Neue Wege für das Stadtteilzentrum Grelckstraße testen
Aufgrund der anhaltenden Forderungen zur Gestaltung eines Lokstedter Stadtteilzentrums hatte die Bezirkspolitik im April 2019 die Einrichtung eines Runden Tisches Grelckstraße beschlossen: Anwohner*innen, Grundeigentümer*innen, Gewerbetreibende sowie eine Stadtteil-Initiative zur Grelckstraße sollten Vorschläge zur „Attraktivitätssteigerung der Grelckstraße im Sinne einer Aufwertung der Aufenthalts- und Einkaufsqualität“ machen. Bei der Vorstellung der Ergebnisse von zwei Workshops und einer umfangreichen Beteiligung von Schüler*innen wurde deutlich,
1) dass der größte Verbesserungsbedarf bei der Verkehrssituation gesehen wurde – das dokumentieren unter anderem die einschlägigen Anträge von B90/Die Grünen und CDU[1] bzw. von SPD und FDP[2] und
2) dass die Einschätzung über die Art einer verbesserten Verkehrsführung stark auseinander ging (s. unten).
Zu 1): Bei einer daraufhin von der Bezirkspolitik beauftragten Umfrage[3] gaben die Gewerbetreibenden, die nach eigener Auskunft mehrheitlich mit dem Pkw (78 %) in die Grelckstraße fahren, der „verkehrlichen Situation“ die durchschnittliche Schulnote 3,3. Die Passant*innen, die mehrheitlich zu Fuß (61 %) oder mit dem Fahrrad (41 %) zur Grelckstraße kommen, sowie die Anwohner*innen geben der Straße hierfür durchschnittlich eine relativ schlechte 4,3. Die Aufenthaltsqualität bewerteten die Anwohner mit der Schulnote 3,3, die Gewerbetreibenden etwas besser (2,9). In der Jugendbeteiligung gaben zahlreiche Schüler*innen an, dass sie die Grelckstraße meiden, da sie sich im Verkehr „nicht sicher fühlen“ (Dokumentation Runder Tisch, S. 37).
Die von der Bezirkspolitik beauftragte qualifizierte Verkehrszählung stützt diese Wahrnehmung und ergab, dass tagsüber, Donnerstag 6–20 Uhr, also in 14 Stunden über 2.300 Kfz die Grelckstraße durchfahren, in der Spitzenstunde (17–18 Uhr) ca. 220 Kfz. Die Zählung ergab außerdem, dass der „Durchgangsverkehr gegenüber Zielverkehr deutlich stärker“ ausgeprägt war, d.h. nur ein kleiner Anteil des Kfz-Verkehrs hatte die Grelckstraße als Anwohnende, zum Arbeiten oder zum Einkaufen als Ziel. Die ebenfalls beauftragte Auswertung des Kfz-Parkverhaltens (Parkraumerhebung) hat ergeben, dass auf 80 % der Parkplätze kaum Wechsel stattfindet.[4] Die große Mehrzahl der in der Grelckstraße stehenden Autos sind also nicht von Kurzparkenden, wie bspw. zum Einkaufen oder Konsumieren.
Zu 2): Da die Art einer verbesserten Verkehrsführung durch die Grelckstraße schon seit langer Zeit und so auch am Runden Tisch stark umstritten war und ist, beantragte die Bezirksversammlung, dass die Präferenzvarianten getestet werden. Der Test von unterschiedlichen Varianten der Verkehrsberuhigung geht dabei auf den plausiblen Vorschlag aus der Beteiligung der Jugendlichen zurück, die „aus den Meinungsverschiedenheiten der Erwachsenen den Schluss gezogen [haben], dass auch die Option bestehen sollte, über eine noch näher zu klärende Zeitenregelung mehr als nur eine Lösung zu realisieren“ (Dokumentation Runder Tisch, S. 37). Das beauftragte Verkehrslabor startete schließlich Ende November 2021 mit einem Jahr Verzögerung aufgrund neuer rechtlicher Einschätzungen und langdauernder Verhandlungen mit den Straßenverkehrsbehörden. Ergebnis war unter anderem, dass die zwei beim Runden Tisch von vielen bevorzugten Versionen Anwohner- bzw. Anliegerstraße aus rechtlichen bzw. pragmatischen Gründen abgelehnt wurden. Stattdessen wurde die Einbahnstraße (Drs. 21-0756) einbezogen und mit der ebenfalls gewünschten Durchfahrtssperre am Wochenende kombiniert. Obwohl die Durchfahrtssperre, die an den Wochenenden Zufußgehenden und Radfahrenden mehr Raum gegeben hat, bei vielen für Verwirrung gesorgt hat, konnte sie nicht zurückgenommen werden. Um dem zu begegnen, soll für die zweite Phase eine zeitlich einheitliche Regelung geplant werden.
Für diesen zweiten Teil wurde aufgrund der Jugendbeteiligung und der von der Bürgerinitiative Grelckstraße durchgeführten Umfrage mit über 800 Teilnehmenden aus Lokstedt eine Fußgängerzone vorgeschlagen. Der Vorschlag Fußgängerzone stößt – wie zahlreiche ähnliche Veränderungsvorschläge zumal im Straßenraum in Hamburg und Deutschland – auf leidenschaftliche Befürwortung und leidenschaftliche Ablehnung. Viele Untersuchungen und Befragungen aus deutschen und internationalen Städten haben ergeben, dass die Akzeptanz für Fußgängerzonen, sobald sie etabliert sind, deutlich steigt. Insbesondere Gewerbetreibende profitieren demnach von Verkehrsberuhigung und Aufenthaltsqualität. Beide Faktoren führen sowohl zu belebteren Straßen als auch zu Umsatzsteigerungen. Gerade inhabergeführte Geschäfte können damit ihren Standortvorteil als Stadtteil-Geschäft mit persönlicher Begegnung gegenüber Internet-Shopping und anonymeren Großmärkten ausspielen.
