Antrag Die Linke betr. Harburg für Alle! Keine geschlossene Unterbringung in der Kinder- und Jugendhilfe
Trotz langjähriger eindeutiger Positionierung der sozial-pädagogischen Fachwelt gegen den
freiheitsentziehenden Einschluss von Kindern- und Jugendlichen gibt es die geschlossene Unterbringung in der Bundesrepublik Deutschland nach wie vor. Auch Hamburg bringt – trotz der politisch durchgesetzten Schließung der eigenen Einrichtung – weiterhin Kinder- und Jugendliche in
geschlossenen Heimen außerhalb Hamburgs unter.
Aktuelles Politikum ist die Belegung der geschlossenen Einrichtungen der brandenburgischen
Haasenburg GmbH, die durch Todesfälle, Berichte von Jugendlichen über sexuelle Belästigungen,
Körperverletzungen, Misshandlungen, Demütigungen und rassistische Übergriffe, Fixierungsmaßnahmen und „körperliche Begrenzungen“, Isolationen, Knochenbrüche bei „Anti-Aggressionsmaßnahmen“,autoritäre Pädagogik durch Unterordnung und Drill, unzählige Beschwerden von Jugendlichen, unzureichende Qualifizierung des Personals sowie die Flucht mehrerer Insassen in der medialen Öffentlichkeit steht.
Ordnungspolitisch wird das störend-auffällige bis kriminelle Verhalten einzelner Kinder- und Jugendlicher öffentlichkeitswirksam registriert und beklagt. Die politische Forderung nach geschlossener Unterbringung in der Zuständigkeit der Kinder- und Jugendhilfe entlastet Politik und Gesellschaft von ihrer Mitverantwortung für das den herrschenden Ordnungsregeln widersprechende Verhalten von Kindern und Jugendlichen, spielt die Bedeutung gesellschaftlicher Ursachen herunter und unterlässt diesbezügliche Überlegungen und Aktivitäten.
Pädagogisch-psychologisch wird von Befürwortern der Geschlossenen Unterbringung davon
ausgegangen, dass bestimmte Kinder und Jugendliche nur mit freiheitsentziehenden Maßnahmen zur
„Ruhe“ kommen und förderliche Bindungen aufbauen könnten. Es herrscht die Auffassung, man müsse
den Betroffenen „habhaft“ werden durch strikte Verhaltensvorschriften und das „Einüben“ (auch durch
Zwang und Bestrafung) von Regeleinhaltung. So soll die Gewöhnung an eine (fremdbestimmte)
„Ordnung“ angebahnt und die gesellschaftliche „Wiedereingliederung“ erreicht werden – weitab von
Mitwirkung und Einverständnis seitens der betroffenen Kinder und Jugendlichen.
Gefängnisartiger Einschluss eignet sich nicht als entwicklungsfördernde pädagogische Maßnahme.
Geschlossene Unterbringung widerspricht der Leitlinie des „Kindeswohls“ sowie den in § 1 SGB VIII
formulierten Aufgaben der Kinder- und Jugendhilfe. Sie fördert stattdessen Unterordnung,
Unzufriedenheit, Bedrängnis und gesteigerte Aggressivität. Sie ist nicht „kindgerecht“. Allein ihre Existenz als angedrohte Option bzw. als „Endstufe“ des Ensembles der Hilfen zur Erziehung begünstigt bzw. lässt disziplinierende Maßnahmen in „vorgelagerten“ Hilfesettings berechtigt erscheinen, wirkt also auf die Gesamtsituation im Hilfesystem negativ zurück. Deshalb ist die geschlossene Unterbringung abzulehnen, sie gehört verboten.
Selbstverständlich müssen die Folgen der ersatzlosen Abschaffung von geschlossener Unterbringung
ernsthaft bedacht werden – sie können darin bestehen, dass einzelne Kinder und Jugendliche, die sich in besonderer Weise auffällig, hilferesistent und damit (selbst-) zerstörerisch verhalten, trotz intensiver
sozialpädagogischer Bemühungen auf sich gestellt und ohne positiv-haltgebende Bindungen in
ungewisse Lebenslagen geraten oder in ihnen verbleiben, da das persönliche Dilemma von Seiten der
Jugendhilfe nicht aufgelöst werden kann. Damit muss gerechnet werden, obwohl ein solcher Zustand aus gesellschaftlich-moralischer Verantwortung schwer zu ertragen ist. Mit geschlossener Unterbringung ist dieser Tatsache allerdings nicht beizukommen, sie verstärkt i.d.R. das persönliche Dilemma statt echte Hilfe zu gewährleisten und ist somit eher eine „Verlegenheitslösung“, die nur gesellschaftspolitisch die obige Tatsache verschleiert. Die Kinder- und Jugendhilfe sollte sich mit der Herausforderung konfrontieren, für die Betroffenen tatsächlich hilfreiche Hilfe- und Unterstützungsmöglichkeiten zu entwickeln und durchzusetzen.
