22-0551.01

Ist das Wohnlagenverzeichnis ausreichend für eine angemessene Berechnung der Grundsteuer in den Vier- und Marschlanden?

Antwort

Letzte Beratung: 27.11.2025 Bezirksversammlung Bergedorf Ö 6.9

Sachverhalt

Auskunftsersuchen

der BAbg. Veit, Kramer, Jarchow und SPD-Fraktion

Das Hamburger Wohnlagenverzeichnis war einer breiteren Öffentlichkeit bislang wegen seiner Funktion bei der Einstufung von Mietwohnungen in die Wohnlagenkategorien „gut“ oder „normal“ als Grundlage zur Erstellung des Hamburger Mietenspiegels bekannt.

Seit der Einführung des neuen Hamburger Grundsteuermodells erfüllt das Wohnlagenverzeichnis jedoch eine weitere Funktion, nämlich als Reduktionsfaktor für die jeweilige Grundsteuerlast: „normal“ eingestufte Lagen zahlen weniger. Die Einstufung erfolgt auf Grundlage der Kriterien Bodenrichtwert, Statusindex des Sozialmonitorings, Einwohnerdichte, Lärmbelastung durch Flug-, Schienen-, Gewerbe- und Verkehrslärm, Art der Straße (vier- und mehrspurig), Grünflächenanteil im Umkreis von 800 Metern, Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr (Entfernung zur nächsten U-/S-Bahn-/AKN-Haltestelle), Entfernung zur nächsten Metrobusstation und Entfernung zum Einzelhandel (Nahversorgungsmöglichkeiten im Wohnumfeld) (vgl. Punkt 6.5 der Erläuterungen zum Mietenspiegel 2023).

Im Zuge der Diskussion über in Einzelfällen um mehr als das nfzigfache höhere Grundsteuersätze in der Kategorie B ist das Wohnlageverzeichnis in den Fokus gerückt. Es gibt insbesondere in Teilen der Vier- und Marschlande ohne Kanalisation, ohne nennenswerte Nahversorgung, ohne öffentliche Grünflächen und mit Nahverkehr, der nur im Stundentakt verkehrt, ein großes Unverständnis über die jeweilige Einstufung.

Die Behörde für Finanzen und Bezirke beantwortet das Auskunftsersuchen unter Beteiligung der Behörde für Stadtentwicklung und Wohnen wie folgt:

Vorbemerkung:

Der Senat hat sich im Rahmen der Reform für ein einfaches und gerechtes Grundsteuerrecht entschieden. Die Reform war notwendig, da das Bundesverfassungsgericht im Jahr 2018 die bisherige Bemessungsgrundlage der Grundsteuer nach den Einheitswerten für verfassungswidrig erklärt und hierbei insbesondere bemängelt hat, dass alte Objekte nach dem bisherigen Recht viel zu niedrig und neuere Objekte viel zu hoch besteuert wurden.

Berechnungsgrundlage der neuen Grundsteuer in Hamburg sind die vorhandenen Grundstücks- und Gebäudeflächen sowie gesetzlich festgelegte wertunabhängige Äquivalenzzahlen. Darauf aufbauend wird dem grundlegenden Bedürfnis für Wohnen durch eine Ermäßigung der Grundsteuermesszahl für die Wohnfläche auf 70 v.H. Rechnung getragen (§ 4 Abs. 1 S. 2 Hamburgisches Grundsteuergesetz - HmbGrStG). Im Anschluss an die Wohnflächenermäßigung nach § 4 Abs. 1 HmbGrStG wird der Grundsteuermessbetrag für Wohnflächen, die in einer normalen Wohnlage liegen, nach § 4 Abs. 2 HmbGrStG um weitere 25 v. H., d.h. auf insgesamt 52,5 v.H. ermäßigt. Die Zuordnung zur Wohnlage erfolgt gemäß der Verordnung nach § 4 Abs. 2 HmbGrStG über die Wohnlage vom 10. September 2024 (Wohnlagenverzeichnis-Verordnung, HmbGVBl. Nr. 26, S. 203) und orientiert sich mit den Einordnungen am Wohnlagenverzeichnis, das als eine Grundlage des Hamburger Mietenspiegels dient.

Darüber hinaus ist es jederzeit möglich eine vom Wohnlagenverzeichnis abweichende Wohnlage im Einzelfall qualifiziert (z.B. durch einen Gutachter) nachzuweisen, wobei Methodenwahlfreiheit besteht.

