Anfrage Neue Liberale betr. Schuldner- und Insolvenzberatung im Bezirk (mit Antwort)
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Seit 2006 bieten nur noch freie Träger Schuldner- und Insolvenzberatung an. Anlässlich der Privatisierung hatte der damalige Senat das Ziel vorgegeben, dass kein Verschuldeter länger als 3 Monate auf eine Erstberatung warten solle. Tatsächlich mussten Menschen mit Schuldenproblemen immer länger auf ein Beratungsgespräch warten. Bis zu 12 Monate betrug bisweilen die Wartezeit. Der damalige Senat hatte Ende 2006 erklärt, die durchschnittliche Wartezeit betrage 6 Monate. Damit war das vorgegebene Ziel in keiner Weise erreicht. Zum 01.07.2008 wurde die Schuldnerberatung neu ausgeschrieben. Die Mittel für die Schuldnerberatung wurden aufgestockt.
Eine solche Aufstockung der Mittel erschien seinerzeit umso nötiger, als trotz günstiger Wirtschafts- und offizieller Arbeitsmarktdaten nach Angaben der Wohlfahrtsverbände und des Statistischen Bundesamtes Armut und Verschuldung weiter zunahmen. Der Trend hin zu Armut und Verschuldung und einer weiteren sozialen Spaltung der Gesellschaft ist bis heute nicht nachhaltig gestoppt.
Vor diesem Hintergrund ist zu fragen, ob die Schuldnerberatung weiter ausgebaut werden sollte und dabei auch in den Teilen Hamburgs anzubieten wäre, wo es bis dato keine ständige Einrichtung einer von der Stadt Hamburg geförderten Schuldnerberatung gibt, wie zum Beispiel im ehemaligen Ortamtsbereich Süderelbe.
Bis zum 31. Juli 2013 war Hamburg seinerzeit vertraglich an die mit den Trägern von Schuldnerberatungsstellen geschlossenen und geltenden Verträge über die Durchführung der Schuldnerberatung in der FHH gebunden. Eine Kündigung der Verträge ist durch die Vertragspartner nicht erfolgt. Die Struktur der Schuldnerberatung einschließlich der Anzahl der Beratungsstellen hat sich - soweit ersichtlich - bis dato nicht geändert.
Bei der Vergabe der Verträge aufgrund der damaligen Ausschreibungen in den Jahren 2008 und 2009 spielte neben anderen Kriterien auch die örtliche und zeitliche Erreichbarkeit der Beratungsstellen eine wichtige Rolle. Seither ist viel Zeit vergangen. Es stellt sich die Frage, ob eine Optimierung bzw. Anpassung der Schuldnerberatung geboten ist.
Wir fragen daher die zuständige Fachbehörde:
1. Existieren über die H. S. I. Schuldner- und Insolvenzberatungsstelle, Martin Leuschel Ring 14, 21073 Hamburg (Verein Hamburger Kinder- und Jugendhilfe) hinaus weitere private Schuldner- und Insolvenzberatungsstelle im Bezirksamtsbereich Harburg bzw. sind für die nahe Zukunft weitere Beratungsstellen vorgesehen?
2. Wie lang sind die durchschnittlichen, maximalen und minimalen Wartezeiten seit 2013 und von welchen Kriterien hängt die Dauer der Wartezeit ab?
3. Welche Tendenzen hinsichtlich Zu- und Abnahme von Fällen lassen sich hinsichtlich Notfall und Kurzberatung und bei Neuanfragen feststellen? (Bitte Zahlen ab 2013 nennen!)
4. Welche Tendenzen lassen sich hinsichtlich Beratungsabbrüchen feststellen (bitte Zahlen ab 2013 nennen!) und welches sind die häufigsten Gründe dafür?
5. Wie hoch ist der Anteil erfolgreich abgeschlossener Fälle seit 2013 (bitte Zahlen nennen) und unter welchen Voraussetzungen könnte dieser Anteil erhöht werden?
6. Welche Tendenzen lassen sich hinsichtlich Verschuldung und Verbraucherinsolvenzen im Bezirksamtsbereich Harburg seit 2013 erkennen? Bitte Zahlen nennen!
7. Wie viele Harburger Haushalte (Bezirkszahlen) sind derzeit verschuldet; wie viele haben seit 2013 Schuldner- und Insolvenzberatung in Anspruch genommen?
8. Wie viele Hamburger Haushalte sind derzeit verschuldet und haben seit 2013 Schuldner- und Insolvenzberatung in Anspruch genommen?
9. Über welchen Zeitraum hinweg ist die FHH rechtlich an die mit den Trägern von Schuldnerberatungsstellen geschlossenen Verträge über die Durchführung der Schuldnerberatung in Hamburg gebunden? Welche Kündigungsfristen sind ggf. vertraglich vorgesehen?
