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Habichtstraße: Belastungen reduzieren und Entscheidungsgrundlagen für die Luftreinhalteplanung offenlegen! Antwort der Behörde für Umwelt und Energie

Mitteilungsvorlage vorsitzendes Mitglied

Sachverhalt

 

Der Ausschuss für Umwelt, Verkehr und Verbrauchserschutz hat sich in seiner Sitzung am 21.11.2017 mit o.g. Thematik auf der Grundlage eines gemeinsamen Antrages der SPD- und GRÜNE-Fraktion befasst und folgende Beschlussempfehlung verabschiedet:

 

Punkte 1-6 (einstimmig beschlossen):

  1. Die zuständigen Behörden werden aufgefordert, dem zuständigen Regionalausschuss die Abwägungsmaterialien und Erläuterungen zur Verfügung zu stellen, die zum Ergebnis geführt haben, dass eine Verlagerung von Kfz-Verkehr von der Habichtstraße im Bereich der Grenzwertüberschreitungen unverhältnismäßig sei.  Insbesondere ist zu belegen, inwiefern die Belastung von Schülerinnen und Schülern sowie Seniorinnen und Senioren in unmittelbarere Nachbarschaft in die Abwägung einbezogen wurden.
  2. Dem Regionalausschuss wird auch dargelegt, inwiefern durch eine Verlagerung von Kfz-Verkehren die Belastung mit NOx an anderen Straßen steigen oder sogar Grenzwerte überschritten würden.
  3. Dem Regionalausschuss wird eine detaillierte Analyse der bei einer Verlagerung von Kfz-Verkehren zu erwartenden Verkehrsströme mit belastbaren Zahlen dargelegt.
  4. Dem Umwelt- und Verkehrsausschuss möge der aktuelle Sachstand des aus Bundesmitteln geförderten Projekts „Bau nie ohne! Urbanes Grün in allen Dimensionen“ zur Erstellung einer Fassadenbegrünungsstrategie durch eine/n Fachreferenten/in vorgestellt werden.
  5. In die Fassadenbegrünungsstrategie soll die Minderung von Immissionen durch Dach- und Fassadenbegrünung aufgenommen werden.
  6. Die Habichtstraße soll als Pilotprojekt zur Umsetzung einer Fassadenbegrünungsstrategie im Bestand Priorität bekommen.

 

Punkte 7 und 8 (mehrheitlich beschlossen bei Gegenstimmen der CDU):

 

     7.Zur zügigen Verbesserung der Lebensbedingungen durch Lärmschutz in der Nacht wird an der Habichtstraße zwischen Tieloh und Lämmersieth in der Zeit von 22 bis 6 Uhr Tempo 30 eingeführt und die Einhaltung dieses Gebots entsprechend überwacht.

      8.Im Bereich der Schule Tieloh soll Tempo 30 unter Nutzung der Regelungen der jüngst geänderten Straßenverkehrsordnung zudem auch tagsüber gelten. Das macht auch den Fußgänger-Übergang in Höhe der U-Bahnhaltstelle Habichtstraße sicherer.

 

Begründung:

 

Als erstes Bundesland hat Hamburg einen umfassenden und akribisch berechneten Luftreinhalteplan (LRP) erlassen. Ziel des Plans ist die Reduzierung der gesundheitsschädlichen Emissionen in der Stadt, die vielzählige Ursachen haben. Während das Engagement für bessere Luft an sich ausdrücklich zu begrüßen ist, zeigen sich an einigen Stellen Defizite in dem vorgelegten Plan. Ein nicht unerheblicher Faktor ist der Pkw-Verkehr in Hamburg. Nach Angaben der Behörde für Wirtschaft, Verkehr und Innovation (BWVI) waren im Jahr 2014 an rund 41 km Straße mehr als 41.000 Menschen in Hamburg schädlichen NOx-Emissionen ausgesetzt. Bis 2020 soll sich durch die Maßnahmen des LRP die Zahl der Betroffenen auf 4.675 Menschen reduzieren. Weitere Verbesserungen können nach den Angaben der BWVI nur durch die zu erwartende sogenannte Flottenerneuerung – also den statistisch angenommenen Austausch von Alt- zu Neuwagen – erreicht werden. Bereits 2015 wurde die Stadt wegen ihrer anhaltenden Grenzwertüberschreitungen der Luftreinheit rechtskräftig verurteilt.

