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Beiratsempfehlung des Quartiersbeirats im Osterbrookviertel zu den jüngsten Großbränden in den umliegenden Gewerbegebieten, hier: Beiratsempfehlung 1/2023 vom 14.06.2023

Vorlage öffentlich

Bera­tungs­reihen­folge
Gremium
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19.09.2023
Sachverhalt

 

Der Quartiersbeirat im Osterbrookviertel hat sich in seiner Sitzung vom 14. Juni 2023 mit den diversen Großbränden in den umliegenden Industrie- und Gewerbegebieten in den Stadtteilen Hamm, Hammerbrook, Rothenburgsort und Billbrook befasst und folgende Beiratsempfehlung verabschiedet:

Der Quartiersbeirat nimmt mit Sorge zur Kenntnis, dass es seit nunmehr vielen Jahren immer wieder zu Großbränden, hauptsächlich von Lagerhallen, in den umliegenden Industrie- und Gewerbegebieten kommt. Aktueller Anlass dazu ist der Brand eines Lager- und Gewerbekomplexes in der Billstraße am Ostersonntag dieses Jahres (Abb. 1). Dabei handelt es sich laut Feuerwehr um einen der größten Brände in Hamburg seit zehn Jahren. Der Abstand zum nächstgelegenen Wohngebäude im Osterbrookviertel betrug nur 900 m. Wohngebiete Rothenburgsorts lagen sogar noch dichter, etwa 200 bis 300 m.

Dieser Brand markiert jedoch nur den bisherigen Höhepunkt in einer langen Reihe ähnlicher Fälle. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit sind dies (mit Entfernung zum Osterbrookplatz):

  1. Brand eines Lagerhauskomplexes in der Billstraße am 10. April 2023 (1,2 km)
  2. Brand einer Lagerhalle in der Liebigstraße am 9. März 2022 (2,7 km)
  3. Brand einer Lagerhalle in der Billstraße am 25. September 2021 (1,2 km)
  4. Brand einer Autowerkstatt und angrenzender Lagerhallen am Billbrookdeich am 26. September 2020 (2,7 km)
  5. Brand einer Lagerhalle in der Sorbenstraße am 23. April 2019 (1,0 km)
  6. Brand einer Lagerhalle in der Billstraße am 7. März 2019 (1,2 km)
  7. Brand einer Autowerkstatt mit Lagerhalle in der Sorbenstraße am 28. Juli 2017 (1,0 km)
  8. Brand einer Lagerhalle am Neuhäuser Damm am 8. Mai 2016 (3,1 km)
  9. Brand einer Lagerhalle in der Süderstraße am 8. Dezember 2014 (0,9 km)
  10. Brand eines Lager- und Gewerbekomplexes am Hammer Deich am 18. November 2013 (0,8 km)

Obwohl viele dieser Brände im Umkreis von nur 1 bis 1,5 km stattfanden, lag das Osterbrookviertel bisher nicht im unmittelbaren Gefahrenbereich, was jedoch ausschließlich auf für uns günstige Wetterverhältnisse zurückzuführen war. Die offiziellen Warndienste riefen allenfalls dazu auf, Fenster und Türen geschlossen zu halten. Nach dem jüngsten Brand wird außerdem seit nunmehr über 2 Monaten vor Berührungen mit dem Wasser aus der Bille und den Kalen gewarnt (Abb. 2).

Bei anderen Wetterverhältnissen kann es jedoch schnell zu einer massiven Gefährdung ganzer angrenzender Wohnviertel kommen. So wird z. B. bei einer Inversionswetterlage, die zudem meist mit sehr geringen Windgeschwindigkeiten einhergeht, der Abzug der Abgase nach oben in die Atmosphäre behindert, und der Rauch und die Schadstoffe breiten sich horizontal nach allen Seiten in niedriger Höhe aus und können so die gesamte Umgebung „fluten“. Bei hohen Windgeschwindigkeiten werden die Schadstoffe sehr schnell in benachbarte Gebiete transportiert, bevor sie überhaupt aufsteigen können. Die erhöhte Turbulenz verstärkt dabei zwar die Durchmischung, allerdings auch nach unten hin. 

Neben giftigen chemischen Stoffen können bei solchen Bränden auch andere gesundheitsgefährdende Stoffe wie Asbest freigesetzt werden. Welche immensen Mengen an Schadstoffen bei einem Großbrand in die Luft gelangen, zeigen die Daten des Umweltbundesamtes vom Ostersonntag (Abb.  3). Eine deutlich erhöhte Schadstoffbelastung der Atemluft wurde bis an die Nordseeküste gemeldet (dahinter gibt es keine Messstationen mehr). 

