21-0856

Mitbenennung des Harnackringes nach Mildred Harnack und Arvid Harnack

Antrag

Bera­tungs­reihen­folge
Gremium
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15.09.2022
06.05.2021
29.04.2021
Sachverhalt

 

Antrag

der BAbg. Mirbach, Jobs, Gruber, Heilmann, Westberg – Fraktion DIE LINKE

öffentlich

 

 

Mitbenennung des Harnackringes nach Mildred Harnack und Arvid Harnack

 

Sachverhalt:

Grundsätzlich sind Mitbenennungen von Straßennamen schon seit 2001 in Hamburg erfolgt, und zwar bei Straßen, die nach den Nachnamen von Männern benannt waren, deren weibliche Angehö­rige desselben Nachnamens aber ebenso bedeutend gewesen waren. Mitbenennungen sind auch in bestehenden Motivgruppen möglich. Die Motivgruppe ist beim Harnackring ist der Widerstand gegen das NS-Regime.

2001 sind im Bezirk Hamburg-Mitte drei Straßen mitbenannt worden, Reimarusstraße, Wichernsweg, Meriandamm; im Bezirk Altona: Klopstockstraße, Schopenhauerweg, Reichardt­straße; im Bezirk Hamburg-Nord: Gottschedstraße, Bozenhardweg, Schumannstraße; im Bezirk Wandsbek: Schlegelsweg, Werfelring, Klabundeweg, Herschelstraße und im Bezirk Hamburg-Harburg: Traunweg.

In 2017 wurden mitbenannt in Hamburg-Mitte: Petersenkai, Schmilinskystraße, Leipeltstraße, Döhner­straße, Blostwiete; in Bezirk Hamburg-Nord: Büringstwiete, Herderstraße; im Bezirk Wandsbek: Maetzel­weg,. Benzstraße, Tiecksweg und im Bezirk Harburg: Breitscheidweg.

Im Jahr 2020 wurde im Bezirk Harburg mitbenannt: Bennigsenstraße und in Hamburg-Nord: Burmesterstraße, Dennerstraße, Voßweg.

 

Eine Mitbenennung ist also nichts Neues in Hamburg und dabei muss auch keine Straße umbenannt werden. Das Erläuterungsschild unter dem Straßenschild allerdings muss textlich neu gefasst wer­den.

 

Der Harnackring wurde 1964 nach Ernst von Harnack (1888-1945) benannt. Er war Regierungs­präsident und später Widerstandskämpfer gegen den Nationalsozialismus. Diese Straße könnte auch nach Ernst von Harnacks Cousin, dem Widerstandskämpfer Arvid Harnack und dessen Ehefrau, der Widerstandskämpferin Mildred Harnack, benannt wer­den.

Ernst von Harnack war Jurist und Sozialdemokrat. Bis zum Staatsstreich Papens war er als Regie­rungspräsident in Merseburg tätig gewesen, dann wurde er in den Ruhestand versetzt. In seinen Re­den und Artikeln bezog er klare Stellung gegen den aufstrebenden National­sozialismus. Als An­gehöriger des Bundes der Religiösen Sozialisten stellte er sich öffentlich gegen die „Deutschen Christen“. Harnack wurde im Frühsommer 1933 für kurze Zeit in Haft genommen: Er hatte sich für verhaftete Sozialdemokraten und Gewerk­schafts­führer stark gemacht. Zu seiner Verwandtschaft zählten Arvid Harnack, Hans von Dohnányi (siehe: Dohnányiweg) sowie die Gebrüder Bonhoeffer (siehe: Bonhoefferstraße). Politisch verbunden war er mit Julius Leber (siehe: Julius-Leber-Straße), Carl Goerdeler (siehe: Goerdelerstraße), Jakob Kaiser und Wilhelm Leuschner (siehe: Leuschner­straße). In die Planungen zum Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944 war Ernst von Harnack wohl nicht einge­weiht. Doch war er mit den Zielen des Staatsstreichs vertraut. Seine Verhaftung erfolgte am 28. Sep­tember 1944. Der Volksgerichtshof verurteilte ihn am 1. Februar 1945 zum Tode. Hingerichtet wurde Ernst von Harnack am 5. März 1945 in Berlin-Plötzensee.

Ernst von Harnack war verheiratet mit Anna (Änne) Wiggert (1894-1960). Das Paar hatte fünf Kinder. 1937 verliebte sich Ernst von Harnack in die zwanzig Jahre jüngere Eva von Heeringen (1907-1985). Sie war die „Tochter des Generalstabsoffiziers Kurt von Heeringen (…). Nach Ausbil­dungen in einer Haushalts- und einer Kinderturnschule arbeitete sie als Sekretärin. Schließlich er­öffnete sie in Berlin eine Leihbücherei. Hier lieh sie verbotene Literatur aus, verweigerte den Hitler­gruß und versteckte flüchtige Juden. Diese Aktivitäten zivilen Widerstands verbarg Eva von Heerin­gen geschickt vor den nationalsozialistischen Machthabern. Ihr Vater (…) sprach unter An­spielung auf ein Bibelwort resigniert von einer „ungeratenen Tochter“, die wohl keinen Mann be­kommen würde.“[1]

Eva von Heeringen und Ernst von Harnack, die sich 1937 bei einer Vortragsveranstaltung kennen­gelernt hatten, verband eine sowohl geistige als auch politische Übereinstimmung.

