20-1134

Anfrage GRÜNE betr. Gesundheitsbezogene Lärmschadenskosten (mit Antwort)

Anfrage gem. § 27 BezVG

Sachverhalt

 

Laut dem Lärmaktionsplan Stufe 2 aus dem Jahr 2013 sind hamburgweit bis zu etwa 50.000 Personen durch Verkehrslärm betroffen, der tags über 70 dB(A) und/ oder nachts über 60 dB(A) liegt. Diese Werte gelten dem Bundesverwaltungsgericht zufolge (z.B. Urteil vom 07.03.2007 - BVerwG 9 C 2.06) für Wohngebiete als enteignungsrechtliche Zumutbarkeitsschwelle, eine Schwelle, deren Überschreitung die zuständigen Behörden in der Regel zum Einschreiten aus Lärmschutzgründen verpflichtet.

Der Bürgerschaftsdrucksache 21/1915 zufolge gelten in Hamburg sogar bereits 65 dB(A) tags und 55 dB(A) nachts als Auslösewerte für die Ergreifung von Lärmminderungsmaßnahmen.

Darüber hinaus hat die Bund/Länder-Arbeitsgemeinschaft für Immissionsschutz (LAI) im Rahmen ihrer Hinweise zur Lärmaktionsplanung aus dem Jahr 2012 (z.B. www.umgebungslaerm.nrw.de/materialien/_hilfen/_laermaktionsplanung_durchfuehrung/LAI-Hinweise_zur_Laermaktionsplanung_2012.pdf) Kosten-Nutzen-Analysen zur Lärmaktionsplanung angeregt. Der AG zufolge verursacht Umgebungslärm oberhalb von Lärmpegeln von LNight = 40 dB(A) in der Nacht oder LDEN = 50 dB(A) am Tag quantifizierbare und jährlich anfallende Lärmschadenskosten, z. B. als Gesundheitskosten und Immobilienwertverluste. Diese Kosten werden i.d.R. nicht vom Lärmverursacher getragen. Die AG nennt diese Kosten „externe Kosten“. Demnach fallen aufgrund des Verkehrslärms an Straßen jährlich z.B. gesundheitsbezogene Lärmschadenskosten pro Anwohner von bis zu 363 Euro an.


Da die entsprechenden und mit dem AG-Hinweisen korrespondierenden Lärm-Belastungsklassen im Lärmaktionsplan genannt sind, kann man die hierdurch entstehenden externen Gesundheitskosten für Hamburg abschätzen.
 

Vor diesem Hintergrund bitten wir die zuständigen Fachbehörden um die Beantwortung folgender Fragen:


1) Wie viele Personen sind hamburgweit  und im Bezirk Harburg von straßenverkehrsbedingten Lärmwerten betroffen, die am Tage über 65 dB(A) und nachts über 55 dB(A) liegen?

2) Wie viele Personen sind hamburgweit und im Bezirk Harburg von straßenverkehrsbedingten Lärmwerten betroffen, die am Tage über 70 dB(A) und nachts über 60 dB(A) liegen?

3) Wie hoch sind die jährlichen gesundheitsbezogenen Lärmschadenskosten hamburgweit und im Bezirk Harburg, wenn diese „externen“ Kosten nach den Hinweisen zur Lärmaktionsplanung der Bund/Länder-Arbeitsgemeinschaft für Immissionsschutz aus dem Jahr 2012 abgeschätzt  werden?

4) In welchem Umfang konnten bisher   gesundheitsbezogene Lärmschäden  durch die Umsetzung von Lärmschutz- bzw. Lärmminderungsmaßnahmen hamburgweit und im Bezirk Harburg verringert werden?

 

5). Der Hamburger Lärmaktionsplan enthält zwölf Pilotprojekte mit Vorschlägen für gezielte Lärmminderungsmaßnahmen. Im Bezirk Harburg wurden für  einen Abschnitt der Winsener Straße und der Moorstraße im Frühjahr 2014 nächtliche Geschwindigkeitsbegrenzungen eingeführt. Welche Auswirkungen haben die Temporeduzierungen in  diesen Straßen auf die Lärmsituation? Welche konkreten Ergebnisse einer validen Evaluation zur Wirksamkeit dieser Geschwindigkeitsbegrenzungen gibt es? Sollte bisher keine Evaluation stattgefunden haben, bitten wir hierzu um eine Begründung.

6) Sind weitere Umsetzungen des Lärmaktionsplanes in Harburg (Reduzierung der Fahrbahnbreite, Einrichtung von Radverkehrsanlagen u.a.) geplant? Wenn ja, wann und welche; wenn nein, warum nicht?

