Reichsbürger in Eimsbüttel
20.02.2023
Lfd. Nr. 103 (21)
Anfrage nach § 27 BezVG der Mitglieder der Bezirksversammlung Eimsbüttel, Roland Wiegmann, Mikey Kleinert und Manuela Pagels (Fraktion DIE LINKE)
Die Anfrage wird von der Behörde für Inneres und Sport (BIS) und der Behörde für Arbeit, Gesundheit, Soziales, Familie und Integration (Sozialbehörde) wie folgt beantwortet:
Sachverhalt:
Die sogenannten ‘Reichsbürger’ machen derzeitig Schlagzeilen anlässlich der als vom Bundesjustizminister als ‘Anti-Terroreinsätze’ bezeichneten bundesweiten Razzien.
Lt. z.B. Wochenzeitung DIE ZEIT »hatten die mutmaßlichen Verschwörer geplant, bundesweit 286 "Heimatschutzkompanien" zu bilden. Diese hätten nach Auskunft eines Vertreters der Bundesanwaltschaft im Falle eines Umsturzes Menschen "festnehmen und exekutieren" sollen.«[1]
Reichsbürger, ‘Querdenker’ und Rechtslibertäre[2] bilden ein gefährliches „Gemisch“, weil die Grenzen und Trennlinien zum Neofaschismus aufgehoben, zumindest aber relativiert werden. Hinzu kommt, dass sich bei diesen Akteuren eine egoistische und pseudolibertäre Grundstimmung durchgesetzt hat („nur meine Freiheit zählt“), die das Ergebnis jahrzehntelanger Bearbeitung durch den Neoliberalismus ist. Egoismus, fehlende Solidarität, Wissenschaftsfeindlichkeit, rechtspopulistisch aufgeladene Eliten-Ideologie und das Fehlen jedweder Empathie für die Opfer der Pandemie sind ein gefährlicher Nährboden für Irrationalismus, Menschenfeindlichkeit und hysterische Ausbrüche. Es ist deshalb eine dringende Aufgabe, durch öffentliche Aufklärung und Bildungsarbeit die Ursachen dieser Entwicklung und deren Gefahren für die Demokratie aufzuzeigen.
Es geht darum, das Bewusstsein für den Kampf gegen den neuen Faschismus zu schärfen!
Reichsbürger:innen wünschen sich im allgemeinen das Deutsche Reich zurück. Gemeinsam ist allen, dass sie die völkerrechtliche Legitimität und Souveränität der Bundesrepublik Deutschland und damit auch unser Rechtssystem sowie die gewählten Repräsentant:innen nicht anerkennen und in vielen Fällen auch gewaltsam beseitigen wollen. Der Polizistenmord in Georgensmünd 2016[3] sowie der Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke 2019[4] sind unvergessen. Nach Erkenntnissen der Ermittler:innen werden gezielt Angehörige von Bundeswehr und Polizei für ihre Ziele gewonnen.[5] Außerdem sind offenbar auch viele Reichsbürger:innen Mitglied oder Sympathiesant:innen der Partei afd.[6]
Laut Hamburger Verfassungsschutzbericht 2021 stellen Rechtsextremismus und Rechtsterrorismus nach wie vor die größten Bedrohungen für unsere Demokratie dar.[7]
Knapp 350 Hamburger:innen werden unseres Wissens aktuell vom Verfassungsschutz der Reichsbürgerszene zugerechnet, von denen etwa zehn Prozent gleichzeitig in der rechtsextremen Szene zu verorten sind. 2016 waren es noch nur 90 Personen. Damit verzeichnet der Verfassungsschutz einen jahrelangen stetigen Anstieg in Hamburg.[8]
Daher haben wir die folgenden Fragen:
Die BIS nimmt zu Frage 1 wie folgt Stellung:
Die in der Vorbemerkung der Anfrage dargestellten Zuschreibungen und Charakterisierungen werden fachlich nicht in Gänze geteilt. Das Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) weist hierzu auf die Darstellung im aktuellen Verfassungsschutzbericht hin (https://www.hamburg.de/contentblob/16316242/1667e5d3800c34a1eaa9e63ee7b09343/data/vsb-2021-online.pdf, insbesondere S. 93ff. sowie S. 109ff.).
Die Begriffe „Bezirk“ oder „Stadtteil“ sind keine Ordnungskriterien des LfV, daher können keine validen Zahlen genannt werden.
Ende 2022 wurden der Reichsbürgerszene in Hamburg 340 Personen zugerechnet (nicht, wie in der Anfrage behauptet, 350). Knapp sechs Prozent davon wiesen Überschneidungen zum Rechtsextremismus auf. Ideologische und personelle Überschneidungen bestehen auch zum Spektrum der verfassungsschutzrelevanten Delegitimierer.
Die Gründe für den Anstieg sind vielfältig. Sie liegen nach wie vor im anhaltenden Zulauf ins Spektrum und der konsequenten Aufhellung des Dunkelfeldes durch den Verfassungsschutz. Durch die fortgesetzten Informationsveranstaltungen und Online-Vorträge des LfV Hamburg zum Thema „Reichsbürger und Selbstverwalter“ für Bedienstete der Hamburger Behörden, insbesondere der Dienststellen mit Kundenverkehr, konnten diese weiter sensibilisiert werden und dem Verfassungsschutz wertvolle Hinweise geben, die grundsätzlich vertraulich behandelt werden. Zudem informiert das LfV die Bürgerinnen und Bürger in seiner Funktion als Frühwarnsystem der Demokratie seit vielen Jahren in Internetbeiträgen auf der Homepage, Medienstatements und Interviews, Diskussionsveranstaltungen, parlamentarischen Drucksachen und im Verfassungsschutzbericht über die Szene. Zugleich besteht unverändert eine große Wahrnehmbarkeit von Reichsbürgeragitation im Internet auch aufgrund einer größeren Verbreitung verschwörungsideologischer Erklärungen bestimmter gesellschaftlicher Entwicklungen.
