Das Jugendamt muss über Mittelkürzungen informieren und zwar vor ihrer Umsetzung! Antrag der Fraktion DIE LINKE
Hintergrund dieses Antrages ist eine Steuerungsverfügung, die vom Jugendamt Altona am 11.08.2021 gestellt wurde und mit sofortiger Wirkung ab interner Bekanntgabe bis zum 31.01.2022 Gültigkeit haben sollte. Ziel der Verfügung war es, die Ausgaben bei den ambulanten Hilfen der Allgemeinen Sozialen Dienste (ASD) in Altona drastisch zu senken, um eine weitere Budgetüberschreitung in 2021 abzufedern.
Erst auf Grund fraktionsübergreifenden Aufschreies und Handeln der Freien Träger wurde die Verfügung zurückgenommen. Nach allgemeiner Auffassung war der Inhalt der Verfügung nicht mit den Grundsätzen der Jugendhilfe vereinbar.
Es besteht jedoch die Gefahr, dass ein solches Vorgehen wiederholt wird. Denn es wurde nie offiziell festgestellt, dass sowohl das Verfahren bezüglich der Steuerungsverfügung als auch ihr Inhalt rechtswidrig waren.
Die Steuerungsverfügung war materiell rechtswidrig.
So ist es bereits rechtswidrig, die Gewährung von Hilfen zur Erziehung (HzE) an die Schwelle der Kindeswohlgefährdung zu binden. Genau dies wird jedoch zwangsläufig erreicht, wenn eine interne Vorgabe festlegt, dass für ambulante Hilfen nur mehr als neun Stunden bewilligt werden dürfen, in denen ein Fall einer Kindeswohlgefährdung vorliegt (Nr. 2 der Verfügung). Gem. § 27 Abs. 1 SGB VIII sind die gesetzlichen Voraussetzungen für die Gewährung von HzE nämlich, dass das Wohl des Kindes oder Jugendlichen nicht gewährleistet werden kann und die Hilfe für seine Entwicklung geeignet und notwendig ist. Dies liegt deutlich unter einer Kindeswohlgefährdung. Die Voraussetzungen werden durch die Nr. 2 der Verfügung bewusst missachtet.
Weiter ist festzuhalten, dass die Gewährung von HzE einen Einzelfallfrage ist, die sich nach dem festgestellten erzieherischen Bedarf richtet. Wie bereits der Begriff „Hilfe zur Erziehung“ deutlich macht, handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der ermöglichen soll, dass sich die Fachkräfte im jeweiligen Einzelfall individuell für einen sozialwissenschaftlich angemessenen erzieherischen Bedarf entscheiden können (vgl. § 27 Abs. 2 SGB VIII). Das Fehlen von Haushaltsmitteln ist eindeutig kein sozialwissenschaftliches Kriterium. Die Ablehnung oder Einstellung einer gebotenen HzE (Nr. 4 und 5 der Verfügung) ebenso wie die pauschale Vorgabe für den Umfang einer solchen Hilfe (Nr. 2 der Verfügung) vorwiegend basierend auf finanziellen Kriterien widerspricht daher dem Grundsatz der Bedarfsorientierung aus § 27 SGB VIII.
Schließlich ist festzuhalten, dass auch Nr. 1 der Verfügung, welche eine interne Bestimmung zur Ausreizung jeglicher Fristen bei der Bewilligung von Anträgen darstellt, rechtswidrig ist. Denn ein solches Vorgehen widerspricht dem Effektivierungs- und Beschleunigungsgebot aus § 17 Abs. 1 Nr. 1 SGB I sowie § 9 S. 2 SGB X. Diese Vorgabe würde zwangsläufig zu einer Eskalation der Erziehungssituation führen. Dies wiederrum würde die Wahrscheinlichkeit, die Situation einer Kindeswohlgefährdung zu erschaffen, erhöhen. Dies steht im Widerspruch zu jeglichem Sinn und Zweck der Jugendhilfe. Zudem wäre in diesem Szenarium wegen des Vorliegens einer Kindeswohlgefährdung gemäß Nr. 2 der Verfügung HzE zu bewilligen – und zwar über die generellen 9 Stunden hinaus. Kosten würden also nicht gespart werden. Vielmehr würde eine Negativ-Spirale entstehen. Dies kann kaum gewünscht sein.
