21-2103.01

Mehr Rettungseinsätze nach der Impfung?

Antwort

Letzte Beratung: 11.07.2024 Bezirksversammlung Bergedorf Ö 13.4

Sachverhalt

Auskunftsersuchen der AfD Fraktion Bergedorf

BAbg. Reinhard Krohn, Eugen Seiler, Peter Winkelbach, Herbert Meyer

 

Die Berliner Feuerwehr rückte im Jahr 2023 zu mehr als 52.000 Einsätzen mit Verdacht auf Herzprobleme aus. Das entspricht einem Anstieg von 10% im Vergleich zum Vorjahr. Medienberichten zufolge wird der Anstieg in Berlin teilweise mit den Folgen der COVID-19-Impfung in Verbindung gebracht. In den letzten Jahren kam es auch in Hamburg zu einem besorgniserregenden Anstieg der Rettungswageneinsätze (RTW) im Zusammenhang mit Herzproblemen.

 

Die Behörde für Inneres und Sport nimmt wie folgt Stellung:

 

Der hier postulierte Zusammenhang von COVID-19-Impfung und der Häufigkeit der Rettungseinsätzen aufgrund von Herzproblemen ist willkürlich und so nicht haltbar. Zwar wurden nach Impfung mit mRNA-Impfstoffen selten Herzmuskel- und Herzbeutenentzündungen beobachtet (dies v.a. bei jungen Menschen). Das Risiko, durch die Impfung eine Herzmuskelentzündung zu erleiden, ist jedoch deutlich geringer als das Risiko einer Herzmuskelentzündung im Rahmen der Infektion mit SARS-CoV-2. Im Rahmen einer COVID-Infektion kommt es bei einem Teil der Patientinnen und Patienten zu Herzmuskel- und Herzbeutelentzündungen, zu Herzrhythmusstörungen oder kardiovaskulären Ereignissen. Diese können auch noch bis zu 12 Monate nach der Infektion auftreten. Herz-Kreislauf-Erkrankungen zählen nach aktuellem Stand der Wissenschaft zu den möglichen Langzeitfolgen einer durchgemachten SARS-CoV-2-Infektion. Angesichts der hohen Fallzahlen (bundesweit gab es bis April 2024 geschätzt 38,8 Millionen COVID-Fälle) kann eine Zunahme von Herzproblemen nicht allein mit den Folgen der Impfung begründet werden. Zahlreiche, hier nicht beachtete Faktoren können auch Einfluss auf die Häufigkeit von Herzproblemen haben. Zudem ist eine Korrelation nicht dasselbe wie eine Kausalität; also nur, weil zwei Dinge gleichzeitig auftreten, müssen sie nicht kausal zusammenhängen.

 

  1. Wie viele RTW-Einsätze gab es in Hamburg in den Jahren 2019 bis 2023 im Zusammenhang mit Herzproblemen?

 

  1. Lassen sich die Einsätze nach Stadtteilen in Bergedorf aufschlüsseln? Falls ja, bitte für die Jahre 2019 bis 2023 angeben.

 

Daten im Sinne der Fragestellung werden von der Feuerwehr nicht erfasst. Für die Beantwortung wäre eine manuelle Durchsicht sämtlicher Rettungsdienstprotokolle der Feuerwehr Hamburg erforderlich. Die Auswertung mehrerer Hunderttausend Vorgänge ist in der für die Beantwortung einer parlamentarischen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich.

 

  1. Gibt es einen Anstieg in bestimmten Altersgruppen oder Geschlechtern?

 

Zur Beantwortung dieser Fragen ist eine Auswertung aus den Daten der Krankenhausstatistik - Diagnosedaten der Patienten und Patientinnen in Krankenhäusern, Statistisches Bundesamt der Jahre 2019 bis 2022 beigefügt. Die Daten für das Jahr 2023 liegen noch nicht vor. Zur Näherung an den Sachverhalt „Herzprobleme“ wurde das Kapitel IX „Krankheiten des Kreislaufsystems (I00-I99)“ herangezogen.

Die Daten der Jahre 2019 bis 2022 differenziert nach Altersgruppen und Geschlecht sind den folgenden Tabellen 1 und 2 zu entnehmen:

Etwaige Veränderungen der Fallzahlen in den jeweiligen Altersgruppen sind immer im Zusammenhang mit der Bevölkerungsentwicklung zu interpretieren.

