Bei der Sanierung und Neuplanung von Straßen an alle Verkehrsteilnehmer:innen denken!
Letzte Beratung: 04.10.2023 Ausschuss für Klimaschutz, Umwelt, Mobilität und Stadtnatur Ö 7.1
Der Hauptausschuss hat in seiner Sitzung am 11.07.2023 dem Antrag (Drs. 22-4011) mehrheitlich -gegen eine Stimme der Fraktion DIE LINKE, gegen die Stimmen der GRÜNE-Fraktion und bei Enthaltung einer Stimme der Fraktion DIE LINKE- zugestimmt. Das Bezirksamt Hamburg-Mitte und die Behörde für Verkehr und Mobilitätswende (BVM) wurden gebeten, eine Stellungnahme zur Information für den Ausschuss für Klimaschutz, Umwelt, Mobilität und Stadtnatur abzugeben.
Eine sichere und effiziente Verkehrsinfrastruktur für alle Bürgerinnen und Bürger ist von großer Bedeutung. In den letzten Jahren haben viele Menschen den Umstieg auf umweltfreundliche Verkehrsmittel wie das Fahrrad oder das Zufußgehen vollzogen. Die Koalition aus SPD, CDU und FDP in der Bezirksversammlung Hamburg-Mitte unterstützt daher nicht nur den Ausbau der Velorouten im Bezirk, sondern auch die Verbesserung der Situation für Fußgängerinnen und Fußgänger – etwa auf der Basis der im Bezirk bereits entwickelten Fußverkehrskonzepte.
Diese Entwicklung ist auch erfreulich, da sie zur Verringerung von Verkehrsstaus, zur Verbesserung der Luftqualität und zur Förderung eines gesünderen Lebensstils beiträgt. Dabei dürfen jedoch der Schutz und der Erhalt der Stadtnatur und insbesondere der Straßenbäume nicht zu kurz kommen. Daher muss bei der Straßensanierung sichergestellt werden, dass ausreichend Platz und sichere Infrastrukturen für Radfahrende sowie Fußgängerinnen und Fußgänger vorhanden sind. Dies beinhaltet natürlich den Ausbau von Fahrradwegen, die wo es möglich ist baulich getrennt sein sollten, die Schaffung sicherer Fußgängerüberwege und die Installation von Fahrradabstellmöglichkeiten. Die Straßeninfrastruktur sollte also nach den neuesten Standards der Verkehrssicherheit gestaltet werden, um die Bedürfnisse aller Verkehrsteilnehmerinnen und -teilnehmer zu berücksichtigen.
Gleichwohl kommt es entscheidend darauf an, bei jeder Straßensanierung eine ausgewogene und ideologiefreie Lösung zu finden, die die Interessen aller Verkehrsteilnehmenden berücksichtigt. Daher müssen bei der Sanierung und Neuplanung von Straßen auch die Bedürfnisse von Autofahrenden angemessen betrachtet werden. Denn trotz einer angemessenen Radverkehrsinfrastruktur und eines guten öffentlichen Nahverkehrs gibt es nennenswerte Gründe für die Beibehaltung und Schaffung von Parkplätzen für den motorisierten Individualverkehr.
Dass die konkreten Bedürfnisse der Autofahrenden bei der Planung von Straßensanierungen nicht ausreichend betrachtet wurden, zeigte sich jüngst im Zusammenhang mit den Planungen zum Ausbau der Veloroute 8 in Mümmelmannsberg. Für den Ausbau der Radverkehrsinfrastruktur sollten dort etwa 100 Parkplätze wegfallen, obwohl der Bedarf für diese Stellplätze dort offenkundig – auch zukünftig – gegeben ist. Daher war es auch richtig, dass der Bezirksamtsleiter sich gegen diese Pläne ausgesprochen und vorgeschlagen hat, eine Alternativroute über die Steinbeker Hauptstraße zu prüfen – nicht nur kann der massive Wegfall von Parkplätzen dadurch verhindert werden, sondern auch die Fällung von über 40 Bäumen gestoppt werden.
