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Reetwerder 3: Ein Symbol für Mietabzocker - Chronik einer Mietwucher-Immobilie korrigierte Fassung

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19.12.2018
Sachverhalt

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der BAbg. Mirbach, Jobs, Bauer, Sturmhoebel, Winkler - Fraktion DIE LINKE

 

Eine kurze Übersicht der Ereignisse:

  • Teile der Fassade am Reetwerder 3 fallen auf die Alte Holstenstraße. Die Feuerwehr muss den Fußweg absperren.
  • 2014: Am Reetwerder 3 stinkt gewaltig. Müllberge liegen vor dem Haus. Kein Wunder, wenn das Haus völlig überbelegt ist.
  • März 2018: Razzia. Die Sozialbehörde überprüft das Haus am Reetwerder 3. Es geht um Überbelegung, Baumängel und möglichen Sozialbetrug.
  • April 2018:  Die Mieterinnen und Mieter im Reetwerder 3 sind ohne Wasserversorgung. Die Vermieterin, die das Haus verfallen lässt, hat die Rechnung für die Wasserversorgung nicht gezahlt.
  • Mai 2018: Die Mieterinnen und Mieter am Reetwerder 3 müssen evakuiert werden.

Nach einem Schwelbrand erklärt die Feuerwehr das Haus für unbewohnbar.

 

In dem denkmalgeschützten Haus lebten zu diesem Zeitpunkt 156 Menschen, darunter 56 Kinder. Sie lebten dort unter katastrophalen Verhältnissen, die Vermieter sind bei der Staatsanwaltschaft kein Unbekannten. Dieses Haus auch ein Symbol dafür, wie groß die Not für Wohnungssuchende ist. Unter welchen Bedingungen müssen Menschen leben, die nicht auf der Straße landen wollen?

 

 

Zunächst muss klargestellt werden, dass nicht die Feuerwehr, sondern das Bezirksamt das Gebäude auf Grundlage des Wohnraumschutzgesetzes für unbewohnbar erklärt und daraufhin eine Ersatzunterbringung eingeleitet hat.

 

Diese vorausgeschickt werden die Fragen 1-9 vom Bezirksamt und die Fragen 10 bis 12 von der Behörde für Arbeit, Soziales, Familie und Integration wie folgt beantwortet:

 

Vor diesem Hintergrund fragen wir das Bezirksamt:

  1. Wie ist der aktuelle Stand hinsichtlich der Baumängel?

 

Dies ist derzeit nicht bekannt. Gemäß HmbWoSchG musste dem Grundeigentümer zunächst Gelegenheit zur freiwilligen Abhilfe gegebenen werden. Die Fortführung des Verwaltungsverfahrens ist durch die danach beantragte Zwangsverwaltung und die damit verbundene, unklare Zuordnung eines Adressaten ins Stocken geraten. Da vom Grundeigentümer von der angebotenen freiwilligen Abhilfe kein Gebrauch gemacht wurde, ist nach Rücknahme des Antrages für die Zwangsverwaltung ein Bescheid an den Grundeigentümer gegangen, mit dem die Behebung der beanstandeten Baumängel durchgesetzt werden soll. Die Unbewohnbarkeit des Gebäudes besteht nach wie vor und kann erst aufgehoben werden, wenn, wie gefordert, durch entsprechende Fachbetriebe die Betriebssicherheit der Elektroanlage und der Gasversorgungsanlage gegenüber den zuständigen Stellen des Bezirksamtes nachgewiesen ist. Die Beseitigung aller anderen Mängel ist erst danach wieder von Interesse. Ob zwischenzeitlich eine vollständige oder teilweise Beseitigung der Mängel stattgefunden hat, ist nicht bekannt.

 

 

  1. Wurden bisher Zwangsgelder verhängt? Wenn ja: Wie hoch sind diese und wurden die Zwangsgelder bzw. Teile davon bezahlt? Wenn nein: Warum nicht?

 

Unter Hinweis auf datenschutzrechtliche Anforderungen ist eine Antwort auf diese Frage nicht möglich.

 

 

  1. Wenn bisher keine Zwangsgelder erhoben wurden: Warum nicht?

 

Siehe Antwort auf Frage 2.