 

Tabelle 1: Vollstationäre aus den Hamburger Krankenhäusern entlassenen Fälle in den Jahren 2019 bis 2022 differenziert nach Altersgruppen,
Kapitel IX „Krankheiten des Kreislaufsystems (I00-I99)“

 

Altersgruppen

2019

2020

2021

2022

0 bis unter 1

63

68

63

37

1 bis unter 5

68

66

68

62

5 bis unter 10

64

69

64

58

10 bis unter 15

104

105

104

85

15 bis unter 18

138

120

138

123

18 bis unter 20

94

84

94

64

20 bis unter 25

252

252

252

216

25 bis unter 30

393

377

393

344

30 bis unter 35

675

604

675

544

35 bis unter 40

958

891

958

861

40 bis unter 45

1.226

1.272

1.226

1.170

45 bis unter 50

1.731

1.914

1.731

1.532

50 bis unter 55

3.265

3.585

3.265

2.988

55 bis unter 60

4.779

5.088

4.779

4.718

60 bis unter 65

5.630

5.692

5.630

5.652

65 bis unter 70

5.976

6.234

5.976

6.115

70 bis unter 75

7.724

7.833

7.724

7.706

75 bis unter 80

9.308

10.363

9.308

8.787

80 bis unter 85

11.257

10.834

11.257

11.110

85 bis unter 90

6.460

5.898

6.460

7.099

90 und älter

3.274

3.297

3.274

3.305

Gesamt

63.439

64.646

63.439

62.576

 

Hinweis: die Alterseingrenzung folgt den Standardvorgaben des Statistischen Bundesamtes.

 

Tabelle 2: Vollstationäre aus den Hamburger Krankenhäusern entlassenen Fälle in den Jahren 2019 bis 2022 differenziert nach Geschlecht,
Kapitel IX „Krankheiten des Kreislaufsystems (I00-I99)“

 

Geschlecht

2019

2020

2021

2022

nnlich

34.915

35.468

34.915

34.649

weiblich

28.524

29.178

28.524

27.927

Gesamt

63.439

64.646

63.439

62.576

Quelle:  Statistisches Bundesamt: Diagnosedaten der Patienten und
Patientinnen in Krankenhäusern 2022, Abruf

 

  1. Gibt es saisonale Unterschiede in der Häufigkeit von Herzproblemen?

 

Laut der AWMF (Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften) S1 Leitlinie Auswirkungen des Wetters auf die menschliche Gesundheit“ ist ein Zusammenhang zwischen Wetter und körperlicher Gesundheit schon lange bekannt und in vielen Studien belegt, auch bezogen auf Belastungen des kardiovaskulären Systems. Daher ist auch von saisonalen Unterschieden auszugehen.

 

Tabelle 3: Statistisch signifikante Assoziationen zwischen Wetterklassen und Krankheiten (• = ungünstig, + = günstig);

Quelle: Auszug aus AWMF-Leitlinie „Auswirkungen des Wetters auf die menschliche Gesundheit“. Tabellenerläuterung: Wetterklassen: 1 = Hochdruckgebiet, 2 = warmluftadvektive Tiefvorderseite, 3 = Tiefdruckzentrum,4 = kaltluftadvektive Tiefrückseite, 5 = indifferentes Wetter.

 

  1. Wie lange dauert es im Durchschnitt, bis ein Rettungswagen bei Patienten mit Herzproblemen eintrifft?

 

Daten im Sinne der Fragestellung werden von der Feuerwehr nicht erfasst. Für die Beantwortung wäre eine manuelle Durchsicht sämtlicher Rettungsdienstprotokolle der Feuerwehr Hamburg erforderlich. Die Auswertung mehrerer Hunderttausend Vorgänge ist in der für die Beantwortung einer parlamentarischen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich.

 

  1. Wie haben sich die Überlebensraten von Patienten mit Herzproblemen in den letzten Jahren entwickelt?

 

Herzprobleme“ ist ein sehr weit gefasster Begriff und umschließt sehr unterschiedliche Erkrankungen des Herzens. Aus diesem Grund ist die Frage nicht abschließend und eindeutig zu beantworten. Laut Herzbericht 2022 der Deutschen Herzstiftung ist z.B. die Herzinfarkt- und KHK-Sterblichkeit und die Herzinsuffizienz-Sterblichkeit in den Jahren 2011-2021 kontinuierlich gesunken.

 

  1. Welche Präventionsmaßnahmen werden in Bergedorf zur Bekämpfung von

Herzproblemen angeboten? (z.B. Aufklärungskampagnen, Lebensstilberatung, Früherkennungsuntersuchungen)

 

In den folgenden Ausführungen wird sich auf Herz-Kreislauf-Erkrankungen bezogen. Präventionsmaßnahmen wie Aufklärungskampagnen oder Früherkennungsuntersuchungen werden bundesweit angeboten. Eine Darstellung nur auf Bergedorf bezogen ist daher schwierig.

Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind verantwortlich für 33% aller Todesfälle in Deutschland.  Zur Prävention von nichtübertragbaren chronischen Erkrankungen, zu denen die Herz-Kreislauf-Erkrankungen zählen, ist die Kontrolle von Risikofaktoren (wie Nikotin, Bewegungsmangel, Alkoholgenuss, falsche Ernährung) zentral. Speziell für Herz-Kreislauf-Erkrankungen spielt auch der Umgang mit Stress eine Rolle.  Es wird geschätzt, dass einer von vier Todesfällen in Deutschland mit lebensstilbedingten Faktoren zusammenhängt und also theoretisch vermeidbar wäre. Dementsprechend nimmt die Prävention der nichtübertragbaren chronischen Erkrankungen weniger die einzelne Erkrankung in den Blick als eine gesunde, aktive Lebensweise insgesamt (Verhaltensprävention).