 

Anfrage des Abgeordneten Jürgen Marek, Robert Klein, Britta Herrmann und GRÜNE-Fraktion

 

Harburg, 23.11. 2015.

 

Britta Herrmann

GRÜNE-Fraktionsvorsitzende

f.d.R.

 

 

 

 

BEZIRKSVERSAMMLUNG HARBURG                                                       

Der Vorsitzende                                                                                                               

15. Februar 2016

 

 

Die Behörde für Umwelt und Energie (BUE) beantwortet die Anfrage der GRÜNE-Fraktion (Drs. 20-1134) unter Beteiligung der Behörde für Wirtschaft, Verkehr und Innovation (BWVI) wie folgt:

 

1. Wie viele Personen sind hamburgweit und im Bezirk Harburg von straßenverkehrsbedingten Lärmwerten betroffen, die am Tage über 65 dB(A) und nachts über 55 dB(A) liegen?
 

2. Wie viele Personen sind hamburgweit und im Bezirk Harburg von straßenverkehrsbedingten Lärmwerten betroffen, die am Tage über 70 dB(A) und nachts über 60 dB(A) liegen?

 

Entsprechend den Ergebnissen der Strategischen Lärmkartierung 2012 ergeben sich folgende Betroffenheiten:

 

Lärmindex

Betroffene in Hamburg

Betroffene in Harburg

LDEN > 65 dB(A)

112.500

8.600

LDEN > 70 dB(A)

32.700

4.200

LNight > 55 dB(A)

133.300

9.700

LNight > 60 dB(A)

44.500

4.900

 

 

3. Wie hoch sind die jährlichen gesundheitsbezogenen Lärmschadenskosten hamburgweit und im Bezirk Harburg, wenn diese „externen“ Kosten nach den Hinweisen zur Lärmaktionsplanung der Bund/Länder-Arbeitsgemeinschaft für Immissionsschutz aus dem Jahr 2012 abgeschätzt werden?

 

Bezogen auf Hamburg liegen keine realistisch belastbaren Daten bezüglich verkehrslärmbedingten Gesundheitskosten vor.

Die in den „LAI-Hinweisen zur Lärmaktionsplanung – Aktualisierte Fassung –“ aus dem Jahre 2012 angegebenen sog. „Lärmschadenskosten“ wurden abgeleitet aus der Studie „External Costs of Transport in Europe, Update Study for 2008“, 2011 der CE Delft, Infras, Fraunhofer ISI. Wie in dieser Studie beschrieben, können die dort ermittelten Werte dazu verwendet werden, Umweltauswirkungen beim Vergleich verschiedener Transportsysteme zu quantifizieren. Auch können sie als Basis für die Transportpreisbildung  oder
Kosten-Nutzen-Analyse dienen. Reale geldliche Gegenwerte der Absolutbeträge, die am Markt bei entsprechender Lärmminderung erzielbar wären, können bestenfalls eingeschränkt erwartet werden. Beispielsweise ist es methodisch fragwürdig, wenn die geldlichen Gegenwerte einer Lärmbelästigung anhand einer fiktiven Zahlungsbereitschaft von Betroffenen ermittelt wird. Auch wird in der Studie der Verlust von einem Lebensjahr aufgrund einer Lärmbelastung einem monetären Gegenwert zugeordnet, was ziemlich willkürlich erscheint, da für sich genommen hierfür kaum ein Handelsmarkt bestehen dürfte. Es gibt keinen Anhaltspunkt dafür, dass die in den LAI-Hinweisen angegeben „Lärmschadenskosten“ als Absolutmaßstab auf hamburgische Verhältnisse übertragbar sind.

 

4. In welchem Umfang konnten bisher gesundheitsbezogene Lärmschäden durch die Umsetzung von Lärmschutz- bzw. Lärmminderungsmaßnahmen hamburgweit und im Bezirk Harburg verringert werden?

 

Hierzu wurden keine Untersuchungen durchgeführt.

 

5. Der Hamburger Lärmaktionsplan enthält zwölf Pilotprojekte mit Vorschlägen für gezielte Lärmminderungsmaßnahmen. Im Bezirk Harburg wurden für einen Abschnitt der Winsener Straße und der Moorstraße im Frühjahr 2014 nächtliche Geschwindigkeitsbegrenzungen eingeführt. Welche Auswirkungen haben die Temporeduzierungen in diesen Straßen auf die Lärmsituation? Welche konkreten Ergebnisse einer validen Evaluation zur Wirksamkeit dieser Geschwindigkeitsbegrenzungen gibt es? Sollte bisher keine Evaluation stattgefunden haben, bitten wir hierzu um eine Begründung.

