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Straßenbenennung in Hamburg-Nord: Walter-Bärsch-Weg Anfrage gem. §27 BezVG

Anfrage nach § 27 BezVG

Sachverhalt

Mit Straßenbenennungen gedenkt die Stadtgesellschaft der Verdienste bestimmter Persönlichkeiten um das Gemeinwohl. Immer wieder gab es dabei in der Vergangenheit intensive Debatten, ob solche Ehrungen bei NS-belasteten Personen noch zu rechtfertigen sind. So wurden u.a. auf Initiative der GRÜNEN Bezirksfraktion die Konjetznystraße und die Max-Nonne-Stre in Langenhorn umbenannt. Vorangegangen war dieser Debatte eine ebenfalls von der GRÜNEN Bezirksfraktion Hamburg-Nord initiierte Diskussion um die Straßenbenennung und Ehrenbürgerschaft Paul von Hindenburgs. Hindenburg war nicht nur Feldmarschall und Reichspräsident er war auch einer der wesentlichen Wegbereiter Adolf Hitlers und der Nationalsozialisten. Diese Debatte führte dazu, dass leider nur ein kleines, nur durch den Stadtpark gehendes Teilstück der Hindenburgstraße nach Otto Wels benannt wurde. Auch die Bürgerschaft konnte sich nicht dazu entschließen, Hindenburg die Ehrenbürgerschaft zu entziehen. So ist Hindenburg auch weiterhin Ehrenbürger Hamburgs, sein Wirken wird nun lediglich in der Liste der Ehrenbürger kommentiert.

Neue Erkenntnisse über Personen und ihr historisches Wirken sowie eine veränderte Wertehaltung in einer Gesellschaft sollten es ermöglichen, von vermeintlichen Vorbildern Abschied zu nehmen, wenn deutlich wird, dass ihre Biografie einer freiheitlichen, demokratisch-pluralistischen Gesellschaft nicht gerecht wird. So hat dies auch der Senat in der Antwort auf eine Anfrage der GRÜNEN Bezirksfraktion Hamburg-Nord in der Drs. Nr. XX-3198 [1] ausgehrt: Der Senat hat regelmäßig Verkehrsflächen umbenannt, wenn ihm nachweislich die NS-Belastung einer namensgebenden Person bekannt geworden ist und die Benennung in eklatanter Weise die heutigen Wertvorstellungen verletzt.“

Im Bezirk Hamburg-Nord gibt es seit dem Jahr 2000 im Stadtteil Groß Borstel den Walter-Bärsch-Weg. Er geht von der Obenhauptstraße ab. Walter Bärsch war Sonderpädagogikprofessor, Hamburger Oberschulrat und engagierter Gewerkschafter. Er gehörte u.a. auch dem Hauptvorstand der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft an. Er war auch Präsident, später sogar Ehrenpräsident, des Deutschen Kinderschutzbundes.

Veröffentlichungen von Bodo Schümann sowie von Hans-Peter de Lorent haben in der Vergangenheit aber auch ein anderes Bild der Person Walter Bärsch der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. So soll Bärsch 1933 Mitglied der SS geworden sein, in der er 1939 bis zum Untersturmhrer aufstieg. 1934 soll er der NSDAP beigetreten sein und ab 1937 soll er sich als Studenten- bzw. Altherrenführer im Nationalsozialistischen Studentenbund engagiert haben. Diesen Teil seiner Biografie hat Bärsch nach 1945 weder offen eingestanden noch aufgearbeitet. Vielmehr muss davon ausgegangen werden, dass er dies geschickt verheimlichte, vertuschte oder sogar falsche Fährten legte.

Die GRÜNE Bezirksfraktion hat bereits versucht, die nachfolgenden Fragen über das Bezirksamt klären zu lassen. Da dieses aber nicht über alle Informationen verfügt und auch beispielsweise keinen Zugang zu Unterlagen des Staatsarchivs hat, ist vieles weiterhin offen.

Vor diesem Hintergrund fragen wir den Senat:

  1. Wann und durch wen wurde der Beschluss gefasst, nach Walter Bärsch eine Straße zu benennen?
  2. Wie wurde dieser Beschluss begründet?

 

Die Behörde für Kultur und Medien beantwortet die Fragen wie folgt:

Zu 1. und 2.:

Der Senat fasst den Beschluss zur Benennung des Walter-Bärsch-Wegs am 14. Februar 2000. Dem Vorgang ist zu entnehmen, dass der damals neue Verbindungsweg zwischen Alsterkrugchaussee und Obenhauptstraße (Groß Borstel) gewählt wurde, weil im gleichen Ortsteil die Schule Borsteler Chaussee liegt, an der Prof. Dr. Bärsch als Lehrer tätig war.

 

  1. Welche Erkenntnisse über das Wirken Walter Bärschs in der Zeit des Nationalsozialismus liegen dem Senat insgesamt vor?
  2. War Walter Bärsch aktiv (ggf. auch nur Mitglied) in Organisationen der Nationalsozialisten oder Institutionen, die von diesen kontrolliert wurden?