Der Quartiersbeirat stellt daher folgende Fragen an die zuständigen Stellen:

  1. Welche Maßnahmen werden bei einer Verrauchung des Stadtteils und einer Kontamination der Luft mit giftigen und gesundheitsgefährdenden Stoffen eingeleitet? Die meisten Wohnungen sind nicht luftdicht und können die belastete Luft allenfalls kurze Zeit draußen halten. Der jüngste Großbrand an der Billstraße hat jedoch viele Stunden angedauert. 
  2. Welche Möglichkeiten gibt es, von giftigen Stoffen belastetes Wasser der Kanäle zu sanieren? Bei der Bille und den Kanälen handelt es sich im Prinzip um stehende Gewässer, die keinen Austausch mit der Elbe haben. Die Gewässer werden von diversen Wassersportvereinen genutzt, eine Berührung mit dem Wasser ist bei Sportarten wie Kanupolo oder StandupPaddling kaum zu vermeiden. Auch wenn die Bille kein ausgewiesenes Badegewässer ist, wird es als solches in den Sommermonaten von vielen Anwohnern und Kleingärtnern genutzt. 
  3. Wie und wo wird die Wasserqualität der unteren Bille und ihrer Kanäle überwacht? Im Zusammenhang mit der jüngsten Warnung vor möglichen Giftstoffen besteht die Frage, ob überhaupt regelmäßig eine Messung oder Untersuchung der Gewässergüte und Schadstoffbelastung stattfindet, an welchen Stellen und in welchen Intervallen dies geschieht und ob die aktuellen Messwerte im Internet einsehbar sind. 
  4. Wie wird die Lagerung von dutzenden Chemie-Containern auf dem Grundstück Billstraße 199 inmitten dieses kritischen Abschnitts der Billstraße beurteilt? Auf diesem Grundstück, auf dem sich auch ein ortstypischer Teppichhandel befindet und das auf beiden

Seiten von ebenso ortstypischen Lagerhallen begleitet wird, werden seit neuerer Zeit mehr als 50 Chemie- und Tankcontainer gelagert (Abb. 4). Auf den jüngsten GoogleEarth-Aufnahmen stehen dort noch alte Lkw.

Des Weiteren fordert der Quartiersbeirat:

  1. Die Durchsetzung aller vorgeschriebenen und notwendigen Mindeststandards beim Brandschutz in den Unternehmen in den genannten Industrie- und Gewerbegebieten und deren regelmäßige Kontrolle.
  2. Die Ausrüstung der Gebiete mit einer funktionsfähigen, leistungsfähigen und schnell verfügbaren schwasserversorgung, so dass nur im absoluten Ausnahmefall auf Wasser aus den Kanälen zurückgegriffen werden muss und so eine Verunreinigung der Gewässer durch Betriebsmittel der Feuerwehr vermieden werden kann (Abb. 5 und 6).
  3. Erarbeitung und Veröffentlichung von Notfall- und Evakuierungsplänen analog zu den Sturmflutmaßnahmen, solange sich an den Zuständen nichts ändert und weiterhin mit verheerenden Bränden gerechnet werden muss.
  4. Wasserschutzmaßnahmen bei Betrieben, die (flüssige) Gefahrstoffe lagern und verarbeiten, so dass im Schadensfall die Gewässer nicht belastet werden (auch nicht durch kontaminiertes Löschwasser).
  5. Die nach den jüngsten Ereignissen eingerichtete Taskforce Billstraße“ (Abb. 7) ist sicher ein guter Anfang. Allerdings darf sich die Umsetzung eines Mindestmaßes an Brandschutz in den Betrieben nicht über Jahre hinziehen. Vor gewerbe-, finanz- und steuerrechtlichen Maßnahmen muss der Schutz der Bewohner in den umliegenden Stadtvierteln absolute Priorität haben.

Der Quartiersbeirat und sicher auch die meisten Bewohner sind sich der Lage des Viertels an der Schnittstelle zwischen Wohnen und Gewerbe sehr wohl bewusst und wir akzeptieren dies als historisch gewachsenen Zustand. Nicht wenige sehen darin sogar einen gewissen robusten Charme, der uns von anderen Wohngebieten unterscheidet. Aber wir erwarten, dass von einem innerstädtischen Industriegebiet keine Gefahr für Leib und Leben tausender Anwohner ausgeht. Wir erwarten, dass unsere Gewässer, dieses große und immer wieder hervorgehobene Potenzial der anliegenden Stadtteile, optimal geschützt werden. Wir erwarten, dass die Verantwortlichen für unsere Sicherheit Sorge tragen.                

 

 

 

Abstimmung

Ja

Nein

Enthaltungen

Meinungsbild

21

0

0

Quartiersbeirat

12

0

0

Davon Politik

3

0

0

 

Petitum/Beschluss

Um Beschlussfassung/Kenntnisnahme wird gebeten.

 

 

 

 

 

 

 

Anlage:

Abbildungen (nicht-öffentlich)