Warum sinkt die Inklusionsquote an Bergedorfer Schulen?
Letzte Beratung: 04.12.2023 Fachausschuss für Sport und Bildung Ö 7
Auskunftsersuchen der BAbg. Gruber, Mirbach, Westberg, Jobs, Heilmann –
Fraktion DIE LINKE
Seit dem Schuljahr 2010/2011 haben Hamburger Eltern das Recht, ihre Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf auch an einer Regelschule anzumelden. Viele Bergedorfer Eltern, besonders aus Lohbrügge und Nettelnburg, haben diese Inklusion in mehrjährigen zähen Diskussionen erkämpft. Durch die UN-Behindertenrechtskonvention ist schulische Inklusion inzwischen verbrieftes Bürgerrecht. Ein rechnerisches Maß ist die Inklusionsquote an Schulen. Diese sinkt seit Jahren, auch bei uns in Bergedorf. Zurzeit liegt sie nur hamburgweit bei 38,9 Prozent. Misstrauen die betroffenen Eltern in Bergedorf den Regelschulen in unserem Bezirk?
Dazu fragen wir die zuständige Behörde:
1. Wie lauten die Bergedorfer Inklusionszahlen (sowohl absolut als auch in Prozent) für
1.1. für Schülerinnen und Schüler mit dem Förderschwerpunkt "Geistige Entwicklung",
1.2. für Schülerinnen und Schüler mit dem Förderschwerpunkt "körperliche und motorische Entwicklung",
1.3. für Schülerinnen und Schüler mit dem Förderschwerpunkt "Hören",
1.4. für Schülerinnen und Schüler mit dem Förderschwerpunkt "Sehen" und
1.5. für Schülerinnen und Schüler mit dem Förderschwerpunkt "Autismus"?
2. Auf der öffentlichen Anhörung im Fachausschuss für Sport und Bildung zum 3. Fortschrittsbericht des Senates über die Umsetzung der Inklusion haben die Expertinnen und Experten gefordert, dass die Gewährleistung einer Doppelbesetzung, eine zuverlässige und qualifizierte Schulbegleitung und eine umfassende Barrierefreiheit Voraussetzungen für eine bessere Inklusionsquote sind. Gibt es dazu aus der zuständigen Behörde für Bergedorf Neuigkeiten? Bitte detailliert aufführen.
Die Behörde für Behörde für Schule und Berufsbildung (BSB) nimmt wie folgt Stellung:
Die Inklusion in Hamburg ist ein Erfolg. Anders als dargestellt, ist die Inklusionsquote deutlich gestiegen. Seit dem Schuljahr 2010/2011 arbeiten alle Hamburger Schulen inklusiv und setzen damit die UN-Behindertenrechtskonvention um: Schülerinnen und Schüler mit und ohne sonderpädagogischen Förderbedarf werden gemeinsam unterrichtet. Sorgeberechtigte entscheiden, ob ihr Kind eine allgemeine Schule oder eine Sonderschule besucht. Im Jahr 20010 besuchten 3,7 Prozent aller Schülerinnen und Schüler eine Sonderschule. Dank der Inklusion sind es im Jahr 2022 nur noch 2,1 Prozent. Das bedeutet, dass die Exklusionsquote um über 40 Prozent zurückgegangen ist. Der aktuelle Anteil der Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischen Förderbedarfen, die hamburgweit inklusiv, das heißt in den staatlichen allgemeinen Schulen beschult werden, beträgt 68,0 Prozent. Die von der Bezirksversammlung angegebene Quote von 38,9 Prozent ist somit nicht korrekt. Differenziert man die Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischen Förderbedarf, so liegt der Anteil der inklusiv beschulten Schülerinnen und Schüler mit den sonderpädagogischen Förderbedarfen Lernen, Sprache oder emotional-soziale Entwicklung (LSE) sogar bei 79,1 Prozent, der Anteil der wesentlich kleineren Gruppe der Schülerinnen und Schülern mit speziellen Förderbedarfen beträgt 41,6 Prozent (interne Daten der zuständigen Behörde).
Für eine zielgerichtete Beschulung von Schülerinnen und Schülern mit den speziellen sonderpädagogischen Förderbedarfen in den Bereichen Hören, Sehen, geistige Entwicklung oder körperlich-motorische Entwicklung wurden Schwerpunktschulen eingerichtet, die aufgrund ihrer personellen, konzeptionellen, räumlichen und sächlichen Ausstattung besonders gut in der Lage sind, Schülerinnen und Schülern mit speziellen sonderpädagogischen Förderbedarfen gerecht zu werden. Diese Schulen haben durchweg langjährige Erfahrungen mit inklusivem Unterricht und werden durch das „Modellprojekt Möglichmacher“ zusätzlich in ihrer Entwicklung unterstützt, siehe Drs. 22/6960 und 22/10512.
