Gemeinsame Stellungnahme gemäß § 28 BezVG betr. Ergänzung Bürgervertrag BINF Drs. 21-1140
1) Anhörung nach § 28 Bezirksversammlungsgesetz
Mit Verwunderung haben wir zur Kenntnis nehmen müssen, dass die Behörde für Arbeit, Gesundheit, Soziales, Familie und Integration die Tatsache einer Nachverhandlung des Bürgervertrages Neugraben-Fischbek mit großen Veränderungen für die dort befindlichen Flüchtlingseinrichtungen sowohl im Anschreiben vom 19.01.2021 als auch in der Sitzung des Hauptausschusses der Bezirksversammlung Harburg am 26.01.2021 nicht als Anhörungsfall des § 28 Bezirksverwaltungsgesetz betrachtet hat.
§ 28 Bezirksverwaltungsgesetz regelt die Anhörung der Bezirksversammlung bei Standortentscheidungen. Wörtlich heißt es dort:
“Vor der Entscheidung des Senats oder einer Fachbehörde über die Ansiedlung, Schließung oder wesentlichen Veränderung nachfolgender Einrichtungen ist die örtliche Bezirksversammlung anzuhören ....”
In Ziff. 9 sind ausdrücklich Einrichtungen zur Unterbringung von Zuwanderern oder Wohnungslosen genannt.
Bei den Regelungen, die im Rahmen der Nachverhandlungen zu den Flüchtlingsunterkünften in Neugraben-Fischbek getroffen worden sind, handelt es sich um wesentliche Veränderungen, so dass eine Anhörung der Bezirksversammlung Harburg nach § 28 Bezirksverwaltungsgesetz zwingend ist.
Insoweit wird begrüßt, dass die Fachbehörde nach Intervention des Bezirksamtes nun doch zu der Erkenntnis gekommen ist, dass die Bezirksversammlung nach § 28 Bezirksverwaltungsgesetz anzuhören ist.
Es wird allerdings erwartet, dass die Fachbehörde bei zukünftigen wesentlichen Veränderungen im Bereich der Flüchtlingsunterkünfte im Bezirk Harburg selbst und ohne Hinweise des Bezirksamtes die Anhörung der Bezirksversammlung gemäß § 28 Bezirksverwaltungsgesetz veranlasst.
2) Ergänzungen des Bürgervertrages
A) Regelungen zu den Flüchtlingsunterkünften
Wir begrüßen die Vereinbarung über die Verlängerung der Flüchtlingsunterkunft Cuxhavener Straße 564. Es ist richtig, an diesem Standort weiterhin Geflüchtete und Wohnungslose unterzubringen, bis diese in reguläre Wohnverhältnisse gebracht werden können.
Kritisch sehen wir die Reduzierung der Unterkunft Am Röhricht und vor allem die Schließung eines weiteren Blocks der Unterkunft mit Perspektive Wohnen (UPW) Plaggenmoor zum 31.12.2021.
Die Besonderheit der UPW Plaggenmoor besteht darin, dass hier an einem von nur sechs Standorten in Hamburg die Möglichkeit besteht, Flüchtlinge in abgeschlossenen Wohnungen unterzubringen, die bislang auf dem allgemeinen Wohnungsmarkt nicht mit Wohnraum versorgt werden konnten.
Die UPW im Plaggenmoor ist zudem die einzige UPW in Hamburg, in der größere Familien untergebracht werden können. Diese haben bekanntlich sehr schlechte Chancen auf dem freien Wohnungsmarkt. Viele von ihnen leben seit Jahren im Stadtteil, ihre Kinder gehen hier zur Schule, die Familien haben sich integriert und vernetzt, sie arbeiten oder machen eine Ausbildung. All diese Erfolge werden gefährdet.
Ein Teil der bisher für die UPW genutzten Wohnungen (42 Plätze) sollen nunmehr von der SAGA als geförderte Wohnungen dem allgemeinen Wohnungsmarkt zur Verfügung gestellt werden. Es werden also Wohnungen, die im Rahmen der UPW genutzt wurden, dann als öffentlich geförderte Wohnungen genutzt. Dadurch wird es im Stadtteil nicht mehr Wohnungen geben, da allenfalls die Bewohner 1 zu 1 ersetzt werden, wobei auch ein Teil der dort lebenden Flüchtlinge die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme einer öffentlich geförderten Wohnung erfüllen wird.
Im Zweifel müssen die dort derzeit lebenden Bewohnerinnen und Bewohner ausziehen und vor dem Hintergrund einer ungewissen Wohnungssituation gegebenenfalls an einem anderen Standort wieder in einer “normale” Flüchtlingsunterkunft untergebracht werden, was für diese Menschen einen deutlichen Rückschritt bedeutet. Die bisherigen Integrationserfolge werden dadurch gefährdet.
Das halten wir nicht für akzeptabel.
Die Reduzierung der Unterkunft Am Röhricht um 150 Plätze sehen wir ebenfalls als kritisch an. Die Unterkunft Am Röhricht ist zentrumsnah und auch mit öffentlichen Verkehrsmitteln gut erschlossen, was die Integration der dort lebenden Flüchtlinge - auch durch die Unterstützung örtlicher Initiativen wie “Willkommen in Süderelbe” - deutlich erleichtert.