 

 

  1. Wurde dem Inhaber der Immobilie die Enteignung angedroht, wenn er nicht die notwendigen Reparaturen und Sanierungsarbeiten in angemessener Zeit ausführt? Wenn nein: Warum nicht?

 

Nein, es gibt in diesem Fall keine Rechtsgrundlage für eine Enteignung.

 

 

  1. Warum ist kein Treuhänder eingesetzt worden, der die Wohnungen saniert und die Kosten dem Eigentümer in Rechnung stellt? Ist hier der Paragraf 12 des Wohnraumschutzgesetzes anwendbar? Wenn nein: Warum nicht?

 

Der Einsatz eines Treuhänders ist unter Hinweis auf § 12 a HmbWoSchG nur bei einem Verstoß gegen § 9 HmbWoSchG vorgesehen, d.h. nur im Falle der Zweckentfremdung. Die ist im vorliegenden Fall nicht gegeben.

 

 

  1. Wie ist es möglich, dass die Mieterinnen und Mieter der Wohnungen das Haus wegen Unbewohnbarkeit verlassen mussten, aber weiterhin drei verschiedene Gewerbe in dem Haus weiterbetrieben werden? Bei einem Objekt handelt es sich um eine Bar mit viel Publikumsverkehr.
     

Zum einen kann in die Räumlichkeiten eines Gewerbebetriebes nicht auf Grundlage des HmbWoSchG eingegriffen werden. Zum anderen war (im Gegensatz zum deutlich umfangreicheren Wohnbereich) die Aufrechterhaltung der Stromversorgung für die 3 laufenden Betriebe mit Blick auf die Sicherheit gerade noch vertretbar sowie schnell und mit vergleichsweise geringfügigen Mitteln möglich und wurde daher unter Berücksichtigung des  Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes hergestellt.
 

Wie ist es möglich, dass für weitere Gewerberäume trotz der Unbewohnbarkeit des Hauses ein Mieter gesucht wird?

 

Diese Frage kann nur vom  Vermieter beantworten werden.

 

 

  1. Welche Reparaturmaßnahmen oder Sanierungen wurden vorgenommen? Bitte einzeln aufführen.
     

 

Weil vom Bezirksamt während des Aktionstages im Rahmen einer Ersatzvornahme ausgeführt,  ist bislang lediglich die Instandsetzung einer Gastherme und von Steckdosen im Badezimmer einer Wohnung im III.OG als gesicherte Instandsetzung zu betrachten.

 

Von wem wurden sie in Auftrag gegeben?
 

Vom Bezirksamt.

 

 

Wer trägt die angefallenen Kosten
 

 

Die Kosten wurden – wie im Falle einer Ersatzvornahme üblich – zunächst vom Bezirksamt übernommen, sind dem Grundeigentümer aber bereits in Rechnung gestellt worden.

 

 

oder wem wurden sie in Rechnung gestellt? Welche Mängel hat der Vermieter behoben?

 

Vgl. Antwort auf Frage 1

 

 

  1. Wie viele Wohnungen hat das Haus?

 

9 genehmigte Wohnungen.

 

 

  1. Wie viele Menschen könnten unter normalen Wohnbedingungen (Standard des sozialen Wohnungsbaus) in diesem Haus leben?

 

Ein Standard für den sozialen Wohnungsbau kann allenfalls aus der IFB-Förderrichtlinie (IFB=Investitions- und Förderbank) abgeleitet werden. Er berücksichtigt lediglich Wohnungsgrößen von bis zu 105 – 120 qm und sieht dafür sechs Personen vor. Einige der Wohnungen des in Rede stehenden Gebäudes weisen allerdings Grundflächen von bis zu 125 qm auf.

 

Andere Beurteilungsmaßstäbe sind hier nicht bekannt.

 

 

  1. Wie viele der ehemaligen Mieter/innen bzw. Bewohner/innen leben jetzt in öffentlicher Unterbringung?

 

Zu 10.:

 

Alle Bewohner, die keine Selbsthilfemöglichkeiten hatten, wurden am Tag der Räumung des Reetwerder 3 (16.05.2018) zur Vermeidung von Obdachlosigkeit in einer Unterkunft von Fördern und Wohnen AöR in der Friesenstraße 22, 20097 Hamburg öffentlich-rechtlich untergebracht.

