21-4734

Rechtliche Prüfung zur kostenpflichtigen Entfernung der Fahrräder auf der Muharrem-Acar-Brücke

Mitteilung öffentlich

Sachverhalt

 

A. Sachverhalt

 

Der Regionalausschuss Wilhelmsburg/Veddel hat in seiner Sitzung am 16.Oktober 2018 den folgenden interfraktionellen Antrag der SPD, CDU, GRÜNEN und Linken beschlossen:

„Die Verwaltung wird um rechtliche Prüfung gebeten, ob und wie illegal abgestellte und abgeschlossene Fahrräder auf der Muharrem-Acar-Brücke konsequent und kostenpflichtig entfernt und wieder ordnungsgemäße Zustände hergestellt werden können“

Hintergrund des Beschlusses ist, dass an den Handläufen der Muharrem-Acar-Brücke am S-Bahnhof Wilhelmsburg tagsüber von Pendlerinnen und Pendlern Fahrräder angeschlossen werden und die für sehbehinderte und ältere Menschen vorgesehenen Handläufe dadurch nicht mehr benutzt werden können.

Das Rechtsamt wurde um Abgabe einer fundierten Stellungnahme gebeten. Beleuchtet werden soll, ob das Anschließen der Fahrräder eine Ordnungswidrigkeit darstellt, eine Entfernung, Einlagerung und ggf. anschließende Versteigerung der Fahrräder zulässig ist und ob angefallene Kosten in Rechnung gestellt werden können.

 

B. Rechtliche Ausführungen

 

I. Ordnungswidrigkeit

Zunächst wird ausgeführt, ob das Abstellen der Fahrräder eine Ordnungswidrigkeit darstellt.

 

1. HWG (Hamburgisches Wegegesetz)

Nach §72 Abs. 1 Nr. 2 HWG handelt ordnungswidrig, wer einen öffentlichen Weg über den Gemeingebrauch hinaus ohne die erforderliche Erlaubnis benutzt. Zwar handelt es sich bei der Muharrem-Acar-Brücke um eine öffentliche Fläche, denn sie ist 2014 für den öffentlichen Fußgängerverkehr gewidmet worden. Das Parken eines Fahrrades stellt nach einhelliger Rechtsprechung jedoch keine Sondernutzung, sondern einen erlaubnisfreien Gemeingebrauch dar[1]. Nach §19 Abs. 1 HWG bedarf die Sondernutzung der Erlaubnis der Wegeaufsichtsbehörde. Jede Benutzung der öffentlichen Wege, die ihren Gebrauch durch andere dauernd ausschließt oder in den Wegekörper eingreift oder über die Teilnahme am allgemeinen öffentlichen Verkehr (Gemeingebrauch) oder den Anliegergebrauch hinausgeht, ist Sondernutzung. Im Rahmen der Widmung ist Parken und Halten Gemeingebrauch (vgl. § 16 HWG) an öffentlichen Straßen und grundsätzlich überall erlaubt und nur durch die Beachtung der Halt- und Parkregeln der StVO eingeschränkt.[2] Da das Abstellen der Fahrräder damit keine Sondernutzung darstellt, bedarf es keiner Erlaubnis und stellt keine Ordnungswidrigkeit im Sinne des Wegerechtes dar.

 

2. StVO (Straßenverkehrsordnung)

 

In Betracht kommt eine Ordnungswidrigkeit nach der StVO.

 

a) §12 StVO

Nach §49 Abs. 1 Nr. 12 StVO handelt ordnungswidrig, wer vorsätzlich oder fahrlässig gegen eine Vorschrift über das Halten oder Parken nach § 12 StVO verstößt. In §12 StVO ist geregelt, in welchen Bereichen das Halten und Parken verboten ist. Diese Vorschrift erfasst jedoch nicht das Abstellen von Fahrrädern auf Gehwegflächen. Es handelt sich beim Abstellen von Fahrrädern auf Gehwegen oder anderen dem Fußgängerverkehr vorbehaltenen öffentlichen Verkehrsflächen um eine straßenverkehrrechtlich grundsätzlich zugelassene Nutzung.[3] In diesem Zusammenhang wird darauf hingewiesen, dass auch das Aufstellen von Verbotsschildern (z.B. „Halteverbotszone“ oder „Fußgängerbereich“) in diesem Bereich kein geeignetes Mittel darstellen würde, um den rechtlichen Rahmen für anschließende Vollstreckungsmaßnahmen zu schaffen. Das hat die Rechtsprechung bereits entschieden[4].