Demgegenüber sollen in der dezentral liegenden Unterkunft Neuenfelder Fährdeich nur 50 Plätze abgebaut werden und die Unterkunft ansonsten fortbestehen. Diese Vorgehensweise halten wir für nicht förderlich für die Integration geflüchteter Menschen, da diese an einem zentralen Ort wie der Unterkunft Am Röhricht deutlich besser gelingen kann als an einem abseits der Zentren liegenden und auch mit öffentlichen Verkehrsmitteln nur eingeschränkt erreichbaren Standort wie dem Neuenfelder Fährdeich.
Bei Anlegung von Kriterien, die integrationsfördernd sind, sollten aus unserer Sicht die zentral gelegenen Einrichtungen weiter bestehen bleiben und für die dezentrale Einrichtung in Neuenfelde ein Abwicklungsszenario entwickelt werden.
Der Abbau von insgesamt 242 Plätzen könnte mit einer Schließung dieses Standorts einhergehen.
Für problematisch halten wir zudem die Auffassung der Fachbehörde, sämtliche Standorte könnten gemäß Drucksache 21/5321 bei Bedarf wieder voll genutzt werden. Hierzu findet sich in der Ergänzung des Bürgervertrages keine Regelung. Die Auffassung widerspricht allerdings dem seinerzeit geschlossenen Bürgervertrag. Dort ist in Absatz 5 geregelt, dass eine vollständige Nutzung nur nach Verhandlungen und einer Einigung mit der Bürgerintiative möglich ist. Dies sollte im Rahmen des Nachtrages geändert werden.
B) sonstige Regelungen zur Infrastruktur in Neugraben-Fischbek
Die Regelungen, die in den Absätzen 6 bis 10 der Ergänzung des Bürgervertrages beinhalten Regelungen zur sozialen Infrastruktur in Neugraben-Fischbek.
Die Bezirksversammlung Harburg kümmert sich seit vielen Jahren in ihrer Funktion als demokratisch gewählte Vertretung der Bürgerinnen und Bürger des Bezirks und damit auch Neugraben-Fischbeks in Verhandlungen mit Fachbehörden aber auch der Kassenärztlichen Vereinigung Hamburg um den Ausbau der sozialen Infrastruktur im wachsenden Stadtteil Neugraben-Fischbek. Die Anpassung der Schulinfrastruktur, die Schaffung neuer Kitaplätze und die Verbesserung der medizinischen Versorgung im Stadtteil sind und waren hauptsächliche Themen für den Bereich Süderelbe in der Bezirksversammlung, dem Regionalausschuss Süderelbe und dem Sozialausschuss.
Vor diesem Hintergrund ist es nicht akzeptabel, dass nunmehr mit der Ergänzung des Bürgervertrages bei diesen Themen parallele Informations- und Gesprächsstrukturen unter Ausschluss der Bezirksversammlung Harburg als Vertretung der Bürgerinnen und Bürger des Bezirks Harburg geschaffen werden.
Gemäß Ziff. 8 verpflichtet sich die Sozialbehörde die Einrichtung eines Medizinischen Versorgungszentrums zu prüfen und hierüber zusammen mit dem Bezirksamt dem Quartiersbeirat – nicht aber der Bezirksversammlung und dem zuständigen Fachausschuss – zu berichten. Ebenso verpflichtet sich die Sozialbehörde - namentlich die zuständige Staatsrätin - zu regelmäßigen Treffen mit dem Bezirksamt – vertreten durch die Bezirksamtsleiterin – und mit der Bürgerinitiative, um vereinbarte Maßnahmen zu besprechen.
Hier werden Vereinbarungen in einer parallelen Informations- und Gesprächsstruktur mit einer Gruppe getroffen, die keine demokratische Legitimation besitzt. Die als Vertretung der Bürgerinnen und Bürger gewählte Bezirksversammlung und ihre für die Fragen der Infrastruktur und insbesondere der sozialen Infrastruktur zuständigen Fachausschüsse, die diese Themen seit Jahrzehnten bearbeiten, bleiben außen vor.
Es ist nicht akzeptabel, dass eine Fachbehörde mit dieser Vorgehensweise im Rahmen von Bürgerverträgen die Umgehung der Bezirksversammlung Harburg akzeptiert und befördert.
Es wird erwartet, dass die Fachbehörden von sich aus die Beteiligungsrechte der Bezirksversammlung Harburg beachtet und in Vereinbarungen und Verträgen diesen Rechten Rechnung trägt.
Zudem wäre es wünschenswert, zusätzlich auch diejenigen – namentlich die Initiative “Willkommen in Süderelbe” - in die Informations- und Diskussionsstrukturen einzubinden, die sich tagtäglich in der Flüchtlingsarbeit um die Integration geflüchteter Menschen in Neugraben-Fischbek kümmern. Sie können dann den Geflüchteten, ihren Interessen, Ängsten und Bedürfnissen eine Stimme geben.