Sicherheit und den Erhalt der Bäume, hier: Empfehlung der Stadtteilkonferenz Neustadt vom 26.11.2024
Letzte Beratung: 13.05.2025 Cityausschuss Ö 7.3
Der Cityausschuss hat in seiner Sitzung am 10.12.2024 der nachstehenden Beiratsempfehlung einstimmig zugestimmt.
Die Stadtteilkonferenz hat in ihrer Sitzung am 26.11.2024 folgende Beiratsempfehlung beschlossen.
Im Frühjahr 2024 stürzten auf dem Großneumarkt mehrere Linden um, was dazu führte, dass weitere Bäume aufgrund mangelnder Standfestigkeit gefällt und die verbleibenden Bäume vorsorglich zurückgeschnitten wurden. In der anschließenden Diskussion im Stadtteil entwickelten die Bewohnerinnen und Bewohner verschiedene Ideen, um die Sicherheit und den Erhalt der Bäume langfristig zu gewährleisten.
Die Stadtteilkonferenz empfiehlt, die schrittweise Weiterentwicklung des Großneumarktes unter frühzeitiger und umfassender Beteiligung der Bürgerinnen voranzutreiben. Dabei sollte das bewährte Verfahren der Bürgerbeteiligung am Alten Elbpark als Vorbild dienen. Dieses hat sich als besonders informativ und zielführend erwiesen, indem es die Interessen und Perspektiven aller relevanten Gruppen – Anwohnerinnen, Politik, Gewerbe und Verwaltung – gleichermaßen berücksichtigt hat. Durch transparente Kommunikation und kooperative Entscheidungsprozesse können so praxisnahe und breit getragene Lösungen für die Revitalisierung des Großneumarktes erarbeitet werden.
Abstimmungsergebnis:
Ja 23
Nein 0
Enthalten 8
Um Beschlussfassung/Kenntnisnahme wird gebeten.
Das Bezirksamtnimmt mit Schreiben vom 21.04.2025 wie folgt Stellung:
zu 1.
Das Bezirksamt Hamburg-Mitte wird die Bürgerinnen und Bürger bei der Weiterentwicklung des Großneumarkts im Rahmen der Planungen ebenso beteiligen wie die Nutzenden, die betroffenen Fachbehörden, Leitungsträger und weitere Stakeholder im Rahmen der Regelverfahren.
zu 2.
Der Erhalt und die Pflege des Baumbestands sind wichtige Anliegen des Bezirksamts Hamburg-Mitte. Der Vorschlag zum Baumschutz wurde aus fachlicher Sicht geprüft. Zum besseren Verständnis der Lage wird diese nachfolgend transparent und genauer beschrieben.
Im Frühjahr 2024 stürzten am Großneumarkt in kurzer Abfolge drei Linden (Tilia) ohne vorherige Anzeichen auf die Marktfläche; sie waren im belaubten Zustand aus dem Wurzelhals herausgebrochen. Aufgrund dieser unerwarteten Ereignisse beauftragte das Bezirksamt Hamburg-Mitte in Bezug auf die Verkehrssicherheit der verbleibenden Bäume am Großneumarkt kurzfristig ein renommiertes Sachverständigenbüro mit der Begutachtung des Baumbestands.
Das Schadensbild der umgestürzten Bäume führte bei den Verantwortlichen des Bezirksamts Hamburg-Mitte und den beauftragten Sachverständigen zur Einschätzung, dass Zugversuche die zielführendste und aussagekräftigste nicht invasive Untersuchungsmethode zur Beurteilung der Stand- und Bruchsicherheit der übrigen Bäume darstellt. Zusätzlich wurden Bodenuntersuchungen im Bereich der umgestürzten Bäume vorgenommen.
Beim Zugversuch wird eine kontrollierte Zugkraft in der Baumkrone aufgebracht, um die Reaktion des Baumes auf Windlasten zu simulieren. Dabei messen Sensoren die Stammfaserdehnung (in Microstrain) und die Neigung des Wurzelbereichs (in Grad oder Milligrad). Die gewonnenen Daten werden mit bekannten Grenzwerten verglichen, um die Bruch- und Standsicherheit des Baumes objektiv zu bewerten, ohne ihn zu beschädigen. Ein Sicherheitsfaktor ≥ 1,5 gilt als verkehrssicher.