Die Habichtstraße in Barmbek-Nord ist bundesweit eine der am schwersten mit dem Schadstoff NOx belastete Straße Deutschlands. Täglich nutzen durchschnittlich 46.000 motorisierte Fahrzeuge die Straße, die Teil des Ring 2 ist. Der Jahresgrenzwert für Stickoxide wird seit langem immer wieder überschritten. Auch nach Vollzug aller Maßnahmen zur Luftreinhaltung lauf LRP werden an der Habichtstraße 2020 noch 461 Menschen gesundheitsschädlichen Emissionen ausgesetzt sein.

Die einzige wirksame Maßnahme zur schnelleren Reduzierung der NOx-Belastung wäre ein Verbot von dieselbetriebenen Fahrzeugen in der Habichtstraße. Nach den Ausführungen der BWVI sei die Verlagerung dieses Verkehrs aber nicht verhältnismäßig. Sie hätte zwar keine rechtswidrige Grenzwertüberschreitung an anderer Stelle zur Folge, die Abwägung zwischen den gesundheitlichen Belastungen und dem Eingriff in den Kfz-Verkehr habe aber ergeben, dass die Gesundheitsbeeinträchtigung nachrangig sei. Welche Überlegungen diesem Ausgang der Verhältnismäßigkeitsprüfung einer Verlagerung des Dieselverkehrs zugrunde gelegt wurden, konnte dem Ausschuss nicht abschließend erläutert werden.

An der Habichtstraße wohnen jedoch nicht nur viele Menschen. Unmittelbar an den höchstbelasteten Straßenabschnitten befinden sich an der Straße eine Schule, eine Seniorenwohnanlage und die Zentrale einer Krankenkasse mit vielen hundert Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Auch diese Bevölkerungsgruppen sind täglich – vor allem aber zu den Stoßzeiten – den gesundheitsschädlichen Emissionen ausgesetzt. Inwieweit die Belastung der Schülerinnen und Schüler der Schule Tieloh sowie der gesundheitlich vermutlich stärker gefährdeten Seniorinnen und Senioren in die Abwägung eingeflossen ist, wurde nicht erläutert.

Angesichts der noch jahrelangen Belastung der Anwohnerinnen und Anwohner an der Habichtstraße müssen zügig auch andere Belastungen reduziert werden. Neben den Luftschadstoffimmissionen sind die Menschen entlang der Straße erheblichen Lärmemissionen ausgesetzt, die insbesondere in der Nacht eine erhebliche Belastung darstellen. Eine Begrenzung der Geschwindigkeit in der Nacht reduziert zwar nicht zwingend die Schadstoff-, aber zumindest die Lärmemissionen. Vor diesem Hintergrund sollte zügig eine Temporeduzierung in der Nacht zwischen 22 und 6 Uhr eingerichtet werden.

Auch Maßnahmen zur Verbesserung des Mikroklimas sind denkbar. Hamburg hat sich verpflichtet, in den nächsten drei Jahren mit dem Modellvorhaben „Bau nie ohne! Urbanes Grün in allen Dimensionen" eine Strategie zur Fassadenbegrünung erarbeiten. Hierfür wurde der Stadt ein Förderbescheid über rund 158.000 Euro vom Bund überreicht. Die Fassadenbegrünung hat da Potenzial, für Hamburg einen positiven Beitrag für ein besseres Stadtklima und einen Beitrag für ein gesünderes Umfeld für Hamburgerinnen und Hamburger zu bewirken. Aktuell soll in der Umweltbehörde mit den Bundesmitteln eine Strategie zur Fassadenbegrünung erarbeitet werden. Als Kompensation für die anhaltend stark genutzte Habichtstraße könnten Maßnahmen zur Dach- und Fassadenbegrünung eine Verbesserung der Lebensumstände der Anwohnerinnen und Anwohner und Schülerinnen und Schüler bedeuten.

 

Der Hauptausschuss folgt der Beschlussempfehlung.

 

Die Behörde für Umwelt und Energie (BUE) nimmt unter Beteiligung der Behörde für Wirtschaft, Verkehr und Innovation (zu den Punkten 1, 3, 7) und der Behörde für Inneres und Sport (zu Punkt 8) wie folgt Stellung:

 

Zu 1.:

Das Abwägungsergebnis zu einer möglichen Diesel-Durchfahrtsbeschränkung an der Habicht-straße ist in der aktuellen Fortschreibung des Hamburgischen Luftreinhalteplans veröffentlicht. Die Abwägung erfolgte in einer ganzheitlichen Betrachtung und bezieht u. a. Betroffene, das NO2-Immissionsniveau sowie das umgebende Straßennetz mit den dort real vorhandenen Verkehrs-Qualitäten und Knotenkapazitäten ein. Eine Differenzierung einzelner Personengruppen wie Schülerinnen und Schüler sowie Seniorinnen und Senioren wurde nicht vorgenommen.