10. Ist in absehbarer Zukunft beabsichtigt ein erneutes Ausschreibungsverfahren für die Schuldnerberatung in Hamburg durchzuführen? Wenn ja, warum? Wenn nein, warum nicht?
11. Sieht die Fachbehörde Bedarfe für einen Ausbau der Schuldnerberatung in Hamburg und speziell im Bezirk Harburg ? Wenn ja, warum? Wenn nein, warum nicht?
12. Teilt die Fachbehörde die Auffassung, dass die Einrichtung zusätzlicher Schuldnerberatungsstellen in sozial besonders benachteiligten Stadtteilen und/oder Sozialräumen unter Bedarfsgesichtspunkten geboten sein kann? Wenn ja, warum? Wenn nein, warum nicht?
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Anfrage der Abgeordneten Kay Wolkau, Barbara Lewy und Isabel Wiest
Harburg, 07.01.2016
Kay Wolkau
Fraktionsvorsitzender
BEZIRKSVERSAMMLUNG HARBURG
Der Vorsitzende
19. Februar 2016
Die Behörde für Arbeit, Soziales, Familie und Integration (BASFI) beantwortet die Anfrage der Neue Liberale-Fraktion (Drs. 20-1212) wie folgt:
Zu 1.:
Im Bezirksamtsbereich Harburg befinden sich keine weiteren Schuldnerberatungsstellen und sind in naher Zukunft auch nicht geplant.
Zu 2.:
Die durchschnittliche Wartezeit bei den öffentlich geförderten Schuldnerberatungsstellen ist wie folgt definiert:
Die Wartezeit beginnt mit der verbindlichen Anmeldung des Schuldners für die Beratung. Die Angaben können persönlich, schriftlich oder fernmündlich übermittelt werden.
Sie endet mit der Aufnahme des persönlichen Erstgesprächs.
Die durchschnittlichen Wartezeiten seit 2013 sind in der folgenden Tabelle dargestellt:
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2013 |
2014 |
2015 |
trägerübergreifende durchschnittliche Wartezeit in Tagen |
95 |
122 |
104 |
minimale durchschnittliche Wartezeit in Tagen |
35 |
33 |
32 |
maximale durchschnittliche Wartezeit in Tagen |
182 |
159 |
121 |
Zu 3.:
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2013 |
2014 |
2015 |
Anzahl der Kurz- und Notfallberatungen |
9.892 |
10.663 |
10.412 |
Zugänge im Jahr |
3.607 |
3.475 |
3.764 |
Die Anzahl der Kurz- und Notfallberatungen ist im Jahr 2014 im Vergleich zum Vorjahr um 7,8 % gestiegen, während die Anzahl der Zugänge zur Schuldner- und Insolvenzberatung um 3,7 % gesunken ist.
Im Jahr 2015 ist die Anzahl der Kurz- und Notfallberatungen im Vergleich zum Vorjahr um 2,4 % gesunken und die Zahl der Neuzugänge um 8,3 % gestiegen.
Zu 4.:
In der nachfolgenden Tabelle sind die hamburgweiten bei den öffentlich geförderten Schuldnerberatungsstellen verzeichneten Beratungsabbrüche dargestellt. Die Anzahl der Beratungsabbrüche sowie die Abbruchsquote sind im Jahr 2014 im Vergleich zum Vorjahr um 1,8 % gestiegen. Im Jahr 2015 waren wiederum weniger Beratungsabbrüche zu verzeichnen (- 0,6 %).
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2013 |
2014 |
2015 |
Anzahl der Beratungsabbrüche |
235 |
290 |
258 |
Abbruchsquote* |
7,3 % |
9,1 % |
8,5 % |
* Abbruchquote = Zugänge insgesamt Anhängige Verfahren zum Beginn des Berichtszeitraumes (Stichtag: 01.01. des Jahres)
Die Gründe für einen Beratungsabbruch werden statistisch nicht erfasst.
Zu 5.:
Erfolgreich abgeschlossene Fälle sind außergerichtliche Einigungen mit allen Gläubigern sowie Fälle, in denen Bescheinigungen über den gescheiterten außergerichtlichen Einigungsversuch ausgestellt werden. Mit der Bescheinigung wird die Eröffnung eines Verbraucherinsolvenzverfahrens beantragt. Am Ende der Wohlverhaltensperiode wird die Restschuldbefreiung erteilt. Beide Abschlüsse stellen deshalb eine abschließende und endgültige Regulierung aller Schulden dar, bei der am Ende des Verfahrens die Entschuldung steht.