 

b) §1 Abs. 2 StVO

Nach §49 Abs. 1 Nr. 1 StVO handelt ordnungswidrig, wer vorsätzlich oder fahrlässig gegen eine Vorschrift über das allgemeine Verhalten im Straßenverkehr nach §1 Abs. 2 StVO verstößt. Danach hat sich jeder, der am Verkehr teilnimmt, so zu verhalten, dass kein anderer geschädigt, gefährdet oder, mehr als nach den Umständen unvermeidbar, behindert oder belästigt wird. Dabei ist zu berücksichtigen, dass derartige Regelungen ein verkehrsgerechtes Miteinander aller Verkehrsteilnehmer auf den öffentlichen Straßen durchsetzen und damit der Verkehrssicherheit dienen sollen. Deshalb sind alle Umstände des Einzelfalles zu bewerten, wenn auf die Grundregel des § 1 Abs. 2 StVO zurückgegriffen werden soll.

Eine Behinderung in diesem straßenverkehrsrechtlichen Sinn wird angenommen, „wenn durch das Verhalten des Verkehrsteilnehmers ein fremdes, beabsichtigtes Verhalten eines Anderen einigermaßen nachhaltig beeinträchtigt oder verhindert wird“. Auch eine Belästigung anderer ist – soweit vermeidbar – untersagt, doch ist Voraussetzung, dass die Beeinträchtigung nach Art und Maß das Verkehrsbedürfnis übersteigt und als störend empfunden wird; auch insoweit ist eine gewisse Nachhaltigkeit der Beeinträchtigung gefordert. Die Nachhaltigkeit einer Beeinträchtigung oder Belästigung muss dabei jedenfalls so gewichtig sein, dass die “Schwere der Tat” die Bußgeldbewehrung des Verstoßes gegen § 1 Abs. 2 StVO nach rechtsstaatlichen Grundsätzen rechtfertigt[5]. Dies setzt eine Bewertung der Umstände des Einzelfalles voraus.

 

Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe kommt es in dem konkreten Fall darauf an, ob eine nachhaltige Beeinträchtigung von den abgestellten Fahrrädern auf der Muharrem-Acar-Brücke ausgeht. Eine nachhaltige Beeinträchtigung könnte sich allein aus der Tatsache ergeben, dass Personen mit Mobilitätseinschränkungen ein Passieren der Brücke unmöglich gemacht wird, wenn sie den Handlauf nicht benutzen können. Dies müsste detailliert nachgewiesen werden. Dass die Breite der Fläche für Fußgänger durch die abgestellten Fahrräder reduziert wird, reicht grundsätzlich nicht aus[6]. Auch ästhetische Gründe, die Attraktivität der Fläche zu heben, können nicht berücksichtigt werden.

 

3. Ergebnis

Eine Ordnungswidrigkeit würde bei einem Verstoß gegen §1 Abs. 2 StVO vorliegen. Das setzt eine nachhaltige Beeinträchtigung voraus, die sich daraus ergeben könnte, dass Menschen mit Mobilitätseinschränkungen die Brücke nicht mehr passieren könnten. Dies müsste jedoch fundiert nachgewiesen werden. Eine gefestigte Rechtsprechung existiert hierzu bisher nicht.

 

II. Rechtmäßigkeit des „Abschleppens“ der Fahrräder

Die kostenpflichtige Entfernung und Verwahrung/ Versteigerung der Fahrräder stellt einen Eingriff dar und bedarf daher einer Rechtsgrundlage. Ein Eingreifen auf der Grundlage des Wegegesetzes (§§19, 60 HWG) scheidet aus, da es sich bei dem Abstellen der Fahrräder nicht um eine Sondernutzung handelt (s.o.). Ein „Abschleppen“ von Fahrrädern kommt daher straßenrechtlich grundsätzlich nicht in Betracht, es sei denn, das Fahrrad wird zur Sondernutzung gebraucht (z.B. als Werbetafel missbraucht).

