Eingabe: Benennung einer öffentlichen Fläche nach Mustafa Kemal Atatürk
Letzte Beratung: 03.12.2019 Hauptausschuss Ö 4.1
Die nachfolgende Eingabe wurde beim Vorsitzenden der Bezirksversammlung eingereicht. Gemäß Geschäftsordnung der Bezirksversammlung werden Eingaben an den zuständigen Fachausschuss weitergeleitet. Da kein geeigneter Fachausschuss tagt, wird die Eingabe dem Hauptausschuss vorgelegt.
„Die Vereinigung Hamburger Deutsch-Türken e.V. möchte hiermit eine Eingabe für die morgige Sitzung des Hauptausschusses stellen.
Wir möchten den Hauptausschuss bitten, zu prüfen, eine Straße/Platz/geeignete Grünfläche im Bezirk nach dem Staatsgründer der Türkischen Republik Mustafa Kemal Atatürk zu benennen.
Mustafa Kemal Atatürk wurde am 19. Mai 1881 geboren. Er war ein türkischer Politiker und erster Staatspräsident (1923–1938) sowie Begründer der Republik Türkei, die er durch zahlreiche Reformen nachhaltig prägte. Er wurde am 19. Mai 1881 in Thessaloniki in Griechenland geboren und verstarb am 10. November 1938 mit 57 Jahren in Istanbul in der Türkei.
Neben seinen zahlreichen Errungenschaften für die Türkische Republik, rettete er schätzungsweise 5000 deutschen Juden das Leben, indem er sie aktiv in die Türkei holte, als die Nazis die Macht in Deutschland an sich rissen.
Im letzten Jahr bildete sich eine Initiative für dieses Projekt, bestehend aus 10 Vereinen, die 5000 Unterschriften sammelten.
Ich möchte Sie höflichst bitten, meine Eingabe an die im Hauptausschuss vertretenden Parteien zu übersenden, damit morgen darüber beraten werden kann.
Für Rückfragen stehe ich Ihnen gerne zur Verfügung.
Mit freundlichen Grüßen
Vorsitzender“
Nach § 16 (5) GO BV können die Entscheidungen des Ausschusses nach erfolgter Beratung lauten:
a) Die Eingabe oder Beschwerde wird dem Bezirksamt
– zur Kenntnisnahme,
– zur Berücksichtigung,
– zur Erwägung,
– mit einer Empfehlung, bestimmte, näher bezeichnete Maßnahmen zu veranlassen,
– zur Weiterleitung an die zuständige Behörde,
– als Material zur Information,
überwiesen.
b) Der Petentin bzw. dem Petenten wird geraten, zunächst den Rechtsweg auszuschöpfen.
c) Die Eingabe oder Beschwerde wird für erledigt erklärt.
d) Die Eingabe oder Beschwerde wird, ohne auf die Sache einzugehen, zurückgewiesen.
e) Die Eingabe oder Beschwerde wird für ungeeignet zur weiteren Beratung erklärt.
f) Die Eingabe oder Beschwerde fällt nicht in die Kompetenz der Fach- oder Regionalausschüsse der Bezirksversammlung Hamburg-Mitte und wird deswegen dem Eingabenausschuss der Hamburgischen Bürgerschaft oder dem Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages zugeleitet.
Der Hauptausschuss hat die Beschlussfassung über die Eingabe am 07.05.2019 und 11.06.2019 vertagt, um eine Stellungnahme des Staatsarchivs einzuholen. Diese liegt nun vor:
„Das Staatsarchiv stellt fest, dass eine Benennung einer Verkehrsfläche nach Mustafa Kemal Atatürk, erster türkischer Staatspräsident, nach den geltenden Bestimmungen über die Benennung von Verkehrsflächen grundsätzlich zulässig wäre. Danach können Benennungen nach „allgemein anerkannten Persönlichkeiten“ erfolgen, jedoch nachrangig im Hinblick auf Ereignisse und Persönlichkeiten der Orts- und Stadtgeschichte. Benennungen nach Staatsgründerinnen und Staatsgründern sowie Präsidentinnen und Präsidenten sind ausgesprochen selten.
Es ist im Einzelfall zu prüfen, ob es politische oder andere Gründe gibt, die einer Benennung entgegenstehen.“
Zusätzlich hat der Hauptausschuss am 06.08.2019 um Aussage gebeten, welche Benennungen es nach Staatsoberhäuptern in Hamburg gibt und wie diese Benennungen beurteilt werden. Der Petent wurde um Information gebeten, welchen Bezug Mustafa Kemal Atatürk zu Hamburg hat.
