20-1212

Anfrage Neue Liberale betr. Schuldner- und Insolvenzberatung im Bezirk (mit Antwort)

Anfrage gem. § 27 BezVG

Sachverhalt

 

Seit 2006 bieten nur noch freie Träger Schuldner- und Insolvenzberatung an. Anlässlich der Privatisierung hatte der damalige Senat das Ziel vorgegeben, dass kein Verschuldeter länger als 3 Monate auf eine Erstberatung warten solle. Tatsächlich mussten Menschen mit Schuldenproblemen immer länger auf ein Beratungsgespräch warten. Bis zu 12 Monate betrug bisweilen die Wartezeit. Der damalige Senat hatte Ende 2006 erklärt, die durchschnittliche Wartezeit betrage 6 Monate. Damit war das vorgegebene Ziel in keiner Weise erreicht. Zum 01.07.2008 wurde die Schuldnerberatung neu ausgeschrieben. Die Mittel für die Schuldnerberatung wurden aufgestockt.

 

Eine solche Aufstockung der Mittel erschien seinerzeit umso nötiger, als trotz günstiger Wirtschafts- und offizieller Arbeitsmarktdaten nach Angaben der Wohlfahrtsverbände und des Statistischen Bundesamtes Armut und Verschuldung weiter zunahmen. Der Trend hin zu Armut und Verschuldung und einer weiteren sozialen Spaltung der Gesellschaft ist bis heute nicht nachhaltig gestoppt.

 

Vor diesem Hintergrund ist zu fragen, ob die Schuldnerberatung weiter ausgebaut werden sollte und dabei auch in den Teilen Hamburgs anzubieten wäre, wo es bis dato keine ständige Einrichtung einer von der Stadt Hamburg geförderten Schuldnerberatung gibt, wie zum Beispiel im ehemaligen Ortamtsbereich Süderelbe.

 

Bis zum 31. Juli 2013 war Hamburg seinerzeit vertraglich an die mit den Trägern von Schuldnerberatungsstellen geschlossenen und geltenden Verträge über die Durchführung der Schuldnerberatung in der FHH gebunden. Eine Kündigung der Verträge ist durch die Vertragspartner nicht erfolgt. Die Struktur der Schuldnerberatung einschließlich der Anzahl der Beratungsstellen hat sich - soweit ersichtlich - bis dato nicht geändert.

 

Bei der Vergabe der Verträge aufgrund der damaligen Ausschreibungen in den Jahren 2008 und 2009 spielte neben anderen Kriterien auch die örtliche und zeitliche Erreichbarkeit der Beratungsstellen eine wichtige Rolle. Seither ist viel Zeit vergangen. Es stellt sich die Frage, ob eine Optimierung bzw. Anpassung der Schuldnerberatung geboten ist.

 

Wir fragen daher die zuständige Fachbehörde:

 

1. Existieren über die H. S. I. Schuldner- und Insolvenzberatungsstelle, Martin Leuschel Ring 14, 21073 Hamburg (Verein Hamburger Kinder- und Jugendhilfe) hinaus weitere private Schuldner- und Insolvenzberatungsstelle im Bezirksamtsbereich Harburg bzw. sind für die nahe Zukunft weitere Beratungsstellen vorgesehen?

 

2. Wie lang sind die durchschnittlichen, maximalen und minimalen Wartezeiten seit 2013

und von welchen Kriterien hängt die Dauer der Wartezeit ab?

 

3. Welche Tendenzen hinsichtlich Zu- und Abnahme von Fällen lassen sich hinsichtlich Notfall und Kurzberatung und bei Neuanfragen feststellen? (Bitte Zahlen ab 2013 nennen!)

 

4. Welche Tendenzen lassen sich hinsichtlich Beratungsabbrüchen feststellen (bitte Zahlen

ab 2013 nennen!) und welches sind die häufigsten Gründe dafür?

 

5. Wie hoch ist der Anteil erfolgreich abgeschlossener Fälle seit 2013 (bitte Zahlen nennen)

und unter welchen Voraussetzungen könnte dieser Anteil erhöht werden?

 

6. Welche Tendenzen lassen sich hinsichtlich Verschuldung und Verbraucherinsolvenzen im Bezirksamtsbereich Harburg seit 2013 erkennen? Bitte Zahlen nennen!

 

7. Wie viele Harburger Haushalte (Bezirkszahlen) sind derzeit verschuldet; wie viele haben seit 2013  Schuldner- und Insolvenzberatung in Anspruch genommen?

 

8. Wie viele Hamburger Haushalte sind derzeit verschuldet und haben seit 2013 Schuldner- und Insolvenzberatung in Anspruch genommen?

 

9. Über welchen Zeitraum hinweg ist die FHH rechtlich an die mit den Trägern von Schuldnerberatungsstellen geschlossenen Verträge über die Durchführung der Schuldnerberatung in Hamburg gebunden? Welche Kündigungsfristen sind ggf. vertraglich vorgesehen?

