Beseitigung der Mängel in der Ausstellung "Proteste in Bergedorf" im Museum für Bergedorf und die Vierlande - korrigierte Fassung
Letzte Beratung: 27.08.2020 Bezirksversammlung Bergedorf Ö 11.6
Antrag der BAbg. Heilmann und Fraktion DIE LINKE
Zumindest zwei der letzten Ausstellungen im Museum für Bergedorf und die Vierlande waren aus geschichtswissenschaftlicher Sicht nur teilweise erfolgreich. Das betraf bereits die Ausstellung der Lindemann Gemälde (Beginn 2015) im Zusammenhang mit „Kriegsschauplatz Ostafrika. Ein Bergedorfer im Ersten Weltkrieg“, wo die Rolle des Finanzbeamten Lindemann bei der Ausplünderung der Bergedorfer jüdischen Bevölkerung durch das NS-Regime bewusst nicht thematisiert wurde. Aber auch die aktuelle Ausstellung „Proteste in Bergedorf“ weist eine Reihe von Mängeln auf, so dass es auch in Bergedorf zu energischen Protesten kam. Es gab Fehler, Auslassungen und Vermischungen von Information und einseitiger konservativer Wertung.
Die Ausstellung ging von einem Schnelldurchgang durch die deutsche Geschichte der letzten 120 Jahre in Bergedorf aus. Das bunte Durcheinander ohne soziologischen oder historischen Tiefgang musste die Besucherinnen und Besucher verwirren. Das war umso bedauerlicher, als schon vor den Corona-Zeiten kein Mangel an Verschwörungstheorien und Geschichtsklitterungen zu konstatieren war. Gerade deshalb ist es die Aufgabe eines staatlichen Museums, geschichtliche und politische Information wahrheitsgemäß und sachlich richtig zu präsentieren. Es wurde bei einer Reihe von Ausstellungsbereichen offensichtlich, dass die fachliche Kompetenz derjenigen, die die Ausstellung zu verantworten hatten, nicht ausreichte.
Aber „Proteste“ (laut Brockhaus von lat. protestari: öffentlich bezeugen, verkünden) sind immer darauf gerichtet, die Öffentlichkeit verbal oder durch Schriften, Demonstrationen etc. aufzurütteln. Insofern sind die Widerstandshandlungen gegen den NS-Terror schon deshalb zu „Protesten“ zu rechnen, wenn man wie in der Ausstellung den Protestbegriff sehr weit ausdehnt. Warum sonst wurden der Erste Weltkrieg, die Novemberrevolution und die KPD-Aufstände 1923 unter „Proteste“ eingereiht?
Schon diese beiden Beispiele mögen zeigen, welch segensreiche Wirkung eine wissenschaftliche Begleitkommission bei der Erstellung des Ausstellungskonzeptes hätte entfalten können. Das hätte sicherlich auch dazu geführt, die im Folgenden kurz zusammengefassten Fehler und Auslassungen vermeiden zu helfen.
Eine Auswahl der historischen Auslassungen und Fehler in der „Proteste“-Ausstellung:
Weltkrieg, Novemberrevolution
Bei dem vorgestellten General Lettow-Vorbeck fehlen Hinweise auf seine kolonialistischen Kriegsverbrechen in Ostafrika und den konterrevolutionären Terror seiner Freikorps-Truppen. Er wird als Ordnungsmacht in Hamburg dargestellt. Zitat: „Insgesamt gibt es 80 Tote während der Unruhen.“ Dabei wird verschwiegen, dass 65 Hamburger nicht bei den „Sülzeunruhen“ umkamen, sondern durch Lettow-Vorbecks Soldateska.
Weimarer Republik
„Proteste“ werden reduziert auf den breit abgehandelten Hamburger Aufstand von 1923, wobei Ernst Henning als „Rädelsführer“ verunglimpft wird. Statt dessen hätte man Information erwarten können wie, dass Ernst Henning überzeugter Kriegsgegner war (sein Vater Otto Henning weigert sich, Rüstungsgüter in seiner kleinen Eisengießerei zu produzieren), dass Ernst Henning die SPD verließ und in die USPD eintrat, weil die Mehrheits-SPD den Krieg befürwortete, dass er den Bergedorfer Arbeiter- und Soldatenrat mit begründete und dass er Mitglied der KPD wurde. Einzig seine Teilnahme am Hamburger Aufstand hielt die Museumsleitung für berichtenswert, nicht jedoch, dass Ernst Henning 1927 in das Bergedorfer Stadtparlament und 1928 in die Hamburgische Bürgerschaft gewählt wurde. Da erstaunt es kaum noch, dass in der Ausstellung auch nicht erwähnt wird, dass er am 14. März 1931 von Bergedorfer SA-Leuten ermordet wurde.
Rechtsterroristische Morde, z.B. an Erzberger und Rathenau, werden nicht erwähnt, ebenso nicht der Freikorps-Terror bei der Niederschlagung der Münchener Räterepublik und nicht die militärisch erzwungene Absetzung der thüringischen Landesregierung. Der Hitler-Putsch 1923 ist den Ausstellungsverantwortlichen keine Erwähnung wert.
