 reduziert die Zahl der „erforderlichen“ Überholvorgänge des Kfz-Verkehrs gegenüber dem Radverkehr, dies trägt merklich zum Sicherheitsgefühl der Radfahrer*innen bei – und verhindert so Gehwegradler*innen.

 

  • Fußgänger*innen können leichter eine Fahrbahn überqueren.

 

  • Die wahrgenommene Aufenthaltsqualität steigt, dies kann ökonomische Vorteile für Anwohner*innen, Einzelhandel und Gastronomie mit sich bringen.

 

  • Die Temporeduzierung soll auf lange Sicht den Verkehrsfluss verbessern. Ein gleichmäßigerer Verkehrsfluss und eine übersichtlichere Gestaltung der Kreuzungen ermöglicht die Reduzierung der Standzeiten. Diese Chance ist bei geringeren Geschwindigkeiten exorbitant größer, da Bremsvorgänge und Standzeiten an Signalanlagen oder Kreuzungen verkürzt werden können.

 

  • Die Verbesserung des Verkehrsflusses ist ebenfalls essenziell für eine nachhaltige Reduktion des Lärms und der Schadstoffemissionen.

 

  • In vielen Gesprächen mit Bürger*innen steht das Bedürfnis nach Sicherheit, Rücksichtnahme und Übersichtlichkeit im Straßenverkehr im Mittelpunkt. Die Ent- und nicht die Beschleunigung des Straßenverkehrs erleichtern es allen Verkehrsteilnehmer*innen, sich ordnungsgemäß und rücksichtsvoll zu verhalten.

 

All diese Gründe gegen das Bedürfnis abzuwägen, schnell von A nach B zu kommen, ist keine leichte Aufgabe. Bislang scheitert die Lösung aber daran, dass die Aufgabe gar nicht erst bearbeitet werden darf: Wenn keine konkrete Gefahrenstelle vorliegt und keine Kita, Schule etc. an der Straße liegt, so muss Tempo 50 angeordnet werden. Die oben genannten Gründe wiegen aber durchaus schwer.

 

Wir halten auch die Definition von Gefahrenstellen für mehr als überholt. Die Qualität des Verkehrsraums noch über tatsächliche Unfälle zu definieren, finden wir antiquiert. Wenn vor allem gefährliche Bereiche von gefährdeten Verkehrsteilnehmer*innen gemieden werden, weil diese sich dort unsicher fühlen, kann es keine verlässlichen Daten geben.

 

Ein großes Problem besteht ebenfalls darin, dass sich somit kaum verlässliche Daten zu den einzelnen Faktoren gewinnen lassen. Ohne Teststrecken, die den normalen Alltag betreffen, bleibt eine zukunftsweisende Entwicklung nicht seriös planbar und es wird ein für fast alle Verkehrsteilnehmer*innen unbefriedigender Status Quo erhalten.

 

Die Beharrlichkeit der Behörden bei Straßen, in denen es Linienbusverkehr gibt, auf die Einhaltung von Tempo 50 zu bestehen, lässt sich vor allem in den innerstädtischen Vierteln im Regionalbereich Eppendorf und Winterhude sowie in Barmbek und auf der Uhlenhorst nicht nachvollziehen. Die errechneten Durchschnittsgeschwindigkeiten der Busse lassen nicht darauf schließen, dass sich die Fahrzeiten auf den Nebenstrecken signifikant erhöhen, wenn dort Tempo 30 gilt.

 

Für Hamburg sollten daher neue Möglichkeiten entwickelt werden, Entscheidungsspielräume für den Einzelfall zu schaffen.

 

Der Hauptausschuss folgt der Beschlussempfehlung.

 

 

Die Behörde für Verkehr und Mobilitätswende nimmt hierzu wie folgt Stellung:

 

Zunächst bittet die BVM hinsichtlich der verlängerten Bearbeitungsdauer um Nachsicht.