Um weitere Konsequenzen aus dem bisherigen Verlauf des Verkehrslabors und der intensiven Debatten im Stadtteil zu ziehen, soll in der zweiten Phase eine auf den ersten Blick ungewöhnliche, aber pragmatische Konstellation getestet werden: eine Fußgängerzone mit Radverkehr und Anlieger frei.
Zufußgehende haben so Vorrang und können sich frei und sicherer bewegen: Davon profitieren insbesondere Senior*innen, Kinder, Geheingeschränkte und Familien. Autofahrende – und zwar nur die kleine Minderheit (s.o.) mit einem Anliegen – und Fahrradfahrende dürfen die Straße auch nutzen, müssen aber in Schrittgeschwindigkeit fahren und Rücksicht nehmen. Anlieger sind Personen mit einer rechtlichen Beziehung zu den Grundstücken, sei es Wohnen, Eigentum, Arbeiten, Liefern, Einkaufen oder Konsumieren.
Rein rechtlich ist so der Durchgangsverkehr ebenso ausgeschlossen wie das Dauerparken ohne Anliegen. Menschen mit Anliegen, die aufs Auto angewiesen sind, dürfen in die Straße fahren und finden leichter einen Parkplatz. Einfache Maßnahmen wie Blumenkübel, Fahrbahn-Verschwenkungen, Außengastronomie, neue Fahrrad-Abstellanlagen und Straßenmobiliar können den Charakter einer Fußgängerzone gut unterstützen sowie Kfz- und Radverkehr verlangsamen. Für diese auf den ersten Blick ungewöhnliche Lösung bietet sich ein temporäres Testen an. Je nachdem wie dieser Test ausfällt, lassen sich für die finale Ausgestaltung dann auch Parkraum-Management (mit „Brötchen-Taste“) und/oder Modalfilter (gegen den Durchgangsverkehr) in Betracht ziehen. Es ist zu testen, ob dieser pragmatische Vorschlag der von Anwohnern und Gewerbetreibenden beim Runden Tisch präferierten, aber von der Straßenverkehrsbehörde abgelehnten Lösung „Anliegerstraße“ nahekommt und gleichzeitig dem Wunsch des Stadtteils nach einem Stadtteilzentrum mit Fußgängerzone.
Anfang April berichtete das Bezirksamt in der Sitzung des Regionalausschusses Lokstedt, Niendorf, Schnelsen öffentlich über einen Mehrbedarf von 60.000 € und begründete ihn mit der „allgemeinen Kostensteigerung, Verfügbarkeit der Firmen und Planungsbüros, Anforderungen an die Gestaltung aufgrund der straßenverkehrsbehördlichen Auflagen“ und den damit einhergehenden wiederholten Verzögerungen sowie mit „zusätzlichen Kontrollgängen und Verstärkung der Durchfahrtssperre“ nach der Nicht-Beachtung durch einzelne KfZ-Fahrer*innen. Außerdem sei das „pilothafte Verfahren“ schwer kalkulierbar gewesen. Demnach wird die zweite Phase mit € 50.000 (v.a. für die Auswertung „Leistungspaket 1“) deutlich günstiger. Selbst ein Abbruch nach der 1. Phase würde aber schon einen Mehrbedarf von € 10.000 plus bisher unbekannte Ausgaben infolge Nichterfüllung bereits abgeschlossener Verträge (in Höhe von ca. € 44.000) nach sich ziehen. Ein Abbruch hätte zur Folge, dass der bisherige finanzielle und personelle Einsatz nicht sachgerecht zum Tragen kommt.
Bezirksamt und Bezirkspolitik bedauern die Preisentwicklung. Allerdings sind die Durchführung und Auswertung der 2. Phase zentral, um die beiden Varianten vergleichen und daraus Konsequenzen ziehen zu können. Um Kosten zu sparen, soll die Auswertung notfalls vereinfacht in Form der (bereits beschlossenen) Abschluss-Befragung und Versammlung des Runden Tisches stattfinden. Falls darüberhinausgehende Mittel für Begleitung und Auswertung eingeworben werden können, begrüßt die Bezirkspolitik das.
Der Bezirksamtsleiter wird gebeten, in Weiterführung und Ergänzung der Drucksache 21-1056 (Belebung der Grelckstraße als Stadtteilzentrum: Mehr Platz und Aufenthaltsqualität für Menschen, mehr Grün und Stärkung des lokalen Gewerbes) und in Zusammenarbeit mit den zuständigen Stellen
Außerdem wird er gebeten,
Für das weitere Verfahren der Auswertung und Gestaltung der Straße wird auf Drucksache 21-1056 verwiesen.
Der Vorsitzende der Bezirksversammlung wird gebeten,
In dieser Sitzung sollen im Rahmen des Beschlossenen weitere Impulse für die kurz- und langfristige Gestaltung der Grelckstraße festgehalten werden.
Sebastian Dorsch, Melanie Starken, Robert Klein, Dietmar Kuhlmann, Lutz Schmidt, Annette Hasselmann, Ali Mir Agha und GRÜNE Fraktion
keine