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Mehr Tempo 30 ermöglichen Drs. 21-1980, Beschluss der BV vom 27.05.2021

Mitteilungsvorlage der/des Vorsitzenden

Bera­tungs­reihen­folge
Gremium
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26.08.2021
Sachverhalt

t:

Die zulässige Höchstgeschwindigkeit beträgt in Deutschland innerorts regelhaft 50 km/h. Auf vielen Straßen in Hamburg ist tatsächlich auch nichts anderes angeordnet. Dieser Umstand wird von immer mehr Menschen kritisch gesehen. Tempo 30 statt Tempo 50 kann aus einer ganzen Reihe von Gründen Vorteile für viele Bürger*innen bedeuten:

Reduzierte Lärm-, Stickoxid- und Feinstaubemissionen vermindern Gesundheitsgefahren. Zu diesen Gefahren gehören auch physische und psychische Folgen von Lärm und wenig Nachtruhe. Überdurchschnittlich oft sind Menschen mit geringem Einkommen betroffen, da sie eher an besonders belasteten Straßenabschnitten wohnen.

Reduzierte CO2-Emissionen tragen zum Klimaschutz bei – gerade auch, weil bei Tempo 30 mehr Menschen den Umweltverbund nutzen.

Kürzere Bremswege verringern die Zahl der Unfälle und die Schwere der Unfallfolgen.

Tempo 30 reduziert die Zahl der Überholvorgänge des Kfz-Verkehrs gegenüber dem Radverkehr. Dies trägt merklich zum Sicherheitsgefühl der Radfahrerinnen und Radfahrer bei – und verringert so das regelwidrige Radfahren auf Gehwegen. Gerade auf schmalen Nebenflächen entlang von Tempo 50 Straßen werden die Nebenflächen vom Radverkehr entlastet zugunsten des Fußverkehrs.

Fußgängerinnen und Fußgänger können leichter die Fahrbahn überqueren.

Die wahrgenommene Aufenthaltsqualität steigt, dies kann ökonomische Vorteile für Anwohnerinnen und Anwohner, Einzelhandel und Gastronomie mit sich bringen.

Die Temporeduzierung verbessert den Verkehrsfluss. Ein gleichmäßigerer Verkehrsfluss und eine übersichtlichere Gestaltung der Kreuzungen ermöglichen die Reduzierung der Standzeiten. Diese Chance ist bei geringeren Geschwindigkeiten exorbitant größer, da Bremsvorgänge und Standzeiten an Signalanlagen oder Kreuzungen verkürzt werden können.

Die Verbesserung des Verkehrsflusses ist ebenfalls essenziell für eine nachhaltige Reduktion des Lärms und der Schadstoffemissionen.

In vielen Gesprächen mit Bürgerinnen und Bürgern steht das Bedürfnis nach Sicherheit, Rücksichtnahme und Übersichtlichkeit im Straßenverkehr im Mittelpunkt. Die Ent- und nicht die Beschleunigung des Straßenverkehrs erleichtern es allen Verkehrsteilnehmerinnen und -teilnehmern, sich ordnungsgemäß und rücksichtsvoll zu verhalten.

 

All diese Gründe gegen das Bedürfnis abzuwägen, etwas schneller von A nach B zu kommen, ist keine leichte Aufgabe. Bislang scheitert die Lösung aber daran, dass die Aufgabe gar nicht erst bearbeitet werden darf: Wenn keine konkrete Gefahrenstelle vorliegt und keine Kita, Schule etc. an der Straße liegt, so muss Tempo 50 angeordnet werden. Die zuvor genannten Gründe wiegen aber durchaus schwer.

 

Wir halten auch die Definition von Gefahrenstellen für mehr als überholt. Die Qualität des Verkehrsraums hauptsächlich über tatsächliche Unfälle zu definieren, ist antiquiert und auch rechtlich nicht mehr haltbar (siehe z.B. das Urteil des BVerwG 3 C 23.00 – Buchholz 442.151 §45 StVO Nr. 41). Wenn gefährliche Bereiche von Verkehrsteilnehmerinnen und - teilnehmern gemieden werden, weil diese sich dort unsicher fühlen, kann es keine verlässlichen Daten geben.

Vielmehr sind Aspekte wie Schul-, Kita- und Freizeitverkehre, freie Sichtachsen und Gesundheitsgefahren stärker zu berücksichtigen – auch ohne die direkte Anliegerschaft von Altersheimen, Schulen, Kitas etc.

 

Ein großes Problem besteht ebenfalls darin, dass sich somit kaum verlässliche Daten zu den einzelnen Faktoren gewinnen lassen. Ohne Verkehrsversuche, die den normalen Alltag betreffen, bleibt eine zukunftsweisende Entwicklung nicht seriös planbar und es wird ein für fast alle Verkehrsteilnehmerinnen und -teilnehmer unbefriedigender Status Quo erhalten.