Standortsituation
Die Pflanzstandorte am Großneumarkt weisen innerhalb der Marktfläche im Schnitt eine unversiegelte Baumscheibe von 4,5m² auf. Die Pflanzstandorte im Randbereich hingegen sind linear als Randstreifen aufgebaut. Die Standortsituationen am Großneumarkt können im Wesentlichen in drei Bereiche eingeteilt werden:
Bereich 1: Marktplatz
Auf dem Marktplatz standen noch 21 Linden. Zwei Linden sind in diesem Bereich aus dem Wurzelstockbereich herausgebrochen.
Bereich 2: Eiscafé
An dem Eiscafé standen ursprünglich 4 Bäume, wovon ein Baum versagte.
Bereich 3: Randbereich / Straße
Um den Platz herum stehen ca.30 Bäume, deren Standorte mit denen von den Marktplatzbäumen augenscheinlich nicht vergleichbar sind.
Untersuchung
Im Zeitraum vom 27.05. bis 29.05.2024 wurden an insgesamt 25 repräsentativen Bäumen Zugversuche durchgeführt und die Ergebnisse im Anschluss ausgewertet. Im Rahmen der Untersuchungen wurde zusätzlich bei einem umgestürzten Baum der Pflanzstandort freigelegt und die Bodenstruktur begutachtet. Zudem wurden Bodenproben entnommen und zur Analyse eingesendet.
Die Begutachtung der Bodenschichten ergab, dass in der Vergangenheit eine Überfüllung der Pflanzgruben stattgefunden hat. Die Bodenschichten setzen sich aus Ziegelbruch, Betonresten und organischen Anteilen zusammen. Die angrenzenden Bodenbereiche weisen eine baumunverträgliche Verdichtung auf, die das Einwurzeln erheblicherschwert.
Da in der Öffentlichkeit wiederholt der Verdacht geäußert wurde, die Bäume seien möglicherweise durch zusätzlichen Salzeintrag geschädigt worden, wurde eine Bodenprobe entnommen und auf entsprechende Werte untersucht. Die Analyse ergab jedoch keine Auffälligkeiten hinsichtlich eines erhöhten Salzgehalts am Standort. Es ist anzumerken, dass städtische Bäume, insbesondere an Straßen und Plätzen, generell einem leicht erhöhten Salzeintrag ausgesetzt sind, etwa durch Hundeurin. Entsprechend fallen die gemessenen Bodenwerte häufig etwas höher aus, ohne jedoch kritische Werte zu überschreiten.
Für das geschätzte Alter der Bäume am Standort weisen die Bäume im Vergleich mit anderen Bäumen an ähnlichen Standorten jedoch einen geringen Zuwachs im Stammumfang und im Kronenvolumen auf.
Die Erkenntnisse aus der Sichtung der Bodenschichten und der auf dem Platz wiederkehrenden optischen Ähnlichkeiten in der Ausprägung der Wurzelanläufe sowie den gewonnenen Daten aus den Zugversuchen lässt sich ableiten, dass sich der Baumbestand an allen drei Bereichen auf fast identischen Bodenstrukturen mit Überverdichtung etabliert hat.
Die Pflanzstandorte weisen durchschnittlich eine unversiegelte Fläche von ca. 4,5 m² auf und werden vermutlich von den Bäumen vollständig und intensiv durchwurzelt. Angesichts der Größe der Bäume (Kronenhöhen von 13 bis 17 m) und ihrer ausgeprägten Kronen handelt es sich dabei um ein äußerst geringes mögliches verfügbares Bodenvolumen. In der einschlägigen Fachliteratur wird der erforderliche Wurzelraum eines Baumes in der Regel anhand vom Kronendurchmessers plus rund 1,5 Meter bemessen. Dies verdeutlicht, wie stark der tatsächliche zur Verfügung stehende Raum vom Idealzustand abweicht.
