21-1180.01

Verbesserung der psychosozialen Versorgung von Kindern und Jugendlichen in und nach der Corona-Pandemie

Mitteilung

Letzte Beratung: 01.03.2022 Fachausschuss für Soziales, Gesundheit und Integration Ö 2

Sachverhalt

 

Drs. 21-1180:

Vor diesem Hintergrund fordern wir die Bezirksamtsleiterin auf,

  1. sich bei der Psychotherapeutenkammer und der Kassenärztlichen Vereinigung für eine Verbesserung der psychologischen und psychotherapeutischen Versorgung für Kinder und Jugendliche im Bezirk Bergedorf einzusetzen sowie für die Zulassung einer/eines Kinder- und Jugendpsychiaterin /  psychiaters;
  2. die Sozialbehörde um Unterstützung bei der Einrichtung eines dreijährigen Modellprojektes im Gesundheitsamt Bergedorf für eine niedrigschwellige psychologische Beratung und Versorgung von Kinder, Jugendlichen und ihren Familien im Zusammenhang mit der Bearbeitung psychischer Folgewirkungen der Pandemie zu bitten;
  3. Gespräche mit dem Kinderkrankenhaus Wilhelmstift aufzunehmen, um zu prüfen, wie der hohe therapeutische Bedarf bei Kindern und Jugendlichen während der und nach den Corona-Einschränkungen im Bezirk auch vonseiten der stationären Versorgung mit abgedeckt werden kann;
  4. sich dafür einzusetzen, dass eine der nächsten regionalen Bildungskonferenzen sich auch mit dem Thema psychische Folgen der Pandemie für Kinder und Jugendliche beschäftigt.

 

Die Behörde für Arbeit, Gesundheit, Soziales, Familie und Integration (Sozialbehörde) nimmt zu 1., 2. und 3. des Beschlusses der Bezirksversammlung Bergedorf, Drucksache 21-1180 wie folgt Stellung, die Behörde für Schule und Berufsbildung (BSB) zu 4.:

 

Zu 1):

Über Sonderbedarfszulassungen und Ermächtigungen in diesem Bereich entscheiden die Zulassungsausschüsse nach §§ 96, 97 SGB V eigenständig und nicht weisungsgebunden. Patientenvertretungen und die Sozialbehörde haben in diesen Angelegenheiten ein Mitberatungs-, aber kein Stimmrecht.

In solchen Fällen erfolgt regelhaft zunächst eine Stellungnahme der KV Hamburg gegenüber dem Zulassungsausschuss zur Prüfung der lokalen Versorgungslage an dem jeweils vorgesehenen Standort (bei Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie in einem Radius von 4 km). Voraussetzung ist in jedem Fall eine konkrete Beantragung einer Sonderbedarfszulassung bzw. Ermächtigung. Insofern kann zu der Erfolgsaussicht eines solchen Antrages im Vorwege seitens der Sozialbehörde keine Stellungnahme abgegeben werden.

 

Zu 2):

Die bisherigen Forschungsergebnisse zum Einfluss der Corona-Pandemie auf die psychische Gesundheit von Erwachsenen und Kindern belegen einen deutlichen Anstieg von Depressionen, Angsterkrankungen und allgemeinem Stresserleben (de Figueiredo et al., 2021; Schlack et al., 2020; Strauß et al., 2021; Xionget al., 2020). Der Bedarf an psychologischer Unterstützung überschreitet jedoch bereits jetzt bei weitem die Kapazitäten. Laut einer Umfrage der deutschen Psychotherapeutenvereinigung (DPtV) ist die Anzahl der Anfragen für eine Psychotherapie für Erwachsene zum Vorjahr um 38,7% gestiegen (Rabe-Menssen, 2021). Ein Drittel der psychisch belasteten Personen muss demnach länger als 6 Monate auf einen Therapieplatz warten. Bei Kindern und Jugendlichen ist laut DPtV sogar ein Anstieg um 60,3% zu verzeichnen. Hierin drückt sich die medial bereits vielfach dargestellte starke psychische Belastung vieler Kinder und Jugendlicher während der Pandemie aus. Die in Hamburg und auch bundesweit durchgeführte COPSY-Studie (Corona und Psyche) zeigt, dass vor allem sozial benachteiligte Kinder und Jugendliche (deren Eltern einen niedrigen Bildungsabschluss oder einen Migrationshintergrund haben, deren Eltern psychisch belastet sind oder die in beengten Wohnverhältnissen leben) besonders stark unter den Auswirkungen der COVID-19-Pandemie leiden