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2013 |
2014 |
2015 |
Anzahl der erfolgreich abgeschlossenen Beratungen |
2.567 |
2.646 |
2.743 |
Erfolgsquote** |
73,6 % |
75,3 % |
73,7 % |
**Erfolgsquote = (Anzahl der außergerichtlichen Einigungen + Anzahl der ausgestellten Bescheinigungen) Abgeschlossene Verfahren insgesamt (inkl. Beratungsabbrüche)
Der erfolgreiche Abschluss einer Schuldner- und Insolvenzberatung hängt von individuellen Faktoren des Einzelfalles ab. Aus diesem Grund können keine allgemeingültigen Voraussetzungen benannt werden, mit denen sich der Anteil der erfolgreich abgeschlossenen Fälle erhöhen ließe.
Zu 6. und 7.:
Der Begriff der Verschuldung umfasst sämtliche Verbindlichkeiten, unabhängig von Schuldsumme und finanzieller Belastung. Eine Überschuldung im Sinne des § 19 Abs. 2 Insolvenzordnung liegt vor, wenn das Vermögen des Schuldners die bestehenden Verbindlichkeiten nicht mehr deckt. Gemäß einer Definition des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend gilt ein Privathaushalt als überschuldet, wenn dessen Einkommen über einen längeren Zeitraum nach Abzug der Lebenshaltungskosten trotz Reduzierung seines Lebensstandards nicht zur fristgerechten Schuldentilgung ausreicht.
Die 2012 eingeführte Überschuldungsstatistik erhebt jährlich auf Basis einer freiwilligen Teilnahme der Schuldnerberatungsstellen Daten von Personen, die ihre Zustimmung zur Teilnahme an der Überschuldungsstatistik gegeben haben. Darüber hinaus erlaubt die Überschuldungsstatistik keine Aussagen über die Gesamtzahl der überschuldeten Haushalte und Personen, da einerseits viele Personen die Dienste von Schuldnerberatungsstellen nicht in Anspruch nehmen, obwohl sie überschuldet sind und andererseits nicht alle Beratungsfälle zwangsläufig überschuldet sein müssen. Außerdem ergibt es neben den in der Überschuldungsstatistik erfassten Schuldnerberatungsstellen auch andere Einrichtungen oder Dienstleister, die Beratungen durchführen sowie Bescheinigungen für das Scheitern außergerichtlicher Einigungsversuche ausstellen und danach das Insolvenzverfahren begleiten können (z. B. nicht teilnehmende Schuldnerberatungsstellen oder Rechtsanwälte).
Aus diesem Grund werden im Folgenden ausschließlich die Daten mitgeteilt, die von der Schuldnerberatungsstelle im Bezirk Harburg der BASFI übermittelt wurden:
H.S.I. Schuldnerberatung | |||
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2013 |
2014 |
2015 |
Zugänge insgesamt |
653 |
526 |
666 |
Anhängige Verfahren am Ende des Berichtszeitraums |
1.039 |
1.068 |
1.177 |
Anzahl der Personen auf der Warteliste |
274 |
336 |
303 |
In der folgenden Tabelle werden die vom Statistikamt Nord gemeldeten Daten der Verbraucherinsolvenzstatistik dargestellt:
Verbraucherinsolvenzverfahren im Bezirk Harburg | |||
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2013 |
2014 |
Jan. - Nov. 2015 |
Anzahl der beantragten Verbraucherinsolvenzverfahren |
293 |
244 |
204 |
Die Auswertung des gesamten Jahres 2015 ist zu Zeitpunkt der Berichterstattung noch nicht abgeschlossen.
Die im Bezirk Harburg beantragten Verbraucherinsolvenzverfahren sind tendenziell rückläufig.
Zu 8.:
Unter Hinweis auf die Vorbemerkung zu Frage 6 und 7 werden in der nachfolgenden Tabelle die gemeldeten Daten der öffentlich geförderten Schuldnerberatungsstellen dargestellt:
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2013 |
2014 |
2015 |
Zugänge insgesamt |
3.607 |
3.475 |
3.764 |
Anhängige Verfahren am Ende des Berichtszeitraums |
3.325 |
3.144 |
3.083 |
Anzahl der Personen auf der Warteliste |
2.723 |
1.577 |
1.442 |
Zu 9. bis 12.:
Die Verträge mit den Schuldnerberatungsstellen über die Durchführung der Schuldnerberatung nach § 11 Abs. 5 SGB XII und § 16a Nr. 2 SGB II laufen zum 31.07.2018 aus, einer Kündigung bedarf es nicht. Darüber hinaus besteht für die Freie und Hansestadt Hamburg ein Sonderkündigungsrecht bei Nichteinhalten vertraglicher Pflichten oder wesentlichen Vertragsverletzungen der Schuldnerberatungsstellen sowie im Falle maßgeblicher gesetzlicher Änderungen hinsichtlich der Leistungen der Schuldner- und Insolvenzberatung.
Eine Entscheidung über die Ausgestaltung und den Umfang der zukünftigen Schuldnerberatung ist aufgrund der bis Mitte 2018 laufenden Verträge noch nicht getroffen worden.
gez. Timmann