Zudem gab es auch in Bergedorf demokratische „Proteste“, die in der Ausstellung völlig unter den Tisch fallen: Der Kampf der Gewerkschaften, der SPD und der Liberalen gegen den Kapp-Putsch und für die Demokratie. Nicht erwähnt werden die demokratischen Proteste und Aufmärsche des Bergedorfer Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold, der 1924 von allen demokratischen Parteien und Gewerkschaften gegründet wurde, der Ende der 1920er Jahre in Deutschland drei Millionen Mitglieder zählte und der sich 1931 mit Arbeitersportvereinen und freien Gewerkschaften zur Eisernen Front zusammenschloss. Nicht erwähnt werden die Bergedorfer Aufmärsche des Roten Frontkämpferbundes.
Nazi-Zeit
Proteste oder Widerstandshandlungen werden, wie bereits erwähnt, völlig ausgelassen. Worauf hätte man verweisen können? Nur einige Beispiele aus Bergedorf: Fritz Bringmann, auch in Bergedorf bekannter Widerstandskämpfer, KZ-Insasse und später Ehrenpräsident der Amicale Internationale KZ Neuengamme, berichtete 2004 in seinem Buch Erinnerung eines Antifaschisten: „An einem der ersten Tage (…) wurde ein Häftling vor den Augen der Bevölkerung von einem SS-Kommandoführer derart misshandelt, dass er bewusstlos zusammenbrach. Nach einer Weile trugen ihn einige Mithäftlinge aus dem Arbeitsbereich fort und legten ihn etwas entfernt ab, doch der SS-Mann begann erneut, ihn zu misshandeln. Da bahnte sich eine Frau durch die Menschenansammlung, ging auf den SS-Mann zu, stellte sich zwischen ihn und den Häftling und protestierte (sic!) lautstark gegen diese Unmenschlichkeit.“ Kein erinnerungswürdiger Protest?
Der Jungkommunist Ferdinand Buhk malte gegen die Kriegspläne Parolen wie „Hitler bedeutet Krieg!“ an Wände und wurde im Hamburger Gestapohauptquartier Stadthausbrücke schwer misshandelt. Er erhängte sich angeblich im September 1934 in der Haft an seinem Taschentuch selbst. Kein erinnerungswürdiger Protest?
Michel Pritzel hatte bereits am 1. April zusammen mit anderen Bergedorfer Mitgliedern der Sozialistischen Arbeiterjugend, der Jugendorganisation der linkssozialdemokratischen SAP, in der damals auch der junge Willy Brandt tätig war, aus Protest gegen den Antisemitismus Flugblätter gegen den ersten Nazi-Boykott der jüdischen Geschäfte in Bergedorf verteilt. Kein erinnerungswürdiger Protest?
Der Sozialdemokrat Willi Osterhold hatte illegales Widerstandsmaterial über den Bäcker Rädcke verteilt. Kein erinnerungswürdiger Protest?
In einem staatlichen Museum sollten junge Menschen gerade in der jetzigen Zeit mit der widerständigen und demokratischen Tradition Bergedorfs vertraut gemacht werden! Ausgerechnet diese Proteste mutiger Bergedorfer gegen das NS-Unrecht auszulassen, ist mehr als nur ein Versehen, es ist eine unverzeihliche Lücke! Sie wurde dann auch noch, als Kritik aufkam – s.o. – schöngeredet und verteidigt!
Proteste nach 1945
In dem oberen Stockwerk entfaltet sich ein buntes Kaleidoskop von Protesten. Die Ausstellung erhält so durch die Vielzahl der oberflächlich behandelten Proteste einen verwirrenden Charakter und ähnelt häufig eher einer Art von Disney-Show. Auf die politischen Ziele, die den Protestbewegungen zugrunde lagen, wird nicht hingewiesen. Im Übrigen, das sei noch einmal ausdrücklich betont, wurden all die unterschiedlichen Protestaktionen im Gegensatz zu dem, was die Direktorin der Bergedorfer Museumslandschaft der Presse erzählte, nicht von alten, sondern von jungen Menschen getragen.
Es werden vom Museum selbst hergestellte Plakate gezeigt und als angeblich historisch authentisch „verkauft“ (“Unser Haus“-Plakat).
Gleichberechtigt nebeneinander werden faschistische Flugblätter („Achtung! Rote Hetze! Ewiggestrige Antifaschisten wollen der Nationalen Opposition die Grundrechte rauben!“) und Flugblätter vom Regenbogen („Faschismus ist keine Meinung! Faschismus ist ein Verbrechen!“) gezeigt und damit als gleichermaßen extremistisch vorgeführt. Bis vor kurzem hieß es auf einer Erklärungstafel des Museums: „Proteste Rechtsextremer in Bergedorf. Bergedorf ist zeitweise Schauplatz extremistisch motivierter Proteste.“ Am Schluss formulierte die Museumsleitung: „Die Polizei schreitet ein bei gezielten Aufeinandertreffen von rechten Demonstranten und gewaltbereiten Linken.“ Wer die Nazi-Umtriebe gleichsetzt mit demokratischer Gegenwehr, wer damit die die These vom Links- und Rechtsextremismus vertritt, setzt Täter und Opfer auf eine Stufe. Das war historisch schon immer falsch. Die Gleichsetzung führt politisch in die Irre, auch heute, wie die Causa Thüringen zur Genüge zeigt.