Dieses Beispiel zeigt deutlich, dass bei zukünftigen Planungen stets auch der Bedarf der Autofahrenden ausreichend bedacht werden. Denn nicht jede Person kann auf einen PKW verzichten, etwa aufgrund einer eingeschränkten Mobilität oder bei der Arbeit im Schichtdienst an Orten, die nur schwerlich mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu erreichen sind.
Besonders relevant die Berücksichtigung von Parkmöglichkeiten für PKW in der Nähe von Arztpraxen. Gerade Menschen, die gesundheitlich eingeschränkt sind, müssen die Möglichkeit haben ihre Ärzte mit möglichst geringen Fußwegen zu erreichen. Da nicht nur Patientinnen und Patienten, sondern auch die Mitarbeitenden der Praxen auf Parkplätze angewiesen sein können, sind Parkplätze vor Arztpraxen ein Standortvorteil und können helfen die Praxen an ihren aktuellen Standorten zu halten, oder neue Praxen anzuwerben. Deshalb ist bei Planungen, wie etwa zu Velorouten, bei denen Parkplätze betroffen sind, in besonderem Maße auf ansässige Arztpraxen zu achten.
Das Ziel einer jeden Planung muss es sein, darauf hinzuwirken, dass die beste Verkehrslösung für die jeweilige Situation zum Einsatz kommt – ohne, dass man die unterschiedlichen Arten von Mobilität gegeneinander ausspielt. Nur so kann die Verkehrswende sozial verträglich und damit auch erfolgreich gestaltet werden.
Vor diesem Hintergrund beschließt der Hauptausschuss:
Die Behörde für Verkehr und Mobilitätswende (BVM) nimmt mit Schreiben vom 23.08.2023 wie folgt Stellung:
„Der Hamburger Senat hat sich zum Ziel gesetzt, die Mobilitätswende für Hamburg zu gestalten und damit einen sehr wichtigen Beitrag zum Klimaschutz, für mehr Lebensqualität, aber auch für mehr Mobilität und für die wirtschaftliche Zukunft der Stadt zu leisten. (…)
Die vorhandene Infrastruktur soll weiter ausgebaut werden. Neben deutlich breiteren und an stärker befahrenen Straßen auch baulich vom Kfz-Verkehr abgetrennten Radverkehrsanlagen bedarf es größerer Aufstellflächen an Kreuzungen, um eine künftig zu erwartende steigende Nutzung auch durch Lastenräder und Elektrokleinstfahrzeuge zu ermöglichen. Die Umsetzung der Maßnahmen zur Förderung des Rad- und Fußverkehrs muss konsequent weiter vorangetrieben und noch sichtbarer werden. Dabei kann es erforderlich werden, Straßenräume zu Gunsten des Rad- und Fußverkehrs ebenso wie des ÖPNV anders zu nutzen als bisher, vor allem an Hauptverkehrsstraßen sind maßgeschneiderte Lösungen zu finden.“
Dies bedeutet, dass gute Qualitäten für den Rad- und Fußverkehr bisweilen nur geschaffen werden können, wenn Flächen, die bisher dem ruhenden und / oder fließenden Kfz-Verkehr dienten, künftig anders aufgeteilt werden. Wurde in Hamburg in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg über Jahrzehnte eine überwiegend noch heute bestehende Infrastruktur geschaffen, die allein den motorisierten Verkehr in den Mittelpunkt gestellt und Rad- und Fußverkehr merklich vernachlässigt hat, so ist das Ziel nunmehr, den Verkehrsmitteln des Umweltverbundes den ihnen – auch gemäß aktuellen Regelwerken – zustehenden Straßenraum zur Verfügung zu stellen und die bisherige Dominanz des motorisierten Verkehrs zurückzufahren. Gleichwohl werden bei aktuellen Planungen stets die Belange des motorisierten Verkehrs geprüft und abgewogen und z. B. in Hauptverkehrsstraßen Prognosen zugrunde gelegt, um eine angemessene Abwicklung des künftig zu erwartenden motorisierten Verkehrs zu gewährleisten. Hierbei erfolgt in der Regel auch eine Betrachtung der an einer Straße anliegenden Nutzungen wie z. B. Arztpraxen. Darüber hinaus ist es auch das Ziel der BVM, den Verlust von Straßenbäumen zu minimieren und ggf. für Ersatzpflanzungen zu sorgen (vgl. Abschnitt 1.4 der Bündnisvereinbarung).