 

Es sind noch 28 Personen (8 Haushalte) in der Friesenstraße untergebracht (Stand 11.09.2018). 7 der 8 Haushalte sind schon mit Bescheinigungen zur öffentlich-rechtlichen Unterbringung (örU-Bescheinigungen) ausgestattet. Sie warten derzeit auf eine Vermittlung in eine andere Wohnunterkunft durch die Aufnahme- und Vermittlungsstelle (AVS) bzw. durch die bezirkliche Fachstelle für Wohnungsnotfälle.

Bei einem Haushalt besteht noch Klärungsbedarf; es wird aber davon ausgegangen, dass auch diese Haushalte einen Anspruch auf öffentlich-rechtliche Unterbringung haben.

 

Alle anderen Personen, die nicht mehr in der Friesenstraße untergebracht sind, haben entweder selbst eine neue Unterkunft gefunden oder sind bereits in eine andere Wohnunterkunft vermittelt worden.

 

 

  1. Ist die öffentliche Unterbringung auch über einen längeren Zeitraum, wenn notwendig, abgesichert?

 

Zu 11.:

 

Die Friesenstraße 22 kann nicht als dauerhafte Unterkunft für die Bewohner aus dem Reetwerder dienen, da an diesem Standort die Vorbereitungen für das kommende Winternotprogramm planmäßig ermöglicht werden müssen (spätestens ab Anfang Oktober).

 

Die Familien werden weiterhin durch die Fachstelle Bergedorf beraten und - wenn die Voraussetzungen gegeben sind - mit Bescheinigungen zur öffentlich-rechtlichen Unterbringung (örU-Bescheinigungen) ausgestattet. Danach erfolgt die Vermittlung örU-berechtigter Bewohner in eine andere Wohnunterkunft durch die AVS.

 

Die Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter von Fördern und Wohnen AöR beraten die Bewohner auch dahingehend, sich um Selbsthilfemöglichkeiten zu kümmern bzw. solche auch in Anspruch zu nehmen oder ggf. realistische Rückreiseoptionen ins Heimatland wahrzunehmen.

 

Sollte die Vermittlung in andere Wohnunterkünfte durch die AVS nicht rechtzeitig abgeschlossen sein, werden die noch in der Ersatzunterkunft Friesenstraße verbleibenden Bewohner*innen in einen anderen Standort von f&w umziehen.

 

 

  1. Wer kommt für die Kosten der Unterbringung auf? Ist geplant, die Kosten der öffentlichen Unterbringung der Vermieterin des Haus Reetwerder 3 in Rechnung zu stellen?

 

Zu 12.:

 

Mieterinnen und Mieter haben einen Anspruch gegen ihren Vermieter auf Schadensersatz, wenn Ihnen ihre Unterkunft nicht mehr zur Verfügung steht (vgl. 536a Abs. 1 BGB).

 

Ziel ist es, die Vermieterin im Reetwerder bei Verantwortungs- und damit Kostenfragen vollständig heranzuziehen. Aufgrund der Unbewohnbarkeit des Gebäudes und der drohende Obdachlosigkeit musste notwendigerweise eine Ersatzunterkunft zur Verfügung gestellt werden.

Bei SGB II- Leistungsbeziehern geht der Anspruch der Mieter gegenüber dem Vermieter nach § 33 SGB II auf das Jobcenter über (Anspruchsübergang). Das Jobcenter zahlt folglich für die Leistungsbezieher weiterhin die „Kosten der Unterkunft“ und verfolgt eigenständig die Ansprüche gegenüber der Vermieterin bezüglich der höheren Unterbringungsgebühren.

Bei Personen, die keine Leistungen nach dem SGB II oder SGB XII beziehen, sind die Unterbringungsgebühren formal von den Mietern zu zahlen.

Die Vermieterin soll aber auch für die Erstattung dieser (zusätzlichen) Kosten herangezogen werden. In diesen Fällen werden die Ansprüche an Fördern und Wohnen AöR abgetreten (Abtretungserklärung) und dann von Fördern und Wohnen AöR gegenüber der Vermieterin geltend gemacht.

 

 

 

 

 

Petitum/Beschluss

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