Die APO wird als ein von Kommunisten gesteuerter Klamauk-Verein dargestellt. Zitat: „Die politischen Aktionenen (sic!) der APO überzeugen wenig und beschränken sich auf kommunistisch geprägte Provokationen.“ Es kommt zu einer ganzen Reihe von groben Fehlern. Zur APO werden Organisationen gezählt, die nachweislich nicht dazugehörten, weil sie zum Teil erst später auftraten. Der Schülerprotest in der Luisenschule wird von einer Schülergruppe gut dargestellt und kuratiert. Das Museum stellt aber den Weg von Christa Eckes zur RAF breit dar und rückt den Jugendprotest allgemein in die Nähe des Terrorismus. Vor allem aber wird auch hier nicht erwähnt, welche tatsächlichen politischen und gesellschaftsreformerischen Ziele die APO verfolgte. Dazu gehörten die Proteste gegen den Vietnamkrieg, die Aufarbeitung der Nazi-Vergangenheit ihrer Elterngeneration und das Infragestellen herkömmlicher Familienstrukturen.
Frauenproteste: Teilweise reißerisch (auf einer quer durch den Raum gespannten Leine wurden BHs aufgehängt) und Herausstellung sexistische Berichterstattung von Femen-Protesten (BZ: „Bergedorferin nackt auf dem Altar im Kölner Dom“).
Die Bergedorfer Anti-Atom Bewegung und die Proteste gegen Boehringer (Dioxin) werden ohne die ihnen zugrunde liegenden politischen Anliegen oberflächlich und teilweise falsch dargestellt.
Die Schlosserstürmung wird als unpolitische Aktion dargestellt. Dass es um die Zukunft des Bergedorfer Schlosses und des Museums ging, wird nicht genannt.
Gewerkschaften – missverständliche Traditionslinien, abwertende Kritik
Raum 2 im Erdgeschoss ist u.a. dem 1. Mai gewidmet. Völlig unkommentiert und nicht abgegrenzt wird ein Foto „Bergedorfer Eisenwerk, Werkschar 66, 1. Mai 1938“ (in NS-Uniform und bewaffnet) neben Fotos von 1. Mai- Veranstaltungen im Bergedorfer Rathauspark (1961 und 1967) gezeigt.
Unter der Überschrift „Arbeiterbewegung und Gewerkschaften“ heißt es im 2. Raum oben auf einer offiziellen Texttafel des Museums: „Lohnerhöhungen oder Verkürzung der Arbeitszeiten sind die häufigsten Gründe für Proteste in Deutschland. Arbeitnehmerinteressen vertreten dabei die Gewerkschaften. Nicht gewerkschaftliche Arbeitskämpfe sind illegal.“ Das ist eine recht oberflächliche Darstellung von den Aufgaben/ den „Protesten“ der Gewerkschaften. Speziell in Zeiten von Wirtschaftskrisen und damit verbunden wie gegenwärtig vom Verlust von Arbeitsplätzen, gehen die gewerkschaftlichen Handlungsräume weit darüber hinaus.
Die nächsten Sätze auf der Tafel sind dann auch noch objektiv falsch: „Der Vertretungsanspruch von Gewerkschaften ist heute fraglich. Sie haben zu wenig Frauen, zu wenig junge Menschen und zu wenig qualifizierte Angestellte in ihrer Mitgliedschaft. Freiberufler oder Arbeitsloseninteressen vertreten sie gar nicht.“ Diese Tafel ist eines von vielen Beispielen, wie in der Ausstellung Informationen mit (konservativen) Meinungen vermischt werden.
Es ist der Direktorin der Bergedorfer Museumslandschaft zuzustimmen, wenn sie der BZ sagte, dass ein öffentliches Museum „zu wissenschaftlicher Distanz verpflichtet ist“ (BZ, 19.11.2019). Eine wissenschaftliche Begleitkommission könnte sicherstellen, dass diesem Ziel in Zukunft nähergekommen wird.
Die Bezirksversammlung möge beschließen:
Der Bezirksamtsleiter wird beauftragt, eine wissenschaftliche Begleitkommission zur Unterstützung des Museums für Bergedorf und die Vierlande bei der Planung zukünftiger Ausstellungskonzepte einzuberufen.
Daran sollten teilnehmen:
- Historikerinnen und Historiker, u.a. von der Forschungsstelle für Zeitgeschichte und vom Museum für Hamburgische Geschichte sowie der Gedenkstätte Neuengamme,
- Expertinnen und Experten, die von den demokratischen Parteien in der Bezirksversammlung Bergedorf benannt werden,
- die Museumsleitung,
- das Geschichtskontor,
- der Freundeskreis des Museums,
- der Museumsbeirat,
- der DGB
- und die Kirchen.
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