In Abschnitt 1.4 (Planungsprinzipien und neue Führungsformen) der Bündnisvereinbarung heißt es außerdem:
„Die Infrastrukturen des Rad- und Fußverkehrs werden für ein sicheres, komfortables und zügiges Vorankommen ausgebaut. Neben einer guten verkehrlichen Abwicklung sollen damit auch neue urbane Qualitäten geschaffen und die Aufenthaltsqualität und Erlebbarkeit der Stadt gesteigert werden. Wechselwirkungen und Konflikte zwischen Rad- und Fußverkehr, aber auch zwischen Rad- und Kfz-Verkehr sowie zwischen Rad- und Busverkehr rücken verstärkt in den Blickpunkt mit dem Ziel, sowohl objektiv sichere als auch subjektiv als sicher empfundene Verkehrsräume für alle Altersgruppen („von 6 bis 99“) zu gestalten. In den Planungsprozessen ist stets die Perspektive der Nutzer:innen, insbesondere der Radfahrenden und Zufußgehenden einzunehmen.“
Über die hier genannten Auszüge hinaus ist der gesamte Text des Bündnisses für den Rad- und Fußverkehr abrufbar unter https://www.hamburg.de/contentblob/16799738/a9645eb5500fe30ab9cd1fda3c217049/data/2022-12-29-bvm-buendnis-download-1).pdf Die BVM geht dabei davon aus, dass sich auch zukünftig die Bündnispartner bei Planungen an diesen vereinbarten Grundsätzen ausrichten werden. Dabei ist für die BVM ein sensibler Umgang mit dem Baum- und Klimaschutz sehr bedeutsam und sie setzt sich aktiv für den Ausbau von klimaangepasster Infrastruktur ein. So ist die Baumbilanz für Straßenbaumaßnahmen im Bezirk Hamburg-Mitte zum Stichtag 16.08.2023 ausgesprochen positiv: Für den Realisierungsträger LSBG stehen 36 gefällten Bäumen 102 Neupflanzungen gegenüber.
Das Bezirksamt Hamburg-Mitte nimmt mit Schreiben vom 11.09.2023 wie folgt Stellung:
Zu 1. und 2.:
Das Bezirksamt Hamburg-Mitte berücksichtigt bei Planungen und Umgestaltungen die Bedarfe aller Verkehrsteilnehmerinnnen und Verkehrsteilnehmer. In die Überlegungen werden regelhaft auch die Straßenbäume und die Situation der Parkplätze vor Ort einbezogen.
Der verfügbare öffentliche Raum ist dabei naturgemäß begrenzt und unterliegt stets vielfältigen Nutzungsansprüchen und -konkurrenzen. Wenngleich Anlagen des ruhenden Verkehrs in der Priorisierung der Verkehrsflächen nachrangig sind und die Sicherheit sowie der fließende Verkehr gem. Straßenverkehrsordnung Vorrang haben, erfüllen Parkstände aber neben ihrem verkehrlichen Zweck auch die Sicherstellung der wohnortnahen Erreichbarkeit der Fahrzeuge und einen nicht unerheblichen Wirtschaftsfaktor für den Einzelhandel.
Das Bezirksamt wird bei zukünftigen Planungen daher die Hinweise, auch bezüglich der Arztpraxen, verstärkt prüfen und berücksichtigen.
Um Kenntnisnahme wird gebeten.
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