Zwar passen sich die Bäume an eingeschränkte Standortbedingungen an, aber langfristig führen diese Bedingungen zu Vitalitätsverlusten und strukturellen Problemen.
Im konkreten Fall gehen die Fachleute davon aus, dass die Bäume den fehlenden Durchwurzelungsraum kompensieren, indem sie eingelagerte Reservestoffe aus Wurzeln und Stammbereichen nutzen, um das weitere Wachstum sowie das Streben nach Licht und Photosynthese sicherzustellen. Die architektonische Struktur des Baumes wird in diesem Fall bis an ihre Grenzen belastet. Die Folgen sind Fäulnisprozesse in Stamm und Wurzeln. Diese Umstände zeigen sich, je nach Wüchsigkeit der Bäume, visuell oft erst spät oder gar nicht. Aufgrund der Zellstruktur von Bäumen können eintretende Fäulnisprozesse im Holzkörper von Bäumen nicht geheilt oder ersetzt werden. Bäume sind lediglich in der Lage, Schädigungen durch Zuwachs zu kompensieren bzw. durch eine Abschottung auf den betroffenen Holzkörper einzugrenzen. In diesem Zusammenhang empfiehlt sich das sogenannte CODIT-Prinzip (Compartmentalization Of Decay In Trees) zur Veranschaulichung, das beschreibt, wie Bäume innere Schäden biologisch abgrenzen. Die beschriebene Systematik kann bei vitalen Bäumen mit einem weitestgehend ungestörten Kreislauf über Jahre bis Jahrzehnte etwaige Schäden kompensieren und somit die Verkehrssicherheit erhalten. Aufgrund der erheblichen Einschränkungen der Standorte am Großneumarkt ist diese Voraussetzung jedoch nicht gegeben.
Ergebnisse der Zugversuche vom 27.05. bis 29.05.2024:
Im Rahmen der Untersuchungen mittels Zugversuchs wurden insgesamt 25 Bäume begutachtet. Die Auswertung ergab, dass sämtliche Bäume einen Standsicherheitsfaktor von unter 1,3 aufweisen. Dieser liegt unter dem Wert für die Bruchsicherheit (mind. 1,5) und stellt ein erhebliches sicherheitsrelevantes Defizit dar.
Resultierende Sofortmaßnahmen zur Sicherstellung der Verkehrssicherheit
Um die festgestellten strukturellen Defizite in der Standsicherheit auszugleichen, musste das architektonische Gerüst der Bäume an die Gegebenheiten angepasst werden. Dies erfolgte durch eine gezielte Reduzierung der Kronenhöhe und -breite um durchschnittlich 3 bis 4 m.
Vier Bäume wiesen so gravierende Sicherheitsmängel auf, dass sie unmittelbar gefällt werden mussten.
Aussichten und Folgen für die verbliebenen Bäume
Bei der am Großneumarkt betroffenen Baumart, Linde (Tilia), handelt es sich um eine schnittverträgliche Art mit guter Wiederaustriebsfähigkeit. Die durchgeführten Sofortmaßnahmen dienten ausschließlich der Wiederherstellung der Verkehrssicherheit. Der stark gestörte ökologische Kreislauf der Bäume wird durch diese Eingriffe jedoch nicht grundlegend verbessert. Optisch können die Bäume die Schnittmaßnahmen möglicherweise gut kompensieren. Der entscheidende limitierende Faktor, die Bodenverdichtung, bleibt jedoch weiterhin bestehen und wurdedurch die Maßnahmen nicht behoben. Daher müssen die Bäume auch in den kommenden Jahren regelmäßig geschnitten und die Windangriffsflächen kleingehalten werden.