 

10. Ist in absehbarer Zukunft beabsichtigt ein erneutes Ausschreibungsverfahren für die Schuldnerberatung in Hamburg durchzuführen? Wenn ja, warum? Wenn nein, warum  nicht?

 

11. Sieht die Fachbehörde Bedarfe für einen Ausbau der Schuldnerberatung in Hamburg und speziell im Bezirk Harburg ? Wenn ja, warum? Wenn nein, warum nicht?

 

12. Teilt die Fachbehörde die Auffassung, dass die Einrichtung zusätzlicher Schuldnerberatungsstellen in sozial besonders benachteiligten Stadtteilen und/oder Sozialräumen unter Bedarfsgesichtspunkten geboten sein kann? Wenn ja, warum? Wenn nein, warum nicht?

 

 

 

Anfrage der Abgeordneten Kay Wolkau, Barbara Lewy und Isabel Wiest

 

 

Harburg, 07.01.2016

 

Kay Wolkau

Fraktionsvorsitzender

 

 

 

 

 

 

 

 

BEZIRKSVERSAMMLUNG HARBURG                                                       

Der Vorsitzende                                                                                                               

19. Februar 2016

 

 

Die Behörde für Arbeit, Soziales, Familie und Integration (BASFI) beantwortet die Anfrage der Neue Liberale-Fraktion (Drs. 20-1212) wie folgt:

 

Zu 1.:

Im Bezirksamts­bereich Harburg befinden sich keine weiteren Schuldnerberatungsstellen und sind in naher Zukunft auch nicht geplant.

 

Zu 2.:

Die durchschnittliche Wartezeit bei den öffentlich geförderten Schuldnerberatungsstellen ist wie folgt definiert:

Die Wartezeit beginnt mit der verbindlichen Anmeldung des Schuldners für die Beratung. Die Angaben können persönlich, schriftlich oder fernmündlich übermittelt werden.

Sie endet mit der Aufnahme des persönlichen Erstgesprächs.

Die durchschnittlichen Wartezeiten seit 2013 sind in der folgenden Tabelle dargestellt:

 

2013

2014

2015

trägerübergreifende durchschnittliche Wartezeit in Tagen

95

122

104

minimale durchschnittliche Wartezeit in Tagen

35

33

32

maximale durchschnittliche Wartezeit in Tagen

182

159

121

 

 

Zu 3.:

 

 

2013

2014

2015

Anzahl der Kurz- und Notfallberatungen

9.892

10.663

10.412

Zugänge im Jahr

3.607

3.475

3.764

 

Die Anzahl der Kurz- und Notfallberatungen ist im Jahr 2014 im Vergleich zum Vorjahr um 7,8 % gestiegen, während die Anzahl der Zugänge zur Schuldner- und Insolvenzberatung um 3,7 % gesunken ist.

Im Jahr 2015 ist die Anzahl der Kurz- und Notfallberatungen im Vergleich zum Vorjahr um 2,4 % gesunken und die Zahl der Neuzugänge um 8,3 % gestiegen.

 

Zu 4.:

In der nachfolgenden Tabelle sind die hamburgweiten bei den öffentlich geförderten Schuldner­beratungsstellen verzeichneten Beratungsabbrüche dargestellt. Die Anzahl der Beratungs­abbrüche sowie die Abbruchsquote sind im Jahr 2014 im Vergleich zum Vorjahr um 1,8 % gestiegen. Im Jahr 2015 waren wiederum weniger Beratungsabbrüche zu verzeichnen (- 0,6 %).

 

2013

2014

2015

Anzahl der Beratungsabbrüche

235

290

258

Abbruchsquote*

7,3 %

9,1 %

8,5 %

 

* Abbruchquote = Zugänge insgesamt Anhängige Verfahren  zum Beginn des Berichtszeitraumes (Stichtag: 01.01. des Jahres)

 

Die Gründe für einen Beratungsabbruch werden statistisch nicht erfasst.

 

Zu 5.:

Erfolgreich abgeschlossene Fälle sind außergerichtliche Einigungen mit allen Gläubigern sowie Fälle, in denen Bescheinigungen über den gescheiterten außergerichtlichen Einigungsversuch ausgestellt werden. Mit der Bescheinigung wird die Eröffnung eines Verbraucher­insolvenz­verfahrens beantragt. Am Ende der Wohlverhaltensperiode wird die Restschuldbefreiung erteilt. Beide Abschlüsse stellen deshalb eine abschließende und endgültige Regulierung aller Schulden dar, bei der am Ende des Verfahrens die Entschuldung steht.