Die Beharrlichkeit der Behörden bei Straßen, in denen Linienbusverkehr stattfindet, auf die Einhaltung von Tempo 50 zu bestehen, lässt sich vor allem im Kerngebiet von Eimsbüttel nicht nachvollziehen. Die tatsächlichen Durchschnittsgeschwindigkeiten der Busse lassen nicht darauf schließen, dass sich die Fahrzeiten auf den Nebenstrecken signifikant erhöhen, wenn dort Tempo 30 gelten würde.

 

Für Hamburg sollten daher neue Möglichkeiten entwickelt werden, Entscheidungsspielräume für den Einzelfall zu schaffen.

 

Beschluss:

Der Vorsitzende der Bezirksversammlung möge sich bei den zuständigen Fachbehörden dafür einsetzen, dass in Hamburg geeignete Grundlagen und behördliche Vorgaben geschaffen werden, um in mehr Nebenstraßen als bislang Tempo 30 anordnen zu können – sowohl als Teil einer Tempo-30-Zone als auch als Tempo-30-Strecke. Hierbei sollte das Vorhandensein von Linienbusverkehren nur einen Teilaspekt in dem Entscheidungsprozess darstellen und bei der Abwägung stärker Aspekte wie Lärmschutz, Schul-, Kita-, Rad- Fuß- und Freizeitverkehre berücksichtigt werden.

 

Stellungnahme der Behörde für Verkehr und Mobilitätswende:

Vorbemerkung:

 

Innerörtliche Geschwindigkeitsbeschränkungen auf eine Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h oder weniger können einen wesentlichen Beitrag zur Verkehrssicherheit leisten. Die Betriebsgefahr des Kraftfahrzeugs ist für Fahrzeugführende besser beherrschbar; Bremswege verkürzen sich. Lärm- und Schadstoff-Emissionen des Kraftfahrzeugverkehrs nehmen bei Geschwindigkeitsbegrenzungen ab. Neben jenen günstigen Effekten für die Gesundheit der Bürger:innen sowie für die Umwelt können innerörtliche Geschwindigkeitsbeschränkungen den klimafreundlichen Umstieg auf nicht-motorisierte Fortbewegungsarten fördern. Werden schädliche Emissionen des Kraftfahrzeugverkehrs eingehegt, wächst die Aufenthaltsqualität im Quartier und der Fußverkehr gewinnt an Attraktivität. Müssen Radfahrende weniger befürchten, mit hohen Geschwindigkeiten und zu geringem Seitenabstand von Kraftfahrzeugen überholt zu werden, nimmt das Sicherheitsgefühl der Radverkehrsteilnehmenden zu, sodass der erfreuliche Trend hin zu dieser kostengünstigen, klimaneutralen, gesundheitsförderlichen Mobilitätsform unterstützt wird.

Diesen Vorzügen steht das verkehrsrechtliche bundesrechtlich geregelte Schutzgut der Leichtigkeit des Verkehrs gegenüber. Dieses Schutzgut ist in seiner Ausprägung nur bundesrechtlich zu ändern. Es umfasst mehr als das Ziel eines Individuums „schnell von A nach B zu kommen“. So sind bspw. Auswirkungen eines ggf. häufigeren Tempowechsels zwischen 30 und 50 km/h auf das differenzierte Straßennetz und damit auf die Flüssigkeit des Verkehrs insgesamt zu bedenken. Hierbei sind auch die Belange des Öffentlichen Personennahverkehrs zu berücksichtigen. Soll den Bürgerinnen und Bürgern im Sinne der Mobilitätswende bspw. für längere Wege zur Arbeit eine attraktive Alternative zum motorisierten Individualverkehr angeboten werden, müssen Busse als Zubringer zügige sowie flüssige Anschlüsse zum Schnell- und U-Bahn-Netz gewährleisten.

In diesem Spannungsfeld treffen die Straßenverkehrsbehörden Anordnungen zur innerörtlichen Geschwindigkeitsbeschränkung, soweit dies rechtlich zulässig ist. Enge Grenzen ergeben sich insofern aus § 45 Absatz 9 Satz 3 der Straßenverkehrs-Ordnung (StVO), demzufolge Beschränkungen des fließenden Verkehrs nur angeordnet werden können, wenn besondere örtliche Verhältnisse (beispielsweise die konkrete Streckenführung, der Ausbauzustand der Verkehrsanlagen, witterungsbedingte Einflüsse wie Nebel oder Schnee- und Eisglätte, die Verkehrsdichte und die daraus resultierenden Unfallzahlen) eine Gefahrenlage begründen, die das allgemeine Risiko erheblich übersteigt.

Um straßenverkehrsbehördliche Spielräume im Einzelfall zu erweitern und den kommunalen Bedürfnissen anzupassen, erfolgte bereits eine Anpassung der StVO, welche u.a. einen erweiterten Ausnahmenkatalog in § 45 Absatz 9 Satz 4 StVO, für den das Erfordernis einer qualifizierten Gefahrenlage nicht gilt, bis hin zur Reform des Gefahrkriteriums an sich beinhaltet. Darüber hinaus gehende Möglichkeiten bedürften einer erneuten Änderung der StVO.

