NS-belastete Straßen in Langenhorn: Umbenennungen prüfen Erinnerungskultur pflegen! Interfraktioneller Antrag und der Gruppen Piraten und FDP und des Abgeordneten Kai Debus
In der Sitzung am 08.01.2018 befasste sich der Regionalausschuss Langenhorn-Fuhlsbüttel-Ohlsdorf-Alsterdorf-Groß Borstel unter Top 5.3 mit einer Eingabe eines Bürgers zum Thema NS-belastete Straßennamen (siehe Anlage 1). Über die in der Eingabe nach Theodor Heynemann und Theodor Fahr benannten Straßen hinaus wurde auch über die nach Franz Oehlecker benannte Straße gesprochen. Über die beiden zuerst genannten Ärzte lassen sich zahlreiche Informationen der Eingabe entnehmen.
Franz Oehlecker (1874 – 1957) war ebenfalls Mediziner (Chirurg) und von 1907 – 1914 Oberarzt im AK Eppendorf und von 1914 – 1946 Chefarzt der chirurgischen Abteilung im Allgemeinen Krankenhaus Barmbeck (vgl. http://dgti.de/fileadmin/docs/Franz_Oehleker.pdf). Er unterzeichnete 1933 das Bekenntnis der Professoren an den deutschen Universitäten und Hochschulen zu Adolf Hitler und dem nationalsozialistischen Staat (siehe S. 130 https://archive.org/details/bekenntnisderpro00natiuoft).
In Barmbek verantwortete er u. a. zahlreiche Sterilisationen von Männern. Er forschte zu dem Thema und veröffentlichte 1934 den Aufsatz ‚Zur Unfruchtbarmachung des Mannes’ im Zentralblatt für Chirurgie. Sein Bestreben diente nicht dem Wohle der Patienten, sondern ausschließlich der Umsetzung des ‚Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses’ und dessen Reputation in der Bevölkerung, er befürchtete öffentlichen Druck, wenn Komplikationen der Sterilisation publik würden, sowie den ökonomischen Aspekten der Umsetzung, der hohe Aufwand sollte die Umsetzung weder gefährden noch unnötig in die Länge ziehen (vgl. S. 100 und 41f https://oparu.uni-ulm.de/xmlui/bitstream/handle/123456789/3615/vts_9471_14301.pdf?sequence=1). Daher muss davon ausgegangen werden, dass er nicht nur Mitläufer, sondern von der ‚Rassenhygiene’ überzeugter Täter war. 1940 wurde er zum Oberstabsarzt und 1943 zum Oberfeldarzt ernannt.
Alle drei Namensgeber verletzen in eklatanter Weise die heutigen Wertvorstellungen, was eine Umbenennung laut Stellungnahme der Kulturbehörde aufgrund eines einstimmig beschlossenen Antrages der Fraktionen SPD und Grüne in der Bezirksversammlung Hamburg-Nord, rechtfertigt (siehe Anlage 2).
In der o. g. Sitzung des Regionalausschusses wurden die Petenten mit dem Verweis, dass es das Ergebnisses des 2014 eingeforderten stadtweiten Konzeptes zum Umgang mit Straßenbenennungen nach NS-belasteten Personen bedürfe, auf dessen Fertigstellung vertröstet. Das ist insofern unbefriedigend und nicht zielführend, als dass in Stellungnahme der Kulturbehörde von 2014 steht, „Es ist erforderlich, eine auf den jeweiligen Einzelfall bezogene Abwägungsentscheidung zu treffen. Dabei spielen nähere Umstände wie die Art der Belastung und mögliche Alternativen eine Rolle. Ein über diese Vorgehensweise hinausgehendes ‚Konzept‘ lässt keine besseren Ergebnisse erwarten. Wenn über die Bezirke bzw. aus der Öffentlichkeit ein begründeter Umbenennungswunsch an die zuständige Stelle herangetragen wird oder diese über eigene Erkenntnisse verfügt, wird in jedem Falle eine Entscheidung herbeigeführt“ (siehe Anlage 2). Damit sollte klar sein, dass es kein Konzept geben wird und die bisher gängige Praxis, aus den Bezirken heraus Straßen zur Umbenennung vorzuschlagen, weiterhin empfohlen wird.
In der Vergangenheit hat das gut funktioniert. 2015 einigten sich sowohl Vertreter der Bezirksversammlung als auch des Regionalausschusses auf ein Verfahren, unter Einbindung der Öffentlichkeit einen Umbenennungsprozess anzustoßen. Die von den Fraktionen zur Umbenennung erarbeiteten Kriterien sollen dabei wieder gelten, um ein Gegengewicht zu den bisherigen Namensgebern zu schaffen.
Es soll daher eine Benennung nach einer Person erfolgen, die sich durch ihre antifaschistische
Grundhaltung, ihren Einsatz für die Menschenrechte und ihr Bekenntnis zur Menschenwürde
auszeichnete. Auch soll die so zu würdigende Person einen regionalen Bezug aufweisen (siehe Anlage 3). Damals wie heute gilt die Empfehlung der Kulturbehörde, möglichst Frauen als Namensgeberinnen vorzuschlagen.
Die Debatte über die drei Straßen reiht sich ein in eine Gruppe von einst nach ebenfalls umstrittenen Medizinern benannten und inzwischen mit neuen Namen versehenen oder umgewidmeten Straßen im nördlichen Langenhorn. Die alten und neuen Namen und die Umstände der Benennungen sind ein bemerkenswerter Bestandteil der Geschichte unserer Stadt und unseres Bezirks und bieten sich aufgrund ihrer relativen räumlichen Nähe zu einander für eine im öffentlichen Raum sichtbare Dokumentation (z. B. auf Schautafeln und/oder im Rahmen eines Lehrpfades) zum Thema an. Eine solche Dokumentation könnte einen wichtigen Beitrag zur Erinnerungskultur leisten: Die gleichermaßen tief wie pervertierend in das Fachgebiet Medizin und Ethik hineinreichenden Ausprägungen des Nationalsozialismus könnten ebenso beleuchtet werden wie der in den Folgejahren und -jahrzehnten praktizierte Umgang damit. Auch könnte die Würdigung der neuen Namensgeber/-innen ein Schwerpunkt der Dokumentation sein.
Der Regionalausschuss Langenhorn-Fuhlsbüttel-Ohlsdorf-Alsterdorf-Groß Borstel wünscht sich die Umbenennung der drei folgenden Straßen:
Für die Fraktion der SPD: Thomas Kegat, Jörg Lewin
Für die Fraktion der CDU: Martina Lütjens, Nizar Müller
Für die Fraktion die Grüne: Carmen Wilckens, Timo Kranz
Für die Fraktion DIE LINKE: Karin Haas, Rachid Messaoudi
Für die Gruppe Piraten: Dorle Olszewski, Markus Pöstinger
Für die Gruppe FDP: Ralf Lindenberg, Claus-Joachim Dickow
Kai Debus