Geschlechtergerechtigkeit im Schwimmbad - Oben ohne für alle Drs. 21-3121, Beschluss des Hauptausschusses vom 21.07.2022
Letzte Beratung: 01.06.2023 Bezirksversammlung Ö 5.1
Die Behörde für Umwelt, Klima, Energie und Agrarwirtschaft nimmt unter Beteiligung der Bäderland Hamburg GmbH (BLH) zum o.g. Beschluss wie folgt Stellung:
Das Schwimmen mit freiem Oberkörper für Frauen und nichtbinäre Menschen wird auf der Grundlage einer repräsentativen Befragung als Pilotprojekt an zwei BLH-Standorten jeweils einen Tag pro Woche über einen Zeitraum von einem Jahr eingeführt. Auf Basis der Ergebnisse aus dieser Pilotphase soll anschließend eine Entscheidung zum weiteren Vorgehen getroffen werden.
Begründung:
Schwimmbäder sind geschützte und dennoch öffentliche Orte des individuellen und Vereins-Sports sowie der familiären Freizeitgestaltung, die für alle Teile der Gesellschaft gleichermaßen angenehm und belästigungsfrei nutzbar sein sollen. Dies spiegelt sich in der vom Bundesverband Deutsche Gesellschaft für das Badewesen vorgeschlagenen und in Hamburg angewandten Haus- und Badeordnung wider. Gemäß § 1 dient die Badeordnung der Sicherheit, Ordnung und Sauberkeit im gesamten Bereich, wobei in den §§ 5 und 7 die Verhaltensregeln festgelegt werden. In § 5 (1) heißt es: „Die Badegäste haben alles zu unterlassen, was den guten Sitten sowie dem Aufrechterhalten der Sicherheit, Ruhe und Ordnung zuwiderläuft.“ Speziell in Bezug auf die Badekleidung regelt § 7 (2), dass „der Aufenthalt im Nassbereich der Bäder […] nur in üblicher Badekleidung ohne Taschen gestattet“ ist.
Von den jährlich rd. 4,5 Mio. Gästen von BLH ist bislang keine diesbezügliche Forderung nach einer Änderung der Baderegeln an BLH herangetragen worden. In dem von der Mehrheit der Gesellschaft akzeptierten Konsens war es bisher gelebte Praxis, dass primäre und sekundäre körperliche Geschlechtsmerkmale bedeckt werden. In den vergangenen Jahrzehnten gab es diesbezüglich keine Verständnisfragen oder Änderungswünsche aus einer der vielzähligen und seit jeher diversen Bevölkerungs- oder Gästegruppen in Hamburg. Im Übrigen sind in Hamburg als offener und bunter Großstadt bereits entsprechende Angebote für die mit dem Antrag avisierten Zielgruppen vorhanden. Zu nennen sind neben dem FKK-Freibad in Hamburg-Volksdorf vor allem die Sauna-Bereiche der BLH-Standorte bzw. die Sauna-Nächte in den BLH-Bädern, in deren Rahmen ab einer gewissen Uhrzeit die gesamten Badeanlagen FKK genutzt werden können sowie weitere entsprechende Anbieter in Hamburg. Das Oben-ohne-Sonnen auf den Freibadwiesen ist seit Jahrzehnten akzeptiert und möglich. Bei Nutzung der räumlich begrenzteren Wasserflächen und Hallen, in denen sich Gäste in gegenseitiger Toleranz nur eingeschränkt aus dem Weg gehen können, regelt die Hausordnung bisher das Tragen der „üblichen Badebekleidung“.
Ergebnisse der Befragung
BLH hat bei den Gästen und Mitarbeitenden der Hamburger Schwimmbäder sowie Hamburger Bürgerinnen und Bürgern eine repräsentative Befragung durch das Meinungsforschungsinstitut Unity Research (aus Hamburg) zum Thema „Oben ohne“-Schwimmen durchführen lassen. Es wurden vorhandene und für diesen Zweck nutzbare Kundendaten verwendet. Darüber hinaus wurden durch das mit der Umfrage Institut sogenannte Umfrage-Panels genutzt, um auch repräsentativ Personen abzubilden, die bisher nicht die BLH-Standorte nutzen. Die Befragung erfolgte online im Dezember 2022. Im Rahmen der Befragung wurde eine Stichprobe von 16.000 Hamburgerinnen und Hamburgern kontaktiert. Insgesamt gab es 2.400 gültige Rückmeldungen, die alle Geschlechter, Alters- und Zielgruppen sowie Religionszugehörigkeiten der Stadtbevölkerung abbilden. Rund 55 % der Befragten sind Frauen, 44 % Männer und ca. 1 % non-binäre Personen.