Aufklärungskampagnen und Informationen werden bundesweit bspw. durch die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA), aber auch durch das Deutsche Zentrum für Herz-Kreislauf-Forschung (DZHK) oder die Deutsche Herzstiftung zur Verfügung gestellt. Die gesetzlichen Krankenkassen stellen ebenfalls Informationen zur Verfügung und bieten ihren Versicherten Präventionskurse zu Themen wie Ernährung, Bewegung oder Stressmanagement an.

Aufklärung und Information zu verhaltensbedingten Risikofaktoren werden ergänzt durch die Schaffung „gesunder Lebenswelten“ (Verhältnisprävention). Das bedeutet, dass Kitas und Schulen, Betriebe, der Stadtteil oder die Senioreneinrichtungen so gestaltet sein müssen, dass sie eine gesunde Lebensweise ermöglichen oder am besten befördern. Dieser Ansatz wurde u.a. durch das 2015 verabschiedete Präventionsgesetz noch gestärkt. Zur konkreten Umsetzung des Präventionsgesetzes in Hamburg verweisen wir auf den aktuellen Gesundheitsförderungs- und Präventionsbericht 2023.  Er zeigt auf, welche Angebote in Hamburg für die verschiedenen Altersgruppen in den unterschiedlichen Lebenswelten zur Verfügung stehen. Gesundheitsförderung und Prävention im Bezirk Bergedorf werden u.a. durch das Kommunale Gesundheitsförderungsmanagement (KGFM) im Fachamt für Gesundheit vorangetrieben. Eine weitere wichtige Struktur auf Stadtteilebene sind die Lokalen Vernetzungsstellen Prävention (LVS), die nicht nur Akteurinnen und Akteure im Stadtteil vernetzen, sondern auch eigene niedrigschwellige Angebote in den Themenfeldern Ernährung, Bewegung oder Stressreduktion anbieten. Die LVS Bergedorf befindet sich aktuell noch in der Planung.

Früherkennung: Risikofaktoren für die Entwicklung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen werden im Rahmen der kostenlosen Gesundheits-Check-Ups überprüft. Gesetzlich Versicherte im Alter von 18 bis 34 Jahren können einmalig, Versicherte ab 35 Jahren alle drei Jahre ein Check-up in Anspruch nehmen. Hier wird u.a. nach Risikofaktoren für kardiovaskuläre Erkrankungen (wie Rauchen, Bewegungsmangel, u.a.) gefragt und der Blutdruck, der Cholesterinwert und der Blutzucker überprüft. Im Anschluss erfolgt eine individuelle Beratung. Im Impulspapier „Früherkennung und Versorgung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen“ vom 05.10.2023 skizziert das BMG verschiedene Maßnahmen zur Verbesserung der Früherkennung, u.a. ein niedrigschwelliges, einheitliches Einladungsmanagement, ein zusätzliches Check-Up im Alter von 25 Jahren, aber auch eine Einbindung der Apotheken in die Vorsorge. In der Fachwelt werden diese Vorschläge kontrovers diskutiert. Ein entsprechender Gesetzesentwurf liegt noch nicht vor.

 

  1. Wie hoch ist die Inanspruchnahme von Präventionsmaßnahmen in der Bevölkerung?

 

Zur Inanspruchnahme von Präventionsmaßnahmen auf Bezirksebene liegen keine Daten vor. Auf Ebene der FHH verzeichnet der aktuelle Gesundheitsförderungs- und Präventionsbericht 2023, wo immer möglich, wie viele Menschen durch die verschiedenen Angebote erreicht werden konnten bzw. in wie vielen Kitas, Schulen oder anderen Lebenswelten das jeweilige Angebot umgesetzt wird. Zur Inanspruchnahme von Check-Ups in Hamburg: Aufgrund der kurzen Frist liegen lediglich die Daten der Krankenkassen BARMER und TK vor, die zu dem gleichen Ergebnis kommen, dass in den  in den Jahren 2021 und 2022 jeweils knapp jeder fünfte dieses Angebot wahrnahm.

Auf Bundesebene berichtet der GKV-Spitzenverband im Leitfaden Prävention 2023 (S. 10): „Im Berichtsjahr wurden Menschen in 50.349 Lebenswelten mit Maßnahmen der Gesundheitsförderung und Prävention erreicht (2021: 40.650). Mit Aktivitäten der BGF (Betrieblichen Gesundheitsförderung) wurden 1.975.093 Beschäftigte in 26.439 Betrieben angesprochen (2021: 18.437 Betriebe). Die Krankenkassen förderten 1.294.193 Teilnahmen an individuellen Kursangeboten zur Gesundheitsförderung und Prävention (2021: 796.595 Teilnahmen).“

 

 

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