Die Einstufung erfolgt auf Grundlage mehrerer Kriterien, sodass eine schlechtere Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr gerade im ländlichen Bereich gegenüber anderen Kriterien wie beispielsweise einer geringeren Lärmbelastung als in einer Innenstadtlage oder dem Statusindex gegenläufig ins Gewicht fallen können. Die Ermäßigung für die normale Wohnlage wirkt sich in der Gesamtschau ferner nur mit 17,5 v.H. aus.

Die Steigerung der neuen Grundsteuer um einen hohen Faktor X ist im Übrigen sehr selten und beruht zumeist entweder auf Erklärungsfehlern oder auf der ungerechten und vom Bundesverfassungsgericht im Jahr 2018 als verfassungswidrig bemängelten Einheitsbewertung. Auch sind nicht immer Veränderungen in der Vergangenheit angezeigt worden. Eine Erhöhung um einen Faktor X alleine hat deshalb keine Aussagekraft; erst bei genauer Kenntnis der festgesetzten Grundsteuer kann beurteilt werden, ob ein Härtefall vorliegt.

Ein Erlass im Härtefall nach § 8 HmbGrStG kann wiederum bei Äquivalenzstörungen Anwendung finden, d.h. wenn die Teilhabe an der öffentlichen Infrastruktur nicht wie bei vergleichbaren Grundstücken gewährleistet ist. Auch finden nach § 8 Abs. 2 HmbGrStG die Erlass- und Billigkeitsregelungen der Abgabenordnung sowie die Erlassregelungen des Grundsteuergesetzes Anwendung. Ein Erlass nur aufgrund ländlicher Prägung ist nicht möglich. Grundsätzlich kann so etwas aber bedingen, dass andere Gründe, zum Beispiel die abseitige Lage, einen Teilerlass nach § 163 AO i.V.m. § 8 Abs. 2 HmbGrStG ermöglichen.

  1. Auf Grundlage welcher Faktoren ergeben sich die Wohnlagenkennwerte der Blockseiten im Bezirk Bergedorf? Bitte je Blockseite aufschlüsseln.

Die Beantwortung ist im Rahmen einer bezirklichen Anfrage nicht möglich, da es sich um eine Anzahl von Blockseiten in geschätzt dreistelliger Höhe handelt.

2. Das Wohnlagenverzeichnis berücksichtigt bestimmte Kriterien, die als örtlich enger begrenzte Lagekriterien gelten, nicht. Dazu zählt bspw. die Entfernung zu medizinischer (Grund-) Versorgung, zu kulturellen Angeboten, zu Schulen und anderen öffentlichen Einrichtungen oder der Zustand der öffentlichen Infrastruktur. Bei der Mietpreisbildung werden diese Kriterien neben der rechnerischen Wohnlageneinstufung einbezogen (vgl. BSW: „Erläuterungen zum Mietspiegel“ 2023, S. 14f). Für die Bewertung der Grundsteuer bleiben solche Kriterien jedoch gänzlich außer Acht.

Wie bewertet die zuständige Behörde diese Situation in Bezug auf das Ziel einer gerechten, dem Grundstück und seiner Lage angemessenen Belastung?

Siehe Vorbemerkung.

2.1 Geht die zuständige Behörde bei einer Berücksichtigung der o.g. weiteren Lagekriterien von einer Veränderung der Grundsteuerbelastung bei einem signifikanten Anteil der Steuerfälle aus?

Damit hat sich die Behörde für Finanzen und Bezirke nicht befasst.

2.2 Sind Anpassungen der Kriterien zur Erstellung des Wohnlageverzeichnisses oder andere Maßnahmen zur stärkeren Berücksichtigung der tatsächlichen Wohnlage geplant?

Nein.

2.3 Sind Härtefallregeln denkbar, um zur tatsächlichen Situation unpassende Einstufungen auch im Bereich der Grundsteuer zu korrigieren?

Siehe Vorbemerkung.

3. Es gibt politisch gewollte und z.B. in Bebauungsplänen oder durch Regelungen des BauGB und der HmbBauO vorgegebene Freiflächen, die z.B. wegen fehlender wirtschaftlicher Nutzbarkeit in Grundsteuerkategorie B fallen. Diese nehmen teils einen enormen Teil der Grundfläche ein und erhöhen die Steuerlast für einzelne Steuerfälle erheblich.

3.1 Wie werden die mit der neuen Grundsteuer verbundenen Auswirkungen auf entsprechende Steuerfälle und eine einhergehende Verschiebung von Vermögens- und Einkommensstrukturen in betroffenen Stadtteilen aus stadtsoziologischer Sicht betrachtet?

