Würdigung für Michael Gartenschläger
Antrag von der AfD Fraktion Bergedorf
Reinhard Krohn, Eugen Seiler, Peter Winkelbach, Herbert Meyer
In der Nacht zum 13. August 1961 schloss die SED-Führung die Sektorengrenzen in Berlin. Innerhalb weniger Tage markierten Hohlblocksteine und Betonpfähle die innerdeutsche Grenze, die sich knapp 1400 Kilometer lang von der Lübecker Bucht bis zur deutsch-tschechischen Grenze bei Hof erstreckte.
Angesichts des fünfzigsten Jahrestags des Mauerbaus am 13.08.2021 ist es Zeit auch in Bergedorf den Schicksalen der vielen Mauertoten zu gedenken, so wie die Leistungen der damaligen Fluchthelfer wieder zu honorieren.
Einer von Ihnen war Michael Gartenschläger. Ein Mann, der sein Leben dem Kampf gegen die zweite totalitäre Diktatur auf deutschen Boden gewidmet hat. Er wurde am 13. Januar 1944 in einfachen Verhältnissen als Sohn einer Arbeiterfamilie in Strausberg bei Berlin geboren. Während am 13. August 1961 die Mauer gebaut wurde, war er 17 Jahre alt und absolvierte eine Lehre als Autoschlosser.[1]
In diesen Tagen schienen sich weite Teile der Menschen mit dem Leben im Unrechtsstaat abgefunden zu haben und es legte sich Lethargie über die nun endgültig eingeschlossene DDR. Die Westmächte taten nichts, die Bonner Regierung mahnte zur Besonnenheit und die öffentliche Empörung der West-Berliner, der insbesondere Willy Brandt Ausdruck verlieh, drohte bald schon in Alltagsnormalität zu verebben.
Michael Gartenschläger konnte sich mit dieser Situation nicht abfinden. Mit Gleichaltrigen gründete er einen Ted-Herold-Fanclub. Die Strausberger Clique hörte die Songs des westdeutschen Rock-‘n‘-Roll-Stars heimlich im RIAS und fuhr häufig nach West-Berlin, um dort ins Kino zu gehen, im Amerikahaus Illustrierte zu lesen und sich in Musikgeschäften Platten von Elvis Presley anzuhören.
Um ein verzweifeltes Zeichen des Widerstandes zu setzen, zündeten er und seine Freunde eine Feldscheune an. Ein Mitglied der Gruppe wurde jedoch aus Angst zum Verräter. Der Staatsmacht kam der Fall gerade recht, um ein Exempel zu statuieren. Seine Strafe: lebenslanges Zuchthaus. Erst die Bemühungen der Regierung Brandt ermöglichten ihm nach 10-jähriger Haft ein neues Leben.
Als der sogenannte politische DDR-Häftling von der BRD 1971 freigekauft wurde, startete er sein neues Leben in Freiheit in Reinbek. Im darauffolgenden Jahr zog er in ein Hochhaus am Fritz-Lindemann-Weg in Bergedorf.
Inzwischen standen deutschlandpolitisch die Zeichen auf „Wandel durch Annäherung“. Doch Gartenschläger wollte keine Annäherung an den Mauerstaat. Er tat sich mit anderen ehemaligen DDR-Häftlingen zusammen, um Fluchtaktionen über die Transitstrecke zu organisieren und baute in seiner eigenen Tankstelle an der Kampchaussee (heute Kurt-A.-Körber-Chaussee) Fluchtautos, mit denen er 31 Menschen aus der DDR schleuste.
Am 30. März 1976 montierte Michael Gartenschläger mit einem Helfer nahe Schwarzenbek, östlich von Bröthen, am sogenannten Grenzknick Wendisch/Rietz, eine Splittermine vom Grenzzaun ab. Er verkaufte diese Selbstschussanlage zusammen mit seiner Lebensgeschichte dem Nachrichtenmagazin Der Spiegel. Das Magazin veröffentlichte die Geschichte am 16. April 1976 und widerlegte damit die offiziellen DDR-Verlautbarungen, es gebe keine Selbstschussautomaten an den Grenzanlagen.[2]
In der Nacht des 23. April 1976 gelang Michael Gartenschläger ein zweiter Coup. Erneut montierte er eine SM-70-Anlage vom Grenzzaun. Sie sollte im August bei dem „Internationalen Sacharow-Hearing” in Kopenhagen der Öffentlichkeit präsentiert werden. Das Hearing sollte Menschenrechtsverletzungen in den Ostblockstaaten anklagen. Auch Rainer Hildebrandt, Vorsitzender der Berliner „Arbeitsgemeinschaft 13. August”, bekundete sein Interesse, einen dieser Tötungsapparate im Museum „Haus am Checkpoint Charly” auszustellen.[3]
Gartenschlägers erfolgreiche Aktionen versetzten die Stasi-Generäle in Aufregung. Als sie durch einen Spitzel informiert wurden, dass Gartenschläger erneut eine Sprengmine erbeuten wollte, setzten sie ein Sonderkommando ein. In der Nacht zum 1. Mai 1976 erschossen die Stasi-Leute den 32-Jährigen an der Grenze auf DDR-Gebiet am Grenzpfahl 231. Drei Projektile trafen den Oberkörper, sechs den Unterleib und die Beine. [4]
Die Todesschützen erhielten den "Stasi-Kampforden in Silber", alle Indizien für den Hergang der Tat verschwanden spurlos. Gartenschlägers Leichnam wurde von den Schützen davongeschleppt, seine beiden Helfer entkamen. Einer der beiden hatte mit einer abgesägten Flinte versucht, das Feuer der Todesschützen zu erwidern; daraus machte die DDR-Propaganda einen "bewaffneten Überfall auf die Staatsgrenze."
Auf "Notwehr gegen Grenzterroristen" beriefen sich die Stasi-Leute bei Prozessen, die 2000 und 2003 in Schwerin und Berlin gegen sie im Fall Gartenschläger geführt wurden. Sie wurden freigesprochen. Prozesse gegen Vorgesetzte führten ebenfalls zu Freisprüchen; wo eine Schuld festgestellt wurde, kam es nicht zur Verurteilung, weil der Fall nach DDR-Recht verjährt war.
Drei Tage vor seinem Tod notiert er: „Es festigte sich in mir die Überzeugung, dass sinnvoller Widerstand gegen dieses Unrechtssystem nicht nur ein Recht, sondern eine Pflicht ist.“[5]
Eine Würdigung der Person sollte parteiübergreifend als erstrebenswert bewertet werden. Von welcher Form der öffentlichen Würdigung (z. B. Straßenumbenennung) Gebrauch gemacht werden soll, muss in der Bezirksversammlung entschieden werden.
Wir beantragen daher die Bezirksversammlung möge beschließen:
1. die außergewöhnlichen Verdienste von Michael Gartenschläger zu würdigen. So soll sein Leben und Wirken in einer angemessenen Art und Weise im Stadtbild des Bezirks Bergedorf verewigt werden. Dazu soll die Bezirksverwaltung aufgefordert werden zu prüfen, ob eine Würdigung in Form einer Straßenumbenennung, einer Gedenktafel oder Ähnlichem zu realisieren ist.
2. der Bezirksversammlung bis zum 13.8.2021 zu berichten.
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