Die Steuerungsverfügung ist zudem verfahrensfehlerhaft. Sie wurde dem Jugendhilfeausschuss Altona (JHA) nicht zur Kenntnisnahme vorgelegt.
Die Vereinbarung gemäß § 19 Abs. 1 S. 3 BezVG legt jedoch fest, dass das Jugendamt den JHA über die Beteiligung der Jugendhilfeplanung generell und insbesondere über die Planungsprozesse in jugendhilferelevanten Fragen nach dem SGB VIII zu informieren hat (vgl. Anlage 1 zur § 19 Abs. 1 BezVG – Vereinbarung vom 17.02.2020). Von einem solchen „Planungsprozess“ ist zu sprechen, wenn generell vereinbart wird, jugendhilferelevanten Fragen nach dem SGB VIII auf eine bestimme Stundenzahl zu reduzieren und die Bewilligung zudem soweit wie möglich zu verzögern. Der JHA hätte also in Kenntnis gesetzt werden müssen. Dies unterblieb. Zur Klarstellung sollte die § 19 Abs. 1 BezVG im Wortlaut deshalb diesbezüglich konkretisiert werden.
Diese rechtswidrige Steuerungsverfügung wäre in Kraft getreten, wären die verschiedenen Akteure nicht aktiv geworden. Es kann jedoch nicht davon ausgegangen werden, dass dies immer passieren wird, da man regelmäßig keine Kenntnis über interne Verfügungen erlangt.
Es ist daher sicherzustellen, dass solche Verfügungen vor ihrer Gültigkeit dem JHA zur Kenntnisnahme vorgelegt werden. Nur so wird den einzelnen Parteien ermöglicht, sich eine Meinung zu bilden und unter Umständen gegen die Verfügung vorzugehen.
Abschließend wäre zu klären, warum dem Jugendamt die notwendigen Gelder fehlen. Denn gem. § 17 Abs. 1 Nr. 2 SGB I haben jegliche Mittel zur Ausführung von Sozialleistungen zur Verfügung zu stehen. Tatsächlich verfügt die Jugendhilfe jedoch nicht über die Mittel, die zur Umsetzung der Ziele der SGBs sowie die zur Zweckerfüllung eines Jugendamts notwendig wären.
Die Antwort ist simpel – dem deutschen Staat fehlt das nötige Geld.
Wieso dies so ist, lässt sich auch leicht beantworten: Weil die Bundesregierung seit Jahren – egal in welcher Aufstellung – an der sogenannten „Schwarzen Null“ festhält. Einzig und allein die Aufrüstungsindustrie kann diesem Prinzip trotzen. Wenn man jedoch nicht mehr Gelder hat, sich aber weigert Schulden aufzunehmen, muss dies Leidtragende haben. In dem hier beschriebenen Fall sind die Leidtragenden unsere Zukunft selbst, die Kinder und Jugendlichen.
Wer das nicht möchte hat nur noch eine Möglichkeit – auf andere Wege Geld erlangen. Dem Staat bleibt also bei einem Festhalten an dem Prinzip der Nicht-Verschuldung nichts anderes übrig, als eine Vermögensabgabe zu verlangen. Es bedarf also dringend einer Steuerreform, welche dazu führt, Gelder in die leeren Staatskassen zu kriegen und so dem Jugendamt zu ermöglichen, gar nicht erst an die Alternative des Heraufschwörens einer Kindeswohlgefährdung denken zu müssen. Einkommen aus Kapital und Vermögen muss endlich ausreichend und fair belastet werden. Die Wiedereinführung der Vermögensteuer für Multimillionär:innen und Milliardär:innen, eine gerechtere Erbschaftsteuer und eine einmalige Vermögensabgabe mit jeweils hohen Freibeträgen ist daher dringend notwendig.
Vor diesem Hintergrund beschließt der Jugendhilfeausschuss, der Bezirksversammlung zu empfehlen, folgenden Beschluss zu fassen:
:
Der Jugendhilfeausschuss wird um Zustimmung und Weiterleitung an die Bezirksversammlung gebeten.
ohne