Vielfalt im öffentlichen Raum: Gender-Verkehrszeichen möglich machen Drs. 21-2015, Beschluss der BV vom 27.05.2021
Letzte Beratung: 21.09.2021 Ausschuss für Soziales, Seniorenangelegenheiten, Arbeit, Integration, Bildung, Gesundheit, Gleichstellung, Straffälligen und Gerichtshilfe Ö 7.1
Sachverhalt:
Das schweizerische Genf hat im Jahr 2020 eine symbolträchtige Initiative für mehr Geschlechtergerechtigkeit im öffentlichen Raum gestartet. Die an den rund 500 Zebrastreifen
der Stadt angebrachten Verkehrsschilder zeigen nun nicht mehr allein männliche, sondern
erstmals auch weibliche Verkehrsteilnehmer. Auch Schwangere, ältere Männer und Frauen
sowie gleichgeschlechtliche Paare sind auf verschiedenen Varianten des gleichen Verkehrsschilds (Verkehrszeichen 350 Fußgängerüberweg) zu sehen.
Ziel des Projekts ist es, die Sichtbarkeit von Frauen im öffentlichen Raum zu erhöhen. Auch
in Deutschland zeigen Verkehrszeichen bislang vornehmlich neutrale Abbildungen, die jedoch
als männlich erkennbar sind. Es gibt aber keinen Grund, weshalb nicht auch Frauen
auf Verkehrszeichen abgebildet werden können.
Mag die geschlechtergerechte Anpassung von Verkehrszeichen zunächst symbolischen
Charakter haben, bedeutet dieses Zeichen für Gleichberechtigung im öffentlichen Raum aber
zugleich einen kleinen Schritt für einen gesellschaftlichen Wandel. Um dies in Eimsbüttel
umsetzen zu können, ist eine Hamburger Initiative zu einer entsprechenden Änderung der
Straßenverkehrsordnung erforderlich. Dafür kann Hamburg den Anstoß geben.
Beschluss:
Der Vorsitzende der Bezirksversammlung wird gebeten, sich bei der Behörde für Inneres
und Sport dafür einzusetzen, dass seitens des Hamburger Senats auf eine Änderung der Straßenverkehrsordnung hingewirkt wird, um die Voraussetzung für eine Einführung von Gender-Verkehrszeichen in der Verantwortung von Städten und Gemeinden zu schaffen.
Stellungnahme der Behörde für Verkehr und Mobilitätswende:
Die im öffentlichen Straßenraum aufgestellten Verkehrszeichen sind, soweit sie Personen darstellen, in der Regel kein Abbild gesellschaftlicher oder geschlechtlicher Vielfalt. Auch verbale Zusatzzeichen bleiben auf ein generisches Maskulinum beschränkt („Anlieger frei“ oder „Bewohner mit Parkausweis Nr.“). Ansätze, im Straßenverkehr mehr Diversität zu zeigen, finden sich neben der Genfer Initiative zur Abbildung von Frauen auf rund 250 Schildern an Übergängen für zu-Fuß-Gehende beispielsweise auch in Hamburg, Hannover, Flensburg, Frankfurt oder Köln in Gestalt von gleichgeschlechtlichen Ampelfiguren-Paaren bzw. von Lichtzeichen mit „Ampelfrauen“.
Für diversifizierte Darstellungen auf Verkehrszeichen spricht die Überlegung, Sichtbarkeit könne ein Umdenken initialisieren und das Bewusstsein schärfen für die Tatsache, dass die vielfältigen Verkehrsregelungen Teil der Lebenswelten aller Menschen sind. Zwar bilden Verkehrszeichen regelmäßig schematisch menschliche Tätigkeiten wie bspw. das Zu-Fuß-Gehen, das Reiten oder Arbeiten im Straßenbau ab. Abhängig vom Grad der Schematisierung können diese bildlichen Darstellungen von Menschen ausweislich empirischer Befunde indessen konnotativ zusätzliche Informationen über Merkmale wie Geschlecht, Alter und Temperament transportieren. Vor dem historischen Hintergrund, dass der öffentliche Raum von Männern für Männer konzipiert wurde, werden dementsprechend in diversen Piktogrammen auf Verkehrszeichen ungeachtet fehlender eindeutiger Geschlechtsmerkmale männliche Figuren erkannt. Dies erweist sich bereits in der Bezeichnung der Berliner Ampelfigur als „Ampelmännchen“.
Insoweit können Verkehrszeichen Vorstellungen verfestigen, in denen die Männlichkeit als Norm begriffen wird, während die Weiblichkeit als Abweichung erscheint. Dies gilt insbesondere, wenn weibliche Darstellungen für einzelne Verkehrszeichen allein in klischeehaften Rollenbildern aufgenommen werden („Rock-tragende Frau mit Kind“, eingeführt zur Beschilderung von Sonderwegen durch die Straßenverkehrs-Ordnung in der Fassung vom 16. November 1970). Hier wiederholt sich das Phänomen, dass Frauen im Alltag häufiger im Kontext und in Abhängigkeit von einer Familie oder im Kontext Betreuungs-Arbeit und seltener in beruflichen Rollen dargestellt werden. Das dieserart tradierte Frauenbild vermag Rollen, Talente und Möglichkeiten einzugrenzen, die Menschen mit dem weiblichen Geschlecht assoziieren.
