Stellungnahme zum Antrag SPD betr. Netzwerk ProBeweis - auch in Hamburg?
Alle zwei bis drei Tage stirbt eine Frau in Deutschland, weil ihr aktueller oder ehemaliger Lebensgefährte sie erstochen, erschossen, totgeprügelt hat; 141 Opfer hat die Polizei 2017 gezählt. Und das ist nur die Spitze des Eisbergs. Von Stalking über sexuelle Nötigung bis hin zu Körperverletzung waren fast 114.000 Frauen von Partnerschaftsgewalt betroffen. Fast die Hälfte der Opfer lebte mit dem Täter in einem gemeinsamen Haushalt. So viel zu den Taten, von denen die Polizei erfährt. Dunkelfeldstudien zufolge soll jede vierte Frau von 18 bis 85 Jahren mindestens einmal im Leben mit einem gewalttätigen Partner zu tun gehabt haben. Das bedeutet: Nirgendwo sind Frauen in Deutschland stärker in Gefahr als im eigenen Zuhause. (FAZ 26.11.2018)
Das Projekt Netzwerk ProBeweis in Niedersachsen bietet Betroffenen von häuslicher körperlicher und sexueller Gewalt eine gerichtsverwertbare Verletzungsdokumentation und Spurensicherung bereits vor der Entscheidung zu einer Strafanzeige.
Seit Juni 2012 wurde unter Leitung des Institutes für Rechtsmedizin der Medizinischen Hochschule Hannover eine niedersachsenweite Versorgungsstruktur mit dem Ziel der Verbesserung der Gewaltopferversorgung etabliert. Durch die Einbindung von Partnerkliniken in nunmehr 25 Städten konnten flächendeckend 27 Untersuchungsstellen eingerichtet werden. Die kostenfreie Untersuchung erfolgt auf Wunsch der Betroffenen und unterliegt der ärztlichen Schweigepflicht. Durch die zentrale Lagerung der Dokumentationen und Asservate in den Instituten für Rechtsmedizin in Hannover und Oldenburg steht die Rechtsmedizin Betroffenen und nach Schweigepflichtsentbindung auch den Ermittlungsbehörden als kompetenter Ansprechpartner zur Verfügung. Rechtsmedizinische Fachgutachten und Untersuchungen der Asservate werden bei entsprechender Beauftragung angefertigt.
Partnerkliniken in der Region um den Bezirk Harburg sind die Elbe Kliniken Stade-Buxtehude, sowie Krankenhaus Buchholz und Winsen und das Städtische Klinikum Lüneburg.
In Hamburg existiert am Institut für Rechtsmedizin des UKE die Rechtsmedizinische Untersuchungsstelle für Opfer von Gewalttaten. Sie bietet Betroffenen dazu kostenlose Hilfe an. Besonders sachkundige Ärzte und Ärztinnen erstellen dort über Verletzungen ein Gutachten, das die Opfer vor Gericht als Beweismittel vorlegen können. Auf Wunsch kommen deren Ärzte und Ärztinnen auch in ein Krankenhaus oder zum Hausarzt.
Die Untersuchungsstelle leistet bereits einen großen Beitrag zur Beweisdokumentation. Doch durch den zentralen Ansatz der Untersuchungsstelle, bei der das Aufsuchen der Stelle der Normalfall und die Beweisdokumentation vor Ort der Ausnahmefall ist, steigen möglicherweise Aufwand und Belastung der Opfer unnötig an. So lobenswert diese Untersuchungsstelle ist, so zeigt doch alleine die Dichte und die Vernetzung des Netzwerks ProBeweis, dass dies auch niedrigschwelliger möglich sein kann. Medizinische und gleichzeitig forensische Expertise bereits im erstaufnehmenden Krankenhaus vor Ort ermöglichen die Versorgung aus einer Hand, ohne dass weitere Belastungen - z.B. durch Verlegungen und Wartezeiten für die Hinzuziehung der beweisaufnehmenden Experten aus externen Einrichtungen - erforderlich werden.
Die Vorsitzende der Bezirksversammlung wird gebeten, fachkundige Referenten der rechtsmedizinischen Untersuchtungsstelle am UKE sowie der Behörde für Gesundheit und Verbraucherschutz in den Ausschuss für Gesundheit, Umwelt und Verbraucherschutz einzuladen, um über das Konzept und die Erfahrungen zu berichten. Dabei ist auch auf eine mögliche Adaption des niedersächsischen Konzepts im Bezirk Harburg im Rahmen eines Modellversuchs – möglicherweise auch in Kooperation mit dem Netzwerk ProBeweis - für ganz Hamburg einzugehen. Vertreter der Harburger Kliniken sind zu diesem Termin als Gäste einzuladen.
