22-1657

Situation im Sozialpsychiatrischen Dienst Altona - ausgebrannte Fachkräfte und unterversorgte Klientel? Große Anfrage von Patrick Fischer, Silke Hubert und Hanna Schmidt (alle Volt-Fraktion)

Große Anfrage öffentlich

Sachverhalt

Mit der schriftlichen kleinen Anfrage in der Bürgerschaft (Drs. 23/1069) wurde bereits die Situation in den Sozialpsychiatrischen Diensten (SpD) in Hamburg angerissen. Die zuständige Fachbehörde antwortete erwartungsgemäß ausweichend, schilderte geplante Maßnahmen struktureller Art, die langfristig Synergieeffekte erzeugen sollen, von denen man sich dann eines Tages scheinbar eine Entlastung der SpD erhoffe. Die aktuell vorliegende massive Unterbesetzung und häufigen Personalwechsel in diversen Bezirken wurden ausschließlich mit dem allgemeinen Fachkräftemangel begründet.

Ein funktionierender Sozialpsychiatrischer Dienst ist für jeden Bezirk essentiell, damit Menschen in psychischen Krisen kurzfristig niedrigschwellig und kostenlos unterstützt und in adäquate Hilfen vermittelt werden können. Jede:r von uns kann in eine solche Situation geraten, unabhängig von sozioökonomischem Status, Herkunft oder Bildungsstand. Aber auch dramatische Eskalationen, wie zuletzt der Vorfall am Hauptbahnhof, können durch einen gut aufgestellten Sozialpsychiatrischen Dienst eher vermieden werden, da Ressourcen für intensive individuelle Unterstützung vorhanden sind. Eine bedarfsgerechte Versorgung im Bezirk lässt sich jedoch nur mit ausreichend Fachkräften sicherstellen, die für gute Arbeit ein gesundes Arbeitsumfeld benötigen. Hierzu gehören auch Unterstützungsangebote für Fachkräfte wie z.B. Supervision oder andere individuelle Entlastungen je nach Bedarf. Dieses gesunde Arbeitsumfeld ist jedoch im Sozialpsychiatrischen Dienst Altona derzeit nicht gegeben.

Vor diesem Hintergrund fragen wir das Bezirksamt:

Frage 1:

Wie ist der Sozialpsychiatrische Dienst derzeit personell ausgestattet? Bitte jeweils quartalsweise für 2025 (zum 1.1., 1.4., 1.7., 1.10.) angeben, aufgeschlüsselt nach Ist- und Soll-Besetzung sowie nach Berufsgruppen.

Frage 2:

a) Wie viele Personalwechsel gab es innerhalb der letzten 12 Monate in welchen Berufsgruppen?

b) Wie viele weitere Weggänge sind Stand 31.10.2025 für welche Berufsgruppen bekannt (z.B. bereits eingereichte Kündigungen, Eintritte in Rente/Pension)?

c) Wie viele Wochen/Monate vor geplantem Dienstbeginn werden freie Stellen ausgeschrieben und kann in der Regel lückenlos nachbesetzt werden?

d) Wenn nein, mit welcher zeitlichen Verzögerung wurden in den letzten 12 Monaten Stellen besetzt und was waren die Gründer eine verspätete/verzögerte Ausschreibung/Besetzung?

Frage 3:

Der Sozialpsychiatrische Dienst hat während seiner Dienstzeit (Montag-Freitag, 8-16 Uhr) die Aufgabe, die Notwendigkeit einer sofortigen Unterbringung nach § 12 HmbPsychKG zu prüfen und ggf. zu veranlassen. Diese Aufgabe darf nur von Ärztinnen und Ärzten mit Erfahrungen im Bereich der Psychiatrie wahrgenommen werden.

a) Wie viele Ärztinnen und Ärzte mit entsprechenden Erfahrungen sind derzeit im Gesundheitsamt Altona beschäftigt?

b) Wie wird eine Vertretung im Fall des Ausfalls aller im SpD Altona beschäftigten Ärztinnen und Ärzte sichergestellt?