 

2013

2014

2015

Anzahl der erfolgreich abgeschlossenen Beratungen

2.567

2.646

2.743

Erfolgsquote**

73,6 %

75,3 %

73,7 %

 

**Erfolgsquote = (Anzahl der außergerichtlichen Einigungen + Anzahl der ausgestellten Bescheinigungen) Abgeschlossene Verfahren insgesamt (inkl. Beratungsabbrüche)

 

Der erfolgreiche Abschluss einer Schuldner- und Insolvenzberatung hängt von individuellen Faktoren des Einzelfalles ab. Aus diesem Grund können keine allgemeingültigen Voraus­setzungen benannt werden, mit denen sich der Anteil der erfolgreich abgeschlossenen Fälle erhöhen ließe.

 

Zu 6. und 7.:

Der Begriff der Verschuldung umfasst sämtliche Verbindlichkeiten, unabhängig von Schuldsumme und finanzieller Belastung. Eine Überschuldung im Sinne des § 19 Abs. 2 Insolvenz­­ordnung liegt vor, wenn das Vermögen des Schuldners die bestehenden Verbindlich­keiten nicht mehr deckt. Gemäß einer Definition des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend gilt ein Privathaushalt als überschuldet, wenn dessen Einkommen über einen längeren Zeitraum nach Abzug der Lebenshaltungskosten trotz Reduzierung seines Lebens­standards nicht zur fristgerechten Schuldentilgung ausreicht.

Die 2012 eingeführte Überschuldungsstatistik erhebt jährlich auf Basis einer freiwilligen Teilnahme der Schuldnerberatungsstellen Daten von Personen, die ihre Zustimmung zur Teilnahme an der Überschuldungsstatistik gegeben haben. Darüber hinaus erlaubt die Überschuldungsstatistik keine Aussagen über die Gesamtzahl der überschuldeten Haushalte und Personen, da einerseits viele Personen die Dienste von Schuldnerberatungsstellen nicht in Anspruch nehmen, obwohl sie überschuldet sind und andererseits nicht alle Beratungsfälle zwangsläufig überschuldet sein müssen. Außerdem ergibt es neben den in der Überschuldungsstatistik erfassten Schuldner­bera­tungs­stellen auch andere Einrichtungen oder Dienstleister, die Beratungen durchführen sowie Bescheinigungen für das Scheitern außergerichtlicher Einigungsversuche ausstellen und danach das Insolvenzverfahren begleiten können (z. B. nicht teilnehmende Schuldnerberatungsstellen oder Rechtsanwälte).

Aus diesem Grund werden im Folgenden ausschließlich die Daten mitgeteilt, die von der Schuldner­beratungsstelle im Bezirk Harburg der BASFI übermittelt wurden:

H.S.I. Schuldnerberatung

 

2013

2014

2015

Zugänge insgesamt

653

526

666

Anhängige Verfahren am Ende des Berichtszeitraums

1.039

1.068

1.177

Anzahl der Personen auf der Warteliste

274

336

303

 

In der folgenden Tabelle werden die vom Statistikamt Nord gemeldeten Daten der Verbraucher­insol­venz­statistik dargestellt:

Verbraucherinsolvenzverfahren im Bezirk Harburg

 

2013

2014

Jan. - Nov. 2015

Anzahl der beantragten Verbraucherinsolvenz­verfahren

293

244

204

 

Die Auswertung des gesamten Jahres  2015  ist zu Zeitpunkt der Berichterstattung noch nicht abgeschlossen.

Die im Bezirk Harburg beantragten Verbraucherinsolvenzverfahren sind tendenziell rückläufig.

 

 

Zu 8.:

Unter Hinweis auf die Vorbemerkung zu Frage 6 und 7 werden in der nachfolgenden Tabelle die gemeldeten Daten der öffentlich geförderten Schuldnerberatungsstellen dargestellt:

 

2013

2014

2015

Zugänge insgesamt

3.607

3.475

3.764

Anhängige Verfahren am Ende des Berichtszeitraums

3.325

3.144

3.083

Anzahl der Personen auf der Warteliste

2.723

1.577

1.442

 

 

Zu 9. bis 12.:

Die Verträge mit den Schuldnerberatungsstellen über die Durchführung der Schuldnerberatung nach § 11 Abs. 5 SGB XII und § 16a Nr. 2 SGB II laufen zum 31.07.2018 aus, einer Kündigung bedarf es nicht. Darüber hinaus besteht für die Freie und Hansestadt Hamburg ein Sonderkündi­gungsrecht bei Nichteinhalten vertraglicher Pflichten oder wesentlichen Vertragsverletzungen der Schuldnerberatungsstellen sowie im Falle maßgeblicher gesetzlicher Änderungen hinsichtlich der Leistungen der Schuldner- und Insolvenzberatung.

 

Eine Entscheidung über die Ausgestaltung und den Umfang der zukünftigen Schuldnerberatung ist aufgrund der bis Mitte 2018 laufenden Verträge noch nicht getroffen worden.

 

 

gez. Timmann