Für Hamburg ist das Abschieben schwer bzw. nicht erreichbarer Jugendlicher in geschlossene
Einrichtungen anderer Bundesländer offenkundig eine „Verlegenheitslösung“. Durch finanziell
durchgesetzten Erfolgsdruck nach (ordnungs-)politischen statt pädagogischen Kriterien wenden sich
zunehmend die öffentlichen und freien Träger der Kinder- und Jugendhilfe von Konzepten und
Einrichtungen für diejenigen Kinder und Jugendlichen ab, die sich gängigen Verhaltensnormen entziehen.
Zunehmend melden sich ExpertInnen freier Träger der Kinder- und Jugendhilfe, aus Einrichtungen und Hochschulen zu Wort, die statt neuer Konzepte geschlossener Einrichtungen Netzwerke unterschiedlicher Hilfen fordern und hierbei konkrete Angebote vorlegen. Diese basieren auf einer verlässlichen Zusammenarbeit mit Trägern und Einzelpersonen, um mit unterschiedlichen Unterstützungen und Hilfen die Krisensituationen von Familien, Kindern und Jugendlichen im Einzelfall verlässlich zu begleiten und zu meistern.
Diesen Prozess möchte der vorgelegte Antrag befördern und in einem fachlichen Austausch unterstützen.
Die Bezirksversammlung möge beschließen:
1. Im Bezirk Hamburg-Harburg sollen keine Kinder und Jugendlichen geschlossen
untergebracht werden. Das JA Hamburg-Harburg wird keine entsprechenden Empfehlungen nach §71 JGG aussprechen und wird sich nicht an der Suche nach entsprechenden Plätzen
beteiligen. Sollten aus dem Bezirk Harburg Kinder und Jugendliche geschlossen untergebracht sein, so sind sie in anderen Hilfeeinrichtungen unterzubringen.
2. Der Jugendhilfeausschuss wird eingehend das Für und Wider geschlossener Unterbringung
diskutieren, sich hierfür fachkundige Unterstützung einladen (bspw. VertreterInnen des Senats,
VertreterInnen des Aktionsbündnisses gegen GU, WissenschaftlerInnen, ASD-KollegInnen,
Betroffene und Angehörige) und sich zur Aufgabe machen, Alternativen zur geschlossenen
Unterbringung zu entwickeln. Dabei ist von großem Interesse, welche intensivpädagogischen Maßnahmen das Jugendamt Harburg zur Vermeidung geschlossener Unterbringung derzeit vorhält und welche Unterstützungsangebote u.U. fehlen.
3. Der Jugendhilfeausschuss wird in der Region Hamburg-Harburg ein Modell-Projekt zur Vermeidung
geschlossener Unterbringung initiieren. Er orientiert sich hierbei an dem u.a. von Prof. Dr.
Michael Lindenberg und Prof. Dr. Tilmann Lutz (EHH) entwickelten Konzept eines
„Kooperationspools.
Darüberhinaus fordert die Bezirksversammlung Harburg den Senat der Hansestadt Hamburg und den
zuständigen Senator auf:
1. Sich bundesweit politisch für das Verbot von geschlossener Unterbringung durch die Kinder- und
Jugendhilfe einzusetzen.
2. Umgehend alle Hamburger Kinder und Jugendlichen aus geschlossenen Einrichtungen anderer
Bundesländer herauszunehmen und ihnen alternative Hilfeangebote zu machen.
3. Das Bemühen um die Entwicklung von Alternativen zur geschlossenen Unterbringung von
Kindern und Jugendlichen politisch und finanziell zu unterstützen.
Fraktion DIE LINKE
Klaus Lübberstedt Sabine Boeddinghaus Elke Nordbrock
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