Frage 4:

Sozialpädagogische Fachkräfte haben im Rahmen ihrer Tätigkeit im SpD zahlreiche Aufgaben. Der individuelle Kontakt mit Hilfesuchenden, sowohl im Rahmen von Hausbesuchen im gesamten Bezirk, als auch von persönlichen Gesprächen im Amt und Telefonaten, machen hierbei einen großen Anteil der Arbeit aus. Zusätzlich sind sie im Rahmen der Vernetzung mit Anbietern von Hilfsangeboten, Krankenhäusern, Polizei, Behörden und vielen weiteren Institutionen regelmäßig im Kontakt. Neben all diesen genannten Aufgaben müssen sie in Fällen, wo Menschen Hilfe zur Pflege nach dem siebten Kapitel des SGB XII beantragt haben, bei denen eine psychische Erkrankung bekannt ist, den pflegerischen Bedarf gem. § 63a SGBXII feststellen. In der Regel liegt bei diesen Personen zwar eine psychiatrische Diagnose vor, der Pflegebedarf ist jedoch häufig auf körperliche Einschränkungen zurückzuführen. Das Studium der Sozialpädagogik oder der Sozialen Arbeit enthält regelhaft keinerlei Inhalte zum Thema Pflege, die über die gesetzlichen Grundlagen hinausgehen. Somit nehmen die sozialpädagogischen Fachkräfte hier eine fachfremde Aufgabe wahr, für die sie in der Regel nicht qualifiziert sind.

a) Mit welcher Begründung ist diese Aufgabe beim SpD angesiedelt?

b) Wurde bereits überlegt, diese oder andere, fachfremde Aufgaben einer anderen Stellen zuzuteilen, um den SpD zu entlasten und mehr Zeit für die eigentliche Arbeit einzuräumen?

Frage 5:

Insbesondere in Zeiten von Fachkräftemangel ist das Halten der bereits tätigen Mitarbeitenden essentiell, um personelle Engpässe zu vermeiden und qualitativ gute Arbeit zu gewährleisten. Bei der Arbeit im SpD sind die Fachkräfte regelmäßig mit belastenden Situationen und Schicksalen konfrontiert, bis hin zu extremen Einzelfällen wie der Nachricht über Suizide von Klient:innen oder dem Auffinden von Verstorbenenbei Hausbesuchen.

a) Welche Angebote werden den Beschäftigten im SpD gemacht, um für Entlastung in diesem schwierigen Arbeitsfeld zu sorgen und somit auch die psychische Gesundheit (und Arbeitsfähigkeit) der Mitarbeitenden zu erhalten? Bitte nur Maßnahmen aufführen, die nicht standardmäßig in jeder Ausschreibung der FHH als Benefits zu finden sind.

b) Regelmäßige Supervision gehört im Bereich der Sozialen Arbeit in nahezu allen Bereichen dazu. Sie dient der Entlastung der Fachkräfte und als Reflexionsmöglichkeit der eigenen Tätigkeit und des eigenen Handelns, um gute Arbeit leisten zu können. An wie vielen Terminen hat in diesem Jahr im SpD Altona Supervision stattgefunden? Falls weniger als 1 pro Quartal, bitte die Gründe dafür darlegen.

Frage 6:

Die im Landespsychiatrieplan beschriebenen Gemeindepsychiatrischen Verbünde befinden sich derzeit im Aufbau, in Altona war die Stelle der Psychiatriekoordination bereits ausgeschrieben. Laut Antwort des Senats auf o.g. SKA werden die SpD in die Arbeit der GPV eingebunden.

a) Mit wieviel Mehrarbeit wird hierbei auf Seiten des Bezirksamtes gerechnet und wie soll diese von dem ohnehin schon überlasteten SpD übernommen werden?

b) Ist geplant, eine bessere personelle Ausstattung aufgrund von Mehrarbeit zu fordern?

Frage 7:

Welche anderen Überlegungen gibt es, die aktuell mehr als angespannte Situation im SpD zu beheben und für ein Arbeitsumfeld zu sorgen, in dem Fachkräfte gern und gesund arbeiten?

Das Bezirksamt Altona beantwortet die Fragen wie folgt:

Zu 1:

Siehe hierzu Anlage: Beitrag zu Frage 1 und 6a.

Zu 2.a:

In den letzten 12 Monaten gab es zwei ärztliche Personalabgänge, einen sozialpädagogischen Abgang zusammen mit einem sozialpädagogischen Zugang.

Zu 2.b:

Mit Stand 31.10.2025 war ein Abgang in den Ruhestand bekannt.

Zu 2.c:

Der Zeitpunkt der Ausschreibung variiert naturgemäß in Abhängigkeit vom Grund und Zeitpunkt des Bekanntwerdens der anstehenden- Vakanz. Verwaltungs- und Sozialpädagog:innen-Stellen nnen in der Regel lückenlos nachbesetzt werden, ärztliche Stellen zunehmend mit zeitlichen Lücken.