Der inklusive Unterricht wird so gestaltet, dass alle Schülerinnen und Schüler im Rahmen eines differenzierten Unterrichtskonzeptes individuell gefördert werden. Im Jahr 2010/2011 besuchten 3.051 Schülerinnen und Schüler die speziellen Sonderschulen, was 1,9 Prozent der Gesamtzahl der Schülerinnen und Schüler dieses Schuljahres entsprach. Aktuell besuchten im Schuljahr 2022/23 2.096 Schülerinnen und Schüler die speziellen Sonderschulen. Das sind 1,1 Prozent der Gesamtzahl aller Schülerinnen und Schüler. Im Jahr 2010/11 besuchten 2.832 Schülerinnen und Schüler die Förderschulen, was 1,8 Prozent der Gesamtzahl der Schülerinnen und Schüler dieses Schuljahres entsprach. Im Schuljahr 2022/2023 besuchten aktuell 1.873 Schülerinnen und Schüler die Regionalen Bildungs- und Beratungszentren. Das sind 1,0 Prozent der Gesamtzahl aller Schülerinnen und Schüler. In der Gesamtbilanz zeigt sich, dass im Schuljahr 2010/2011 3,7 Prozent aller Schülerinnen und Schüler eine Sonderschule besuchten, während es im aktuellen Schuljahr 2,1 Prozent aller Schülerinnen und Schüler sind. Der Anteil der Schülerinnen und Schüler, die inklusiv beschult werden, hat sich dadurch deutlich vergrößert.
Weiterhin gilt, dass die Sorgeberechtigten eine freie Entscheidung über den Bildungsweg ihrer Kinder haben. Sie können sich für eine inklusive Beschulung oder für die Beschulung an Sonderschulen entscheiden. Ein Schulsystem, das diese Wahlfreiheit eröffnet, sollte diese Wahlfreiheit auch ernst nehmen und nicht zugunsten der einen oder der anderen Entscheidung einschränken. Deshalb achtet die BSB die neu justierte Balance zwischen den beiden Bildungswegen.
Die inklusive Schule gestaltet die unterrichtlichen Angebote und begleitet die Lernprozesse so, dass jede Schülerin und jeder Schüler individuelle und bestmögliche Entwicklungschancen erhält und ihre beziehungsweise seine schulische Teilhabe sichergestellt wird. Der Nationale Bildungsbericht des Bundesbildungsministeriums und der KMK im Jahr 2022 hebt zur Inklusion von Schülerinnen und Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf hervor: „Zum gegenwärtigen Zeitpunkt – über ein Jahrzehnt nach der Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention durch Bund und Länder – wird behinderten oder beeinträchtigten Schüler:innen nur in Bremen und Hamburg ein uneingeschränktes Recht auf gemeinsame Beschulung eingeräumt (…).“ In Bezug auf den Anteil der Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf aller Förderschwerpunkte, die eine allgemeine Schule besuchen, gehört Hamburg zusammen mit Bremen, Berlin und Schleswig-Holstein im bundesdeutschen Vergleich zur Spitzengruppe (siehe https://www.bildungsbericht.de/de/bildungsberichte-seit-2006/bildungsbericht-2022). Die Daten des Schuljahres 2022/23 wurden in der Schuljahreserhebung 2022 erhoben. Daten zu Förderschwerpunkten von Schülerinnen und Schülern können auf der Internetseite des Instituts für Bildungsmonitoring und Qualitätsentwicklung (IfBQ) unter https://www.hamburg.de/schuljahr-in-zahlen/4662050/sonderpaedagogische-foerderung/ abgerufen werden, vgl. Drs. 22/10952.
Um den Anteil der inklusiv beschulten Schülerinnen und Schüler stetig auszubauen, werden die Rahmenbedingungen kontinuierlich verbessert. Die Verbesserungen sind unter anderem an der Zahl der für die Inklusion eingesetzten Lehrkräfte sichtbar. So sind den allgemeinen Schulen zum 1. August 2022 insgesamt 1.606,1 Lehrerstellen für die Inklusion zugewiesen worden. Gleichzeitig erhielten die Sonderschulen 779,2 Lehrerstellen. Im Schuljahr 2011/12 waren es noch 564,2 Lehrerstellen an den allgemeinen und 987 Lehrerstellen an den Sonderschulen. Die Lehrerstellen für die inklusive Bildung wurden damit binnen zehn Jahren mehr als verdoppelt.
Mit der entsprechenden Zuweisung an Lehrkräften wird auch die Doppelbesetzung ermöglicht. Im Rahmen der Sonderbedarfe werden jeder Schule über die Vertretungs- und Organisationsreserve hinaus – unter anderem auch für Inklusion – Personalressourcen zugewiesen, die über die Bedarfe zur Erteilung des Unterrichts nach Stundentafel hinausgehen. Dazu gehören Ressourcen für die Sprachförderung, für die Inklusion und für die Aufnahme von Schülerinnen und Schülern über die gesetzliche Höchstfrequenz hinaus. Von den Ressourcen für die Sprachförderung dürfen ein Drittel auch für die Inklusion eingesetzt werden. Diese zusätzliche Arbeitszeit setzen die Schulen nach pädagogischen Erwägungen für Doppelbesetzung oder Teilung innerhalb des Regelunterrichts oder Förderung in zusätzlicher Lernzeit, zum Beispiel am Nachmittag, ein (siehe dazu u. a. Drs. 22/11195).