Um verdichtete Bodenstrukturen wieder für die Vegetation strukturell erschließbar und durchwurzelbar zu machen, stehen verschiedene Verfahren zur Verfügung:
Das erstgenannte Druckluftverfahren wird aufgrund der ausgeprägten Bodenverdichtung nur einen sehr begrenzten positiven Effekt erzielen. Darüber hinaus birgt diese Methode erhebliche Risiken für die betroffenen Flächen. Durch die aufbrechende Wirkung der Druckluft könnte es zu größeren Verwerfungen und Schäden an den angrenzenden Wegeflächen kommen, weshalb die Methode hier kaum anwendbar ist.
Vor diesem Hintergrund erscheint das zweite Verfahren, der Rückbau der umliegenden Versiegelung, das Absaugen der anstehenden Bodenschichten mittels Saugbagger und das anschließende Verfüllen mit einem geeigneten Baumgrubensubstrat, passender. Dieses Vorgehen bietet die Chance, verdichtete Bodenbereiche gezielt zu verbessern und somit die Durchwurzelbarkeit nachhaltig zu fördern.
Allerdings erfordert dieses Verfahren eine sorgfältige und fachgerechte Ausführung, da die Arbeiten durchgängig im sensiblen Wurzelraum der Bäume erfolgen. Unsachgemäße Eingriffe können zu massiven Schäden führen. Hinzu kommen die hohen Kosten, die mit einer solchen Maßnahme verbunden sind. Die geschätzten Kosten belaufen sich auf rund 40 Tsd. Euro je Baum. Zudem besteht die Gefahr, dass durch die starke Durchwurzelung in den Pflanzstandorten stützende Bodenschichten entfernt werden. Wird dieser Bereich durch den Bodenaustausch destabilisiert, könnte die bestehende statische Stützwirkung verloren gehen, was wiederum die Standsicherheit der Bäume gefährden würde.
Schlussfolgerung
Angesichts der hohen Kosten, des erheblichen technischen Aufwands und der sensiblen Eingriffe in den Wurzelraum der Bäume erscheint keines der möglichen Sanierungsverfahren aus wirtschaftlicher und fachlicher Sicht vertretbar. Die Erfolgsaussichten sind aus fachlicher Sicht als gering zu bewerten, während die potenziellen negativen Folgen, insbesondere eine weitere Beeinträchtigung der Standsicherheit, als hoch zu bewerten sind.
In der Abwägung zwischen Aufwand, Risiko und Nutzen überwiegen die Unsicherheiten, sodass von einer Umsetzung aus baumfachlicher Sicht abzuraten ist.
Die vorgeschlagenen „Pflanztröge“ und Sitzgelegenheiten im Wurzelbereich der Linden sind aufgrund der Standortbedingungen und Anforderungen der Bäume keine geeigneten Maßnahmen zum Erhalt der Bäume.
Stattdessen soll mittelfristig eine strukturelle Neuordnung des Platzes in Betracht gezogen werden. Ziel ist, unter Beteiligung der Öffentlichkeit sowie der Marktbetreiber (Marktbeschicker) und weiterer Stakeholder eine zukunftsfähige, baumverträgliche und zugleich nutzungsorientierte Neugestaltung zu entwickeln, die den städtebaulichen und den ökologischen Anforderungen gerecht wird.
Bis dahin müssen die Bäume regelmäßig kontrolliert und so lange wie möglich erhalten werden. Dafür muss die Entwicklung der Kronen durch regelmäßige Rückschnitte begrenzt werden. Dadurch wird es möglich sein, die jetzige Situation für voraussichtlich etwa 8 bis 10 Jahre zu erhalten. Weitere Fällungen erfolgen nur, wenn dies aus Sicherheitsgründen erforderlich ist. Auf diese Weise wird das Gesamtbild vorerst erhalten.
Abschließend wird angemerkt, dass vor allem bei geschwächten Bäumen auf baumunfreundlichen Standorten die künftige klimatische Entwicklung einen wesentlichen Einfluss auf Baumgesundheit und Erhaltungsfähigkeit hat. Prognosen zur Entwicklung der Vitalität und der Standsicherheit des Baumbestandes sind daher mit Unsicherheiten behaftet.
UmKenntnisnahme wird gebeten.
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