Ein interdisziplinäres Gesundheitszentrum für den Dulsberg Stellungnahme des Bezirksamtes
Letzte Beratung: 03.06.2021 Ausschuss für Soziales Ö 7.2
Der Ausschuss für Soziales hat sich in seiner Sitzung am 11.03.2021 mit der o.g. Thematik auf Grundlage eines interfraktionellen Antrages der Fraktionen Die Grünen, SPD, CDU, DIE LINKE und FDP befasst und einstimmig folgende Beschlussempfehlung verabschiedet:
Die Bezirksamtsleitung wird aufgefordert, sich dafür einzusetzen, dass im Bezirk Hamburg-Nord - vorzugsweise auf dem Dulsberg - ein neues interdisziplinäres Stadtteilgesundheitszentrum entsteht.
Daher bitten wir die Bezirksamtsleitung zu prüfen und bis zur Sitzung des Sozialausschusses im April 2021 zu berichten:
vor Ort aktiven Akteure wie Stadtteilbüro und -rat haben.
Begründung:
Der Hamburger Senat fördert in Quartieren mit besonderem sozialen Unterstützungsbedarf lokale Gesundheitszentren, um Menschen mit gesundheitlichen und sozialen Problemen besser zu unterstützen. In diesen Gesundheitszentren sollen medizinische Versorgung und soziale Unterstützung „Hand in Hand“ gehen.
Kernelemente der Lokalen Gesundheitszentren sind: mindestens eine haus- und/oder kinderärztliche Praxis, Sozialberatung sowie eine moderne Form der „Gemeindeschwester“ und eine Vernetzung in Stadtteil durch eine verbindliche Kooperation mit Pflegediensten, gesundheitlichen und sozialen Angeboten.
Gemeinnützige Träger*innen können sich bei der Gesundheitsbehörde um eine Förderung pro Zentrum von 100.000 Euro jährlich bewerben, die Sozialbehörde fördert zusätzlich jeweils eine halbe Stelle für Sozialberatung.
Im Bezirk Hamburg-Nord ist der „sozial schlechter gestellte“ Stadtteil Dulsberg als Standort sehr geeignet. Er verfügt über eine signifikant unterdurchschnittliche Arztdichte (151 zu 167 Ärzten je 100.000 Einwohner; Statistikamt-Nord 2019: Regionaldaten Dulsberg) weist aber gleichzeitig insbesondere bei den unter 18-Jährigen eine erhöhte Inanspruchnahme ambulanter ärztlicher Leistungen auf (Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung (ZI), 2013: Morbiditätsatlas Hamburg, S. 136).
Der Dulsberg ist durch eine überdurchschnittliche Arbeitslosigkeit, einen erhöhten Anteil an SGB II-Empfänger:innen einen hohen Migrationsanteil gekennzeichnet. Über 40% der Kinder wachsen bei alleinerziehenden Eltern auf (Statistikamt-Nord 2019). Diese Bevölkerungsgruppen haben regelhaft besondere Belastungen zu bewältigen und sind angewiesen auf niedrige Zugangshürden bei der ambulanten medizinischen Versorgung und bei Präventionsangeboten.
Denn bei zahlreichen Indikatoren weist der Dulsberg einen erhöhten medizinischen Bedarf auf, beispielsweise beim ambulanten ärztlichen Versorgungsbedarf. Insbesondere bei der Adipositas im Einschulungsalter gehört der Dulsberg zu den Stadtteilen mit „Spitzenwerten“ (BVG: Faktenblatt Adipositas, 2019). Auch in den höheren Altersgruppen weist der Dulsberg hohe Prävalenzen bei der Herzinsuffizienz, der Demenz oder bei Depressionen (ZI 2013: Morbiditätsatlas Hamburg, S. 57, S. 69, S. 51) auf.
Demgegenüber steht ein schwaches ambulantes Versorgungsangebot. So versorgen die acht Hausärzt:innen durchschnittlich 2.176 Patient:innen und eine Frauenarztpraxis versorgt 8.807 Frauen. Die 2.169 Kinder finden im Stadtteil überhaupt kein kinderärztliches Angebot. Gerade im haus- wie kinderärztlichen Bereich bringt jedoch eine Mitversorgung des Dulsbergs durch angrenzende Stadtteile erhebliche Mehrbelastungen mit sich (Eigene Berechnung, Ärzteregister 2019, Statistikamt-Nord 2019).
Die Etablierung eines lokale Gesundheitszentrums würde durch eine engere Verzahnung und Kooperation von medizinischen, sozialen und präventiven Angeboten zu einer Entlastung ärztlicher Strukturen führen. Ein niedrigschwelliger Zugang zu sozialen Unterstützungs- und medizinischen Präventionsangeboten, die aufsuchende Tätigkeit der „Gemeindeschwester“ und mehrsprachiges medizinisches Personal führt zu einer bedarfsgerechteren Versorgung des Dulsberg auch ohne zusätzliche Arztsitze zu schaffen.
