Gegen eine (Wieder-) Öffnung der Alten Süderelbe
Der Regionalausschuss Finkenwerder hat in seiner Sitzung am 15.12.2020 dem nachfolgend aufgeführten Antrag der SPD-, CDU-, FDP- und GRÜNE-Fraktion Drs. Nr. 22-1541 mehrheitlich - gegen die Stimmen der Fraktion DIE LINKE - zugestimmt.
Die Bezirksversammlung hat diesen Beschluss in ihrer Sitzung am 17.12.2020 bestätigt.
Seit 2016 hat das Forum Tideelbe, ein Dialogprozess zur zukünftigen Entwicklung der Tideelbe, über die Kernfrage beraten, wie sich die nachteilige Dynamik der Tide wieder dämpfen lässt. Insbesondere wurde dabei die Problematik der durch den Flutstrom nach Hamburg getragenen Sedimente betrachtet, die ökologisch wertvollen Lebensraum, vor allem aber auch die Erreichbarkeit des Hamburger Hafens für große Containerschiffe, gefährden. Das Forum sondierte im ersten Schritt insgesamt über 20 Projektideen entlang der Tideelbe. Schlussendlich wurden für drei Maßnahmen Machbarkeitsstudien beauftragt: die Wiederanbindung der Alten Süderelbe, der Haseldorfer Marsch und der Dove Elbe an die Tideelbe.
Am 30. September 2020 wurde der Ergebnisbericht des Forums mit Empfehlungen veröffentlicht. Das Forum kommt dabei zu dem Ergebnis, dass grundsätzlich alle drei Maßnahmen technisch machbar sind, sie jedoch die hydrologischen und ökologisch nachteiligen Entwicklungen in der Tideelbe nicht grundlegend ändern können. Trotzdem schlägt das Forum vor, die Maßnahmen Haseldorfer Marsch und Alte Süderelbe in einem nächsten Schritt noch detaillierter zu prüfen. Die Maßnahme an der Dove Elbe konnten nach Aussage des Forums "auf der Ebene der Machbarkeitsstudie in ihrem Layout bereits weitgehend ausgestaltet werden".
Die Alte Süderelbe entwickelte sich in den letzten 60 Jahren zu einem hochwertigen Natur- und Lebensraum. Unter anderem entstanden hier die Naturschutzgebiete Westerweiden und Finkenwerder Alte Süderelbe. Das gesamte Gebiet der Alten Süderelbe ist Lebensraum seltener und hoch geschützter Pflanzen- und Tierarten. Eine Wiederanbindung an die Tideelbe würde diesen Lebensraum in weiten Teilen nachhaltig zerstören.
Gleichzeitig hat das Forum von sechs möglichen Anbindungsvarianten insbesondere die einseitige Anbindung an das Köhlfleet favorisiert (sog. Anbindungsvariante 1), die wie ein "Sack" wirkt. Die Tide würde stetig Sedimente in die Alte Süderelbe spülen, die wiederum regelmäßig ausgebaggert werden müsste. Das bedeutet eine dauerhaft wiederkehrende Störung der Natur.
Zugleich würde die Wiederöffnung einen massiven Eingriff in ein funktionierendes Wasserregime bedeuten, das gerade erst im Rahmen der wasserwirtschaftlichen Neuordnung für viele Millionen Euro fertiggestellt wurde. Im Rahmen dieses Wasserregimes dient die Alte Süderelbe der Be- und Entwässerung von Neu Wulmstorf über Finkenwerder, Cranz, Neuenfelde, Francop, Moorburg bis hin nach Harburg. Nur mit dem jetzigen Wasserstand können bspw. klimabedingte, immer häufiger auftretende, Starkregenereignisse gemanagt werden. Ein neues Wasserregime müsste durch massive Baumaßnahmen bei neuerlichen immensen Kosten hergestellt werden.
Ungelöst wäre das Problem des steigenden Salzgehaltes an für die Tide offenen Nebenarmen. Dies schadet nicht nur dem Obstbau, wie an der Este zu sehen. Es lässt auch die Frage offen, wie dabei eine ökologische Aufwertung - bspw. Süßwasserwatten - entstehen soll.
Auch für den Hochwasserschutz wären laut Ergebnisbericht "eine Reihe von technischen Lösungen notwendig, die die Deichsicherheit und den Hochwasserschutz gewährleisten". Unter anderem müssten entlang der Alten Süderelbe Spundwände gerammt werden, die die Alte Süderelbe nicht nur optisch zu einer Art Kanal werden ließen. Außerdem wäre ein neues Schöpfwerk und der Neubau eines 65 Meter breiten Sperrwerks am Storchennestsiel notwendig. Ungeklärt ist bislang, wie das Sperrwerk vom Schlick freigehalten werden soll.
