Antrag zur Platzbenennung zum Gedenken an Semra Ertan (Antrag der SPD- und GRÜNE-Fraktion)
Letzte Beratung: 13.02.2025 Bezirksversammlung Hamburg-Mitte Ö 8.8
„Ich möchte, dass Ausländer nicht nur das Recht haben, wie Menschen zu leben, sondern auch das Recht haben, wie Menschen behandelt zu werden. Das ist alles. Ich will, dass die Menschen sich lieben und akzeptieren. Und ich will, dass sie über meinen Tod nachdenken.“
(Semra Ertan)
Seit vielen Jahren setzen sich die Familie von Semra Ertan, Initiativen aus St. Pauli und weitere engagierte Akteur:innen für eine dauerhafte Würdigung ihres Lebens und Schaffens in Hamburg ein. Immer wieder gab es Diskussionen darüber, wie eine angemessene Ehrung aussehen kann – auch in den Gremien der Bezirksversammlung. Diese Debatten waren nicht immer einfach, da die Art und Weise ihres Ablebens für viele eine schwierige Entscheidung über eine offizielle Benennung darstellt. Es gab gute Argumente auf beiden Seiten, und die Entscheidung ist keineswegs leicht. Doch unabhängig davon steht außer Frage, dass Semra Ertan mit ihrem literarischen und politischen Schaffen eine bedeutende Persönlichkeit ist, deren Einfluss bis heute spürbar ist.
Semra Ertan wurde am 31. Mai 1956 in Mersin, Türkei, geboren und zog 1972 im Alter von 15 Jahren nach Deutschland, um bei ihren Eltern in Kiel zu leben, die als Gastarbeiter:innen dort tätig waren. Später lebte sie in Hamburg. Sie arbeitete als Dolmetscherin und technische Zeichnerin, widmete sich jedoch leidenschaftlich der Schriftstellerei. Bereits mit 17 Jahren begann sie intensiv zu schreiben und verfasste über 350 Gedichte und politische Satiren, in denen sie das Leben von Migrant:innen in Deutschland schilderte – die Hoffnungen, die Enttäuschungen und den Kampf um Anerkennung.
Ihre Texte thematisieren die Realität des „Dazwischen“, den Spagat zwischen den Erwartungen der Herkunftsfamilie und einer Gesellschaft, die die Kinder von Gastarbeiter:innen oft nicht als gleichwertig ansah. Besonders für die zweite Generation von Migrant:innen bleibt ihr Werk eine zentrale Stimme. Ihre Worte beschreiben das Gefühl, immer wieder erklären zu müssen, wer man ist und warum man hier ist, sowie den Wunsch dazuzugehören, während einem oft das Gegenteil signalisiert wird.
Während ihr literarisches Schaffen zu Lebzeiten wenig Beachtung fand, hat sich dies inzwischen geändert. Heute werden ihre Texte in Schulen und Universitäten gelesen, und sie wird als wichtige Stimme der deutschen Migrationsgeschichte anerkannt. 2020 wurde das zweisprachige Buch Semra Ertan – Mein Name ist Ausländer / Benim Adım Yabancı veröffentlicht, das eine Auswahl ihrer Gedichte enthält und ihr Werk einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich machte.
Ihr Tod im Jahr 1982 war ein verzweifelter Protest gegen den Rassismus in Deutschland. Ihr Suizid führte damals zu großen Debatten, doch oft geriet dabei in den Hintergrund, was sie mit ihren Worten hinterlassen hat. Ihr Werk ist ein eindringliches Zeugnis ihrer Zeit und bleibt bis heute relevant – gerade in einer Gesellschaft, in der rassistische Diskurse und gesellschaftliche Spaltungen erneut zunehmen.
Es ist daher an der Zeit, ihr in Hamburg einen Ort der Erinnerung zu geben. Eine Platzbenennung nach Semra Ertan wäre eine späte, aber notwendige Würdigung ihrer Arbeit und ein Zeichen für all jene, die sich für eine offene, gerechte Gesellschaft einsetzen. Sie hat mit ihren Worten Türen geöffnet – nun ist es an der Zeit, ihr auch in Hamburg einen sichtbaren Platz einzuräumen.
Beschluss:
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