Der Hauptausschuss folgt der Beschlussempfehlung einstimmig.
Das Bezirksamt nimmt hierzu wie folgt Stellung:
Um den Ausschuss über den aktuellen Sachstand und zu den gestellten Fragen zu informieren, wurde das Stadtteilbüro Dulsberg gebeten, den aktuellen Sachstand mitzuteilen.
1:
Erstmalig mit einem persönlichen Anschreiben vom 7.12.2020 ist die Ärzteschaft auf dem Dulsberg und der angrenzenden Straßenzüge auf die Planung zu einem lokalen Gesundheitszentrum aufmerksam gemacht und mittels Anlage über Details der Ausschreibung informiert worden, insgesamt 31 Praxen. (siehe Anlage)
Im Januar 2021 ist, wie im Schreiben von 7.12. angekündigt, von drei zentralen Personen der Planungsgruppe eine direkte Ansprache erfolgt.
Die ersten Reaktionen waren durchaus positiv und interessiert. Manche wollten die Informationen noch einmal in ihren Praxisteams besprechen und dann eine Rückmeldung geben. Diese fielen dann schon deutlich zurückhaltender aus. Von einer Seite wurde mitgeteilt, dass keine Ressource zur Verfügung stünde, um sich in einen Planungsprozess aktiv einzubinden, in einem zweiten Fall, dass die Philosophie der eigenen Praxis nicht in ein LGZ passen würde.
Grundsätzlich war es kompliziert, überhaupt den Kontakt zu den Ärzt*innen herzustellen, da es in den meisten Fällen keine Email-Adressen gibt und man nur über die Praxistelefonnummern, welche zumeist besetzt sind, eine Kontaktaufnahme erbitten konnte. In vielen Fällen half nur ein Besuch zu den Öffnungszeiten, um einen direkten Kontakt aufzunehmen.
Mittels einer mail vom 25.3. (siehe Anlage) wurde zu einem digitalen Zoom-Meeting eingeladen, auf dem eine mögliche Einbindung der hiesigen Ärzteschaft eruiert werden sollte.
Eine Voranmeldung wurde erbeten, darüber hinaus die Bitte formuliert, falls man nicht teilnehmen kann, die Gründe dafür mitzuteilen.
Mit einer Mail vom 8.4. wurde an den Termin erinnert und die aktuelle Berichterstattung über den Gesundheitskiosk Billstedt beigefügt.
Insgesamt hatten sich bis zum Vortag des Zoom-Meetings 5 Personen angemeldet. Zwei weitere hatten schon im Vorfeld ihre Teilnahme aufgrund von gesundheitlichen Problemen abgesagt. Am selben Tag haben dann nochmal zwei weitere Personen ihre Teilnahme zurückgezogen.
Aber auch von den verbliebenen angemeldeten drei Ärtz*innen ist keine Person an dem Abend dem Zoom-Meeting beigetreten, so dass es zu keinerlei Austausch gekommen ist.
Da auch keine Rückmeldungen in Bezug auf das Fernbleiben übermittelt wurden, kann über die Beweggründe nur spekuliert werden.
Im Rückblick auf drei Monate Kommunikation mit der Ärzteschaft drängt sich der Eindruck auf, dass keinerlei Interesse, möglicherweise auch Konkurrenzbefürchtungen bestehen, weshalb man sich einem Austausch verschließt.
2:
Diese Frage war bisher nicht Teil der Gespräche im Planungsteam. Da aber SOS ein Hebammen-Angebot noch in diesem Jahr starten wird, wäre ein solcher Zweig abgedeckt. Ganz aktuell gab es eine Anfrage eines Hebammen-Projektes nach Nutzung der Räumlichkeiten unabhängig vom LGZ-Bezug.
3:
Die mit großer Wahrscheinlichkeit zur Verfügung stehenden Räumlichkeiten am jetzigen Standort von SOS in der Elsässer Str. 27a sind im Erdgeschoß barrierearm/-frei. Der erste Stock kann nur über eine Treppe erreicht werden. Dies schränkt gewisse Nutzungen ein. Schaut man aber auf die Poliklinik auf der Veddel, so sind auch dort Räume im 1. Stock nur über eine Treppe erreichbar.
4:
Im Arbeitskreis Dulsberg sind alle freien Träger, die auf dem Dulsberg tätig sind, organisiert und im regelmäßigen Austausch. Aus diesem Bestand haben sich in der Planungsgruppe folgende Träger zusammengefunden, die an einer Umsetzung beteiligt sein wollten und sich eine Trägerschaft des LGZ offenhalten. (SOS, Gangway, basis & woge, Stiftung Alsterdorf, Mook wat e.V.)
Alle weiteren Träger wurden hinsichtlich einer zukünftigen Einbindung in ein solches Zentrum befragt. Eine Vielzahl von Projekten würde vor Ort Sprechzeiten anbieten wollen, manche mglw. Räumlichkeiten anmieten, andere sich in eine enge und verbindliche Kooperation einbinden lassen.