Die Kosten für die Baumaßnahmen werden vom Forum Tideelbe mit circa 700 Millionen Euro angegeben. Ob diese Investitionen die hydrologischen und ökologischen Nachteile der Tide beheben, ist, wie oben erwähnt, fraglich. Weiterhin sollen jährlich eine Million Euro für die Unterhaltung ausgegeben werden.
Der Regionalausschuss Finkenwerder möge deshalb beschließen:
Der Regionalausschuss spricht sich gegen eine Öffnung der Alten Süderelbe in allen vom Forum vorgeschlagenen Varianten aus.
Die Behörde für Umwelt, Klima, Energie und Agrarwirtschaft (BUKEA) nimmt zu dem Beschluss mit Schreiben vom 25.01.2021 wie folgt Stellung:
„Die Betrachtung verschiedener Maßnahmen zugunsten eines ökologischen und nachhaltigen Ästuarmanagements erfolgte im Rahmen des Forums Tideelbe, zu dessen Aufbau sich die Koalitionspartner in ihrem Regierungsprogramm 2015 verständigt hatten. In Abstimmung mit den Ländern Schleswig-Holstein und Niedersachsen und unter Einbindung wichtiger Stakeholder, die neben ökologischen auch nutzerorientierte und gesellschaftliche Belange offen einbringen können, wurden Kriterien für die Priorisierung möglicher sinnvoller Maßnahmen bestimmt und auf Grundlage gemeinsamer Kriterien verschiedene Maßnahmen bewertet. Unter dem Titel „Forum Tideelbe“ (www.forum-tideelbe.de/) wurde dieser politische Auftrag im Dialog mit den Nachbarländern, dem Bund und den relevanten Interessengruppen in den vergangenen vier Jahren umgesetzt.
Vorrangiges Ziel dieser Zusammenarbeit war es, im Dialog der beteiligten Gruppierungen Strombau-Maßnahmen zu identifizieren und zu priorisieren, die eine nachhaltige Entwicklung der Tideelbe fördern, und zwar insbesondere unter Beachtung von hydromorphologischen, gewässerschutz- und naturschutzfachlichen Gesichtspunkten sowie regionaler Betroffenheiten. Dazu wurden für die vertieft betrachteten Maßnahmenvorschläge jeweils Machbarkeitsstudien erstellt, die eine umfassende Beurteilung dieser Aspekte vornehmen. Dazu gehörten auch die Erfassung und Darstellung der im o.g. Beschluss angesprochenen Nutzungen sowie die wirtschaftlichen und ökologischen Auswirkungen auf die vielfältigen Anrainer. Um deren Belange und Meinungen zu erfassen, wurden im Rahmen der Machbarkeitsbetrachtungen unter anderem diverse Gespräche mit möglichen betroffenen Gruppierungen vor Ort geführt. Die Ergebnisse dieser Studien und die im Forum daraus abgeleiteten Handlungsempfehlungen wurden am 30.09.2020 veröffentlicht und stehen als Grundlage für die politische Meinungsbildung zur Verfügung (www.forum-tideelbe.de/ergebnisse).
In seiner Sitzung vom 11.12.2020 hat der Ausschuss für Umwelt, Klima und Energie der Hamburger Bürgerschaft mehrheitlich mit den Stimmen der Abgeordneten von SPD, GRÜNEN und LINKEN beschlossen, den Senat zu ersuchen, die Empfehlungen des Forum Tideelbe aufzugreifen und sie zusammen mit den Nachbarländern Schleswig-Holstein und Niedersachsen sowie dem Bund auf ihre Umsetzung zu prüfen und den weiteren Prozess mit Gesprächsformaten vor Ort zu begleiten. Die dort erzielten Ergebnisse sollen Grundlage für weitere Beratungen sein. Das betrifft auch eine weiter gehende Prüfung der Wiederanbindung der Alten Süderelbe und der Haseldorfer Marsch an das Tidegeschehen (siehe Drs. 22/2666).
Im Fall einer erfolgreichen Abstimmung mit Schleswig-Holstein über das weitere Vorgehen soll für Hamburg ein Fahrplan entwickelt werden, in dessen Rahmen geklärt wird, wann und wie eine vertiefende Untersuchung der möglichen Maßnahme im Bereich der Alten Süderelbe umgesetzt wird. In diesem Rahmen soll auch geklärt werden, wie diese und deren künftige Unterhaltung ggf. finanziert und ausgeführt werden soll.
Vor diesem Hintergrund nimmt die BUKEA den Beschluss des Regionalausschusses zur Kenntnis.“
Um Kenntnisnahme wird gebeten.