Kompetenzen der Bezirke stärken: Für die Schaffung einer Rechtsgrundlage für zeitlich und örtlich festzulegende Alkoholverkaufsverbote
Letzte Beratung: 22.10.2020 Bezirksversammlung Hamburg-Mitte Ö 3.7
Der Hauptausschuss hat in seiner Sitzung am 01.09.2020 dem nachfolgend aufgeführten Antrag der SPD-, CDU- und FDP-Fraktion Drs. Nr. 22-1200 mehrheitlich - gegen die Stimmen der AfD-Fraktion und bei Enthaltung der GRÜNE-Fraktion und der Fraktion DIE LINKE - anstelle der Bezirksversammlung zugestimmt.
Mit unserem Kiez liegt das Herzstück der Hamburger Ausgeh- und Amüsiermeilen in Hamburg-Mitte. Ob in Clubs und Bars, oder draußen im Freien: Nicht nur Hamburgerinnen und Hamburger, sondern auch Gäste nutzen seit jeher die Reeperbahn und die angrenzenden Viertel für rauschende Nächte. Diese Tradition wollen wir bewahren. Gleichzeitig führt der Wandel im Ausgehverhalten und die Zunahme des sogenannten Cornerns bei Anwohnerinnen und Anwohnern zu Missfallen, da es vermehrt zu Vermüllung und Lärmbelästigung kommt. Wir wollen der Tradition des Ortes gerecht werden und niemandem den Konsum von Alkohol im öffentlichen Raum, oder das sogenannte Cornern verbieten. Dennoch wollen wir einen Ausgleich zwischen den Interessen von Besucherinnen und Besuchern sowie Anwohnerinnen und Anwohnern schaffen. Eine Möglichkeit hierzu könnte ein zeitlich und örtlich eingegrenztes Alkoholverkaufsverbot darstellen, das nicht den Konsum, sondern ab einer bestimmten Uhrzeit lediglich den Verkauf von Alkohol außer Haus in einigen Straßen verbietet. Auch auf dem Hansa-Platz wo es ebenfalls Interessenkonflikte zwischen Besucherinnen und Besuchern so wie Anwohnerinnen und Anwohnern gibt, könnte ein solche Maßnahme einen Interessenausgleich schaffen.
Um diese Maßnahme zu testen, wollen wir nach der Pandemie ein Pilotprojekt starten und die Auswirkungen einer solchen Maßnahme evaluieren. Hierzu müssen die rechtlichen Voraussetzungen geschaffen werden.
Sollte dem Bezirk ein solches Instrument über eine Veränderung der Rechtsgrundlage zur Verfügung stehen, sollten Alkoholverkaufsverbote nur im Ausnahmefall eingesetzt und Gebietsabgrenzungen sowie zeitliche und organisatorische Parameter zwingend durch die Bezirksversammlung beschlossen werden. Alkoholverbote in ganzen Stadtteilen oder weitergehende Maßnahmen, wie ein Verbot des sogenannten ‚Cornerns‘ lehnen wir ab.
Für die Dauer der Pandemie stellt sich der Sachverhalt anders da. Das Zusammenkommen großer Gruppen ohne die Einhaltung der Abstandsregeln muss verhindert werden. Deshalb begrüßt die Koalition die Einführung der großflächigen Alkoholverbotszone durch das Bezirksamt. Trotzdem ist es sinnvoll, dass Menschen sich eher draußen, als in geschlossenen Räumen treffen. Weitergehende Maßnahmen wie ein Verbot des Alkoholkonsums im öffentlichen Raum oder eine Ausweitung der Verkaufsverbotszonen lehnen wir daher ab.
Vor diesem Hintergrund bitten wir den Hauptausschuss folgendes zu beschließen:
• Der Hauptausschuss begrüßt die Bestrebungen von Senat und Bezirksamt, im Sinne des Infektionsschutzes an den Wochenenden an den Corner-Hotspots ein zeitlich und örtlich begrenztes Alkoholverkaufsverbot zu erlassen.