Der Petent teilt Folgendes mit:
1924 wurde die Beziehungen zwischen der Türkei und Deutschland wieder zugelassen. Mustafa Kemal Atatürk war sehr bemüht, die wirtschaftlichen und freundschaftlichen Beziehungen zu Deutschland wieder zu intensivieren. Auf sein Betreiben hin konnte bereits am 3. März 1924 ein deutsch-türkischer Freundschaftsvertrag abgeschlossen werden. Der Austausch von Botschaftern folgte kurz danach. Der deutsche Botschafter Rudolf Nadolny war einer der ersten ausländischen Diplomaten, der in die neue Hauptstadt Ankara zog. 1924 wurde vom Hamburger Hafen aus ein Holzfertighaus in die Türkei verschifft, das dann das erste Botschaftsgebäude darstellte. Die Türkei wiederum eröffnete eine ihrer ersten Botschaften in Hamburg.
Aus Hamburg emigrierte 1934 der Chemiker Fritz Arndt in die Türkei. Er wurde Direktor des Chemischen Instituts der Universität Istanbul und blieb dort, bis er 1955 wieder nach Hamburg zurückkehrte. 1938 emigrierte der Hamburger Zoologe Curt Kosswig nach Istanbul und lehrte dort bis zu seiner Rückkehr nach Deutschland ebenfalls im Jahr 1955. Insbesondere nach der Machtergreifung durch die Nazis immigrierten schätzungsweise 1000 deutsche Akademiker mit jüdischen Glauben sowie ihren Familien, denen Atatürk eine neue Heimat gab. Bis zu 5000 deutsche Juden konnten durch Atatürk vor den Nazis gerettet werden, u.a. Ernst Reuter (späterer Bürgermeister von Berlin).
Der Einfluss von Architekten aus dem deutschsprachigen Raum ist bis heute in den Städten der Türkei nicht zu übersehen. Beispielsweise die Stadtplanung für die neue Hauptstadt Ankara, die in ganz kurzer Zeit von einem Provinznest mit ein paar Tausend Einwohnern zur repräsentativen Großstadt wuchs, wurde von dem deutschen Hochschulprofessor Herrmann Jansen geplant. Viele öffentliche Gebäude in Ankara wurden von deutschen und österreichischen Architekten errichtet. Dazu trugen nicht nur der Stadtplaner Jansen und die Architekten Bruno Taut und Clemens Holzmeister bei, sondern zum Beispiel auch Gustav Oelsner, der bis 1933 Stadtbaurat in Altona war und in Istanbul das Straßen- und Verkehrskonzept für die wachsende Wirtschaftsmetropole erarbeitete.
Im Zeitalter des Kalten Krieges betonte die westdeutsche Politik die Bedeutung der Türkei und die Notwendigkeit, sie politisch zu unterstützten, um sie vor kommunistischem Einfluss zu bewahren. Bundeskanzler Adenauer war höchstpersönlich ein Verfechter dieser politischen Linie. Zum Ausdruck kam dies nicht zuletzt durch seine Mitgliedschaft in der „Deutsch-Türkischen Gesellschaft“, die 1953 in Bonn durch Fritz Baade, einem ehemaligen Türkei-Emigranten, gegründet wurde. Diese Gesellschaft, die heute noch in Bonn existiert, hatte über viele Jahrzehnte auch einen Ableger in Hamburg.
Das Bezirksamt Hamburg-Mitte teilt mit, dass eigene und Recherchen des Staatsarchives ergeben haben, dass Benennungen nach Präsidenten und Staatsgründern generell nur zu Stande kommen, wenn es hierfür klare politische oder andere Gründe gibt. Einen Bezug von dem Wirken Mustafa Kemal Atatürk zu Hamburg konnte bei den Recherchen nicht festgestellt werden.
Folgende Benennungen existieren nach Präsidenten und Staatsgründern in Hamburg:
Die Beispiele erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit, da der Rechercheaufwand sehr hoch ist.
In seiner Sitzung am 03.09.2019 hat der Hauptausschuss die Vorlage einstimmig zur Abgabe einer Stellungnahme in den Ausschuss für Musik, Kultur und Kreatives überwiesen. Dieser hat in seiner Sitzung am 07.11.2019 die Eingabe wohlwollend beraten und empfiehlt dem Hauptausschuss im Ergebnis, die Eingabe dem Bezirksamt zur Erwägung zu übermitteln.
Das Bezirksamt nimmt die Eingabe hiermit zur Kenntnis. Aktuell steht keine Platzbenennung an. Das Bezirksamt wird den Namen Mustafa Kemal Atatürk in die Platzbenennungsliste aufnehmen. Sobald eine Platzbenennung ansteht, die einer Benennung nach einem ausländischen Staatsoberhaupt würdig erscheinen würde, kann auf diese Liste zurückgegriffen werden.
Um Beratung und Beschlussfassung wird gebeten.
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