Symbole im Alltag bleiben demnach nicht ohne Einfluss auf gemeinschaftliche Werte und deren gesamtgesellschaftliche Diskussion. Ganz im Sinne der Kampagne „Wien sieht’s anders“, die seit 2006 zu weiblichen Darstellungen auf Verkehrszeichen in Österreich und schließlich im Jahr 2015 zu Lichtzeichen mit gleichgeschlechtlichen Paar-Darstellungen geführt hat, würden auf Vielfalt angelegte Verkehrszeichen Bekanntes auf unbekannte Art und Weise zeigen und durch bewusstes Konterkarieren fixer Sehgewohnheiten positive Irritation auslösen und so zu anderem Sehen, Denken und Handeln anregen.
Vor diesem Hintergrund wird das mit dem Beschluss der Bezirksversammlung Eimsbüttel vom 04.06.2021 verfolgte Ansinnen begrüßt.
Gleichwohl hat die BVM diese Fragen allein unter den Aspekten der Verkehrssicherheit und der Verkehrsregelung zu betrachten und nicht unter gleichstellungspolitischen Gesichtspunkten. Verkehrszeichen dienen der Verkehrsregelung. Sie werden behördlich unter dem Primat der Erforderlichkeit angeordnet und die durch sie ausgesprochenen Ge- und Verbote sind von den Verkehrsteilnehmenden eigenverantwortlich zu beachten. Als Bestandteil der Straßenverkehrs-Ordnung ist der Katalog der Verkehrszeichen ausschließlich an den straßenverkehrsrechtlichen Zielen der Unfallverhütung, der Aufrechterhaltung eines flüssigen Verkehrsablaufs, der Gewährleistung von Ordnung im Verkehrsraum sowie der Vermeidung von Umweltbeeinträchtigungen ausgerichtet.
Ausgehend von dieser spezifisch gefahrenabwehrrechtlichen Funktion, dort, wo notwendig, durch ausdrückliche Verkehrsregelung eine sichere Mobilität zu gewährleisten, müssen Verkehrszeichen ebenso einfach wie unzweideutig zu erkennen geben, welches Verhalten im Verkehr erwartet wird. Dies gelingt insbesondere durch den weltweiten Einsatz von aus der Entfernung sowie unter widrigen Sichtverhältnissen leicht lesbaren und ohne besondere Sprachkenntnis allgemein verständlichen Piktogrammen – selbst wenn diese die Realität nicht vollumfänglich wiedergeben (können).
Inwiefern von der Abbildung geschlechtlicher Diversität auf Verkehrszeichen ein Zugewinn an Verkehrssicherheit zu erwarten sei, ist indessen nicht ohne Weiteres ersichtlich. Zwar deuten verkehrspsychologische Befunde im Sinne einer Rollen-Identifikation beim sozialen Lernen an, Reaktionszeiten von Verkehrsteilnehmenden könnten kürzer ausfallen, wenn die verhaltensleitenden Piktogramme dem eigenen Geschlecht angehören. Umfassend validiert sind diese Studienergebnisse jedoch ebenso wenig wie im realen Verkehr verifiziert. Auch blieben Menschen mit geschlechtlicher Identität jenseits der biologischen Dichotomie von „männlich und weiblich“ außen vor.
Darüber hinaus besteht im Alltagsverkehr die Besorgnis, dass die angeregten Änderungen im Katalog der Verkehrszeichen mit der intendierten Irritation eine solche Verwirrung auslösen, dass die verhaltensleitende Funktion des angeordneten Verkehrszeichens beeinträchtigt werden könnte. Bei den Verkehrsteilnehmenden könnte durch entsprechende Änderungen der Eindruck entstehen, mit der Neugestaltung ginge eine Anpassung des Regelungsgehalts einher. Mit zunehmender Vielfalt in den Darstellungen könnten außerdem Zweifel entstehen, ob es sich um ein „echtes“, behördlich angeordnetes und deshalb verbindliches oder um ein der Phantasie Dritter entsprungenes und deshalb nicht bindendes Verkehrszeichen handelt mit der Folge, dass die Regel missachtet würde.
Schließlich sind auch diversifizierte Darstellungen auf Verkehrszeichen durchaus nicht frei vom Vorwurf der Unzulänglichkeit. So wurde etwa seitens der Organisation Inclusion Handycap an der Genfer Initiative kritisiert, die sechs Sujets weiblicher Zu-Fuß-Gehender auf Zebrastreifen würden keine Frauen mit Behinderungen abbilden. Und obgleich die für die Gestaltung Verantwortlichen sich um unterschiedliche Körperformen bemüht haben, fällt auf, dass die bildlichen Darstellungen das weibliche Geschlecht stereotyp auf eine längere Haartracht reduzieren. Auch eine Senior:innen-Darstellung, die Alter im Zweifel diskriminierend mit einem Krückstock assoziiert, dürfte Bedenken begegnen.