Bezirksversammlung Harburg 02.03.2020
Der Vorsitzende
Die Behörde für Wissenschaft, Forschung und Gleichstellung (Institut für Rechtsmedizin) nimmt zu dem Antrag SPD Drs. 20-4386 wie folgt Stellung:
Seit über 20 Jahren besteht im Institut für Rechtsmedizin eine Rechtmedizinische Untersuchungsstelle für Opfer von Gewalt. Jährlich werden ca. 1200 Erwachsene Opfer von Gewalt untersucht, 60% davon sind Frauen.
Die meisten Untersuchungen finden in Räumlichkeiten des Institutes für Rechtsmedizin statt. Die Untersuchungen finden bei hospitalisierten Patienten in Krankenhäusern statt.
Die Opfer, die sich zur Dokumentation ihrer Verletzungen in die rechtsmedizinische Untersuchungsstellte begeben, müssen nicht notwendigerweise eine Strafanzeige bei der Polizei erstatten oder erstattet haben. Die Dokumentation der Verletzungen sowie die Sicherung der biologischen Spuren unterliegen in diesen Fällen, bei denen die Polizei nicht als Auftraggeber fungiert, der ärztlichen Schweigepflicht, auch gegenüber der Justiz. Falls notwendig, werden die biologischen Spuren gesichert und fachgerecht in der serologischen Abteilung des Institutes für Rechtsmedizin asserviert.
Durch die kostenlose Begutachtung und Fotodokumentation der Verletzungen ohne Notwendigkeit einer Anzeige soll die Schwelle für das Opfer zur Inanspruchnahme des Hilfsangebotes abgesenkt werden. Im Anschluss an die Untersuchung erfolgt bei Bedarf eine Beratung im Hinblick auf beratende medizinische als auch psychosoziale Einrichtungen.
Seit der Gründung der Rechtsmedizinischen Untersuchungsstelle, besteht parallel das Angebot eine, wenn gewünscht, anonyme Beratung. Sowohl Opfer von Gewalt, als auch medizinisches Personal, können sich an die Ärztinnen und Ärzte der rechtsmedizinischen Untersuchungsstelle wenden um sich zu beraten. Mit den untersuchenden Ärzten, wird dann die körperliche Untersuchung und falls notwendig die Spurensicherung besprochen.
Nach der Gründung der rechtsmedizinischen Untersuchungsstelle, wurden gezielt alle Notaufnahmen der Hamburger Krankenhäuser über das bestehende Angebot informiert. Es erfolgten regelmäßig Vorträge für Ärzte und Pflegepersonal.
Bis heute werden mindestens 1 x jährlich, besonders dafür entworfene Flyer an Notaufnahmen der Krankenhäuser geschickt, um Patientinnen und Patienten an die Möglichkeit der Vorstellung in der rechtsmedizinischen Untersuchungsstelle aufmerksam zu machen.
Es bleibt für uns unverständlich, dass ein „noch niedrigschwelligeres“ Angebot gefördert wird.
Eine „forensische Expertise im erstaufnehmenden Krankenhaus vor Ort“ ist auch durch Netzwerk ProBeweis nicht gewährleistet, da eine forensische Expertise nur durch einen forensisch ausgebildeten Facharzt möglich ist, und auch Netzwerk ProBeweis stellt solche Ärzte nicht in jedem Krankenhaus zur Verfügung.
Wir laden interessierte Teilnehmer der Bezirksversammlung sowie Antragstellerinnen zu einem Besuch in der rechtsmedizinischen Untersuchungsstelle ein und regen eine weiterführende Diskussion an, die zu besserem Verständnis der Versorgung von Opfern von Gewalt beitragen könnte.
gez. Heimath
f.d.R.
Wyzinski
Bezirksversammlung Harburg 06.03.2020
Der Vorsitzende
Die Behörde für Gesundheit und Verbraucherschutz (BGV) nimmt zu dem Antrag SPD Drs. 20-4386 wie folgt Stellung:
von Seiten der Behörde für Gesundheit und Verbraucherschutz (BGV) ist eine Teilnahme an der Ausschusssitzung am 9.3.2020 nicht möglich.