Die Behörde für Finanzen und Bezirke hat sich hiermit nicht befasst. Es ist nach hiesiger Einschätzung im Regelfall jedoch nicht anzunehmen, dass die Grundsteuer A und B auch unter Berücksichtigung der Erlassvorschriften - zu einer nennenswerten Verschiebung von Vermögens- und Einkommensstrukturen führen kann.

Mit der Einführung der Grundsteuer C in Hamburg sollen hingegen Anreize für eine gemäß Planrecht zweckbestimmte Wohnbebauung geschaffen werden. Zur Verhinderung von sozialen und wirtschaftlichen Ungleichgewichten wurden Ausnahmetatbestände festgelegt. So erfolgt keine Besteuerung trotz Vorliegen einer Baureife, wenn die Steuerpflichtigen nachweisen, dass eine sofortige Bebauung ihrer Grundstücke aus wirtschaftlichen oder sozialen Gründen nicht vertretbar wäre. Wirtschaftliche Gründe können z.B. vorliegen, wenn die Bebauung der Grundstücke aufgrund fehlender Nachfrage finanziell nachteilig wäre oder bei einem geerbten Grundstück zurzeit aufgrund geringer Eigenmittel der Investitionsbedarf nicht getätigt werden kann. Werden die zu besteuernden Grundstücke nachweislich für die Bebauung durch nahe Angehörige bereitgehalten, findet der abweichende Hebesatz ebenfalls keine Anwendung. Darüber hinaus gilt für Grundstücke, auf denen erst durch Planrecht, das vor weniger als drei Jahren geschaffen wurde, erstmalig Wohnungsbau möglich wurde, eine Sperrfrist von wiederum drei Jahren ab dem jeweils nächsten Stichtag des Steuerjahres nach der Feststellung, um die durchschnittlich notwendige Zeit einzuräumen, das Grundstück nach erstmaliger Planrechtschaffung entsprechend zu entwickeln.

3.2 Sollen derzeit politisch gewollte aufgelockerte Bebauungen und Kulturlandschaften wie die Vier- und Marschlande trotz des erheblichen Anreizes zur vollständigen Bebauung entsprechender Flächen erhalten werden?

3.3 Wenn ja: Welche Maßnahmen sind zur Unterstützung dieses Erhalts denkbar?

Erhalt der aufgelockerten Bebauung und Kulturlandschaften in den Vier- und Marschlanden bleibt ein zentrales Thema der Stadtentwicklung in Hamburg. Trotz des erheblichen Drucks auf den Wohnungsmarkt und der Notwendigkeit von Nachverdichtung und plangemäßer Bebauung ist die charakteristische städtebauliche Struktur der Vier- und Marschlande behutsam weiterzuentwickeln.

Die Bebauung in den Vier- und Marschlanden richtet sich insbesondere nach dem geltenden Planrecht, also nach bestehenden Bebauungsplänen oder den Regelungen der §§ 34 und 35 Baugesetzbuch (BauGB; Bauen im Innen- bzw. Außenbereich).

Mit der aktuellen BauGB-Novelle stellen erweiterte Instrumente zur Förderung des Wohnungsbaus zur Verfügung, darunter:

Erweiterte Befreiungsmöglichkeiten für den Wohnungsbau (§ 31 Abs. 3 BauGB)

Wohnbebauung im Innenbereich auch wenn sich dieser nicht in den Bebauungszusammenhang einfügt (§ 34 Abs. 3b BauGB)

Wohnungsbau-Turbo (§ 246e BauGB), die weitereichenden Abweichungen von den Regelungen des BauGB und den Bebauungsplänen ermöglicht

In allen genannten Fällen ist die Zustimmung der Gemeinde, vertreten durch das zuständige Bezirksamt, nach § 36a BauGB erforderlich. Eine Genehmigung wird nur erteilt, wenn das Vorhaben mit den Vorstellungen zur städtebaulichen Ordnung und Entwicklung vereinbar ist. Das Bezirksamt behält somit die Steuerungsmöglichkeit über die Bebauung und kann die Entwicklung im Sinne der Erhaltung der besonderen Struktur der Vier- und Marschlande steuern. Der Erhalt der städtebaulichen Struktur ist damit auch bei einer Weiterentwicklung der (Wohn-)Bebauung möglich.

3.4 Wenn nein: Ist geplant, die betroffenen Bezirke mit weiteren Mitteln zur Aufstellung flächendeckender Bauleitplanungen und Bebauungsplänen auszustatten?

Die Entscheidung hierfür trifft das Bezirksamt in der eigenen Zuständigkeit. Eine Aufstockung der dafür den Bezirken zur Verfügung stehenden Planungsmittel ist nicht vorgesehen.

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