 

Es wurden zwischenzeitlich Messungen an der Harburger Chaussee, Moorstraße und Winsener Straße durchgeführt. In der folgenden Tabelle sind die Ergebnisse aufgeführt.

 


Messort

LAFeq in dB(A)

Anfang 2015, nachts

LAFeq in dB(A)

Ende 2013, nachts

Pegeldifferenz

In dB(A)

(gemessen)

Pegeldifferenz

In dB(A)

(berechnet)

Winsener Straße

67,0 (30 km/h)

68,4 (50 km/h)

-1,4

-2,6

Moorstraße

63,8 (30 km/h)

64,0 (50 km/h)

-0,2

-2,7

Harburger Chaussee

66,3 (30 km/h)

67,9 (50 km/h)

-1,6

-2,7

 

Zur Evaluierung siehe Drs. 21/1207.

Die Untersuchung des Akzeptanzverhaltens ist aufgeteilt in Vorher- und Nachhermessungen der Parameter Verkehrsstärke und Geschwindigkeit. Zudem wurden für die o.g. Straßen auch Lärmmessungen durchgeführt. Die Verkehrsstärke wurde sowohl manuell als auch mit automatischen Zählgeräten, die Verkehrsstärke und Geschwindigkeit erfassen, ermittelt.

Die Vorhermessungen wurden für alle drei Straßen im Herbst 2013 durchgeführt. Im Jahr 2014 erfolgte eine Kurzzeitmessung durch die Behörde für Inneres und Sport im Rahmen der Verkehrssicherheitsarbeit der Polizei. Von April bis Juli  2015 wurden erste Langzeitmessungen des Geschwindigkeitsverhaltens über einen Zeitraum von vier Wochen durchgeführt.

Da die Untersuchungen noch nicht abgeschlossen sind, liegen auch von den vorangegangenen Untersuchungen keine aufbereiteten und geprüften Daten vor.

Das beauftragte Büro wird die Ergebnisse nach erfolgter Prüfung in einem Abschlussbericht zusammenführen.

Erste Auswertungen zeigen jedoch – korrespondierend zu den Lärmmessungen – einen Rückgang der gefahrenen durchschnittlichen Geschwindigkeiten.

 

6. Sind weitere Umsetzungen des Lärmaktionsplanes in Harburg (Reduzierung der Fahrbahnbreite, Einrichtung von Radverkehrsanlagen u.a.) geplant? Wenn ja, wann und welche; wenn nein, warum nicht?

Gemäß dem Programm der lautesten Straßen des Lärmaktionsplans Hamburg 2013 (Stufe 2) werden die folgenden Straßen aus dem Bezirk Harburg auf eine mögliche nächtliche Geschwindigkeitsreduktion überprüft:

 

  • Winsener Straße
  • Moorstraße
  • Eißendorfer Straße
  • Buxtehuder Straße
  • Harburger Schloßstraße

 

Hierbei handelt es sich um eine systematische, wissenschaftliche Evaluierung im Rahmen einer zwischen den betroffenen Behörden und dem ÖPNV abgestimmten Vorgehensweise. Das Prüfverfahren wird voraussichtlich in der ersten Hälfte 2016 abgeschlossen sein.

 

Das Programm der lautesten Straßen sieht ebenfalls den Einsatz lärmmindernder Beläge vor. Der Einbau des SMA 8, welcher eine Lärmminderung von etwa 2-3 dB(A) bewirkt, erfolgt regelhaft bei Durchführung einer Grundinstandsetzung oder einer Umgestaltung/eines Umbaus aus anderen Gründen. Hierbei können dann auch in der Planung mögliche Ansätze zur Lärmminderung durch eine Umgestaltung des Straßenquerschnitts geprüft und ggf. umgesetzt werden.

Von den o.g. Straßen sind  für die Winsener Straße ab  2019 Straßenerhaltungsmaßnahmen und für die Moorstraße ab 2018 Umbaumaßnahmen im Zusammenhang mit  der Veloroute 11 geplant.

 

Eine Umgestaltung von Straßen allein aus Gründen der Lärmminderung ist vor dem Hintergrund der hohen Kosten und der verhältnismäßig geringen lärmreduzierenden Wirkung nicht vorgesehen.

 

 

gez. Schulz