 

 

1. Rechtsgrundlage

Als Rechtsgrundlage für das Entfernen der Fahrräder und die anschließende Verwahrung/ Versteigerung kommen die Regelungen des Ordnungsrechts in Betracht. Da keine Grundverfügung (z.B. in Form eines Schildes) vorausgegangen ist, ist §7 Abs. 1 des Gesetzes zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung (SOG) hier anwendbar. Danach darf im Wege der unmittelbaren Ausführung eine Maßnahme getroffen werden, wenn auf andere Weise eine Störung der öffentlichen Sicherheit nicht beseitigt werden kann. Hiervon kann ausgegangen werden, wenn das Abstellen des jeweiligen Fahrrades eine Störung der öffentlichen Sicherheit in Form eines Verstoßes gegen unmittelbar geltende Rechtsvorschriften (§1 Abs. 2 StVO) darstellt. Hierzu wird auf die obigen Ausführungen verwiesen. Soweit eine Ordnungswidrigkeit angenommen wird, wären die Voraussetzungen von §7 Abs. 1 SOG erfüllt.

 

2. Verhältnismäßigkeit

Die Maßnahmen müssten jedoch auch geeignet, erforderlich und verhältnismäßig im engeren Sinne sein. Das angewendete Mittel darf nicht stärker sein und der Eingriff nicht weiter gehen, als der Zweck der Maßnahme es erfordert. Ein über das einfache Umsetzen hinausgehendes Verbringen an einen anderen Ort ist in der Regel als unverhältnismäßig anzusehen. Zu beachten ist insoweit auch, dass das „Abschleppen“ eines Fahrrades- anders als bei einem Fahrzeug- regelmäßig mit dem Zerstören eines zum Teil teuren Schlosses einhergeht, was in der Regel ebenfalls als unverhältnismäßig angesehen wird. Wenn verkehrliche Probleme allein auf mangelnde Verkehrsplanung zurückzuführen sind, ist die Verhältnismäßigkeit der Maßnahme auch zu verneinen[7]. Es ist davon auszugehen, dass ein Entfernen der Fahrräder, insbesondere auch ohne vorherige Ankündigung, im vorliegenden Fall unverhältnismäßig wäre.

 

3. Ergebnis

Selbst wenn vorliegend von einer Ordnungswidrigkeit ausgegangen werden könnte, wird ein Entfernen der Fahrräder mit Verwahrung/ Versteigerung voraussichtlich als unverhältnismäßig anzusehen sein.

 

III. Kostentragung

Bei verhältnismäßigen und damit rechtmäßigen Maßnahmen zur Gefahrenabwehr nach §7 Abs. 1 SOG können die Verwaltungsbehörden die Kosten von den Verantwortlichen erstattet verlangen (§7 Abs. 3 SOG).                              

 

C. Fazit

 

Nach Durchsicht der vorliegenden Urteile zur Durchsetzung von Maßnahmen abgestellter Fahrräder kann abschließend festgehalten werden, dass hieran relativ strenge Voraussetzungen geknüpft sind. Eine Ordnungswidrigkeit nach §1 Abs. 2 StVO könnte hier angenommen werden, wenn eine nachhaltige Beeinträchtigung anderer durch das Abstellen des jeweiligen Fahrrades nachgewiesen wird. Diese könnte sich daraus ergeben, dass Menschen mit Mobilitätseinschränkungen die Brücke nicht mehr passieren könnten. Ein Entfernen und Verwahren/ Versteigern dürfte –jedenfalls ohne vorherigen Hinweis- unverhältnismäßig sein.

 

Da die Durchsetzung von Maßnahmen zum Entfernen und Verwahren/ Versteigern mit rechtlichen Unsicherheiten behaftet ist, sollte zunächst geprüft werden, ob das Aufstellen von Anlehnbügeln bzw. Markierungen zum Abstellen der Fahrräder in der Nähe möglich sind.

 

Petitum/Beschluss

Um Kenntnisnahme wird gebeten.