„Als Evas Leihbücherei 1943 in Berlin ausgebombt wurde, half Harnack ihr beim beruflichen Neu­anfang im thüringischen Rudolstadt, indem er für den Transport geretteter und in Potsdam zwi­schengelagerter Bücher und Möbel sorgte. Eva und Ernst tauschten in Hunderten von Briefen ihre Gedanken und Gefühle aus. ‚Er ist anspruchsvoll, ungeduldig und reizbar und zu klug, das heißt er tut vieles mit dem Kopf, was er besser mit dem Herzen täte...‘, vertraute Eva ihrer Mutter an. ‚Es ist ja keine Gefühlskälte, sondern er kann es nicht zeigen ... Er ist ein prachtvoller Kerl, für den es sich lohnt zu leben.‘“[2]

„Für Ernst von Harnack endete diese Liebe erst mit seinem Tod, für Eva reichte sie bis zu ihrem Lebensende 1985. Beiden war klar, dass sich Ernst nie scheiden lassen würde, aber das war für Eva nie ein Thema. (…). Großherzig handelte, als Ernst von Harnack Ende 1944 verhaftet wurde, seine Ehefrau Anna. Sie nahm Kontakt mit Eva von Heeringen auf, die für einige Wochen nach Potsdam gekommen war. ‚Ach, wir tragen doch beide das gleiche Leid‘, begründete sie diesen Schritt, und Eva schrieb an Ernst: ‚Deine Frau hat mich ganz für sich eingenommen.‘ Beide versuchten nach ihrem Treffen gemeinsam, durch Besuche, Briefe, Buch- und Lebensmittelsendungen das Los des Häftlings zu erleichtern. Kurz vor der Hinrichtung rief Anna verstört in Potsdam an, man habe ihren Ehemann ganz plötzlich weggebracht und ihr nicht gesagt wohin Seiner geliebten Eva hatte Ernst von Harnack bereits am 8. Februar 1945 Lebewohl gesagt: ‚Wie auch mein Pfad sich ferner wen­de – wir können uns nicht wieder trennen, wir gehn gemeinsam bis ans Ende.‘ Die beiden Frauen blieben bis zu ihrem jeweiligen Lebensende in loser Freundschaft verbunden.“[3]

„(…) Mitte der 80er-Jahre wurden auf dem Familiengrab der von Heeringen auf dem Bornstedter Friedhof Gedenktafeln für Ernst und Eva enthüllt. Sie beziehen sich allerdings nicht auf die Liebes­beziehung, sondern würdigen zwei Vertreter des oft unterschätzten zivilen Widerstandes gegen die Nazidiktatur.“[4]

Ernst von Harnacks Schwester war die Lehrerin, Schriftstellerin und Frauenrechtlerin der bürgerli­chen Frauenbewegung Agnes von Zahn-Harnack (1884-1950). Beruflich hatte sie zuerst als Leh­rerin in Berlin gearbeitet. Nach dem Abitur trug sie sich: „am 6. Oktober 1908 (…) als erste Frau in die Immatrikulationslisten der Friedrich-Wilhelm-Universität zu Berlin ein, nachdem am 18. Au­gust 1908 das preußische Kultusministerium die ‚Neuordnung des höheren Mädchenschulwesens‘ erlassen hatte, die u. a. auch die reguläre Zulassung von Frauen zum Studium beinhaltete. (…) Har­nack studierte bis 1912 Germanistik, Anglistik und Philosophie und schloss ihr Studium mit der Promotion zum Dr. phil. ab (…) 1919 heiratete sie „in Berlin den Ministerialrat beim Reichsarchiv in Potsdam, Karl von Zahn (1877-1944). Dem Paar wurden drei Kinder geboren: Amalie Gabriele, die wenige Tage nach der Geburt starb (1920), Edward (1921-1977) und Margarete (1924-2010).

