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Haltung statt Hindenburg – Widerständlerin Traute Lafrenz ehren, Hindenburgstraße und Hindenburgbrücke umbenennen Gemeinsamer Antrag von GRÜNE-, SPD- und DIE LINKE-Fraktion

gemeinsamer Antrag

Letzte Beratung: 11.04.2024 Bezirksversammlung Ö 6.1

Sachverhalt

 

Die Übertragung einer Ehrenbürgerschaft oder eine Benennung von öffentlichen Flächen wie Straßen, Brücken oder Plätzen nach einer Person bringen die Wertschätzung der Gesellschaft für die Lebensleistung oder für besondere Verdienste der geehrten Person als vorbildlich auch für die Nachwelt zum Ausdruck. Im Lauf der Zeit kann der Blick auf eine Person durch eine veränderte Sicht auf die Vergangenheit und durch neue Erkenntnisse zu ihrem Wirken sich aber so wandeln, dass eine Ehrung der Person nicht länger tragbar ist.

Im Falle Paul von Hindenburgs, der bereits 1917 die Ehrenbürgerschaft der Stadt Hamburg übertragen bekam und nach dem 1926 eine Straße und eine Brücke benannt wurden, ist heute klar, dass er aufgrund seiner Rolle bei der Errichtung des nationalsozialistischen Regimes nicht länger ehrwürdig ist.

Bereits im Jahr 1988 wurde im Bezirk Hamburg-Nord der erste Versuch unternommen, die Hindenburgstraße umzubenennen. Ein von der Bezirksversammlung mehrheitlich beschlossener Antrag wurde seinerzeit ohne nähere inhaltliche Begründung und unter Verweis auf „Gründe historischer Kontinuität“ durch das Senatsamt für Bezirksangelegenheiten abgelehnt. Anfang 2013 wurde einchster Anlauf genommen, um die Aberkennung der Ehrenbürgerwürde und die Umbenennung von Straße und Brücke [1] umzusetzen. Vor 10 Jahren konnte dann die Umbenennung des im Stadtpark gelegenen Teils der Hindenburgstraße nach Otto Wels realisiert werden [2, 3]. Die ebenfalls beschlossene Aberkennung der Ehrenbürgerwürde fand nicht statt. Stattdessen wurde auf Senatsebene eine wissenschaftliche Expertise zu den Hamburgischen Ehrenbürgerwürden allgemein und Hamburgs Umgang mit diesen beauftragt.

Im Lichte der aktuellen Geschehnisse  deutschland- bzw. weltweit ist es wichtig, klar Haltung zu zeigen und Stellung gegen Antisemitismus, Rassismus, Hass, Menschenfeindlichkeit und Nationalismus zu beziehen. Hamburg sollte ein Zeichen setzen und die Ehrung Hindenburgs im Straßenraum endgültig beenden. Statt seiner soll eine Persönlichkeit geehrt werden, die  ebenso wie Otto Wels r das Gegenteil von Nationalismus und Menschenfeindlichkeit steht: Traute Lafrenz.

Traute Lafrenz (geboren am 3. Mai 1919 in Hamburg; gestorben am 6. März 2023 in Charleston County, South Carolina, USA) entspricht diesem Kriterium: Die deutsch-US-amerikanische Ärztin war ab 1942 bis zu ihrer Verhaftung am 15. März 1943 Teil der Widerstandsgruppe Weiße Rose.

Informationen aus der Datenbank „Hamburger Frauenbiografien“

(Zusammenstellung Dr. Rita Bake, [4]):

Ab ihrem 14. Lebensjahr besuchte Taute Lafrenz in Hamburg die Lichtwarkschule (heute: Heinrich-Hertz-Schule), die für ihre reformpädagogische Arbeit bekannt war. Die Nationalsozialisten bezeichneten diese Schule als „das rote Mistbeet von Winterhude.“

Sie gehörte zur Klasse der Lehrerin Erna Stahl (15.2.1900 Hamburg 13.6.1980 Hamburg), die von 1928 bis zu ihrer Strafversetzung 1935 an das Alstertalgymnasium an der Lichtwarkschule unterrichtete und sich mutig gegen die „neuen Kräften“ stellte. Sie las in ihrer Wohnung mit ihren Schülerinnen und Schülern die „verbotene Literatur“.

In Traute Lafrenz Klasse gingen auch Heinz Kucharski und seine Freundin Margaretha Rothe (13.6.1919 Hamburg 15.4.1945 Leipzig), die einen Widerstandskreis bildeten, der nach dem Krieg als Hamburger Zweig der Widerstandgruppe „ Weiße Rose“ bezeichnet wurde.

Nachdem 1937 die Koedukation an der Lichtwarkschule aufgehoben worden war, ging Traute Lafrenz an die Klosterschule zurück, die sie vor ihrem Wechsel an die Lichtwarkschule besucht hatte, um 1938 dort das Abitur zu machen, Danach begann sie mit ihrer Klassenkameradin Margaretha Rothe im Sommersemester 1939 an der Hamburger Universität Medizin zu studieren.