47 % der Befragten stehen der Frage des „Oben ohne für alle“-Schwimmens positiv gegenüber, 31 % eher negativ und 18 % sind unentschlossen. Für eine explizite Einführung der „Oben ohne für alle“-Regelung in den von BLH betriebenen Schwimmbädern sprechen sich 43 % aus, 29 % sind dagegen. Trotz dieser ambivalenten Stimmungslage würde die Mehrheit der Befragten (75 %) ihr Besucherverhalten bei Einführung des Oben ohne-Schwimmens nicht ändern. 13 % geben an, die Schwimmbäder in diesem Fall weniger oder gar nicht mehr zu besuchen. 4 % der Befragten würden sogar häufiger in BLH-Standorten schwimmen gehen. Mit zunehmendem Alter (ab ca. 40 Jahren) sinkt die Bereitschaft für „Oben ohne für alle“ deutlich, ab 60 Jahren wird das „Oben ohne“-Schwimmen sogar mehrheitlich abgelehnt.
Von den Frauen und non-binären Personen geben ca. 9 % an, das Angebot des Oben ohne-Schwimmens nutzen zu wollen, rund 70 % würden dieses für sich selbst gar nicht nutzen. Diese Zielgruppe gab zudem an, die BLH-Bäder derzeit einmal im Monat oder seltener zu besuchen. Es handelt sich demnach um einen kleinen, jedoch nicht unerheblichen Teil der Hamburger Badegäste. Hinsichtlich der Bekleidung im Rahmen sommerlicher Freibadbesuche wünschen sich 50 % der Befragten, dass die „Oben ohne“-Nutzung in diesem Umfeld erlaubt wird, weitere 16 % sind für eine Erlaubnis zu ausgewählten Zeiten, 21 % sind dagegen, 13 % unentschlossen. BLH stellt diesbezüglich auch seit Jahrzehnten vereinzelt entsprechende Nutzungsinteressen fest und bietet daher bereits teilweise FKK-Bereiche in Freibädern an.
Es wurden ebenso die betroffenen Mitarbeitenden der Wasseraufsicht und des Bäderbetriebs befragt. Es handelt sich dabei um rund 550 Mitarbeitende von BLH, die im Rahmen der Betriebsführung für einen geregelten und sicheren Badbesuch aller Gäste an allen Standorten sorgen müssen. Rund 60 % der Beschäftigten sprechen sich gegen „Oben-ohne für alle“ aus. Es wird von einem erhöhten Konfliktpotential infolge der „Oben-ohne“-Nutzung ausgegangen, das die Beschäftigten sowohl zwischen Gästen als auch zwischen Gästen und Personal erwarten. Auch 24 % der befragten Badegäste erwarten solche Konflikte. Dies kann erhebliche Auswirkungen auf die Qualität der Wasseraufsicht und allgemeinen Sicherheit haben, da das Personal zur Klärung solcher Konflikte seine Aufmerksamkeit entsprechend verlagern bzw. mindestens erweitern muss. Daher sind insbesondere diese Einschätzungen und dadurch womöglich entstehende Herausforderungen mit Blick auf den Betriebsablauf sehr ernst zu nehmen. Des Weiteren gaben von den Befragten, die das „Oben ohne“-Schwimmen ablehnen würden, ca. 12 % ästhetische Gründe, 10 % Rücksichtnahme auf Kinder bzw. Jugendliche, 8 % Schamgefühl/ Befremdlichkeit und weitere 8 % Rücksichtnahme auf andere Religionen bzw. Kulturen an.
Pilotprojekt
Vor dem Hintergrund der Umfrageergebnisse und nach Abwägung verschiedener Handlungsoptionen plant BLH zunächst die Einführung einer Pilotphase zu „Oben ohne für alle“. Das zu evaluierende Pilotprojekt sieht vor, an zwei ausgewählten BLH-Standorten, dem Kaifu-Bad und dem Hallenbad Wandsbek, an einem Tag pro Woche (ganztägig) erste Erfahrungen mit dem „Oben ohne“-Schwimmen zu sammeln. Für die Einrichtung eines solchen Angebots wurden die notwendigen Vorbereitungen, wie z.B. Schulung der Mitarbeitenden, erfolgreich abgeschlossen. Die Pilotphase wird nun mit Beginn der Freibadsaison starten und über einen Zeitraum von einem Jahr andauern. Auf Basis der Evaluation des Pilotprojekts soll dann entschieden werden, wie das Thema „Oben ohne für alle“ in den Hamburger Schwimmbädern zukünftig bewertet werden kann.
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