Ein weiterer Beleg für die positive Entwicklung ist die sehr gute Ausstattung bei der Schulbegleitung. Die Mittel für die Schulbegleitung wurden ebenfalls erheblich gesteigert von rund 3 Millionen Euro in 2013 auf rund 17,2 Millionen Euro im Jahr 2022. Die Anzahl der Schulbegleitungen hat sich seit 2010 verfünffacht. Die Entscheidung über Art und Umfang der Schulbegleitung wird diagnosegeleitet durch die Fachleute der BSB getroffen (siehe dazu u. a. Drs. 22/11873 und Drs. 22/11195).
Auch im Hinblick auf Barrierefreiheit ist eine konsequente Entwicklung sichtbar. Im Zuge des Schulentwicklungsplans werden zurzeit ca. 300 bis 400 Millionen € p. a. in Neubauten und Sanierungen investiert. Alle Schulneubauten werden nach DIN 18040-1 barrierefrei geplant und errichtet. Bei Sanierungen und Umbauten werden zusätzliche Leistungen zur Barrierefreiheit nach individuellem Bedarf und entsprechend der DIN umgesetzt. Die Standards finden sich im „Planungsleitfaden Barrierefreies Bauen an staatlichen Schulen der FHH“, der 2021 in enger Abstimmung mit dem „Kompetenzzentrum für ein barrierefreies Hamburg“ und der BSB weiterentwickelt wurde. SBH/GMH arbeiten eng mit dem „Kompetenzzentrum für ein barrierefreies Hamburg“ zusammen - sowohl in Grundsatzfragen als auch bei einzelnen Baumaßnahmen. Vor Beginn eines Bauprojektes, in der sog. Phase Null, findet eine enge Abstimmung von SBH/GMH mit der Schule, der BSB und Expertinnen und Experten statt. Dabei wird der Bedarf abgestimmt und in ein bauliches Konzept für Inklusion und Barrierefreiheit gegossen (siehe dazu u. a. Drs. 22/11195).
Dies vorausgeschickt, beantwortet die BSB die Fragen wie folgt:
Von allen 1.124 in Bergedorf beschulten Schülerinnen und Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf werden 794 inklusiv beschult. Das entspricht einer Quote von 70,6 Prozent. Von allen 834 Schülerinnen und Schülern mit LSE werden 663 Schülerinnen und Schüler inklusiv beschult, das entspricht einer Quote von 79,5 Prozent.
Von allen 290 Schülerinnen und Schülern mit speziellem Förderbedarf werden 131 Schülerinnen und Schüler inklusiv beschult, das entspricht einer Quote von 45,2 Prozent.
Zu 1.1:
Im Schuljahr 2022/23 besuchen in Bergedorf 47 Schülerinnen und Schüler mit dem Förderschwerpunkt geistige Entwicklung eine staatliche allgemeine Schule. Das sind 26,3 Prozent aller Schülerinnen und Schülern mit diesem Förderschwerpunkt, die in Bergedorf eine staatliche allgemeine Schule besuchen.
Zu 1.2:
Im Schuljahr 2022/23 besuchen in Bergedorf 35 Schülerinnen und Schüler mit dem Förderschwerpunkt körperliche und motorische Entwicklung eine staatliche allgemeine Schule. Das sind 100 Prozent aller Schülerinnen und Schülern mit diesem Förderschwerpunkt, die in Bergedorf eine staatliche allgemeine Schule besuchen.
Zu 1.3:
Im Schuljahr 2022/23 besuchen in Bergedorf neun Schülerinnen und Schüler mit dem Förderschwerpunkt Hören eine staatliche allgemeine Schule. Das sind 100 Prozent aller Schülerinnen und Schülern mit diesem Förderschwerpunkt, die in Bergedorf eine staatliche allgemeine Schule besuchen.
Zu 1.4:
Im Schuljahr 2022/23 besuchen in Bergedorf acht Schülerinnen und Schüler mit dem Förderschwerpunkt Sehen eine staatliche allgemeine Schule. Das sind 100 Prozent aller Schülerinnen und Schülern mit diesem Förderschwerpunkt, die in Bergedorf eine staatliche allgemeine Schule besuchen.
Zu 1.5:
Im Schuljahr 2022/23 besuchen in Bergedorf 32 Schülerinnen und Schüler mit dem Förderschwerpunkt Autismus eine staatliche allgemeine Schule. Das sind 82,1 Prozent aller Schülerinnen und Schülern mit diesem Förderschwerpunkt, die in Bergedorf eine staatliche allgemeine Schule besuchen.
Zu 2:
Für Bergedorf gelten dieselben Bedingungen wie für alle anderen Bezirke. Diese sind in den Vorbemerkungen dargestellt.
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