Der Bezirksamtsleiter wird darüber hinaus gebeten,
• sich mit den zuständigen Stellen in Senat und Bürgerschaft in Verbindung zu setzen mit dem Ziel, die gesetzlichen Rahmenbedingungen derart zu verändern, dass den Bezirken das Instrument eines zeitlich und örtlich festzulegenden Alkoholverkaufsverbots zukünftig auch unabhängig von der Infektionsschutzlage zur Verfügung steht,
• dem Hauptausschuss über den Fortgang der Gespräche zu berichten.
Die Behörde für Wirtschaft und Innovation (BWI) nimmt zu dem Beschluss mit Schreiben vom 15.10.2020 wie folgt Stellung:
„a) Das Phänomen Cornern, die fehlende Beachtung der Abstandregelungen im Sinne des Corona-Infektionsschutzes sowie beobachtete Aggressivität und Vandalismus sind Folgen eines individuellen Freizeitverhaltens der Besucher dieser Szeneviertel. Gegen die Missachtung der Abstandsregelungen sowie das soziale Fehlverhalten (öffentliches Betrinken, Lärmen, Urinieren usw.) der Besucher sind ordnungsrechtlich die Rechtsmaterien der Gefahrenabwehr oder des Infektionsschutzes heranzuziehen.
Die Regelungsgegenstände des hamburgischen Ladenöffnungsgesetzes oder des Gaststättenrechts decken andere Handlungsbedarfe und Instrumente im Lichte der grundgesetzlich geschützten Berufsfreiheit nach Art. 12 Grundgesetz sowie der Eigentumsrechte nach Art. 14 Grundgesetz (eingerichteter und ausgeübter Gewerbebetrieb) ab.
Das hamburgische Ladenöffnungsgesetz regelt für den Einzelhandel die unbeschränkten Ladenöffnungszeiten an den Werktagen im Interesse des Einzelhandels und der Nachfrage der Konsumenten, weiterhin die Wahrung gleicher Wettbewerbsbedingungen der Gewerbetreibenden sowie die ausnahmsweisen Sonntagsöffnungszeiten (in Abwägung mit dem sozialen Arbeitnehmerschutz und dem gesetzlichen Sonn- und Feiertagsschutz).
Angesichts der beschriebenen gesetzlichen Zielrichtungen scheiden Änderungen dieser Gesetze (gerichtet auf die Ermöglichung zeitlich und räumlich beschränkter Verkaufsverbote von Alkoholika insbesondere an Kiosken oder im Wege des Außerhausverkaufs durch Gastwirte) aus, weil damit nicht das Gewerberecht als solches modifiziert werden soll, sondern soziales Fehlverhalten in der Öffentlichkeit verhindert oder bekämpft werden soll.
b) Bereits im bestehenden Recht können in Hamburg gegen die genannten Missstände beispielsweise folgende ordnungsbehördliche Maßnahmen ‑ auch außerhalb der Maßnahmen nach § 13 Abs. 4 und § 15 Abs. 4 der Corona-EindämmungsVO ‑ ergriffen werden:
- Inanspruchnahme eines Störers (§ 8 HmbSOG) oder Platzverweis (§ 12a HmbSOG),
- Maßnahmen wegen unzulässigen Lärms (§ 117 OWiG) oder Belästigung der Allgemeinheit (§ 118 OWiG).
c) Die BWI hält den seit dem 31. Juli 2020 eingeschlagenen Weg der Allgemeinverfügung des Bezirksamtes Hamburg-Mitte mit den zeitlich befristeten und örtlichen Alkoholverkaufsverboten auf der Rechtsgrundlage des § 28 Infektionsschutzgesetz für sach- und zielgerecht.
Die dort dargestellte Analyse zum Phänomen des sogenannten Cornerns stützt nach Auffassung der BWI auch unabhängig von der spezifischen Corona-Situation eine bezirkliche Allgemeinverfügung als Maßnahme der Gefahrenabwehr (nach SOG).
d) Aus Sicht der BWI erscheint das Instrument eines Alkoholkonsumverbots im öffentlichen Raum in den problematischen Szenevierteln möglich.“
Um Kenntnisnahme wird gebeten.
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