 

Innerörtliche Geschwindigkeitsbeschränkungen auf eine Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h oder weniger können einen wesentlichen Beitrag zur Verkehrssicherheit leisten. Die Betriebsgefahr des Kraftfahrzeugs ist für Fahrzeugführende besser beherrschbar; Bremswege verkürzen sich. Lärm- und Schadstoff-Emissionen des Kraftfahrzeugverkehrs nehmen bei Geschwindigkeitsbegrenzungen ab. Neben jenen günstigen Effekten für die Gesundheit der Bürgerinnen und Bürger sowie für die Umwelt können innerörtliche Geschwindigkeitsbeschränkungen den klimafreundlichen Umstieg auf nicht-motorisierte Fortbewegungsarten fördern. Werden schädliche Emissionen des Kraftfahrzeugverkehrs eingehegt, wächst die Aufenthaltsqualität im Quartier und der Fußverkehr gewinnt an Attraktivität. Müssen Radfahrende weniger befürchten, mit hohen Geschwindigkeiten und zu geringem Seitenabstand von Kraftfahrzeugen überholt zu werden, nimmt das Sicherheitsgefühl der Radverkehrsteilnehmenden zu, sodass der erfreuliche Trend hin zu dieser kostengünstigen, klimaneutralen, gesundheitsförderlichen Mobilitätsform unterstützt wird.

Diesen Vorzügen steht das verkehrsrechtliche bundesrechtlich geregelte Schutzgut der Leichtigkeit des Verkehrs gegenüber. Dieses Schutzgut umfasst – über den Beschluss der Bezirksversammlung hinaus – mehr als das Ziel eines Individuums „schnell von A nach B zu kommen“. So sind bspw. Auswirkungen eines ggf. häufigeren Tempowechsels zwischen 30 und 50 km/h auf das differenzierte Straßennetz und damit auf die Flüssigkeit des Verkehrs insgesamt zu bedenken. Hierbei sind auch die Belange des Öffentlichen Personennahverkehrs zu berücksichtigen. Soll den Bürgerinnen und Bürgern im Sinne der Mobilitätswende bspw. für längere Wege zur Arbeit eine attraktive Alternative zum motorisierten Individualverkehr angeboten werden, müssen Busse als Zubringer zügige sowie flüssige Anschlüsse zum Schnell- und U-Bahn-Netz gewährleisten.

In diesem Spannungsfeld treffen die Straßenverkehrsbehörden Anordnungen zur innerörtlichen Geschwindigkeitsbeschränkung, soweit dies rechtlich zulässig ist. Enge Grenzen ergeben sich insofern aus § 45 Absatz 9 Satz 3 der Straßenverkehrs-Ordnung (StVO), demzufolge Beschränkungen des fließenden Verkehrs nur angeordnet werden können, wenn besondere örtliche Verhältnisse (beispielsweise die konkrete Streckenführung, der Ausbauzustand der Verkehrsanlagen, witterungsbedingte Einflüsse wie Nebel oder Schnee- und Eisglätte, die Verkehrsdichte und die daraus resultierenden Unfallzahlen) eine Gefahrenlage begründen, die das allgemeine Risiko erheblich übersteigt.

Um straßenverkehrsbehördliche Spielräume im Einzelfall zu erweitern und den kommunalen Bedürfnissen anzupassen, bedarf es demnach bundesrechtlicher Änderungen, die die BVM sehr begrüßen würde. Zwischen Bund und Ländern wurden und werden verschiedene Ansätze erörtert, die Restriktionen des § 45 Absatz 9 Satz 3 StVO abzubauen. Diese reichen von einem erweiterten Ausnahmenkatalog in § 45 Absatz 9 Satz 4 StVO, für den das Erfordernis einer qualifizierten Gefahrenlage nicht gilt, bis hin zur Reform des Gefahrkriteriums an sich. In Abstimmung mit der für Verkehrssicherheit zuständigen Behörde für Inneres und Sport bringt die Behörde für Verkehr und Mobilitätswende in verschiedenen Gremien Hamburgs Interessen an der Förderung des Umweltverbundes und einer sicheren, klimafreundlichen, umweltschonenden, an der Lebensqualität der Bürgerinnen und Bürger orientierten Verkehrsgestaltung in die laufende Meinungsbildung ein.

 

Petitum/Beschluss

 

Um Kenntnisnahme wird gebeten.

 

 

Priscilla Owoesekun-Wilms