5:
Da entscheidende Fragestellungen für eine Antragstellung noch ungeklärt sind, ist jegliche Expertise, die zur Lösung beiträgt, äußerst willkommen:
a) Zentral ist die Einbindung einer Arztpraxis. Dazu benötigt es einen KV-Sitz, der entweder in das LGZ verlagert wird oder mittels einer Zweigpraxis teilweise dorthin aus der eigentlichen Praxis ausgegliedert wird, falls dies möglich ist.
Die Frage, ob es aufgrund des geringen Versorgungsgrades (lt. KV nur zu 51%) zu einer Sonderbedarfszulassung kommen kann, muss von der KV beantwortet werden. Dies ist dort angefragt, liegt aber momentan auf Eis, da im Vorhinein ein auf den 05.05. vorverlegter Gesprächstermin mit dem Geschäftsführer der KV abgewartet werden soll.
b) Problematisch ist, dass für die vorhandene Räumlichkeit schon ab Herbst 2021 eine Kostenübernahme erfolgen müsste, ohne dass eine Zusicherung zur LGZ-Förderung zu diesem Zeitpunkt vorliegen wird.
Laut Sozialbehörde dauert die Bewilligung für einen Förderantrag LGZ ca. 3-5 Monate.
c) Insgesamt sind die verfügbaren 100.000 € nicht/kaum auskömmlich, um sowohl Mietzahlungen als auch Personalkosten für Community Health Nurse, Verwaltung und mögliche Ausgleichszahlungen für ärztliche Behandlungen, die nicht durch die gesetzlichen Krankenversicherungen abgedeckt sind, zu übernehmen (wie z. B. Ernährungsberatung etc.).
Darüber hinaus ist schon jetzt zu erkennen, dass die Koordination eines Zentrums in Form der Organisation des beabsichtigten interdisziplinären Netzwerkes einen erheblichen Zeitaufwand erfordert, der ebenfalls finanziell abgedeckt werden muss.
Aktualisierung des Sachstandes das Fachamt Sozialraummanagement:
Das Gespräch mit der KV fand am 05.05. statt. Die KV machte deutlich, dass aus ihrer Sicht in dem jetzigen Konstrukt der Sozialbehörde für ein LGZ, kein Arzt teilnehmen wird. Dies hätte die KV auch schon in Richtung der Sozialsenatorin kommuniziert.
Begründung:
Für einen Arzt ist die Zusammenarbeit nicht attraktiv, sondern im Gegenteil, sie könnte sogar nachteilig für ihn sein, da die anderen Ärzte in der Region, nicht mit diesem Arzt zusammenarbeiten.
Für die KV war klar, dass sich so kein Arzt finden lässt, s. Punkt 1, des Berichtes des Stadtteilbüros.
Eine Sonderzulassung eines weiteren Arztsitzes ist ebenfalls nicht aussichtsreich, da, sollte sich tatsächlich ein Arzt finden, der dies wollte, die anderen Ärzte zustimmen müssen, was gerade mit Corona und dem Schwund an Patienten nicht wahrscheinlich sei. Zudem würde dieser Prozess länger dauern.
Die KV berief sich auf das Projekt in Billstedt und erklärte, sollte die Sozialbehörde eine solche Konstellation mittragen, also ein Ärztenetzwerk aus der Region kooperiert mit dem sozialen/flankierenden Beratungsangebot des Gesundheitszentrums, dann könnte dies aus seiner Sicht auch mit den Ärzten funktionieren.
Weiteres Vorgehen/Verabredung mit der KV:
Die KV spricht mit der Amtsleiterin des Amtes G der Sozialbehörde, ob diese, die genannte Konstruktion, Ärztenetzwerk in Kooperation mit dem sozialen/flankierenden Beratungsangebot, mittragen würde und eine Bewilligung von Seiten der Sozialbehörde erfolgen wird. Zudem will er erfragen, da die jetzige Förderrichtlinie, die bis zum 31.12.2021 befristet ist, auch im Jahr 2022 weiter gilt.
Sollten hier positive Signale aus der Sozialbehörde, Amt G, kommen, dann wird die KV die Ärzte aus der Region zum Gespräch einladen und für das Vorhaben, bzw. für eine Kooperation mit dem LGZ werben. Hierzu würde er den Netzwerkverantwortlichen Arzt aus Billstedt einladen, der aus eigener Erfahrung die Vorteile einer solchen Zusammenarbeit schildern könnte.
Die KV wird das Stadtteilbüro und das Fachamt Sozialraummanagement auf dem Laufenden halten.
Das Fachamt Sozialraummanagement bietet an, in der nächsten Ausschusssitzung im Juni über den Sachstand zu berichten
Um Kenntnisnahme wird gebeten.
Michael Werner-Boelz
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