(Kaman et al., 2021). Dies deckt sich mit internationalen Studien, in denen soziale Ungleichheiten in Bezug auf die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen belegt wurden (Reiss, 2013). Darüber hinaus hat die COPSY-Studie-Hamburg gezeigt, was auch unabhängig von der Pandemie Gültigkeit besitzt: Kinder und Jugendliche sind vor allem dann belastet, wenn ihre Eltern psychisch belastet sind.

Vor diesem Hintergrund ist das vom Bezirk Bergedorf geplante Modellprojekt im GA Bergedorf, eine niedrigschwellige, psychologische Beratung und Versorgung von Kinder, Jugendlichen und ihren Familien im Zusammenhang mit der Bearbeitung der psychischer Folgewirkungen der Pandemie, fachlich zu begrüßen. Dies korrespondiert auch mit der Schwerpunktsetzung im Rahmen der Umsetzung des Paktes für den ÖGD. Dort  wird die hamburgweite Stärkung des Kinder- und Jugendgesundheitsdienstes des Öffentlichen Gesundheitsdienstes einen Schwerpunkt darstellen. Hierzu werden neben der personellen Stärkung auch langfristig orientierte konzeptionelle Verbesserungsmaßnahmen für die Vernetzung mit den Versorgungspartnern und Akteuren geprüft.

Kurzfristig wäre durch den Bezirk zu prüfen, ob Mittel aus dem Bundesprogramm „Aufholen nach Corona“ für das Modellprojekt beantragt werden können.

 [i]

 

Zu 3):

Die Sozialbehörde steht im Rahmen der Krankenhausplanung sowie im Rahmen der Aufsichtsgespräche nach § 13a HmbPsychKG in einem regelhaften Austausch über die Bedarfsgerechtigkeit des klinisch-stationären Versorgungsangebots auch im Kath. Kinderkrankenhaus Wilhelmstift. In diesen Gesprächen wird auch der therapeutische Bedarf bei Kindern und Jugendlichen während und nach den Corona-bedingten Einschränkungen thematisiert, um ggf. bedarfsbezogen planerische Anpassungen in der Ausweisung der zur Versorgung erforderlichen voll- bzw. teilstationären Kapazitäten des Kath. Kinderkrankenhaus Wilhelmstift vornehmen zu können.

Nach Aussage des Kath. Kinderkrankenhaus Wilhelmstift sind auch dort die Zusatzbelastungen durch die Pandemie spürbar. Es zeichnet sich ab, dass insbesondere bei Mädchen im Rahmen der Pandemie vermehrt Depressionen und Suizidalität auftreten.

Aufgrund der infolge des Fachkräftemangels gegenwärtig bedingten Personalknappheit sowohl im ärztlichen als auch pflegerischen Dienst ist es dem Kath. Kinderkrankenhaus Wilhelmstift derzeit nicht möglich, über sein bestehendes klinisches Angebot sowie seinem Medizinischen Versorgungszentrum (MVZ) in der Kinder- und Jugendpsychiatrie hinaus mit dem Angebot einer kinder- und jugendpsychiatrischen Praxis zur Ergänzung der dem Sicherstellungsauftrag der Kassenärztlichen Vereinigung Hamburg unterliegenden vertragsärztlichen und vertragspsychotherapeutischen Versorgung im Bezirk Bergedorf beizutragen.