Zu 2.d:

Je nach Bedarf an Spezialisierung ist auch der Öffentliche Gesundheitsdienst vom Fachkräftemangel betroffen. Besonders im ärztlich-psychiatrischen Bereich sind die Bewerberzahlen überbezirklich in den letzten Jahren rückläufig, sodass wiederholte Ausschreibungen notwendig werden/erfolglos bleiben.

Zu 3.a:

Das Gesundheitsamt Altona beschäftigt derzeit fünf Ärztinnen und Ärzte mit Erfahrungen in der Psychiatrie und/oder im Sozialpsychiatrischen Dienst.

Zu 3.b:

Bei Ausfall aller im Sozialpsychiatrischen Dienst tätigen Ärzt:innen erfolgt die Vertretung durch die ärztliche Abteilungsleitung, des Weiteren durch andere PsychKG-befugte Ärzt:innen des Fachamtes und schließlich durch die ärztliche Fachamtsleitung. Darüber hinaus gibt es eine überbezirkliche Regelung zum Vorgehen, um in notwendigen Konstellationen Amtshilfe zu ersuchen.

Zu 4.a:

Die SGB XII Leistung „Hilfe zur Pflege“ bedarf in der Regel einer Begutachtung, mit der in Hamburg die Fachämter Gesundheit beauftragt werden. Je nach dominierender Diagnose/Beeinträchtigung erfolgt die Begutachtung durch den Amtsärztlichen Gutachtendienst (körperliche/überwiegend körperliche Beeinträchtigung) oder den Sozialpsychiatrischen Dienst (überwiegend seelische/psychiatrische Beeinträchtigung) oder in Zusammenarbeit.

Zu 4.b:

Nein.

Zu 5.a:

Die Themenkomplexe und Klientel des Sozialpsychiatrischen Dienstes sind für alle Beteiligten herausfordernd. Aus diesem Grund ist dies der einzige Arbeitsbereich des Fachamtes Gesundheit, in dem täglich eine 1-stündige Teambesprechung stattfindet, die neben der reinen Fallbesprechung Raum für Kommunikation, Reflektion und Unterstützung unter Kolleginnen und Kollegen bietet. Hinzu kommt die regelmäßige Teambesprechung mit der Abteilungsleitung.

Daneben sind die professionelle, durch neutrale Fachkraft durchgeführte Supervision des Teams und beispielsweise regelmäßige Fortbildung in der Gewalt- und Konfliktprävention zu erwähnen.

Nichtsdestotrotz bleibt die Arbeit im Sozialpsychiatrischen Dienst eine herausfordernde und zugleich gesellschaftlich enorm wertvolle Tätigkeit im Sinne der Betroffenen selbst und des Umfelds, die hohe Anerkennung verdient.

Zu 5.b:

In den letzten 12 Monaten haben drei Termine zur Supervision stattgefunden. Es hat einen Wechsel der supervidierenden Fachkraft und entsprechende Erstsitzungen und anschließender Evaluation mit der Frage stattgefunden, ob eine Zusammenarbeit von beiden Seiten (Supervisor/in und Team) als gewinnbringend eingestuft wird. Auf Grund des gegebenen Ziels und den damit verbundenen persönlichen Anforderungen einer Supervision ist die personelle Passung von besonderer Bedeutung.

Zu 6.a:

Der Aufbau, die Steuerung, Koordinierung und Weiterentwicklung des Gemeindepsychiatrischen Verbundes ist Aufgabe der Psychiatriekoordination.

Der SpD wird mit diesen Aufgaben nicht befasst und fungiert wie alle anderen Mitglieder/Beteiligten als Akteur des Gemeindepsychiatrischen Verbundes, um mit diesem Instrument der Vernetzung und Zusammenarbeit die Versorgung der ohnehin im SpD angebundenen Klient:innen zu verbessern und in der Synergie gar effizientere Lösungen aus den investierten Ressourcen zu entwickeln.

Siehe hierzu auch Anlage: Beitrag Altona zu Frage 1 und 6a.

Zu 6.b;

Nein.

Zu 7:

Siehe Antwort zu Frage 5.

Petitum/Beschluss

Die Bezirksversammlung wird um Kenntnisnahme gebeten.

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