 

Zu 2.:

Für den Bereich der Habichtstraße wurden lokale Einzelmaßnahmen wie Diesel-Durchfahrts­beschränkung, Lkw-Durchfahrtsbeschränkung, Pkw/Lkw-Drosselung für das Prognosejahr 2020 geprüft. Je nach geprüfter Maßnahme zeigen die Modellergebnisse, dass es durch die Verlagerung von Kfz-Verkehren zu einer zum Teil deutlichen Mehrbelastung (bis zu 7 µg/m³) an anderen Straßenabschnitten kommen würde. Zu einer Überschreitung des NO2-Jahres­mittel­grenz­werts würde es dabei jedoch nicht kommen.

Die Ergebnisse der Modellierung sind in der 2. Fortschreibung des Luftreinhalteplans (siehe:  http://www.hamburg.de/contentblob/9024022/7dde37bb04244521442fab91910fa39c/data/d-lrp-2017.pdf) sowie im Transparenzportal (siehe http://suche.transparenz.hamburg.de/dataset/immissionsberechnung-luftreinhalteplan2)

veröffentlicht.

 

Zu 3.:

Die Abschätzung möglicher Verkehrsverlagerungen wurde mit einem gesamtstädtischen makroskopischen Verkehrsmodell vorgenommen. Erläuterungen zu dem eingesetzten Verkehrsmodell sind als Gesamtdokumentation im Internet veröffentlicht (siehe http://suche.transparenz.hamburg.de/dataset/2-fortschreibung-luftreinhalteplan-gesamtdokumentation-der-verkehrsmodellberechnungen). In dieser Dokumentation sind auch die voraussichtlichen Belastungsänderungen infolge einer Diesel-Durchfahrts­beschrän­kung an der Habichtstraße dargestellt.

 

Zu 4.:

Ende Juli 2017 wurde der Behörde für Umwelt und Energie der Zuschlag für das Förderprojekt des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (BMUB) „Bau nie ohne! Urbanes Grün in allen Dimensionen“ erteilt. Kern des Vorhabens sind die Entwicklung einer Fassadenbegrünungsstrategie und Maßnahmen zu ihrer Umsetzung sowie die Weiterentwicklung und Verstetigung der Hamburger Gründachstrategie. Um die Aufgabe der Entwicklung einer Fassadenbegrünungsstrategie wahrnehmen zu können, werden bei der BUE die Arbeitsressourcen bis 2020 verstärkt. Ein entsprechendes Stellenbesetzungsverfahren (finanziert durch die Bundesmittel) läuft, die befristete Einstellung erfolgt zum 1. Februar 2018.

 

Zu 5.:

Im Folgenden werden Auszüge aus dem Förderantrag wiedergegeben, die aufzeigen, dass der unter Pkt. 5 dargestellte Wunsch im Antrag enthalten ist:

„Grüne Fassaden und Dachgärten schaffen eine gesundheitsfördernde Wohn-, Lebens- und Arbeitsumgebung in allen sozialen Lagen. Die akustische Gestaltung des öffentlichen Raums durch Begrünung bietet Potenzial und ist aufzubereiten. (…..) Allein der Umfang von direkt begrünbaren Bestandsflächen wie ungenutzte Brandwände, fensterlose Wandscheiben, Gewerbe- und Verkehrsbauten und Stützmauern übersteigt die für Stadtgrün verfügbare Bodenfläche um ein Vielfaches. Fassadenbegrünungen sind praktisch ohne zusätzlichen städtischen Bodenverbrauch realisierbar. (….) Bei der Schaffung von Fassadengrün und nutzbaren Gründächern, z.B. Dachgärten oder Parkanlagen, sind zahlreiche Vorgaben zu beachten, die die Realisierung erschweren. Beispiele dafür sind die Abstandsflächenregelung, Regeln zur Absturzsicherung, Lärmschutzvorgaben, Regeln zum Brandschutz, wie die Einrichtung von Fluchtwegen oder zur Brandlast bei der Trockenmasse der Begrünung, Aufnahme der energetischen Wirkung in die Berechnung zum Gebäude-Energiepass.