Falls ja, bitte mit der Art der Aktivität, Hinweis auf Mitgliedschaft und eventuelle Funktionen benennen.

 

Zu 3. und 4.:

Die den Senatsbeschluss vorbereitende Behörde hat maßgebliche Informationen der Entnazifizierungsakte von Prof. Dr. Walter Bärsch entnommen. Sie wird vom Staatsarchiv Hamburg verwahrt (Bestand 221-11 Staatskommissar für die Entnazifizierung und Kategorisierung, Nr. Ed 12961) und kann dort eingesehen werden. Danach war Prof. Dr. Bärsch nach eigenen Angaben 1934 von der Hitler-Jugend ohne eigenen Antrag als Anwärter in die NSDAP überwiesen worden. Vom 1. Februar bis 31. Dezember 1934 war er Mitglied der HJ, ferner war er ein Semester im Sommer 1936 lang Mitglied des Nationalsozialistischen Studentenbunds und bekleidete kein Amt. Er gehörte von 1940 bis 1945 der Kriegsmarine als Leutnant an.

 

  1. Durchlief Bärsch nach der Befreiung Deutschlands ein Entnazifizierungsverfahren?

Wenn ja, mit welchem Ausgang? Wenn nein, warum nicht?

 

Zu 5.:

Ja. Das Verfahren endete am 5. April 1949 mit der Einstufung in Kategorie V = Entlasteter. Der zuständige Beratende Ausschuss erkannte keinen Grund, der gegen eine Einstellung in den hamburgischen Schuldienst sprach, und der zuständige Fachausschuss bestätigte Prof. Dr. Bärsch als Lehrer im Volksschulwesen.

 

 

  1. Welche Funktionen hatte Bärsch nach 1945 inne?

 

Zu 6.:

1949 bis 1959 war Prof. Dr. Bärsch Lehrer an der Schule Borsteler Chaussee, 1959 bis 1967 Lehrer und Schulleiter an der Schule für Verhaltensgestörte, 1967 bis 1972 Leiter des hamburgischen schulpsychologischen Dienstes Schülerhilfe. Von 1970 bis 1977 war er Oberschulrat in der Hamburger Schulbehörde, von 1977 bis 1983 Ordentlicher Professor für Problempädagogik im Fachbereich Erziehungswissenschaft, von 1981 bis 1991 Präsident des Deutschen Kinderschutzbundes, 1991 bis 1996 Ehrenpräsident des Deutschen Kinderschutzbundes, 1966 bis 1980 Mitglied des Hauptvorstandes der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, 1980 bis 1996 Vorsitzender der Bundesschiedskommission der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft. Seit den sechziger Jahren war er Synodaler im Kirchenkreis Alt Hamburg, ab 1979 der Nordelbischen Kirche.

 

  1. Welche Erkenntnisse liegen über die nach Bärschs Angaben 1943 erfolgte Promotion an der Prager Karls-Universität im Fach Psychologie vor?

 

Zu 7.:

Hierzu liegen der zuständigen Behörde keine Erkenntnisse vor.

 

  1. Waren zum Zeitpunkt der Beschlussfassung zur Straßenbenennung nach Walter Bärsch dessen Aktivitäten in der Zeit des Nationalsozialismus bekannt?
    1. Wenn ja, weshalb wurde die Straße trotzdem nach ihm benannt?
    2. Wenn nein, wie beurteilt der Senat vor dem Hintergrund des heutigen Kenntnisstandes zur Person Walter Bärsch die Straßenbenennung nach ihm?

 

Zu 8.:

Nein. Nach heutigem Wissensstand wäre die Erstbenennung einer Verkehrsfläche nach Prof. Dr. Bärsch allerdings zweifelhaft.

 

  1. Wie ist der Umgang Walter Bärschs mit seiner eigenen Biografie in der Zeit des Nationalsozialismus nach 1945 zu bewerten?
  2. Angesichts des heutigen Kenntnisstandes über die Person Walter Bärsch:
    1. Ist er als NS-belastete Person zu bewerten?
    2. Verletzt eine Benennung einer Straße nach Walter Bärsch die heutigen Wertvorstellungen (vgl. Drs. Nr. XX-3198)?

 

Zu 9. und 10.:

Die Prüfungen zur Person Prof. Dr. Bärschs sind noch nicht abgeschlossen. Diese finden in einem größeren Zusammenhang mit zahlreichen weiteren Personen statt. Der Senat hat regelmäßig Verkehrsflächen umbenannt, wenn ihm nachweislich die NS-Belastung einer namensgebenden Person bekannt geworden ist und die Benennungen in eklatanter Weise die heutigen Wertvorstellungen verletzen.

 

Bezirksabgeordnete: Michael Werner-Boelz, Ingo Hemesath, Sina Imhof, Dr. Anıl Kaputanoğlu, Timo B. Kranz, Carmen Möller, Christoph Reiffert, Michael Schilf, Tanja Schmedt auf der

nne, Thorsten Schmidt, Carmen Wilckens

 

[1]  sitzungsdienst-hamburg-nord.hamburg.de/bi/vo020.asp?VOLFDNR=1000300

 

Anhänge

Keine