 

Stellungnahme BVM:

 

In Hamburg gilt bereits auf etwa 58 % des gesamten Straßennetzes die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h. Dabei handelt es sich überwiegend um Tempo-30-Zonen im nachgeordneten Straßenverkehrsnetz.

Darüber hinaus sind Tempo-30-Strecken beispielsweise vor sensiblen Einrichtungen wie Schulen oder Kindertagesstätten (KiTas) oder an stark lärmbelasteten Straßenabschnitten möglich. Diese streckenbezogenen Anordnungen sind nicht zu vergleichen mit einer bereichsweisen Tempo-30-Zone und laut Straßenverkehrsordnung (StVO) nur im direkten Umfeld einer entsprechenden Einrichtung oder im Bereich eines Lärmbrennpunktes möglich. Die Zuständigkeit für die Anordnung von Tempo-30-Strecken liegt bei der Behörde für Inneres und Sport.

 

Die Einführung von Tempo-30-Zonen ist nicht an jeder Stelle des Straßennetzes möglich. Hauptverkehrsstraßen sind bereits per se aufgrund ihrer besonderen Funktion von der Einführung einer Verkehrsberuhigung in Form einer Tempo-30-Zone ausgeschlossen. Im Bezirksstraßennetz kann einerseits vorhandener Busbetrieb ausschlaggebend dafür sein, dass die Einrichtung einer Tempo-30-Zone als nicht verträglich eingestuft wird. Hier spielt jedoch nicht allein die gefahrene Geschwindigkeit, sondern auch die in Tempo-30-Zonen regelhafte Vorfahrtsregelung „rechts-vor-links“ eine Rolle, da hiermit Komforteinbußen im Busbetrieb verbunden sind. Darüber hinaus kann aber auch die Verkehrsstärke einer Straße Grund dafür sein, dass die Einführung einer Tempo-30-Zone nicht möglich ist. Viele Bezirksstraßen haben eine tägliche Verkehrsbelastung von über 10.000 Kfz/Tag. Eine Verkehrsführung von Radfahrer:innen und motorisiertem Individualverkehr (MIV) im Mischverkehr ohne Markierungen und Lichtsignalanlagen entspricht in diesem Fall nicht den Empfehlungen der ERA (Empfehlungen für Radverkehrsanlagen) und ist als Mittel zur Förderung des Radverkehrs nicht geeignet. Es gilt allerdings derzeit, dass bei Tempo 30 MIV und Radverkehr im Mischverkehr fahren müssen.

 

Unter Beachtung dieser Umstände ist die Anordnung von Tempo 30 Zonen im Bezirksstraßennetz Aufgabe der Bezirke. Die BVM steht diesem offen gegenüber.

 

Tatsächlich wäre ein erweiterter rechtlicher Rahmen für Anordnungen für Tempo-30-Strecken, in denen beispielsweise auch die Markierung von Radverkehrsanlagen zulässig ist, hilfreich, um eine Ausweitung von Tempo-30-Regelungen zu ermöglichen. Dieser müsste auf Bundesebene geschaffen werden und noch über die jüngsten Änderungen der Verwaltungsvorschrift zur StVO hinausgehen.

 

Die Behörde für Inneres und Sport äußert sich als oberste Landesbehörde gem. § 44 Absatz 1, Satz 1 der Straßenverkehrs-Ordnung (StVO) wie folgt:

 

Die Beschlussempfehlung erfordert, soweit sie sich auf eine Herabsetzung der Regelgeschwindigkeit bezieht, eine Änderung der Straßenverkehrs-Ordnung (StVO). Das Straßenverkehrsrecht ist Teil der konkurrierenden Gesetzgebung des Bundes nach Artikel 74 Grundgesetz. Landesrecht auf dem Gebiet des Straßenverkehrs ist unzulässig. Insofern kann Hamburg eigenständig auch keine „geeigneten Grundlagen und behördlichen Vorgaben“ nach Landesrecht treffen.

 

Hinsichtlich der Anordnung von Tempo 30 außerhalb von Straßen des überörtlichen Verkehrs und Vorfahrtsstraßen ist eine vermehrte Anordnung von Tempo 30-Zonen schon jetzt möglich.

Dabei soll die Anordnung von Tempo 30-Zonen nach den Vorgaben der Verwaltungsvorschrift zur StVO auf der Grundlage einer flächenhaften Verkehrsplanung der Gemeinde vorgenommen werden, in deren Rahmen zugleich das innerörtliche Vorfahrtstraßennetz (Zeichen 306) festgelegt werden soll. Dabei ist ein leistungsfähiges, auch den Bedürfnissen des öffentlichen Personennahverkehrs und des Wirtschaftsverkehrs entsprechendes Vorfahrtstraßennetz (Zeichen 306) sicher zu stellen. Der öffentlichen Sicherheit und Ordnung (wie Rettungswesen, Katastrophenschutz, Feuerwehr) sowie der Verkehrssicherheit ist vorrangig Rechnung zu tragen.

 

Petitum/Beschluss

:

Um Kenntnisnahme wird gebeten.

 

Anhänge

Keine