Im Mai 1941 ging Traute Lafrenz an die Universität München und lernte dort Christoph Probst und Hans Scholl kennen. Sie nahm an viele Gesprächen und Diskussionen der Widerstandsgruppe „ Weiße Rose“ teil, an denen auch Sophie Scholl beteiligt war, die ab Mai 1942 ebenfalls in München studierte. Die Freunde trafen sich im kleinen Kreis Gleichgesinnter, darunter auch Willi Graf, Raimund Samüller, Herbert Furtwängler, Alexander Schmorell, Christoph Probst.

Ab Sommer 1942 erschienen Flugblätter, verfasst von Alexander Schmorell und Hans Scholl. Die Inhalte der Flugblätter sollten bei den Deutschen das Bewusstsein über die Unrechtmäßigkeit des NS Regimes und die Grausamkeit des Krieges wecken. Traute Lafrenz, die nicht an der Entwicklung und Herstellung der Flugblätter beteiligt war, sorgte mit für deren Verteilung.

Im November 1942 brachte Traute Lafrenz das dritte Flugblatt der „Weißen Rose“ nach Hamburg und übergab es ihren ehemaligen Schulfreunden aus der Lichtwarkschule (Margarethe Rothe, Heinz Kucharski und Karl Ludwig Schneider). Sie stellte mit ihren Informationen über die Münchner Widerstandsaktivitäten die Verbindung zwischen der Münchner „Weißen Rose“ und den Hamburger Aktivitäten her.

Diese Informationen, die die Hamburger Gruppe durch Traute Lafrenz über die Münchner Gruppe erhielten, hatten einen entscheidenden Einfluss auf die Arbeit und die Motivation des Hamburger Widerstandskreises. Es formierte sich in der Folgezeit der Wille zu einer ernsthaften Organisation, die sich schlagkräftige Ziele setzte und deren Arbeit politisch begründet wurde. Der Hamburger Kreis übernahm die Verteilung der Flugblätter von Hamburg aus auf ganz Norddeutschland. Das 3. Flugblatt der Münchner „Weißen Rose“ rief zum passiven Widerstand auf gegen das NS-Regime und wies darauf hin, „dass ein jeder in der Lage ist, etwas beizutragen zum Sturz dieses Systems“.

Im Winter 1942/43 war Traute Lafrenz wieder in München und versuchte über ihren Onkel einen Vervielfältigungsapparat zu besorgen, was allerdings nicht gelang. Gemeinsam mit Sophie Scholl kaufte sie größere Mengen Papier und Umschläge für die Flugblattherstellung und -versendung.

Nachdem am 18. Februar 1943 Hans und Sophie Scholl beim Auslegen des 6. Flugblattes der Weißen Rose in der Münchner Universität verhaftet worden waren, warnte sie noch andere Mitglieder und beteiligte sich an der Säuberung von Scholls Wohnung von weiteren Beweisen, gegen die Geschwister. Am 15. März 1943 wurde sie ebenfalls verhaftet und in der Folge zu einer zwölfmonatigen Zuchthausstrafe verurteilt. Nach ihrer Entlassung wurde sie erneut verhaftet. Sie kam in das Polizeigefängnis Hamburg-Fuhlsbüttel und geriet über Stationen in Cottbus und Leipzig-Meusdorf schließlich in das Zuchthaus St. Georgen in Bayreuth. Dort wurde sie am 15. April 1945 von amerikanischem Truppen befreit.

Nach Kriegsende nahm Traute Lafrenz das Medizinstudium wieder auf. 1947 zog sie in die USA, schloss ihr Studium ab und heiratete 1949 den Arzt Vernon Page, mit dem sie vier Kinder bekam. Sie arbeitete von 1972 bis 1994 als Leiterin der heilpädagogischen Tagesschule „Esperanza“r Kinder mit geistiger Behinderung. Nach ihrer Pensionierung lebte sie bis zu ihrem Tode mit ihrem Ehemann, der 1995 verstarb, in einem Haus neben dem ihrer Tochter Renee Meyer in South Carolina [5].

2009 wurde Lafrenz in Hamburg die Herbert-Weichmann-Medaille verliehen und 2019 der Bundesverdienstorden 1. Klasse. In der Pressemitteilung zur Verleihung heißt es:

Traute Lafrenz Page gehörte zu den Wenigen, die angesichts der Verbrechen der Nationalsozialisten den Mut hatten, auf die Stimme ihres Gewissens zu hören und sich gegen die Diktatur und den Völkermord an den Juden aufzulehnen. Sie ist eine Heldin der Freiheit und der Menschlichkeit. Die bald Hundertjährige ist ein Vorbild für junge Menschen, sich auch heute für die Demokratie zu engagieren.“

 

Traute Lafrenz und Otto Wels kämpften an verschiedenen Stellen gegen dasselbe menschenverachtende System aus Unterdrückung, Hass und Mord Lafrenz mit Freund*innen im Geheimen, Wels als Abgeordneter im Parlament. Beide stehen damit beispielhaft für mutiges, demokratisches Engagement gegen den Nationalsozialismus.