Beim Thema „Netzwerk ProBeweis“ besteht eine Doppelzuständigkeit, da die Behörde für Arbeit, Soziales, Familie und Integration (BASFI) für den Bereich Opferschutz zuständig ist und seitens der Bezirksversammlung beteiligt werden sollte.
Zum jetzigen Zeitpunkt kann seitens der BGV der nachstehende Sachstand mitgeteilt werden:
Die BGV hat bisher keine Kenntnisse über das erwähnte Projekt und auch keine fachliche Zuständigkeit. Das Thema Spurensicherung ist zurzeit wegen einer Gesetzesnovelle des § 132 K SGB V in der Sondierung bei BGV, BASFI und Krankenkassen. Bislang wurde noch kein Vertrag geschlossen.
Das Masernschutzgesetz wurde am 14. November 2019 in 2./3. Lesung im Bundestag beschlossen und am 20. Dezember 2019 durch den Bundesrat gebilligt. Es soll am 1. März 2020 in Kraft treten. Im Wege eines Änderungsantrages der Fraktionen der CDU/CSU und SPD wurde durch das Gesetz geregelt, dass Krankenkassen künftig die sogenannte vertrauliche Spurensicherung bei Verdacht auf Misshandlungen oder auf sexualisierte Gewalt erstatten. Damit soll z. B. die Beweissicherung bei Verdacht auf Vergewaltigung oder sexuellen Missbrauch verbessert werden. Beispielsweise können Frauen, die Opfer einer Vergewaltigung geworden sind, vertraulich einen Arzt, ein Krankenhaus oder eine darauf spezialisierte Einrichtung aufsuchen und z.B. im Zuge einer Behandlung auch Spuren sicherstellen lassen. Die Leistungen der Krankenkassen umfassen die Sicherung von Spuren (z.B. Spermaspuren), Laborleistungen, beispielsweise Untersuchungen auf K.O.-Tropfen und Alkohol, sowie Dokumentation, Transport und Lagerung der Beweismittel.
Nach § 132j SGB V Neu schließen die Krankenkassen oder ihre Landesverbände gemeinsam und einheitlich auf Antrag des jeweiligen Landes mit dem Land sowie mit einer hinreichenden Anzahl von geeigneten Einrichtungen oder Ärzten Verträge über die Erbringung von Leistungen nach § 27 Abs. 1 Satz 6 SGB V. In den Verträgen sind insbesondere die Einzelheiten zu Art und Umfang der Leistungen, die Voraussetzungen für die Ausführung und Abrechnung sowie die Vergütung und Form und Inhalt des Abrechnungsverfahrens zu regeln. Die Leistungen werden unmittelbar mit den Krankenkassen abgerechnet, die Vergütung kann pauschaliert werden. Das Abrechnungsverfahren ist so zu gestalten, dass die Anonymität der bzw. des Versicherten gewährleistet ist.
Zuständig in Hamburg ist die Behörde für Gesundheit und Verbraucherschutz, Amt für Gesundheit, unter Beteiligung der Behörde für Arbeit, Soziales, Familie und Integration. Die hiesige bisherige Recherche hat ergeben, dass das Rechtsmedizinische Institut am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendo0rf (UKE) derzeit die einzige Stelle ist, die institutionalisiert vertraulich Spuren sichert. Aus den Frauenhäusern hat die BGV teilweise die Rückmeldung bekommen, dass es wünschenswert wäre, wenn es auch südlich der Elbe eine weitere Stelle geben könnte, die diese Sicherung vornimmt. Die in den Frauenhäusern untergebrachten Frauen sind oftmals Bedrohungen und Verfolgungen ausgesetzt, so dass eine Fahrt durch die Stadt mit einem teilweise erheblichen Risiko verbunden ist. Auf jeden Fall muss aber der fachliche Standard gewährleistet sein. Die betroffenen Frauen sind in der Regel nicht nur äußerlich verletzt, sondern auch schwer traumatisiert. Ein entsprechend geschulter Umgang ist hier zwingend notwendig- auch um Sekundärtraumatisierungen zu vermeiden.
Im nächsten Schritt wäre mit Vertretern des Rechtsmedizinischen Instituts und der Beratungsstelle Notruf und Opferhilfe zu beraten. Die BGV sondiert weiterhin noch den Sachstand in den anderen Ländern.
gez. Heimath
f.d.R. Wyzinski