Nachdem Ende des Ersten Weltkrieges schloss sich Agnes von Zahn-Harnack der DDP (Deutschen Demokratischen Partei) an. Am 11. Mai 1926 wurde sie in Berlin Mitbegründerin des Deutschen Akademikereinnenbundes (DAB). (…) In der Zeit von 1919 bis 1933 entstand eine ganze Fülle von Schriften zur Frauenbewegung, zu kirchlichen und theologischen Fragen und zu gesellschaftspoliti­schen Problemen aus ihrer Feder. Am bedeutendsten war die 1928 erschienene Geschichte der Frau­enbewegung Die Frauenbewegung. Geschichte, Probleme, Ziele. Zahn-Harnack war Vertreterin des sogenannten bürgerlichen, liberalprotestantisch gesinnten Flügels der ersten deutschen Frauen­bewegung. 1931 wurde sie Vorsitzende des Bundes Deutscher Frauenvereine. (…) Während der Zeit des Dritten Reichs zog sich Zahn-Harnack weitgehend aus der Öffent­lichkeit zurück, blieb aber dem Kreis um Anna von Gierke [siehe: Anna-von-Gierke-Ring] verbunden (…) sowie der Beken­nenden Kirche, die sie in deren Haltung gegen den Nationalsozialismus, aber nicht in Bezug auf ihre theologischen Ansätze guthieß. In der Zeit der ‚inneren Emigration‘ schrieb Zahn-Harnack die 1936 veröffentlichte Biografie ihres Vaters Adolf von Harnack, in der sie auf dem Umweg der biografi­schen Darstellung auch ihre eigene liberalprotestantisch-humanistische Haltung im Gegensatz zum National­sozialismus zum Ausdruck brachte. In der Zeit des Krieges unterrichtete Zahn-Harnack pri­vat Kinder jüdischer Abstammung, denen der Schulbesuch offiziell verboten war. Nachdem Krieg schloss sie sich u. a. dem ‚Freundeskreis von Frauen‘ um Freda Wuesthoff an, der mit seinem Ar­beitsprogramm für den dauernden Frieden gegen Atomwaffen protestierte. (…) Unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg trafen sich Agnes von Zahn-Harnack und weitere der früheren Aktivistin­nen, um die Gründung eines neuen ‚Deutschen Frauenbundes‘ vorzubereiten. Hieraus entstand der ‚Berliner Frauenbund 1945 e.V.‘ Nach der Neugründung setzten sich die Frauen der ersten Stunde für einen Verein ein, dessen Hauptziel nicht nur in carikativer Arbeit liegen sollte. Sie befürworteten (…) vor allem die aktive politische Beteiligung von Frauen. (…) Anlässlich ihres 65. Geburtstages am 19. Juni 1949 verlieh die Theologische Fakultät der Philipps-Universität Marburg Agnes von Zahn-Harnack die Ehrendoktorwürde.“[5]

Agnes Zahn-Harnacks und Ernst von Harnacks Cousin war der Widerstandskämpfer Dr. jur. Dr. phil. Arvid Harnack (24.5.1901 Darmstadt – 22.12.1942 hingerichtet Berlin-Plötzensee), der verheiratet war mit Mildred, die ebenfalls im Widerstand aktiv war. Arvid Harnack wurde mit seiner amerika­nischen Ehefrau Dr. phil. Mildred Harnack, geb. Fish (16.9.1902 Milwaukee – 16.2.1943 hinge­richtet in Berlin-Plötzensee) wegen Mitgliedschaft in der Widerstandsgruppe „Rote Kapelle" wegen Hoch- und Landesverrats zum Tod verurteilt. Frauke Geyken schreibt über Mildred Harnack: „Die gebürtige Amerikanerin hatte ihren Mann, den Juristen und Nationalökonomen Arvid Harnack in den USA kennengelernt, 1926 gingen sie gemeinsam nach Deutschland. Die Literaturwissenschaft­lerin war damals Lektorin an der Berliner Universität, nebenher übersetzte sie Goethe ins Englische. Ab 1933 verbrachte Mildred Harnack einen Teil ihrer Zeit damit, über Beziehungen zur amerika­nischen Botschaft Informationen zu beschaffen, die es in Göbbels‘ Propaganda-Blättern längst nicht mehr zu lesen gab. (…) Ihr Mann organisierte einen Schulungszirkel, in dem er mit Gleich­gesinnten die politischen und wirtschaftlichen Zusammenhänge des Nationalsozialismus analysierte und Perspektiven für eine Zeit danach diskutierte. 1940 schloss sich dieser Kreis mit einem weite­ren oppositionellen Freundeskreis um den Publizisten Harro Schulze-Boysen zusammen. Diese ver­einigte Harnack/Schulze-Boysen-Gruppe wurde später von der Gestapo als ‚Rote Kapelle‘ bezeich­net. Ein Großteil der Beteiligten wurde von den Nazis1942/43 hingerichtet, darunter ungewöhnlich viele Frauen. Mildred Harnack war eine von ihnen.“ 4)[6]

Arvids Bruder, der Schauspieler und Regisseur Dr. phil. Falk Harnack (1913-1991), musste sich 1943, als er als Wehrmachtssoldat tätig sein musste, wegen seiner Kontakte zur Widerstandsgruppe „Weiße Rose" verantworten. Er entging der Verurteilung und desertierte später.

 

Petitum/Beschluss

 

Wir beantragen daher:

  1. Die Straße „Harnackring“ wird zusätzlich zu Ernst von Harnack auch nach Mildred Harnack und Arvid Harnack benannt.
  2. Es wird ein neues Zusatzschild zum Straßenschild für alle Straßenschilder „Harnackring“ erstellt mit dem Text: Zum Gedenken an die in Berlin-Plötzensee hingerichteten Widerstandskämpfer:innen Mildred Harnack (1902 - 1943), Ernst von Harnack (1888-1945 ) und Arvid Harnack (1902 - 1942).

 

Anhänge

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