Nach Otto Wels ist bislang ein Teil der ehemaligen Hindenburgstraße benannt, der im Stadtpark liegt und nur sehr wenige Hausnummern umfasst. Es erscheint daher Wels Bedeutung angemessen, einen weiteren Teil der Hindenburgstraße ihm zu widmen und ihn dadurch zu ehren. Zweckmäßigerweise bietet sich an, die Grenze zwischen der künftigen Otto-Wels-Straße und der Traute-Lafrenz-Straße auf der Grenze von Winterhude und Alsterdorf zu legen, zumal dort auch räumlich die U-Bahn-Brücke eine gut sichtbare Grenze bildet.

Formal kann eine Benennung nach Traute Lafrenz erst zwei Jahre nach ihrem Tod erfolgen. Es ist sinnvoll, die Umbenennung der verbliebenen Hindenburgstraße daher insgesamt erst zu März 2025 vorzunehmen, um Irritationen zu vermeiden. Dies bietet zudem genügend Zeit für die betroffenen Anwohnenden, sich mit der Umbenennung vertraut zu machen.

 

Petitum/Beschluss

 

Vor diesem Hintergrund möge die Bezirksversammlung beschließen:

  1. Die Bezirksversammlung Hamburg-Nord stellt erneut fest, dass Paul von Hindenburg keine Person ist, die in ihrem politischen Wirken in der republikanischen Tradition Hamburgs steht. Die Bezirksversammlung Hamburg-Nord hält eine Ehrung der Person Hindenburgs weiterhin für nicht angemessen.
  2. Der verbliebene Winterhuder Teil der Hindenburgstraße zwischen der Brücke U-Bahn Alsterdorf und dem Stadtpark wird ebenfalls nach Otto Wels benannt.
  3. Die Hindenburgstraße und die Hindenburgbrücke in Alsterdorf bzw. Groß Borstel tragen künftig die Namen Traute-Lafrenz-Straße bzw. Traute-Lafrenz-Brücke.
  4. Die Bezirksversammlung schlägt folgenden Text für die Benennung erläuternder Schilder vor und bittet das Staatsarchiv um Prüfung:

a)      Otto-Wels-Straße
(die Erläuterungen werden auch den bereits vorhandenen Schildern angefügt)

Nach dem SPD-Politiker Otto W., geb. am 15.9.1873 in Berlin, gest. am 16.9.1939 in Paris. Hielt als Fraktionsvorsitzender in der Debatte um das Ermächtigungsgesetz, das die Gewaltenteilung im Nationalsozialismus abschaffte und damit der unbeschränkten Herrschaft der Nationalsozialisten den Weg ebnete, am 23.3.1933 die letzte freie Rede vor dem Reichstag.

b)      Traute-Lafrenz-Straße bzw. Traute-Lafrenz-Brücke

Nach der deutsch-US-amerikanischen Ärztin Traute L., geb. am 3.5.1919 in Hamburg; gest. am 6.3.2023 in Charleston County, South Carolina, USA. Sie war ab 1942 bis zu ihrer Verhaftung am 15. März 1943 Teil der Widerstandsgruppe Weiße Rose und von großer Bedeutung für deren Hamburger Zweig.

  1. Die Umbenennung beider Teile der Hindenburgstraße und der Hindenburgbrücke soll zum zweiten Todestag Traute Lafrenz im März 2025 vollzogen werden.
  2. Die Umschreibung der persönlichen behördlichen Dokumente aller Anwohnenden und der ansässigen Unternehmen erfolgt kostenfrei.
  3. Sobald möglich werden die betroffenen Anwohner*innen und ansässigen Unternehmen über die anstehende Umbenennung und deren Hintergründe informiert. Dabei werden auch Hinweise hinsichtlich zu ändernder Dokumente gegeben und klargestellt, dass die Änderungen für sie kostenfrei sind.

 

r die GRÜNE Fraktion: Timo B. Kranz
r die SPD-Fraktion: Lena Otto

r DIE LINKE-Fraktion Rachid Messaoudi

 

 

 

[1] http://sitzungsdienst-hamburg-nord.hamburg.de/bi/vo020.asp?VOLFDNR=11028

[2] http://sitzungsdienst-hamburg-nord.hamburg.de/bi/vo020.asp?VOLFDNR=11170

[3] http://sitzungsdienst-hamburg-nord.hamburg.de/bi/vo020.asp?VOLFDNR=11180

[4] https://www.hamburg.de/clp/frauenbiografien-suche/clp1/hamburgde/onepage.php?BIOID=4847&qN=lafrenz

[5] https://www.bz-berlin.de/archiv-artikel/traute-lafrenz-99-ist-die-letzte-heldin-der-weissen-rose

 

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