Hier erweist sich, dass der Anspruch leider kaum einzulösen ist, die Vielfalt einer bunten und lebendigen Stadtgemeinde auf Verkehrszeichen vollumfänglich abzubilden. Zu dieser Vielfalt würden schließlich auch im Straßenraum sichtbare religiöse Kennzeichen (bspw. Kopftuch, Kippa, Kreuz) zählen, durch deren Darstellung sich religiöse Menschen oder Religionsgemeinschaften möglicherweise angegriffen fühlen könnten, während andere bei einer Nicht-Aufnahme in den Katalog der Verkehrszeichen Diskriminierung empfinden könnten. Darüber hinaus besteht stets die Gefahr, dass Bürger:innen einzelne Darstellungen als Affront empfinden. So musste beispielsweise in Schweden das weibliche Piktogramm der 2009 eingeführten „Mrs. Walkman“ nach nur drei Jahren überarbeitet werden, nachdem die Darstellung aufgrund der Rocklänge sowie der eindeutigen Geschlechtsmerkmale als sexistisch wahrgenommen wurde.
Vor diesem Hintergrund erscheint gegenüber potenziell konfliktbehafteten, detaillierten Abbildungen von Diversität im Straßenraum vorzugswürdig die stringente Fortführung der in der Entwicklung der deutschen Verkehrszeichen zu beobachtenden semiotischen Tendenz von pleromatisch-ikonischen Zeichen zu eher schematisch-ikonischen Zeichen. Bspw. wurde der „Mann mit Hut“ zugunsten einer geschlechtsneutralen Strichfigur durch die Elfte Verordnung zur Änderung der Straßenverkehrs-Ordnung vom 19. Mai 1992 aus dem Katalog der Verkehrszeichen entfernt. Auch in Finnland wurden zuvor als männlich erkennbare Personendarstellungen nicht etwa um weibliche Pendants ergänzt, sondern durch geschlechtsneutrale Abbildungen ersetzt.
Gäbe es eindeutige Piktogramme für Verkehrszeichen, die gleichzeitig Vielfalt abbilden und Geschlechtsstereotypen ausschließen würden, würde deren Einführung durch die BVM politisch begrüßt und entsprechende Initiativen unterstützt. Solange es diese nicht gibt, hält die BVM aus rechtlichen und praktischen Erwägungen im Grundsatz deshalb am aktuellen Katalog der Verkehrszeichen fest. Leichte Erfassbarkeit infolge schlichter Gestaltung sowie Gewöhnung infolge weitgehend international-harmonisierter Verkehrszeichen stehen den straßenverkehrsfremden Zielen einer Öffnung des Kanons der Verkehrszeichen für Diversität und die zahlreichen Facetten einer vielfältigen Gemeinschaft von Verkehrsteilnehmenden entgegen. Einen weiteren Abbau von geschlechtlichen Stereotypen ohne nachteilige Auswirkung auf die Zwecke des Straßenverkehrsrechts, wie z. B. eine geschlechtsneutrale Darstellung auf Zeichen 239 „Gehweg“ u. a., sowie einen Verzicht auf eine Personendarstellung beim Kraftradverkehr ähnlich dem Radverkehr wird die Behörde für Verkehr und Mobilitätswende allerdings im zuständigen Bund-Länder-Fachausschuss zur Diskussion stellen.
Stellungnahme der Behörde für Wissenschaft, Forschung, Gleichstellung und Bezirke:
Aus fachlicher Sicht wird der Beschluss der Bezirksversammlung Eimsbüttel vom 04.06.2021 begrüßt, sofern es um die Darstellung von Frauen und gleichgeschlechtlichen Paare auf Verkehrszeichen geht.
Piktogrammen auf Verkehrszeichen zeigen überwiegend männliche Verkehrsteilnehmer, was weiterhin das stereotype Rollenbild von Frauen im Kontext Care-Arbeit und nicht im beruflichen Umfeld unterstreicht. Durch die Einführung von weiblichen Piktogrammen kann diesem Umstand entgegengewirkt werden.
Mit der Darstellung auch gleichgeschlechtlicher Paare auf Ampeln wird angestrebt, im Alltag auf die Unterschiedlichkeit der Menschen in unserer Stadt aufmerksam zu machen. Sie sendet ein öffentlichkeitswirksames Signal für Toleranz, Offenheit und Akzeptanz für die Vielfalt unterschiedlicher Lebensweisen und damit auch für die Stärkung des gesellschaftlichen Zusammenhaltes.
Homosexuelle Ampelfiguren gab/gibt es beispielsweise schon in Köln, Hamburg, Hannover, Flensburg, Frankfurt und in Wien.
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Um Kenntnisnahme wird gebeten.
keine
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