Die Sozialbehörde nimmt zu den Fragen 2. bis 7. wie folgt Stellung:
Wenn nicht, warum nicht?
Zu 2. und 3.:
Durch das Bundesprogramm „Demokratie leben!“ des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend sowie die Behörde für Arbeit, Gesundheit, Soziales, Familie und Integration (Sozialbehörde) werden Fach- und Beratungsstellen sowie Präventionsprojekte gefördert, die im Bereich Prävention von Rechtsextremismus tätig sind. Dazu zählen das „Mobile Beratungsteam gegen Rechtsextremismus“ (Träger: Arbeit und Leben Hamburg e.V.), „empower – Beratung für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt“ (Träger: Arbeit und Leben Hamburg e.V.) und „Kurswechsel – Ausstiegarbeit Rechts“ (Träger: Christliches Jugenddorfwerk Deutschland e.V.). Diese stellen zentrale Angebote dar, die von allen Hamburgerinnen und Hamburgern genutzt werden können, somit auch von den Bewohnerinnen und Bewohnern des Bezirks Eimsbüttel. Das „Beratungsnetzwerk gegen Rechtsextremismus“ (BNW, Träger: Johann Daniel Lawaetz-Stiftung) dient der Vernetzung und Kooperation der zivilgesellschaftlichen und staatlichen Mitgliedsorganisationen, auch in die Bezirke hinein.
Welche Fördermittel können ggfs. von engagierten Akteur:innen der Zivilgesellschaft für Aufklärungs- oder Hilfsarbeit beantragt werden?
Zu 4. und 5.:
Das Senatskonzept „Hamburg – Stadt mit Courage – Landesprogramm zur Prävention und Bekämpfung von Rechtsextremismus“ (Drs. 21/18643 und 20/9849) ist handlungsleitend und wirkt in alle Bezirke hinein (Hamburg - Stadt mit Courage. Landesprogramm gegen Rechtsextremismus Hamburg - hamburg.de).
Über die Förderrichtlinie „Aktiv für Demokratie und gegen Menschenfeindlichkeit“ fördert die Sozialbehörde niedrigschwellige Projekte und Maßnahmen zur Stärkung der Zivilgesellschaft, die Rechtsextremismus sowie religiös begründetem Extremismus präventiv begegnen. Dies können beispielsweise Projekte sein, die sich öffentlich gegen extremistische Haltungen und menschenfeindliche Äußerungen positionieren, nachbarschaftliche Projekte zum Umgang mit vorurteilsbezogenen Konflikten oder Bildungsangebote zur Demokratieförderung. Antragsteller können Vereine, Verbände, Betriebe oder einzelne Personen sein. Entsprechende Aktionen können mit bis zu 5.000 Euro unterstützt werden (Förderrichtlinie: Aktiv für Demokratie und gegen Menschenfeindlichkeit - hamburg.de).
Neben den in der Antwort zu 2. und 3. genannten hamburgweit arbeitenden Fach- und Beratungsstellen haben die Bezirksämter die Möglichkeit, die Zusammenarbeit von lokalen Akteurinnen und Akteuren gegen Rechtsextremismus, Gewalt und Menschenfeindlichkeit aus Politik, Verwaltung und Zivilgesellschaft durch „Partnerschaften für Demokratie“ im Rahmen des Bundesprogramms „Demokratie leben!“ zu fördern. Diese Partnerschaften können dann auf die lokalen Gegebenheiten und Konfliktlagen abgestimmte Konzepte und Lösungsstrategien erarbeiten (https://www.hamburg.de/gegen-rechtsextremismus/4141082/lokale-partnerschaften-fuer-demokratie/). Die entsprechenden Projektmittel können im Rahmen des Bundesprogramms „Demokratie leben!“ vom Bezirksamt direkt beantragt werden (https://www.demokratie-leben.de/das-programm/ueber-demokratie-leben/partnerschaften-fuer-demokratie).
Darüber hinaus bestehen weitere Fördermöglichkeiten im Rahmen des Bundesprogrammes „Demokratie leben!“, beispielsweise als Modellprojekte (https://www.demokratie-leben.de/das-programm/ueber-demokratie-leben/modellprojekte).
Im Übrigen siehe Drs. 21/18643.
Das Projekt „Kurswechsel – Ausstiegarbeit Rechts“ richtet sich an distanzierungswillige Menschen mit (extrem) rechten Einstellungsmustern (https://kurswechsel-hamburg.de/).
Zu den Vorhaben des Bezirksamts Eimsbüttel kann die Sozialbehörde keine Angaben machen.
Die in der Antwort zu 2. und 3. genannten Projekte bewerben ihre Angebote hamburgweit. Darüber hinaus informiert die Koordinierungsstelle des BNW über die verschiedenen Tätigkeiten und Angebote seiner Mitgliedsorganisationen zu den Themenfeldern Rechtsextremismus, Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit und Verschwörungserzählungen (https://vernetztgegenrechts.hamburg/).
Im Übrigen siehe Antworten zu 4. und 5.
ohne
keine
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