Eine Verbesserung der klinischen Versorgung wird mit dem am 24.09.2021 eingeweihten Neubau für die Kinder- und Jugendpsychiatrie erreicht. Damit ist die Kapazität des Kath. Kinderkrankenhaus Wilhelmstift in diesem Fachgebiet um 7 vollstationäre Plätze erweitert worden.

 

Eine weitere Verbesserung der Versorgung im Bereich Bergedorf wird mit dem gegenwärtig laufenden Aufbau einer Ambulanz in Kooperation mit Regionalen Bildungs- und Beratungszentren (ReBBZ) und der Jugendhilfe im ReBBZ Bergedorf im Rahmen des aus dem Innovationsfonds des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) geförderten Projekts „‚Drei für Eins“ umgesetzt. Dieses Angebot richtet sich insbesondere an Kinder und Jugendliche, die bisher keinen Zugang zu niedergelassenen Fachärztinnen bzw. -ärzten in der Kinder- und Jugendpsychiatrie gefunden oder nicht genutzt haben und wegen schulischer Auffälligkeiten im ReBBZ vorgestellt wurden. Dafür ist derzeit ergänzend zu der bereits besetzten halben Stelle eine weitere halbe Stelle für eine Fachärztin bzw. einen Facharzt im Gebiet der Kinder- und Jugendpsychiatrie ausgeschrieben.

 

Zu 4):

Die BSB bedankt sich für die Anregung, das Thema der psychosozialen Folgen der Pandemie für Kinder und Jugendliche in einer der nächsten regionalen Bildungskonferenzen (RBK) zu behandeln. Zurzeit sind RBK aufgrund der andauernden COVID 19-Pandemie generell schwer planbar. Doch die regionalen Schulaufsichten im Bezirk Bergedorf, die Mitglied der Steuerungsgruppe sind, werden diesen Vorschlag bei der Planung der nächsten RBK prüfen, denn dies ist ein wichtiges Thema.

 

Die erheblichen Einschränkungen in den Bereichen Schule und Freizeit durch Kontaktbeschränkungen und den Wegfall von verlässlichen Abläufen stellen für viele Kinder und Jugendliche eine erhöhte Belastung dar, für eine nicht geringe Zahl führen sie zu psychosozialen Problemen. Dies bestätigen diverse Studien, ebenso wie die Schulen und Unterstützungsinstitutionen. Daher ergänzen die schulischen Hamburger Maßnahmen und Projekte zur motivationalen und psychosozialen Unterstützung von Schülerinnen und Schülern aller Schulformen bereits die Maßnahmen zur Lernförderung. Um die psychosozialen Folgen der Schulschließungen zu heilen, wurden kurzfristig die Mittel für Schulbegleitungskräfte, Beratungslehrkräfte an Gymnasien sowie die Ressourcen in den Beratungsabteilungen der Regionalen Bildungs- und Beratungszentren (ReBBZ), des Bildung- und Beratungszentrums Pädagogik bei Krankheit/Autismus (BBZ) und der Beratungsstelle Gewaltprävention der BSB befristet erhöht. Weitere temporäre Lerngruppen werden eingerichtet. Durch diese Maßnahmen können die Schulen ihre Unterstützung intensivieren und die Unterstützungs- und Beratungsangebote der genannten Institutionen ebenso wie der bezirklich zuständigen Jugendämter und der sozialräumlich tätigen Institutionen und sozialen Träger intensiver nutzen. Wichtig ist hier, dass bestehende Strukturen der Regelsysteme genutzt werden und durch eine gute Abstimmung der Maßnahmen die Unterstützung der einzelnen Kinder und Jugendlichen ermöglicht wird.

 

 

 

Petitum/Beschluss

 

Die Bezirksversammlung nimmt Kenntnis.

 

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