Es soll auf die Klärung von Fragen des Lärmschutzes und der Lufthygiene hingewirkt werden: Welche Möglichkeiten bestehen, Dach- und Fassadenbegrünung als anerkannte Maßnahme im Sinne der Verbesserung der Luftqualität und des Lärmschutzes in die Bauleitplanung aufzunehmen? Welche Untersuchungen und Grundlagen sind erforderlich, um Bauwerksbegrünung als Lärmschutz– oder Lufthygienemaßnahme in die Bauleitplanung aufnehmen zu können?“

 

Zu 6.:

Vom Fördermittelgeber BMUB wurde ein bauliches Pilotprojekt im Bestand (Desy Forschungscampus) bewilligt. Für weitere Pilotprojekte liegen derzeit keine Finanzierungsmittel vor.

(vgl. Anlage: 1. Zwischenbericht zum Förderprojekt „Bau nie ohne! Urbanes Grün in allen Dimensionen“ erstellt von der BUE/Amt für Naturschutz, Grünplanung und Energie).

 

Zu 7.:

Der Straßenzug Habichtstraße/Nordschleswiger Straße wurde im Rahmen des Programms der lautesten Straßen des Lärmaktionsplans auf eine mögliche nächtliche Geschwindig­keitsreduktion überprüft.

Im Ergebnis kann der Abschnitt zwischen Eulenkamp und Alter Teichweg aufgrund der negativen Auswirkungen auf den Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) von der hier zuständigen Fachbehörde nicht für eine nächtliche Tempo-30-Regelung aus Gründen des Lärmschutzes empfohlen werden.

Der Abschnitt zwischen Alter Teichweg und Habichtplatz ist zwar grundsätzlich für eine Tempo-30-Regelung in der Nacht geeignet, allerdings ist dieser aufgrund der geringeren Betroffenenzahlen im Vergleich zu anderen Strecken nicht in den weiteren zehn Pilotstraßen enthalten.

 

Zu 8.:

Bei der Habichtstraße handelt es sich um eine mehrspurige Hauptverkehrsstraße mit hoher verkehrlicher Bedeutung. Der aufgeführte Straßenzug wird in Funktion als Sammelstraße gewertet. Die durchschnittliche tägliche Verkehrsstärke an Werktagen ist im Bereich des nahegelegenen Knotens der Bramfelder Chaussee mit 48.000 Fahrzeugen mit einem Schwerlastanteil von 6 % (Daten 2015) angegeben. Die Habichtstraße wird im Bereich der Schule Tieloh von der Schnellbuslinie 39 frequentiert.

Verkehrszeichen und Verkehrseinrichtungen sind gemäß § 45 Absatz 9 der Straßenverkehrs­Ordnung (StVO) nur dort anzuordnen, wo dies auf Grund der besonderen Umstände zwingend erforderlich ist. Insbesondere Beschränkungen und Verbote des fließenden Verkehrs dürfen nur angeordnet werden, wenn aufgrund der besonderen örtlichen Verhältnisse eine Gefahrenlage besteht, die das allgemeine Risiko einer Beeinträchtigung der in den vorstehenden Absätzen genannten Rechtsgüter erheblich übersteigt.

Eine aktuelle Unfallauswertung zur in Rede stehenden Fußgängerlichtsignalanlage an der Habichtstraße hat ergeben, dass dort seit dem Jahr 2006 kein Verkehrsunfall mit Fußgängerbeteiligung polizeilich registriert wurde. Daher lässt sich eine Gefahrenlage nach dieser Bestimmung nicht begründen.

Die zuständige Fachbehörde erarbeitet aber derzeit behördenübergreifend die Grundlagen für eine Fortschreibung der bestehenden Fachanweisung und einheitliche Handhabung für eine Neuregelung zur Anordnung von Tempo-30-Strecken vor Schulen hinsichtlich des § 45 Absatz 9 Satz 4 Ziffer 6 StVO. Hierbei soll an die seit 1994 in Hamburg bewährte Praxis und an Kriterien angeknüpft sowie auf weitere Bereiche im Sinne der StVO-Novelle ausgedehnt werden. Die Umsetzung soll zudem den vielfältigen Herausforderungen in Bezug auf die Verkehrssicherheit und die verkehrlichen Grundfunktionen in einer Millionenmetropole wie Hamburg gleichermaßen Rechnung tragen.

Die Schule Tieloh ist postalisch bereits in einer Tempo-30-Zone gelegen. Bei Vorliegen der Fachanweisung erfolgt eine Prüfung hinsichtlich der dann festgelegten Kriterien auf Umsetzung einer Tempo-30-Strecke auch auf der Habichtstraße.

 

 

Petitum/Beschluss

 

Um Kenntnisnahme wird gebeten.

 

 

Dagmar Wiedemann

 

Anhänge

 

FHH/BUE/NGE. Bau nie ohne! Grün in allen Dimensionen. 1. Zwischenbericht. 15.11.2017